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Nur bloß keinen Bahnhof

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18.05.2011
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Nur bloß keinen Bahnhof

"Hey, was guckst du denn so?", fragte sie ihn. Und sie lächelte herzlich.
"Darf ich denn nicht verliebt gucken?", entgegnete er.
Sie grinste, kam auf ihn zu und trat ganz dicht an ihn heran. Jetzt spürte er ihren warmen Atemzug. Ihre kalte Stupsnase berührte die seine und sie grinste ihn weiter an.
Ein wunderschöner Kuss lies alle Kälte auf diesem Bahngleis verschwinden.
Er merkte, wie ihre Hände seine Wangen berührten und ihre Daumen sanft über diese strichen.
Als er wieder seine Augen öffnete, blickte sie ihn an. Ganz nah.
"Ich liebe dich", sagte sie und hatte dabei so einen Ausdruck im Gesicht, bei dem er eine Gänsehaut bekam.
Augenblicklich fuhr er seine Arme aus, seine Reisetasche fiel zu Boden und er umarmte sie, drückte sie ganz fest an sich heran und atmete tief ein.
Ihre goldblonden Haare verdeckten ihr linkes Ohr. Trotzdem war es so kalt, dass er es mit seinem Mund spüren konnte.
Sie roch so lieblich und friedlich. Einfach wunderschön.
Er bemerkte, wie sie ihn umklammerte und glücklich jauchzend ihren Kopf an seinen schmiegte.
"Gott schickt mir seinen liebsten Engel.", sagte er.
Sie nahm ihren Kopf zurück, blickte ihn mit strahlenden Augen an und sah, wie seinen Augen Tränen entwichen.
"Hey...", sie verstummte, strich ihm behutsam die Tränen aus dem Gesicht und küsste ihm auf beide Augen.
Das fühlte sich sehr gut an. Ihre warmen Lippen waren wie ein süßer Sommerwind.
Er blickte sie an. Sie griff nach seinen Händen und er drückte ihre ganz fest.
So standen sie da. Und sahen sich an.

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken.
Sicher war es erst das erste Mal heute. Das wollte er doch eigentlich verhindern.
"Hast dich wohl echt nicht unter Kontrolle, Sebastian.", dachte er.
Auf dem Display las er "Berndmeyer". Ganz verschwommen. Er hatte Tränen in den Augen.
"Ja Herr Berndmeyer? (..)...Natürlich, das ist kein Problem. Doch das dürfte ich schaffen. Ja, kein Problem. In Ordnung. Tschüss."
Soviele Überstunden hatte er schon lange nicht mehr gemacht.
Aber es machte ihm nichts. Er hatte heute ja ohnehin nichts vor.
Wieso auch. Zu Hause erwartete ihn niemand.
Vielleicht würde er noch das Fitnessstudio aufsuchen.
Vielleicht würde er auch irgendeinen Ort aufsuchen, der ihm fremd war.
Nur bloß keinen Bahnhof.

 

Hallo,

der Text hat drei Probleme, glaube ich.
Das sind zwei im Detail und ein großes.
Die im Detail:

Sie grinste, kam auf ihn zu und trat ganz dicht an ihn heran. Jetzt spürte er ihren warmen Atemzug. Ihre kalte Stupsnase berührte die seine und sie grinste ihn weiter an.
„Ihre kalte Stupsnase“ berührte die seine. Daran sieht man die beiden Detailprobleme. Es ist einmal diese un-natürlichen Wendung, „die seine“, das wirkt ungelenk, das hat man öfter im Text, dass der Autor sprachlich präzise formulieren will (Wessen Nase sollte sie denn sonst berühren) und, weil er es vielleicht nicht gewohnt ist, dann ins „Unnatürliche“, ins „Affektierte“ abrutscht.
Der Text wirkt nicht lebendig oder organisch an diesen Stellen.
Und das zweite Problem ist, in diesen Details, es ist sooo von der Stange, solche Allerweltsbilder leider.
Diese perfekte Eintracht da, wie aus einem Werbespot, aber nicht mal aus einem aktuellen (da hat man das ja erkannt, dass Geschichten individuell sein müssen), sondern wie aus so einem generischen 30 Jahre alten.
Da nennen sie sich „engel“ und halten Händchen, und die einzige Metaphorik ist „Kalt“ und „Warm“ und es ist so zuckersüß.

Ja, ja wird dann kommen: Das muss so sein! Das ist in der Geschichte so, als Phantasievorstellung. Ja, das stimmt. Aber es ist auch die Hälfte des Textes. Wenn ein Text die Hälfte lang kitschig, un-individuell und blass sein muss, damit er „funktioniert“, dann stimmt die Struktur nicht.

Und das „große“ Problem, ist diese Konzeption dann: Der Protagonist hat das gar nicht, er träumt das nur. Das ist aber auch bitter, wenn eine Figur solche kitschigen Träume hat, entschuldigung. Ist ja absolut normal, sich einsam zu fühlen und Sehnsucht zu haben, nur dass er sich da nach so einer Puppe sieht, deren Begegnung überhaupt nichts eigenes hat, gibt mir schon zu denken. Dass man sich immer in so eine Harmonie reindenkt.

Also wenn man das erzählen will (und so ein Traum – Wirklichkeitszenario … da tut man sich als Autor auch nicht unbedingt einen riesigen Gefallen mit) ,also wenn man das erzählen will: Unbedingt versuchen, aus diesem Traum etwas Besonderes zu machen. Aus den Figuren etwas eigenes. Die gehen völlig in diesen „Knutschi-Butschi“-Rollen auf. Da muss Pep rein, die brauchen Eigenschaften, die Zärtlichkeit muss sich anders zeigen, sie brauchen eine gemeinsame Sprache, eine Gestik, etwas „Eigenes“ – das ist die Zuständigkeit des Autors.
Pommes kann jeder machen, aber ein guter Koch gibt denen dann noch eine individuelle Note, verwendet andere Kartoffeln ,ein anderes Öl, andere Zutaten, was weiß ich. Darum geht’s bei sowas.

Also tut mir leid, aber da muss noch einiges dran gehen; vor allem den Zucker aus der ersten Hälfte raus und vielleicht einen orginelleren Twist in der zweiten Hälfte.
Und das Wichtigste: Mehr Individualität! Unbedingt!

Gruß
Quinn

 

Hallo Diepher,

herzlich willkommen hier!

Für mich ist das eine zeitnahe Alltagsgeschichte. Heutzutage kommt es zu solchen Szenen, weil wir zunehmend zu einem Volk von Wanderarbeitern werden. Daher meine Frage: Warum hast du „Sonstige“ gewählt und nicht „Alltag“?

Sehr schön finde ich den harten Schnitt zwischen Erinnerung und Wirklichkeit. Da hatte ich das gleiche Gefühl wie dein Protagonist: Hä, was ist hier los, wo bin ich?
Obwohl man da noch etwas dran feilen könnte. Ich würde > So standen sie da. Und sahen sich an.< rausnehmen. Das klingt zu sehr nach Ausblende.
Dann würd ich mal testen, ob nicht das Ende (ab: Das Klingeln des Telefons) in Gegenwartsform geschrieben einen noch intensiveren Kontrast zur Erinnerung bildet.

Kleinkram:

Hey, was guckst du denn so?", fragte sie ihn. Und sie lächelte herzlich.
Hey, was guckst du denn so?", fragte sie ihn und lächelte. Das wäre eine Alternative. Lächeln ist von Natur aus freundlich, nur boshaftes oder ironisches Lächeln braucht ein entsprechendes Adjektiv. Außerdem vermeidest du so das doppelte „sie“.

"Darf ich denn nicht verliebt gucken?", entgegnete er.
Sie grinste, kam auf ihn zu und trat ganz dicht an ihn heran. Jetzt spürte er ihren warmen Atemzug.
Zwei gute Gelegenheiten, um deinen Figuren Namen zu geben: entgegnete Sebastian – yx grinste …
Auch kann hier wieder gekürzt werden.
XY grinste und trat dicht an ihn heran. Er spürte ihren warmen Atem.

Ihre kalte Stupsnase berührte die seine und sie grinste ihn weiter an.
… und sie grinste ihn weiter an. Das braucht es nicht. Das Bild mit den Nasen sagt alles.

Ein wunderschöner Kuss lies alle Kälte auf diesem Bahngleis verschwinden.
Bahnsteig. Bei Bahngleis denke ich, hier kommt eine Selbstmordgeschichte. Lies/ließ
„Wunderschön“ ist da mehr als überflüssig. Ein Kuss ließ alle Kälte auf diesem Bahnsteig verschwinden.
Versuch mal, einige Adjektive und Wertungen aus dem Text herauszunehmen.

Noch ein Beispiel dazu:
„Sie roch so lieblich und friedlich. Einfach wunderschön.“ Ne, nicht wunderschön, sondern „einfach“ fürchterlich.
Beschreibe doch, wie Sebastian mit einem tiefen Atemzug ihren Duft nach xy aufnimmt, einen Atemzug, von dem er wünschte, das er nie enden würde, der ihm die Knie weich macht. Oder so ähnlich.

"Gott schickt mir seinen liebsten Engel.", sagte er.
Punkt nach Engel weg.

"Hey...", sie verstummte,
"HeyLEERZEICHEN...", sie verstummte,

"Hast dich wohl echt nicht unter Kontrolle, Sebastian.", dachte er.
Punkt nach Sebastian weg.

Auf dem Display las er "Berndmeyer".
Berndmeyer? Hmm. Würde Brandtmayer nicht besser passen? Im Sinne von: Wenn der anruft, brennt die Steppe. Nur son Gedanke.

Gruß

Asterix

 
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„Ihre kalte Stupsnase“ berührte die seine. Daran sieht man die beiden Detailprobleme.

Detailprobleme? Es ist eine folgerichtige Beschreibung. Sie berührte die seine.
Wo ist dein Problem? Mit Unnatürlichkeit hat das rein gar nichts zu tun.


Da nennen sie sich „engel“ und halten Händchen, und die einzige Metaphorik ist „Kalt“ und „Warm“ und es ist so zuckersüß.
Der Protagonist hat das gar nicht, er träumt das nur. Das ist aber auch bitter, wenn eine Figur solche kitschigen Träume hat, entschuldigung.
Dass man sich immer in so eine Harmonie reindenkt.

Vielleicht hast du das in deinem Leben ja noch nicht erlebt. Aber es ist weder kitschig noch irgendwie ein fiktiver Traum. Wenn du diesen Part richtig interpretiert hättest, anstatt krankhaft nach irgendwelchen selbsterfundenen Formfehlern zu suchen, hättest du erkannt, dass sie auf einer wahren Begebenheit beruht.
Sie ist eine Erinnerung des Autors und kein fiktiver Gedanke.

Unbedingt versuchen, aus diesem Traum etwas Besonderes zu machen. Aus den Figuren etwas eigenes. Die gehen völlig in diesen „Knutschi-Butschi“-Rollen auf.

Wie gesagt kein Traum. Und knutschi-butschi ist das hier mit Sicherheit auch nicht umschrieben.
Ehrlich gesagt kann ich nicht im Ansatz verstehen, wie du zu solchen Äußerungen kommst.
Anscheinend fehlt dir das nötige Etwas, um sich einmal in einen Text hineinzudenken.

Schade eigentlich.

Für mich ist das eine zeitnahe Alltagsgeschichte. Heutzutage kommt es zu solchen Szenen, weil wir zunehmend zu einem Volk von Wanderarbeitern werden. Daher meine Frage: Warum hast du „Sonstige“ gewählt und nicht „Alltag“?

Für den Alltag war es mir zu emotional.

Sehr schön finde ich den harten Schnitt zwischen Erinnerung und Wirklichkeit. Da hatte ich das gleiche Gefühl wie dein Protagonist: Hä, was ist hier los, wo bin ich?
Obwohl man da noch etwas dran feilen könnte. Ich würde > So standen sie da. Und sahen sich an.< rausnehmen. Das klingt zu sehr nach Ausblende.
Dann würd ich mal testen, ob nicht das Ende (ab: Das Klingeln des Telefons) in Gegenwartsform geschrieben einen noch intensiveren Kontrast zur Erinnerung bildet.

Eine gute Idee. Danke für den Tipp.

Zwei gute Gelegenheiten, um deinen Figuren Namen zu geben: entgegnete Sebastian – yx grinste …

Nun, ich wollte es vermeiden am Anfang bereits auf Namen oder sonstiges einzugehen. Man erkennt, dass es um "ihn" und "sie" geht und nur diesen Sachinhalt benötigt man zunächst.
Es war mir viel mehr wichtig, die Atmosphäre zu schildern und was da gerade für Emotionen aufkommen.
Erst beim Telefonat und dem "Aha, er war nur in Gedanken", soll man sich auf ihn fokussieren.

Aber danke für die Tipps, Asterix!

 

Diesen Umgangsaton wollen wir hier nicht haben, Diepher.
Ob Erinnerung oder Wunschtraum - die Szene ist kitschig, werbespotmäßig, genau wie Quinn sagt. Ich hatte deinen Text heute morgen gelesen und wollte ebenfalls diesen Punkt kritisieren, hatte aber keine Zeit.
Quinn hat dir eine durchaus angemessene und konstruktive Kritik geschrieben, und ihn daraufhin zu beleidigen ist einfach unter aller Sau.
Wenn man keine Kritik zu seinem Text verträgt, sollte man ihn auch nicht einstellen.

 

Hallo Diepher!

Zeitnahe Antworten bitte im selben Fenster posten.

Und den „Quatschkopf“ nimmst du bitte raus.

Gruß
Asterix

 

Sie ist eine Erinnerung des Autors und kein fiktiver Gedanke.
Genau das ist das Problem, das ich sehe: Dieses autobiografische Element, dass so unverhohlen zum Zwecke der distanzlosen Selbsterleichterung, des Auskotzens unverdauten Liebeskummers daherkommt und sich mit dem in der Geschichte klischeemäßig ausgestellten Kitsch zu einer zähen Mélange verbindet, in der mein Lesevergnügen erstickt. Dem "Quatschkopf", wie du wohl Quinn genannt hast, kann ich selten so beipflichten wie hier.

 

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