- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 24
Noita kinum mok!
Noita kinum mok!
Frau Sichel schnappt nach Luft und schießt weiter: „...und dann haben Sie sich getrennt, weil sie nur noch Bohnensuppe kochen wollte?“
„Ich verließ sie, da wir uns auseinandergelebt hatten. Sie lebte mit ihren Telenovelas und den Bridge-Spielen. Wie hätten wir da noch reden können? Und dann verwahrloste unser Haus, da sie alle Putzfrauen beschuldigt hatte, zu stehlen. Selbst natürlich nicht sauber machen wollte! Und ein gemeinsames Essen gab es sowieso nicht mehr...“ nahmen mich mit auf die Reise. Ich machte es mir gemütlich in einem O. Dieser runde Raum war wie eine orientalische Sänfte, in der ich mich kugeln konnte. Monsieur Dada trug uns unruhig durch die vollen Straßen hastend. Mit seinem mächtigen Getue hatte er meine Worte aus meinem kleinen, schüchternen Freund Frederik gekitzelt. Sein Gedächtnis war ekelhaft klein. Diese Enge machte uns alle wahnsinnig. Besonders die S schlängelten sich verzweifelt, um nach Platz zu tasten. Bei dem Menschenauflauf, der sich immer um diese Zeit auf dem Marktplatz tummelte, musste er auf Signora Miamiu treffen.
„Ah, Signor Dada! Sono io! Gibt es etwas Neues von den Trenntuns? Na, ich sehe es doch an ihrem hüpfenden Pferdeschwanz! Sie wissen was!“
„Oui oui, Madame Miamiu, Sie haben Recht! Bevor wir in diesem köstlichen Springbrunnen unsere Kleider waschen, können wir noch schnell den verbalen Austausch pflegen!“
„Na, dann avanti, Dada! Es kribbelt schon überall... Hihi, auch an ihrer Lieblingsstelle!“
„Ja, Madame, Sie verstehen mich...“
„Bene, nun kommen Sie endlich zur Sache!“
„Tout doux! Nicht so ungeduldig...ich dachte les femmes lieben es langsam? Ah, Sie sind so weit!“ Miamiu lächelte dem Folgenden entgegengierend.
„Mia...ma Cherie, ich traf vorhin den Gamin Frederik. Der hat mir bereitwillig alles Interessante erzählt. Sie wissen, einem Ehrenmann vertraut man!“ Miamiu kicherte wie eine beschwipste Konkubine.
Es bebte plötzlich. Wir wurden hin und her geschüttelt. Die A´s stöhnten auf und wandten sich mir zu: „Lassen Sie sich gehen wie eine Lottokugel! Nicht aufbäumen. Die Kugeln rollen, wie sie wollen. Oder wie Dada will.“ Ich war ganz auf meine Reisegefährten angewiesen, also tat ich, was sie mir empfahlen. Mein O verschwand in einem schwarzen Loch, das sich muskelartig öffnete und schloss. Eine Mixtur, die ständig gewann und verlor. An Buchstaben. An Sinn.
Dada fiel inzwischen über das Hauptgericht her: „Stellen Sie sich vor, Mia! Dieser Schuft verließ seine Frau...“
„...weil sie so eine schrecklich warzige Zunge hat, vero?“
„Non, aber ich verstehe, was Sie meinen, Madame. Wo war ich?
„Bei ihrer warzigen Zunge.“
„Mais oui! Zuerst wollte er keine Putzfrau mehr bezahlen. Sollte sie doch, die ja schon genug damit zu tun hat, ihre Schönheit zu pflegen, die Arbeit machen...“
„Hehe. Si, das kostet sie ganz bestimmt viel Zeit!“
„Dann verlangte er von ihr, einer hochgeborenen Dame, zu kochen!“
„Unmöglich!“
„Doch! Und der Gipfel aller Unverschämtheit, das ist ja längst nicht alles...“ Dada rollte seine Augen und spuckte weiter die salzigen Kürbiskernschalen aus: „Er wollte ihr doch tatsächlich jegliches gesellschaftliche Vergnügen verbieten. Kein Canasta, kein Bridge! Keine Telenovela! Gaaaaar nichts!“
Miamiu fächelte sich Luft zu, sie hatte gerötete Wangen und ihre Augen schrieen lustvoll nach mehr. Das registrierte Dada, und so schenkte er ihr noch einen Höhepunkt: „Ach ja, das habe ich ganz vergessen!“ „Was denn? Nun sagen Sie schon!“ „Er wollte sie auch nicht mehr in seinem Bett. So übergab er sie dem tauben Gärtner!“
„Das ist ja nicht wahr!“
„Mais oui, mais oui. Und nun Mia, kommen Sie in den Springbrunnen...“
Ein Teil meiner Reisegefährten war verschwunden, andere waren hinzugekommen. Man hatte mich nicht vor den Gefahren gewarnt. Noita kinum mok!
Herr Zucker wanderte zufrieden mit den Worten Signora Miamius im Kopf. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner neuen Gesellschaft. Es waren viele falsche Schlangen unter ihnen. Einige waren mutiert. Zu ganz verlogenen Gestalten. Lautes Treiben, und ich war Zentrum. Ohne, dass ich erklären kann, wie es geschah, fiel mir auf einmal ein Spiegel in die Hand. Er ließ mich heftigst zurückschrecken. Auch ich hatte mich verwandelt. Dabei konnte ich gar nicht genau ausmachen, was ich nun war. So verschwommen war das Bild. Und doch strahlte es Egoismus und Rücksichtslosigkeit aus. Übelkeit schnürte mir die Kehle zu, als mir die plötzliche Ähnlichkeit mit Dada auffiel.
Zucker begegnete am Fluss Probus der Frau Sichel. Diese lief schnurstracks auf den Herrn zu, berührte ihn am Arm und lächelte freundlich. „Ah, Frau Sichel, dass ich Ihnen hier begegne! Wie lange ist es her?“
„Ah, mein Herr Zucker, eine Frau wie ich, eine Mutter von fünf Welpen und einem Kindchen, hat doch alle Hände voll zu tun! Ich hetze hierher und dorthin. Manchmal könnte ich die Decke streichen vor Wut!“
„Schon gut, Frau Sichel. Ich weiß ja. Dann werden sie sich aber besonders über eine kleine Ablenkung freuen!“
„Aber sicher, über jede!“
„Nun, ich traf gerade Signora Miamiu, und die hat mich auf den neuesten Stand über die Trents gebracht.“
„Ah...“
Wieder gerieten wir in einen Strudel. Jedoch war er leichter. Viel schlimmer waren die ständigen Pausen, die immer einen Teil von uns brutal über Bord schmissen.
„Ja. Das war etwas kompliziert. Also, erstens hat Mr. Trent seine Frau verlassen und nicht umgekehrt.“
„Tatsächlich!“
„Hm, und dann... lassen Sie mich überlegen, ganz verwirrend war das... sie wollte nicht kochen oder wollte nur Bohnensuppe kochen... ihr Essen schmeckte ihm nicht mehr so...“
Mit diesem Satz fiel eine ganze Gruppe E´s vom Schiff. Und nicht alleine. Wir fürchteten uns. Seine monotone Einbahnrolltreppe schob uns an den Rand einer Klippe. Wir waren doch keine Lemminge!
„Sie wollte nur noch Bohnensuppe kochen!“
„Ja... genau! Das war´s. Und dann... hasste sie Putzfrauen...“ Er schaute mit leerem Blick auf das goldene Schweigen des Wassers. „...wollte kein Geld mehr für sie ausgeben. Ach ja!“ Nun klirrte das Glück. Und einer nach dem anderen stürzte wie ein Dominostein ins Nichts. Nur ich blieb zurück. Aber es juckte wieder am ganzen Körper.
„Ja?“
„Wie konnte ich das vergessen! Sie hatte ein Verhältnis mit dem Gärtner!“
„Nein! Das kann ja nicht wahr sein...“
„Doch das ist es!“
Der Spiegel war mir leider abhanden gekommen. Trotzdem schmeckte ich die Veränderung. Kopfschmerzen, die meine Denkreichweite und mein Kurzzeitgedächtnis folterten. Abgehackte Gedanken, die sich drehten und nie zum Punkt kamen. Innerliche Verwüstung, die mich zwang aus der fassungslosen Passivität zu erwachen. Noita kinum mok!
Die letzte Etappe der Reise kannte ich bereits. Verwirrt und enttäuscht heftete ich mich an eine Leerstelle in Frau Sichels Gehirn und versuchte durch ihr Ohr hinauszuklettern.
Eine Hand berührt sanft meinen Arm und grüßt: „Hallo Mr. Trent!“
„Oh hallo, Frau Sichel!“
„Das tut mir so leid. Herr Zucker hat mir alles erzählt... obwohl man der natürlich nicht alles glauben darf... Also, der Miamiu! Von der hat er seine Neuigkeiten! Sie haben sich von ihrer Frau getrennt?“
„Ja!“, entgegne ich energisch.
„Ach, dann stimmt das! Sie hat eine Beziehung zum Gärtner, nicht wahr?“
Verdutzt schaue ich sie an und antworte: „Wir haben keinen Gärtner...“
„Doch, doch! Es gab einen großen Knall, sagte doch Signora Miamiu, und dann haben Sie sich getrennt, weil sie nur noch Bohnensuppe kochen wollte?“
„Ähm, nein..“
„Aber Mr. Trent, nicht dass sie das denken! Ich will nicht neugierig erscheinen, wenn Sie nicht erzählen wollen, dann lassen Sie es...“