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Nichtsdestotrotz
Die französischen Trucker sind ihr die liebsten. Wenn sie sich unterhalten, mit sanften Stimmen über den Tisch murmeln, dann klingt das nach Abendwind und Rotwein und Meer, obwohl es wahrscheinlich um LKW-Maut oder Reifenabnutzung geht. Sie kennt die meisten von ihnen. Die Fahrer übernachten gerne auf dem Autohof und freuen sich, wenn sie Dienst hat. Salut! Ça va, ma belle? Ihr Französisch reicht aus, um die Späße zu verstehen, die sie machen. Sie ist aufmerksam und schnell und weiß meistens schon vorher, wer was bestellen wird: Käsespätzle und Cola für Yves, zwei Bratwürste, Sauerkraut und ein großes Pils für Etienne. Wenn sie Pause hat oder spätabends, wenn nichts mehr los ist, raucht sie mit den Fernfahrern manchmal eine Zigarette vor der Tür. Gemeinsam schauen sie den Urlaubern zu, wie sie mit Waschtaschen und Handtüchern über den Parkplatz schlappen, sich die Zähne putzen gehen, um dann in ihren Caravans oder im PKW zu übernachten.
Auch sie hat schon im Auto geschlafen, als sie noch mit ihren Eltern in den Urlaub gefahren ist. Es kommt ihr vor, als wäre das gar nicht so lange her: ihr Vater am Lenkrad, der sich eine Zigarette anzündet und mit Mutter hinter einer Rauchwand verschwindet. Kamel-Atem nennt sie das für sich, diesen Qualm. Meistens hat sie hier hinten ihre Ruhe. Solange ihre Mutter da ist und die Anschlussseite im Straßenatlas nicht sofort findet oder die Ortsnamen falsch ausspricht – solange hat sie ihre Ruhe. Nur ab und zu erinnert sich ihr Vater an sie, zum Beispiel, wenn er sich eine neue Zigarette anzündet, dann sagt er manchmal: „Dass du mir ja nicht anfängst zu rauchen!“, und er sagt das so, als hätte sie es bereits getan. Im gleichen Ton, wie er auch Flach wie ein Brett! sagt, als wäre es ihre Schuld, dass ihre Brüste noch so klein sind, obwohl sie schon fünfzehn ist. So findest du nie einen Mann: Flach wie ein Brett! Als ob sie ihren Vater persönlich verletzen wollte, als wäre es das Gleiche wie die Drei in Mathe, mit der sie ein ganzes Zeugnis voller Einsen und Zweien vergiftet hat. Mathe braucht sie zum Glück später nicht mehr, weil sie sowieso Germanistik studieren wird. Sie besitzt ein Kästchen mit Karteikarten, auf die sie Wörter schreibt, die ihr bemerkenswert erscheinen. Wenn sie märchenhaft klingen zum Beispiel, wie Vermaledeit oder Alldieweil, oder lustig wie Techtelmechtel, oder so vollkommen deutsch wie Ernsthaftigkeit. Und Wörter, die nur geschrieben existieren, die sie noch nie jemanden sprechen gehört hat, wie jäh oder rittlings. Vielleicht wird sie später ihre Doktorarbeit über solche Wörter schreiben, dann hätte sie bereits einen reichen Fundus.
Sie übernachten auf einem Campingplatz, weil sie nicht die ganze Strecke an einem Tag schaffen. Ihr Vater baut das kleine Zelt auf, mit dem er und Mutter früher durch die Gegend gezogen sind, als sie noch nicht ihre Eltern waren. Sie kann sich nicht vorstellen, dass die beiden jemals anders waren, als sie jetzt sind. Nach dem Abendessen verschwinden sie im Zelt, müde nach der langen Fahrt, und am Morgen wollen sie ganz früh los. Sie selbst wird im Auto schlafen. Die Sitze sind nach hinten geklappt und sie kuschelt sich in ihren Schlafsack. Eigentlich ist das richtig schön und fühlt sich erwachsen an, als wäre sie ganz alleine hierher gefahren. Vielleicht denken das ja diese französischen Jugendlichen von ihr, die ihre Zelte neben dem ihrer Eltern stehen haben und jetzt im Kreis davorsitzen: Dass sie alleine bis hierher gefahren ist und nun ganz lässig in ihrem Wagen schläft. Heute hier, morgen dort. Aber die können sie wahrscheinlich gar nicht sehen, weil es dunkel ist im Auto. Außerdem liegt sie ja auch und hebt nur manchmal den Kopf, um rauszuschauen.
Die Franzosen haben eine Gitarre dabei. Es sind zwei Mädchen und drei Jungs, nicht viel älter als sie selbst, vielleicht ein oder zwei Jahre. Der Junge mit den braunen Locken singt am lautesten: Er hat eine gute Stimme, irgendwie rau und trotzdem verständnisvoll, aber das liegt bestimmt an dieser Sprache, die immer so klingt. So schön, als könnte man damit gar nicht richtig meckern. Wie er wohl heißt, denkt sie, Benoît vielleicht. Oder sogar Serge, wie der Sänger von diesem gehauchten Liebeslied. Sie würde sich gerne zu ihnen setzen, leise mitsingen oder wenigstens summen. Später könnte sie ihnen ein paar von ihren besonderen Wörtern beibringen. Nichtsdestotrotz zum Beispiel. Wie das wohl klingen würde, wenn die das versuchen, das wäre sicher lustig. Sie könnte es ihnen auf einen Zettel schreiben, wie sie es aussprechen müssen: Nichçe de s’deaux troittez oder so ähnlich. Und dann lachen sie zusammen darüber, hauchen noch ein paar Lieder, Serge legt seinen Arm um ihre Schultern und irgendwann ist Ruhe ... Aber sie kann ja gar nicht raus hier, das geht ja gar nicht: im Winnie-Puuh-Nachthemd und flach wie ein Brett.
Irgendwann ist Ruhe und die Franzosen murmeln nur noch leise Sätze. Sie trinken Wein aus der Flasche und die Jungs und eines der Mädchen rauchen. Sie selbst hat schon fast geschlafen, aber jetzt denkt sie auf einmal, warum nicht, eigentlich. Sie bewegt sich in ihrem Schlafsack wie eine behinderte Raupe, bis sie eine Camel und das Feuerzeug von vorne geangelt hat, kurbelt ihr Fenster ein wenig herunter und zündet sich die Zigarette an. Hoffentlich kommen die Eltern nicht raus, hoffentlich müssen die jetzt nicht aufs Klo, denkt sie, und ihr Herz trommelt Alarm, aber auch, weil dieser Junge kurz rübergeguckt hat.
Die Autoscheiben sind beschlagen, als sie geweckt wird. Es ist noch kühl; die Sonne geht gerade auf und ihre Eltern haben schon alles eingepackt.
Vor den Zelten der Franzosen liegen zwei leere Weinflaschen und etwas verstreut auch die Korken. Sie bückt sich schnell und hebt einen davon auf. Idiotisch ist das eigentlich, aber sie stellt sich trotzdem vor, wie der Junge irgendwann den braunen Lockenkopf aus dem Zelt streckt und gähnt und wie sein Blick dann auf die zwei Flaschen und den einen Weinkorken fällt. Und er wird genau wissen, wer den anderen Korken genommen hat: dieses geheimnisvolle Mädchen, das alleine in einem Opel quer durch Frankreich fährt und Rauch aus dem Fenster bläst wie eine Femme fatale. Und dann wird er an sie denken: Er wird Zeit seines Lebens an sie denken, wann immer er eine Flasche Wein öffnet.
„Du hast doch nicht etwa geraucht?“, fragt ihr Vater, als sie losgefahren sind. Aber das kann gar nicht sein, denkt sie, dass jemand, der vorne im Auto sitzt und eine nach der anderen qualmt, riechen kann, dass am Abend zuvor jemand von der Rückbank durch den Fensterschlitz gepafft hat. Das kann der gar nicht riechen. „Sie raucht doch nicht, wie kommst du denn darauf“, sagt ihre Mutter und schüttelt missbilligend den Kopf. „Ich frag ja auch nur“, sagt ihr Vater.
Wahrscheinlich weiß er es noch nicht, aber hinten bekommt er eine kahle Stelle.
„Doch“, hört sie sich sagen und presst die linke Hand ganz fest um den Weinkorken von Serge, „doch, habe ich.“
Seitdem er den Job nicht mehr hat, wartet er oft vor ihrer Schule, um sie abzuholen. Die wummernden Bässe aus den Lautsprecherboxen kann sie schon hören, während sie noch im Unterricht sitzt und die Fragen für die Deutschhausaufgaben von der Tafel abschreibt. Trotzdem hupt er noch einmal extra, als er sie kommen sieht. Er zieht ihren Kopf herüber, küsst sie kurz und reicht ihr eine Zigarette. Sie bläst den Rauch aus dem Fenster, nebelt ein paar Schulkameraden ein – diese Kinder, die an ihren Fahrradschlössern nesteln und so tun, als würden sie nicht gucken, als wären sie nicht neidisch.
Dann fahren sie einfach durch die Gegend, rauchen und hören Musik dabei. Manchmal schaut sie zu, wenn er an den Autos seiner Kumpels schraubt. Wenn es warm ist, fahren sie zum Fluss und bleiben dort, bis die Nacht beginnt. Bis es viel zu spät ist, um noch Hausaufgaben zu machen, und ihr Vater über seinem eigenen Gemotze längst eingeschlafen ist.
Langsam hat sie sich daran gewöhnt: an den Qualm in ihrem Hals, den Nikotingeschmack, an die harte Musik, die Vince hört, an die Liebe, von der sie früher glaubte, sie würde sich anders anfühlen, weicher irgendwie.
Wahrscheinlich ist es so, dass alles Schöne am Anfang ein wenig kratzt, denkt sie und nimmt ihre Reisetasche, die sie gestern Nacht heimlich gepackt hat. Die können sie jetzt endgültig mal! Unten vorm Haus wartet Vince. Heute ist ihr achtzehnter Geburtstag und sie werden zusammen wegfahren, bis nach Frankreich oder sogar noch weiter, mal sehen.
Nach sechzig Kilometern fängt der Motor an zu stottern. Es stinkt und qualmt wie aus einer Nebelmaschine, wie bei diesem Konzert von Slayer, auf dem sie vor kurzem waren, und es klingt auch so. Sie halten auf dem Standstreifen und Vince öffnet die Motorhaube. „Oh Mann! Das ist sowas von zum Kotzen, verdammte Scheiße, verf…“
„Et voilà la merde!“, sagt sie und lacht ein bisschen. Sogar das klingt schön auf Französisch. Sie zerteilt die Rauchwolken mit ihren Händen und versucht gleichzeitig, Vince‘ Flüche wegzuwedeln: Verdammter Dreck, zum Kotzen alles, der verfickte Scheißjob weg und jetzt das Scheißauto kaputt, elende Mistkarre, Drecksmotor …
„Ach, komm schon! C'est la vie! Das geht bestimmt zu reparieren …“, sagt sie und legt ihre Hand auf seinen Unterarm. So blöd das jetzt ist, sie freut sich trotzdem irgendwie, dass nun alles noch abenteuerlicher wird. Vielleicht müssen sie heute hier übernachten, weil der Abschleppdienst schon Feierabend hat, denkt sie, das wäre doch was! Sie wird in den nächsten Ort laufen und schnell noch etwas zu essen kaufen, bevor die Läden schließen. „Ich kann uns ja Brot holen und Käse oder so“, sagt sie, „und ein paar Bier oder eine Flasche Wein und dann machen wir …“
Vince tritt auf einmal gegen den Reifen, dann gegen den Kotflügel, noch einmal und noch einmal, und sie kann gar nicht glauben, wie brutal er mit seinem Auto umgeht. Wortlos knallt er die Motorhaube zu und setzt sich zurück ins Auto. Nach mehreren Versuchen startet er den röchelnden Wagen, zündet sich eine Zigarette an, legt den Gang ein, und sie fahren weiter. Obwohl es unfassbar dröhnt und knattert, ist es viel zu still.
"Wenn wir nachher irgendwo ...", versucht sie, das Schweigen zu brechen, aber Vince blickt aus dem Seitenfenster, zieht an seiner Zigarette und sagt: "Halt einfach das Maul jetzt."
Sie schaffen es gerade noch bis zu einem Autohof.
Sie sitzt auf der Bank vor diesem Restaurant, in dem sie gestern und heute gefrühstückt haben, und wartet auf Vince. Der Shell-Atlas liegt auf ihren Knien und sie blättert sich durch Europa, doch irgendwann schließt sie einfach die Augen, weil die Sonne direkt auf ihr Gesicht scheint: Herrlich ist das. Sie werden surfen lernen am Atlantik, im warmen Sand liegen, bis es dunkel wird, Wein trinken und exotische Gerichte probieren: komplizierte Köstlichkeiten à la Irgendwaise. Vielleicht finden sie einen Job in einer kleinen Bar am Strand.
Ein Schwarm Krähen zieht vorüber und sie stellt sich vor, es wären Möwen.
Salut! Salut! verabschieden sich zwei französische Trucker, steigen in die Kabinen und hupen noch einmal kurz, lassen diese lauten LKW-Hörner ertönen, so dass der Asphalt vibriert und ihr Magen kribbelt. Es klingt wie der Auftakt zu einem Chanson, wie ein Riesenakkordeon, das in die Kontrabass-Melodie der Autobahn einstimmt. Man könnte tatsächlich ein Lied komponieren, denkt sie, aus Fahrzeuggeräuschen und Stimmengewirr.
Sie öffnet die Augen erst wieder, als sich ein Schatten vor die Sonne schiebt und Vince sich schwer neben sie auf die Bank fallen lässt. Er riecht nach Benzin und Tabak und Axe-Shampoo. Er riecht wie derjenige, mit dem sie bis ans Ende der Welt fahren wird.
„Die haben es hingekriegt“, sagt er und streckt die Beine von sich. „Der Wagen ist fertig.“
„Das ist ja prima – ich hab’s doch gleich gesagt. Dann können wir ja jetzt“, sagt sie und schlägt die Seiten im Atlas auf, zwischen denen noch immer ihr Finger liegt. „Guck mal, wir könnten ja hier …“
„Schweineteuer ist das“, sagt Vince. „So viel habe ich gar nicht, die spinnen. Aber.“
Er klopft sich eine Zigarette aus der Schachtel und betrachtet seine Stiefel.
„Aber was?“, fragt sie.
Ein Polizeiwagen fährt vorüber, das Martinshorn ein Trompetensolo.
„Die können jemanden gebrauchen. Die haben mir einen Job angeboten“, sagt er und lässt das Feuerzeug aufflammen.
„Ja, und?“
„Nix und“, sagt er, „ich mach das natürlich. Was denn sonst.“
Der Shell-Atlas rutscht von ihren Knien. „Und ich …“, sagt sie.
Vince grinst ein bisschen, fast verlegen sieht er aus, und zeigt mit dem Daumen nach hinten. An der Fensterscheibe des Restaurants klebt ein Zettel: Bedienung gesucht.
Sie liegt neben David, schaut auf sein schlafendes Gesicht, würde am liebsten die Konturen seines Mundes und seiner Nase mit ihrem Finger nachziehen, aber sie will ihn nicht wecken.
Es ist seltsam, dass man für jemanden, den es eigentlich gar nicht geben sollte, so viel Liebe empfinden kann, denkt sie, und ob, wenn er anders aussehen würde, es dann genauso wäre. Oder ob es dieses einmalige Gefühl so nur für ihn geben kann, für exakt seine Version aus einem Pool von Milliarden anderer Möglichkeiten, und dass es einfach sein verdammtes Glück war, genau er geworden zu sein.
„Mamamam“, sagt David und lächelt sie an.
Als David auf die Welt kam, war sie überrascht von der Intensität der Liebe, die über sie hereinbrach wie eine nachträgliche Wehe. Obwohl sie unfassbar müde war, weil er nächtelang durchweinte und den ganzen Tag schrie; obwohl ihre Brust entzündet war, obwohl Vince anfing, gegen die Schränke zu treten und zu brüllen, dass es zum Kotzen wäre und er keinen Bock mehr hätte auf den ganzen Scheißdreck: den Scheißjob und das Scheißbaby und den elenden Mist hier! Eines Tages fuhr er einfach los und sie wusste nicht, ob er wiederkommen würde. Sie wusste auch nicht, ob es wirklich schlimm oder vielleicht sogar gut wäre, wenn er wegbliebe, aber sie spürte auf einmal eine bisher nicht gekannte Kälte an ihrem Rücken hinaufkriechen. Egal, wie das hier ausging – sie würde für immer frieren.
Sie legte David zu sich ins Bett, umklammerte ihn, hüllte sich mit ihm unter die Decke und sie schluchzten und heulten zusammen durch die Nacht, als wären sie ein Wolf mit zwei Köpfen. Irgendwann in der Morgendämmerung brummten die Trucks sie in den Schlaf.
Am Abend klingelte es an der Tür. Sie schluckte die restlichen Tränen hinunter und schaute vorsichtig nach. Es war Bea aus dem Tankstellenshop, die sich Sorgen gemacht hatte, mit einer Flasche Rotwein in der einen und einem belegten Baguette in der anderen Hand: ein zweibeiniger Lawinenhund.
Die beiden Jungs spielen Raststätte mit ihren Matchboxautos, machen Brumm- und Hupgeräusche und fahren die Fugen der Bodenfliesen entlang. David geht in den gleichen Kindergarten wie Julian, Beas Sohn. Sie sind beste Freunde und spielen oft zusammen, mal bei ihr, mal bei Bea.
„Guck mal, Mama! Der Papa! Rengdeggedeng!“, ruft David und schiebt einen kleinen BMW über den Boden. Dabei kennt er seinen Vater kaum. Vince war noch ein paarmal aufgetaucht, aber irgendwann mit dröhnenden Bässen, wehenden Haaren und frisiertem Motor für immer abgezischt.
„Nein, Julian! Das ist mein Auto! Mama, Julian hat meinen Ferrari genommen!“
Sie blättert in einer Broschüre der Abendschule. Es wird ungefähr drei Jahre dauern, das Abitur nachzuholen. Vielleicht geht es bei ihr schneller, sie stand ja schon kurz vor dem Abschluss.
„Mama! Guck, die tanken hier!“, ruft David. „Mama, die tanken!“ Ihr kleiner Sohn hat alle Autos ordentlich vor der Playmobil-Tankstelle aufgereiht.
Anschließend wird sie ein Lehramtsstudium aufnehmen: Deutsch und Französisch – das liegt ihr.
„Prima, mein Tigerbär“, sagt sie, „ganz toll hast du das gemacht, richtig toll, wie die tanken!“ Zum Glück ist Bea nicht da, die würde sicher wieder mit den Augen rollen.
Sie lobt David für alles, egal, was er sagt und tut.
Wäre David ein Mädchen, würde sie ihm täglich versichern, dass er die schönsten Brüste auf der ganzen Welt hätte.
Bea sagt, sie verwöhne ihn zu sehr, sie müsse härter durchgreifen. Vielleicht hat sie Recht: Er macht schon viel Mist in letzter Zeit. Sie wird ab jetzt etwas strenger sein.
„Fang bitte nie an, zu rauchen“, sagt sie, „Versprichst du mir das?“
„Ich bin doch nicht bescheuert!“, sagt David und lacht heiser.
Seit er im Stimmbruch ist, klingt er wie Vince, und sie hofft, er wird später anders sein. Am liebsten würde sie ihn an sich drücken wie früher, als könnte ihre Umarmung ihn davor bewahren, nach seinem Vater zu kommen.
„Ich höre auch auf mit dem Rauchen“, sagt sie, „ich höre auch bald auf.“
Während der Zigarettenpause bringt sie den französischen Truckern ein paar ihrer deutschesten Wörter bei. J’nourge traqueçe sagen sie, machen ernste Gesichter dabei und glauben, sie klingen wie Hitler.
Wenn Serge unter ihnen wäre, dick und glatzköpfig wie das Michelin-Männchen, dann würde sie ihn nicht erkennen.
Manchmal läuft sie nach Dienstschluss rüber zu den LKW-Stellplätzen, schaut sich um wie in einer fremden Stadt, als wären die Parkmarkierungen richtige Straßen und die Autonummern echte Adressen.
Seit zwei Wochen hat sie keine Zigaretten mehr gekauft, aber Bernard hat ihr eine Stange Gitanes dagelassen.
Der Abendwind trägt den Sound der Autobahn herüber: ein gleichmäßiges Summen, ein Lied ohne Text. Sie sitzt draußen auf der Bank, bläst einen perfekten Kringel in die Luft und schaut hindurch, als wäre er ein Monokel. Wenn sie den Kopf schräg hält, sehen die Hochspannungsmasten auf ihrem Weg zum Horizont aus wie kleine Eiffeltürme, die die Arme ausbreiten.