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Nichts für ungut

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10.05.2001
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Nichts für ungut

Link zur überarbeiteten Fassung


Am Nachmittag saß ich wie üblich im Straßencafé.
Meine Tasse Kaffee genießend blickte ich in die Fußgängerzone hinein. Eigentlich war es ja ein Blick ins Leere, denn ich war in meine Gedanken vertieft und bekam somit nichts von dem mit, was sich da tatsächlich abspielte.
Spät hatte ich auch registriert, daß der junge Mann vermutlich auf der Flucht vor den zwei Glatzköpfen sein mußte, die jetzt ebenfalls am Naturkostladen vorbeizischten.
Als meine Augen den schwarzhaarigen Mann erneut erfaßten, war er über eine umgefallene Blechtonne gestolpert und bereits zu Boden gesunken. Über den scheppernden Krach der Tonne hatten sich neugierige Blicke an den nah gelegenen Wohnungsfenstern gebildet. Einige Menschen traten aus ihren Geschäften hervor und erkannten gerade rechtzeitig, daß im folgenden Fall auch Skins mitwirkten. Bei dem Anblick dieser sozial minderwertigen Schicht der Bevölkerung zuckten sie zusammen und verschwanden sofort wieder in ihren Läden.
Die Kahlköpfe hatten den schwarzhaarigen Jungen dann auch schon erreicht.
Sie richteten den Jungen auf und gaben lauthals rassistische Äußerungen von sich. Anschließend rissen sie ihm die Goldkette vom Hals und schleuderten sie zu Boden.
Der Junge bat flehend um Gnade, wobei er eigentlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wissen mußte, daß dies vergeblich war. Kaum mitbekommen, was ihm widerfahren war, hatte er einen Faustschlag in seinen Bauch eingefangen. Mit dem Wehgeschrei zusammengezuckt, erlitt er schon die nächste Schmerzwelle. Einer der Glatzköpfe hatte ihm einen Tritt mit dem Knie ins Gesicht verpaßt, woraufhin der Junge mit blutender Nase zu Boden sank.
Die Skins setzten den Jungen aufrecht auf seine Knien. Der eine der beiden umklammerte den Jungen, wobei er mit einem Arm den Hals des Jungen umfaßte, mit der anderen Hand an den Haaren zog. Der zweite Kahlkopf holte nun ein Klappmesser aus seiner Tasche und machte sich fertig, das Opfer gründlichst zu "rasieren". Er hatte die linke Hälfte des Schnauzers bereits qualvoll weggekrazt, als der Junge in unüberhörbare Schmerzensschreie aufging. Völlig demoliert versuchte er, seine letzten Kräfte dahingehend einzusetzen, aus der Schlinge herauszukommen. Durch das ständige Gewackel öffnete sich allmählich der Reißverschluß seiner Jacke und ein kleines, dünnes dunkelrotes Büchlein blickte hervor. Aber natürlich, das war doch -
Meine Vermutung bestätigte sich, nachdem die Glatzköpfe das Büchlein entdeckt hatten.
"Mensch, Christoph, der hat ja 'nen Deutschen Paß!" Verwundert ließ der Glatzkopf nun locker und der Junge fiel regungslos zu Boden. "He Mann, gut, daß wir das noch rechtzeitig gemerkt haben, nicht wahr?" entgegnete er.
Die Glatzköpfe richteten den Jungen wieder auf und zogen seine Jacke straff. "He, Mann, ´tschuldige, aber hättest Du uns das gleich am Anfang gesagt..." Christoph bemerkte die Goldkette, die verdreckt vor seinen Füßen lag. Er hob sie auf und drückte sie dem Jungen in die Hand. "Na dann, nichts für ungut, gell! Und halt die Ohren steif!"
Mit diesen Worten waren die beiden Kahlköpfe vom Tatort verschwunden, anbei den Jungen blutüberströmt zurückgelassen, der bereits erneut umgefallen war.
"´Nichts für ungut!´" dachte ich. "Nichts für ungut! Davon kann er sich jetzt wenig kaufen, du Arschloch!" Ich schlürfte wieder an meinem Kaffee, der inzwischen vollends abgekühlt war.

 

Meinetwegen Hendek...gehe ich nun auf deine Zitate ein, um das hier endlich abzuschließen.

Zunächsteinmal werde ich jetzt sämtliche Smileys in meinen Beiträgen löschen und in Zukunft Anstand davon nehmen sie hier zu nutzen. Dass du ein vielfach interpretierbares Smileys als unverbindlich auffasst finde zwar seltsam, werde da aber nicht weiter diskutieren. Ich sage lediglich, dass, wäre ich wirklich beleidigt, entäuscht, wie auch immer gewesen, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, noch einmal einen so langen Beitrag zu schreiben.

In Bezug auf das "Feilen an einer Geschichte" stimme ich dir unproblematisch zu.
Nur kann man nicht immer erwarten, grundlegende Veränderungen an der sog. Pointe vorzunehmen.

Wenn ich eine Kritik schreibe, dann setze ich weder voraus, dass der Autor Änderungen vornimmt noch fordere es. Ich erwähnte lediglich, dass einem manchmal Abstand fehlt und ich es daher nicht für gut erachte, Aänderungen, egal in welchem Bereich, auszuschließen. Das ist natürlich auch nur meine bescheidene Meinung, eine Stellungnahme zu deiner Aussage.

Ich für meinen Teil kann nicht behaupten, dass ich nur auf einen Bereich fixiert bin. Die von mir instrumentalisierte Personengruppe gehört nunmal in unser Leben mit hinein und prägt folglich ebenso unseren Alltag, Humor und vor allem unsere Gesellschaft mit.

Entschuldige, aber das halte ich für ausgemachten Blödsinn und unüberlegt dahergeschrieben.

Ebenfalls deine Meinung, die dir frei zusteht. Ich empfinde es etwas anders, ich denke nicht, dass wir da in irgendeinerweise auf einen Nenenn kommen, daher werde ich keine Argumentation anfangen.

Ähm...was hat das jetzt mit der Geschichte zu tun?

Es ging mir darum, weiterführende Diskussionen um den Sachverhalt, den du hier ja wieder ansprichst und für Blödsinn deklarierst, statt in diesen Thread in den Chat zu verlagern.

Ich würde es begrüßen, wenn die Folgepostings sich wieder ausschließlich auf die Geschichte beziehen. Alles weitere kann auch per PM geklärt werden.

Nichts für ungut

 
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Überarbeitete Fassung


Am Nachmittag saß ich wie üblich im Straßencafé.
Während ich meine Tasse Kaffee genoss, waren meine Blicke auf das gegenüberliegende Rathausgebäude gerichtet. Im Prinzip war es ein Blick ins Leere, denn ich war in meine Gedanken vertieft und bekam somit kaum mit, was da drüben vonstatten ging.
Bei genauerem Hinsehen erkannte ich jedoch, wie ein junger Mann jubelnd das Gebäude verließ und dabei fröhlich vergnügt ein rotes Etwas in der Größe eines Taschenbuchs hin- und herwedelte.
Sein Freudenrausch wurde bald ausgenüchtert, als zwei Glatzköpfe ihm schnellen Schrittes näher kamen, die bislang damit beschäftigt waren, in geringer Entfrenung die Wände der Gebäude mit Parolen zu zieren, die der Völkerverständigung weniger zuträglich waren.
Der junge Mann hatte Glück, dass seine Beine instinktiv schneller reagierten als sein Verstand. Sogar mitten im Spurt, den er wohl unfreiwillig zurücklegte, schien er das Geschehen nicht richtig einordnen zu können. Immer wieder suchte er den Dialog mit seinen Verfolgern. Alle paar Sekunden wandte er sich ihnen zu und gestikulierte wild mit seinem roten Büchlein. Seine beiden Jäger, die mehr keuchend als grölend hinter ihrem Zielobjekt etwas zurückfielen, zeigten sich unbeeindruckt dessen, was der Schwarzhaarige demonstrativ anzudeuten versuchte.
Als meine Augen den Jungen erneut erfassten, hatte er anscheinend schon eingesehen, dass er die zwei Hintermänner nicht zu einem beschwichtigenden Gespräch überreden könnte. Allerdings wurde es ihm zum Verhängnis, dass er einen flüchtigen Blick auf seinen Vorsprung riskierte. Aufgrund dieser Nachlässigkeit war er gegen einen Laternenmast geknallt und zu Boden gesunken. Sein rotes Büchlein flatterte kurz über seinem Kopf und klatschte schließlich ebenfalls zu Boden. Inzwischen hatten die Jagdrufe der Glatzköpfe neugierige Blicke aus den nahe gelegenen Wohnungsfenstern hervorgelockt. Einige Menschen traten zunächst aus ihren Läden hervor und verschwanden nach der Erkenntnis über humane Verhaltensweisen ebenso schnell wieder hinter ihren Verkaufstheken. Die Kahlköpfe hatten den Jungen inzwischen auch schon erreicht.
Nachdem sie erneut im Kanon ihr Grölkonzert zum Besten gegeben hatten, nutzten sie den Rücken des Jungen als Fußabtreter und gebrauchten seinen Kopf als Arm- und Ellenbogenlehne. Nun sollte dieser weiter als Sitzmöglichkeit, dann als Versuchsobjekt hinhalten. Mit einem blitzschnell gezückten Klappmesser wurde die eine Hälfte vom Flauschbart des Jungen "gründlich rasiert" und hinterher an die Rasurstelle irgendwelche Zeichen eingeritzt. Wahrscheinlich die Initialen des Barbiers. Als sich die beiden Glatzköpfe an ihrem Sportgerät ausreichend körperlich ertüchtigt und es zur Genüge bearbeitet hatten, versäumten sie nicht, die Goldkettchen an beiden Handgelenken, an den Fingern und am Hals des Jungen loszureißen und durch die Luft zu schleudern. Sichtlich befriedigt und innerlich ausgelassen zogen sie sich letzten Endes zurück.

Sobald die beiden hinter den Bauten verschwunden waren, tappte eine ältere Dame mit Krückstock zum Jungen und tupfte ihn mit diesem. Anschließend stocherte sie damit in dem roten Büchlein herum und las mit zittriger Stimme: „Bundesrepublik Deutschland – Reisepass“…
Ruckartig stand ich auf, wobei ich beinahe meinen Kaffee verschüttet hätte. Der Junge kam derweil allmählich zu sich und flehte um Hilfe, obwohl er doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wissen musste, dass jegliche Zuwendung zu spät kam. Die Oma inspizierte weiterhin den deutschen Reisepass, während der Junge sich aufzurappeln versuchte. Plötzlich aber verzog sich die Miene der alten Frau. „Miserable Fälschung!“ keifte sie und versetzte mit ihrem Gehstock einen Schlag auf den Kopf des Jungen, der daraufhin wieder zurückfiel. Die entrüstete Dame entfernte sich kopfschüttelnd aus der Nähe des jungen Mannes, welcher sich nach dieser letzten Aktion mehr fragend als wehklagend doch noch aufrichtete. Einigermaßen klare Gedanken gefasst, fiel sein Blick auf das Büchlein, dem nun angeblichen deutschen Pass. Laut fluchend schnappte er danach und schmiss ihn in die nächste Abfalltonne und murmelte sich am Hinterkopf massierend: „Wenn ich schon beschimpft und verprügelt werde, dann bitte mit triftigem Grund!“

Erleichtert nahm ich wieder Platz. Nichts für ungut, aber wenn der Pass keine Fälschung gewesen wäre, wäre er ja wohl nicht verprügelt worden.
Ruhigen Gewissens schlürfte ich an meinem Kaffee und griff nach dem Fachmagazin Hürriyet, das zusammengefaltet auf dem Tisch lag. Die komplette Titelseite war für eine einzige Nachricht reserviert: "Danke, Deutschland!" Und in nicht weniger großen türkischen Lettern folgte:
Große Integrationsaktion der Bundesregierung! Allein 1.5 Millionen türkische Staatsbürger rechnen mit sofortiger Einbürgerung!
Darunter ein Bild von Cem Özdemir, der sich - im Beisein applaudierender Parteigenossen und Journalisten - von Gerhard Schröder symbolisch einen deutschen Pass übergeben lässt.

 
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Hallo Hendek!

Finde ich eine starke Überarbeitung! :thumbsup:

Erst hab ich die neue Fassung gelesen und dann war ich neugierig, was Deine Änderungen waren - und die finde ich echt gut, zum Beispiel, daß sich die Glatzköpfe jetzt nicht mehr entschuldigen usw., denn das wäre ja nur ein phantastischer Wunschtraum, sondern die Alte noch eins draufgibt, genau in die selbe Kerbe schlägt, obwohl sie den Reisepaß sieht, aber das gesäte Mißtrauen und die heimlichen Vorurteile sind stärker.

Obendrein ist die Alte aber auch das Bild der Uninformierten, denn hätte sie von der Einbürgerungsaktion gewußt, hätte sie den Paß vielleicht nicht für gefälscht gehalten.

Die Politiker klopfen sich auf die Schulter, weil sie glauben, das Problem gelöst zu haben, und bemerken nicht, daß Einbürgerung nicht gleichzeitig Integration bedeutet.

Irgendwie liest sie sich für mich als Satire schon etwas zu ernst... :shy:

Sonst noch:

"Sobald die Beiden sicher hinter den Bauten"
- die beiden

"Mit zittriger Stimme las sie „Bundesrepublik Deutschland – Reisepass“…
Ruckartig stand ich auf, ..., dass jegliche Zuwendung zu spät kam. Die Oma inspizierte weiterhin das rote Büchlein. Dieser hatte sich inzwischen als deutschen Pass entpuppt,"
- wenn sie zuvor schon vorliest, daß es ein deutscher Paß ist, warum entpuppt er sich dann erst danach als solcher? Außerdem heißt es "als deutscher Pass". ;)

"Danke, Deutschland! stand da in fetten Großbuchstaben"
- ich würde eher Anführungsstriche machen, statt es fett zu schreiben, da Du ohnehin schreibst, daß es in fetten Großbuchstaben dastand.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Die Passage mit den fettgedruckten Großbuchstaben muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Aber was den Rest angeht, stimme ich dir vorbehaltlos zu, Häferl.
Danke für den Beitrag!


In diesem Zusammenhang auch noch mal ein riesiges Dankeschön an Anna, Quasimodo666, Frederik und Batch Bota für die zahlreichen Hinweise und Hilfestellungen!

 

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