Seit einer geschlagenen Stunde hockte er jetzt, die Beine in Schneidersitz Haltung verwinkelt, auf seinem Wohnzimmerteppich und starrte auf den kleinen Bildschirm, der vor ihm auf dem Boden stand und ein ständig gleiches, völlig regungsloses Bild zeigte.
Viel mehr Bewegung war seinem Körper in den vergangenen sechzig Minuten allerdings auch nicht wiederfahren, abgesehen vom gelegentlichen Griff zur Warsteinerflasche, respektive dem Flaschenöffner, um einen weiteren Kronkorken seines festen Thrones zu entledigen.
Es tat sich einfach nichts und das war schlichtweg zum verrückt werden.
Vor drei Monaten war es ihm zum erstenmal aufgefallen. Er war spät Abends von einer Feier heimgekommen und in die Küche gegangen. Hätte man ihn in diesem Moment damals gefragt, weshalb er an der Türschwelle plötzlich innegehalten und verwundert geschaut hatte, er wäre nicht in der Lage gewesen eine Antwort zu geben.
Es war wie ein innerlicher Aufschrei. Als wenn das Unterbewusstsein mit aller Kraft versuchen würde, auf etwas aufmerksam zu machen, was nicht sein kann.
Ein paar Sekunden lang hatte er einfach nur starr dagestanden und krampfhaft versucht den Grund seiner unverhofft hereingebrochenen Überraschung zu finden.
Dann hatte er den Raum betreten und sich umgesehen. Einige Augenblicke später hatte er es entdeckt.
Es zischte, als die aufsteigende Kohlensäure dem frisch entstandenen Ausgang entwich. Das war bereits das vierte Bier in der kurzen Zeit.
< Zügel dich gefälligst mal, Marcus >
Ein Euro für jedes einzelne ignorieren des sprichwörtlichen weißen Engels auf der Schulter und der gegenübersitzende rote Teufel, wäre der beste Vermögensberater der Welt gewesen.
Er brauchte den Alkohol jetzt einfach, denn heute Abend wollte er endlich erfahren, was mit seiner Küche nicht stimmte. Zuerst hatte er aus Euphorie getrunken, mittlerweile aus Enttäuschung, denn noch immer war auf dem alten Fernseher nicht die winzigste Regung zu erkennen.
Wenn dieser Versuch ebenfalls fehlschlug, dann wusste der junge, übergewichtige Student auch keine andere Möglichkeit mehr.
Seinen Freunden hatte er nichts von den mysteriösen Vorgängen erzählt, einfach aus dem Grund, weil diese schwerer nachweisbar schienen, als die Existenz Alf ähnlicher Außerirdischer auf dem Pluto.
Es geschah nie, wenn man im Raum war. Man konnte es vom Wohnzimmer aus zudem nicht beobachten und was am allerschlimmsten war, sie blieben auch aus, wenn Besuch in der Wohnung war.
Die Veränderungen traten immer nur dann auf, wenn sie sich alleine fühlten.
Letzten Monat hatte er eine Videokamera in der Ecke hinter der Tür angebracht und sie über Nacht filmen lassen.
Als er sich das Aufgezeichnete am nächsten Tag ansehen wollte, war der Camcorder leer. Das Band fand er wenig später unter der Küchenbank. Es war unbespielt.
Vor einem viertel Jahr hatten seine ersten Gedanken Einbrechern gegollten, aber diese ungebetenen Gäste dekorierten für gewöhnlich keine Räume um. Sie tauschten keine Schränke miteinander aus und stapelten ebensowenig Messer, Gabeln und Löffel , die normalerweise in Schubladen untergebracht sind, ordentlich in der Spüle und auf der Arbeitsfläche. Es schien weiterhin auch nichts zu fehlen und so legte sich zwar schnell wieder seine Angst davor, es könne eventuell noch jemand in der Wohnung sein, wich dafür aber einem noch sehr viel unbehaglicheren Gefühl.
Eine tiefsitzende Panik schnürrte ihm die Kehle zu und drang in Form eines glänzenden Schweissfilmes auf seiner Stirn nach außen. Allein die Überlegung danach, was hier vorgefallen sein konnte, kitzelte seine Nervenbahnen mit den eisigen Fingern kalten entsetzens und schien jede Frage nach rationaler Vernunft im Keim zu ersticken.
Auf subtile Art und Weise wurde Marcus an die unzähligen Geistergeschichten erinnert, die ihm sein Vater immer vorgelesen hatte, als er noch jung war.
Die Ratlosigkeit zehrte am schlimmsten an ihm. Die Polizei konnte er nicht rufen, was sollte er ihnen erzählen?
< Hallo, irgendwer hat meine Küche umgeräumt, während ich weg war, sieht gar nicht mal so schlecht aus, gestohlen wurde übrigens nichts. >
An Schlaf war noch viel weniger zu denken, viel zu aufgeputscht war er jetzt dafür sich überhaupt hinzusetzen und sein vom Übergewicht geplagtes Herz schien einen spontanen Fluchtversuch aus seinem Körper durchzuführen.
Er hatte getan, was er immer tat wenn er nicht weiterwusste, oder unter Stress stand. Sich hemmungslos betrunken und im Anschluss einer heftigen, oralen Entledigung des Mageninhaltes, war er im Bad eingeschlafen.
Beinahe hätte er sich verschluckt. In allerletzter Sekunde schien die gegärte Flüssigkeit doch noch den richtigen Weg eingeschlagen zu haben und bewahrte ihn so vor einem minutenlangen Hustenanfall.
Das Bild des Sonys war weiss geworden.
Er sprang viel zu schnell auf und sein Kreislauf zollte einen entsprechenden Tribut.
Grelle Lichtblitze zuckten durch sein Sichtfeld, seine Beine fühlten sich wie die von Inspektor Gadget an, bloß schwerer und tauber, ohne die zahlreichen Gimmicks.
Dann sank er zurück gen Boden.
Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich soweit gesammelt hatte, einen erneuten Versuch zu unternehmen.
Diesesmal allerdings ging er die Unternehmung, einhundertzwanzig Kilogramm Körpermasse nach oben zu bewegen, deutlich vorsichtiger an.
Es gelang ihm, trotz hochtreibender Emotionen, sicheren Stand zu gewinnen und in an ehrfurchtsvoller Erwartung grenzender Zeitraffer Geschwindigkeit, näherte er sich der Küchentür.
In den Folgemonaten dieses ersten, schleierhaften Ereignisses, hatte sich die Anordnung der Möbel und Küchengeräte, des gesamten Inventares, in jeder Nacht verändert.
Sein Gemüt hatte sich indessen beruhigt, denn so abstrakt die Situation auch war, sie ließ keine unmittelbare Gefahr erkennen.
Er fand sich einfach mit dem Beginn eines neuen tages, in einem gleichfalls neuen Hort sämtlicher Lebensmittel und noch wichtiger, Pilsvorräte wieder.
Unpraktisch war dies allerdings nie. Der Kühlschrank beispielsweise wurde nicht blockiert vom Geschirrschrank. Die Mikrowelle stand auch nie einfach so auf dem Boden rum und wenn der Gasherd wanderte, dann zog der Starkstromanschluss in der Wand gleich mit.
Das einzige Ärgerniss war das gelegentlich im Raum verstreut liegende Besteck, aber das war derart penibel geordnet, dass es innerhalb von Sekunden wieder am korrekten Platz einsortiert werden konnte.
Nur diese Ungewissheit des großen warums, die ließ ihm keine Ruhe.
Mobilliar an neuer Stelle, daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt.
Die Phillips Kamera lag neben der Theke, sie filmte das weiße Holzimmitat seitwärts.
< Soviel zur Liveshow > - Sein Sinn für Dramatik hielt sich in Grenzen, ansonsten hätte er es laut ausgesprochen.
Seine Gedanken überschlugen sich. Diese Linse filmte noch immer, genau wie die andere Kamera jenseits des Dachbodenfensters.
Alles was außerhalb der Küche war, blieb gleich. Wenn sich dieser Recorder gerade fortbewegt hatte, dann musste der zweite, auf dem Dach angebrachte, das aufgenommen haben.
Wenn sich diese Hoffnung erfüllte, konnte er zum erstenmal seit Beginn dieser unsichtbaren Umräumaktionen, einen Beweis für diese in Händen halten.
Etwas knarrte unter seinem Fuß, es war die Kassette der Kamera. Sie lag auf den Kacheln. Er hatte nicht daran geglaubt, dass sie ihr verschwinden neben die Theke verewigt worden war, jetzt aber hatte er Gewissheit.