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Neutraler Ort

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19.02.2006
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Neutraler Ort

»Wolltest du dich wirklich an einem neutralen Ort mit mir treffen?«
»Anstand und Sitte diktieren einem so manches«, frotzelt Maren.
Ja, so wie den Ausschnitt, den du für dieses Treffen gewählt hast, denke ich und muss mich zwingen, nicht mit meinem Blick darin hängen zu bleiben, abzurutschen …
»Und wie ist es mit dir?«, fragt Maren.
»Für mich ist die Sache nach wie vor klar.«
»Lass mich teilhaben an deiner Klarheit.«
Da ist es wieder, dieses laszive Lächeln. Anfangs dachte ich, sie macht das mit Absicht, aber es ist viel schlimmer: Sie macht es nicht mit Absicht. Sie kann gar nicht anders als so zu lächeln.
»Du weißt, was ich will.«
»Sag es mir.«
»Ich will deinen Duft atmen, deine Wärme spüren, deine Rose küssen …«
Maren überlacht ihre Verlegenheit. Ein verschämtes Lachen und gerade deswegen so erotisch, weil eine Ahnung dessen mitschwingt, was unter der guten Erziehung lauert. Ich weiß, was darunter lauert. Es macht mich wild, verwandelt das Café in eine Sauna.
»Und da ist wirklich nicht mehr?«, fragt der Anstand.
Ehrlichkeit und Verlangen ringen in mir. Ein mir bekannter Kampf, der stets zu Gunsten der Ehrlichkeit ausgeht und damit den Frust triumphieren lässt.
Und da ist es schon soweit, ich höre mich sagen: »Ich bin nicht bereit für eine Beziehung. Daran hat sich nichts geändert.« Und es hat sich auch nichts daran geändert, dass ich mich dafür verfluche.
»Warum sitzen wir dann hier?«
»Ich weiß, weshalb ich hier sitze«, grinse ich mein falsches Lächeln. »Spannender ist die Frage, weshalb du das Treffen wolltest.«
»Ja, das ist wirklich eine gute Frage.«
Keine Lippen könnten sich sinnlicher zu einer Frage formen.
»Aber du hast keine gute Antwort?«
Maren kneift die Augen zusammen. »Du bist ein Arschloch!«
Ich seufze und sage nichts, rühre in meinem kalten Kaffee.
»Wieso müsst ihr nur immer mit eurem Schwanz denken?«
»Das sind jetzt aber schon zwei Anfälle, die gegen Anstand und Sitte verstoßen«, schaffe ich mir nicht zu verkneifen.
Keine Explosion, Maren lacht. Ich grinse, zu lachen traue ich mich noch nicht. Ich weiß, dass da noch etwas kommt.
»Ich habe jemand kennen gelernt«, rückt sie raus.
»Und der denkt nicht mit seinem Schwanz?«, sage ich gegen den Schmerz, der mir plötzlich durch den Unterbauch zieht.
»Ob du es glaubst oder nicht, solche Männer gibt es tatsächlich!« Marens Fauchen lässt einen Hauch ihres Feuers spürbar werden. Und ich kann mir wahrlich nicht vorstellen, dass irgendein Mann bei diesem Anblick an etwas anderes zu denken vermag, als dieses Sinnbild der Weiblichkeit durch die Wohnung zu treiben und sich um den Verstand zu vögeln.
Allein ihr den Schweiß von den Fußsohlen zu schlecken, würde mancher Mann sich einen Finger kosten lassen. Sie zu besitzen, nur für eine Nacht - dafür würden solche Kerle morden.
Solche Kerle. In Gedanken schüttle ich den Kopf. Und ich? Was bin ich nur für ein Narr! Weshalb sage ich ihr nicht, was sie hören will? Wenigstens, um sie noch einmal rumzukriegen. Ein letztes Mal in Marens Perfektion baden.
»Ging‘s dir wirklich die ganze Zeit nur um Sex?«
Maren muss einfach wissen, dass sie mit dieser Frage eine Lüge heraufbeschwört. Eine bessere Vorlage hätte sie kaum liefern können. Ja, ganz bestimmt: Sie hat diese Gelegenheit in vollem Bewusstsein angeboten.
Aber bevor ich in die Verlegenheit einer Antwort komme, winkt Maren ab. »Du hast nur Angst.«
Die Sicherheit, mit der sie das ausspricht, bringt meine Überzeugung, dass es nicht so ist, ins Schwanken. Das schafft sie. Einfach so. Mir ist übel und mein Grinsen zittert.
»Das ist echt schade«, sagt sie. »Weißt du, ich mag dich wirklich. Du bist irgendwie anders.« Sie steht auf. »Dachte ich zumindest.«
Ein Kuss auf die Stirn und sie schwebt davon. Wie immer ist es ein Ereignis, wenn Maren durch einen Raum schreitet. Ihr fließender Gang bietet einen herrlichen Kontrast zu den mechanischen Kopfbewegungen aller männlicher Gäste, die ihren Abgang verfolgen.
Heute belustigt mich die Szene nicht. Normalerweise schließe ich mit mir selbst Wetten ab, wie viele Frauen nun einen Streit mit ihrer glotzenden Begleitung anfangen; aber jetzt ist mir nicht danach.
Ich kann nicht einmal meinen Spaß an den verstohlenen Blicken finden, die mir zugeworfen werden. Die vor Neid triefenden Blicke, die vor Gier geifernden Blicke, die vor Wut lodernden Blicke. Und die auf den Stirnen brennende Frage: Was hat der Kerl, was ich nicht habe?
Ich weiß selbst nicht, was Maren an mir findet. Eigentlich spielt sie in einer ganz anderen Liga. Das sehe ich auch in den Blicken der Kerle. Aber diesmal gibt mir das kein Gefühl der Befriedigung.
»Ich bin ein Idiot«, murmle ich.
Vielleicht war das einer der Momente, die mein Dasein hätten entschieden verändern können. Hier, dieser neutrale Ort, ist möglicherweise eine der großen Kreuzungen des Lebens. Hätte ich ja zu Maren gesagt, wäre mein Leben in eine glückliche Richtung verlaufen. Mit einer Frau, um die mich alle beneiden, mit hübschen Kindern, einem Haus, Hund, was halt dazu gehört.
Mit einem ja, hätte ich mich gegen meine Angst entschieden. Dann hätte ich mich auch nicht mehr so klein und hässlich neben Maren gefühlt. Bestimmt nicht. Dann wäre ja alles unumstößlich mit Ringen besiegelt.
Aber ich habe nicht ja gesagt. Ich hocke vor meinem kalten Kaffee und verfluche mich. Noch könnte ich aufspringen und Maren hinterher rennen. Noch steht die Ampel auf grün. Noch konnte ich die richtige Kreuzung überqueren.
Ich zücke meine Brieftasche und winke dem Kellner. Doch anstatt die Aufmerksamkeit des Kellners einzufangen, winkt jemand von einem anderen Tisch zurück.
Ich brauche einen Moment, aber dann identifiziere ich das Mädel als Aliona. Kommilitonin. Germanistik und ... was noch gleich?
Seitdem etwas zwischen Maren und mir läuft, ist eine Frau wie Aliona eigentlich unter meiner Würde. Vor Maren, ja, da wäre das in Ordnung gewesen. Aber so wäre das, wie von einem Ferrari auf einen Trabbi umzusteigen.
Maren ist aber weg und die Ampel steht auf gelb. Dunkelgelb.
Aliona sieht nicht schlecht aus. Nicht schlecht ist natürlich nicht gleichzusetzen mit verdammt gut. Oder gar perfekt. Wie Maren. Nein, Aliona ist ... Aliona, muss ich mir eingestehen, gleicht im Prinzip mir. Attraktiver Durchschnitt. Mit Tendenz nach oben. Mit deutlicher Tendenz nach oben.
Hässlich fühle ich mich zumindest nicht neben ihr. Aliona hat sogar ein richtig niedliches Gesicht. Das ist mir schon früher aufgefallen. Auch, dass sie auf mich steht. Hat sie vielleicht gesehen, wie Maren abgerauscht ist? Wittert sie jetzt ihre Chance?
Oder ist das meine eigentliche Chance?
Wenn das also hier eine der wichtigen Kreuzungen meines Lebens ist, dann habe ich womöglich gerade noch im richtigen Moment die Bremse gezogen, um nicht überfahren zu werden. Von einem Ferrari.
Zudem: Ein Ferrari sieht scharf aus, aber er verbraucht unheimlich viel Sprit, man muss sich ständig Sorgen machen, dass er nicht zerkratzt oder geklaut wird.
Nur wenige Blicke folgen Aliona zu meinem Tisch. Ihrem Lächeln haftet etwas unbeholfen unschuldiges an. Das mit dem Trabbi war gemein. Vielleicht eher ein Volkswagen oder ein Renault. Jetzt hab ich‘s - ihr Zweitfach ist Französisch. Eindeutig ein Renault. Solide und sicher.
Wir begrüßen uns mit einem ungeschickten Kuss auf die Wange.
»He, setz dich doch«, sage ich.
»Ich muss leider los«, sagt Aliona. In meinem Ohren klingt das wie ein Auffahrunfall mit kreischender Bremse. Verkehrschaos. Sollte ich mir das alles nur eingebildet haben? Die ganzen Blicke in den Germanistikkursen? Die flirtenden Gespräche? Hatte Maren meine Wahrnehmung so sehr durcheinander gebracht?
»Aber schön, dass ich dich sehe. Ich gebe morgen Abend eine kleine Party. Komm doch vorbei, wenn du Lust hast.« Wieder dieses Lächeln. »Ich würde mich freuen.«
»Klingt super.«
»Also bis dann.«
Ich sehe ihr nach, wie sie das Café verlässt. Lange nicht so majestätisch wie Maren, aber angenehm beschwingt. Einige Köpfe folgen ihr, aber niemand würde einen Streit deswegen beginnen. Fast hätte ich erwartet, dass Aliona sich an der Tür noch einmal umdreht, aber sie tut es nicht. Sehr gut, das machen nur Anfänger.
Ich krame mein Handy aus der Jackentasche und sehe, dass ich eine neue Nachricht erhalten habe. Das ging aber schnell, denke ich. Doch die Nachricht ist nicht von Aliona, sondern von Maren.
Tut mir leid, dass ich einfach so abgehauen bin. Will dich morgen Abend sehen. Maren.
Ich kann mir ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen. Ein Ferrari zu besitzen mag anstrengend sein, aber gegen eine gelegentliche Spritztour lässt sich nichts sagen. Oder?

 

He Asterix,

Locker flockig geschrieben
schön, wenn es sich so lesen lässt. Dass es eher flockiger als locker beim Schreiben war, sollte man jetzt natürlich nicht mehr sehen dürfen ;)

Das wird so bleiben, solange er von sich auf Maren schließt und glaubt, sie achte auch nur auf Äußerlichkeiten.
Dass er damit falsch liegt – Maren sagt: „Ich mag dich“ und auch der von ihr vorgeschlagene „neutrale Ort“ ist ein Zeichen dafür – scheint nur dem Leser offensichtlich.
das finde ich eine schöne Deutung :)

Ein kleines Haar in der Suppe ist für mich, dass sich am Ende nix bewegt hat. Ich wurde nur Zeuge eines Kreislaufs.
noaja, wenns nur ein kleines Haar ist ;) Also, ich find das genau richtig so. Kurz hat es ja den Anschein, dass er ausbricht, die Chance ist gegeben, das halte ich für den Höhepunkt. Letztlich sackt er wieder in sein altes Ich zurück. Finde, eine Entwicklung ist aber dadurch schon gegeben, auch wenn er sich lieber wieder in das "bequeme" Muster zurück flüchtet

über demn Satz, über den du gestolperperst bist, muss ich noch mal grübeln. In jedem Fall schon mal Danke fürs benennen.
Und danke für deinen Kommentar :)

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Tag, weltenläufer!

Wegen des Titels hatte ich gedacht, das müsse in der Kirche spielen. Ich wollte meine Kritik darauf aufbauen, Dir erstmal streng zu erklären, nur religiöse Stätten seien neutrale Orte. Soeben habe ich aber recherchiert, daß ein neutraler Ort überall sein kann und ich einen langjährigen Denkfehler ausmerzen muß. Dafür schonmal vielen Dank. :p

Ja, die Geschichte ... ich mag den Helden nicht und die Frauen auch nicht. Alle verhalten sich so achgottchenmäßig, und die Conclusio ist umstritten, ich meine: Der Held will eine Frau, die er für eine Sexbombe hält, sexmäßig nochmal rumkriegen, erfolglos. Dann denkt er kurz über Leben & Überhaupt nach, erwägt das Umsatteln auf Normalfrau und dann den ... Seitensprung mit der Sexbombe?, also ... äh. :susp:

Bei Milan Kundera, in irgendeinem Buch im Nebenstrang, erzählt einer, er sei jetzt verheiratet, und der Freund sagt: Aber das wolltest du doch nie! Daraufhin erzählt der erste, wie das hatte passieren können:
Die Frau war jeden Tag mit ihm spazierengegangen, auf einen Berg. Immer hatte sie dabei vom Heiraten geredet, und jedesmal war er irgendwann so erschöpft vom Aufstieg und fühlte sich so alt, daß er fast zugestimmt hätte. Aber dann waren sie oben, er fühlte sich wieder jung und wollte nicht mehr heiraten.
Eines Tages nahm die Frau einen anderen Weg, einen längeren und anstrengenderen. Schon lange vor dem Gipfel war der Held so fertig, daß er einwilligte.

Das ist mir eingefallen, denn so ähnlich ist das ja bei Deinem Helden auch. Er fühlt sich klein, darum denkt er an Sicherheit.
Kaum fühlt er sich wieder größer, denkt er aber nicht an Freiheit, sondern billiges Zeug. Das ist vielleicht Freiheit für ihn oder zumindest eine Ablenkung von seiner Unsicherheit, aber ich mag ihn eben nicht. Du hast da echt ein Männchen mit pimmeliger Discountdenke entworfen, das war wahrscheinlich sogar Absicht, so welche gibt es ja auch, ein soziokulturelles Phallbeispiel in Negativ-Nein, Gesellschaftsstudie oder so, aber pfui. Ein fieser, doofer Held. Er erlebt nichts, und das geschieht ihm recht. Aber ich Leser war nicht glücklich beim Zusehen. Hätte es in einer Kirche gespielt, hätt ich mich mit der Ikonenwand ablenken können. :D

Hier hab ich noch Einzeltext:

»Ich weiß, weshalb ich hier sitze«, grinse ich mein falsches Lächeln.
"Muß das sein?", trommelt Makita auf den Echtholztisch.
»Das sind jetzt aber schon zwei Anfälle, die gegen Anstand und Sitte verstoßen«, schaffe ich mir nicht zu verkneifen.
"Das klingt ja doppelt arg", fühlen meine Ohren sich nicht zu freuen.
Nee, im Ernst: Wenn schon, dann halt: "...", kann ich mir nicht verkneifen.
»Ich habe jemand kennen gelernt«, rückt sie raus.
"Man darf immer noch kennengelernt schreiben!", rege ich an.
Rettung der Zusammenschreibung: Register, it's free! :)
Aber so wäre das, wie von einem Ferrari auf einen Trabbi umzusteigen.
Das sieht aus wie unnötig kraus zu formulieren. :D
Vorschlag: ..., als steige/stiege man von ... auf ... um.
Das ist so ein seltsamer grammatikalischer Fall bei Vergleichen, ich weiß nie, was richtig ist: Es war wie tun oder Es war wie zu tun ... Beides klingt ok, sieht aber geschrieben kraus aus. :confused:
die mein Dasein hätten entschieden verändern können
eher entscheidend, oder?
was halt dazu gehört.
das muß zusammen: dazugehört.
Mit einem Ja kein Komma hätte ich mich gegen meine Angst entschieden.
aufspringen und Maren hinterher rennen. Noch steht die Ampel auf Grün. Noch konnte ich die richtige Kreuzung überqueren.
hinterherrennen muß zusammen.
Der letzte Satz kommt komisch: Erst könnte, dann steht, dann konnte, das ist wie gesteigert und gleichzeitig Luft rausgelassen. Mach ihn weg, und das Problem ist gelöst. Wat jestrichen is, kann nich durchfalln, sagt Tucholsky.
Woanders war noch eine Ampelfarbe, die großgeschrieben gehört.
Eindeutig ein Renault. Solide und sicher.
Eine höchst umstrittene Behauptung! :susp:
Die flirtenden Gespräche? Hatte Maren meine Wahrnehmung so sehr durcheinander gebracht?
durcheinandergebracht muß zusammen. Und: Flirtende Gespräche? Wie sieht das denn aus, wenn Gespräche flirten? Man bräuchte mindestens vier Sprecher, damit wenigstens zwei Gespräche existieren, und dann hätten die noch lange nicht geflirtet. Da will ich nicht das Drehbuch schreiben müssen. :silly:
Einen Ferrari zu besitzen
Der Besitz strengt doch nicht an! Überhaupt das Bild mit dem Ferrari ... da könnt ich dem Helden auch so beim Abwinken in die Schnauze hauen.
Der Spritverbrauch strengt nicht an, der kostet nur Geld. Auf den Ferrari aufzupassen ... Naja, das muß man nur, wenn man ihn besitzt und fährt, oder? In diese Verlegenheit ist der Held ja bisher nicht gekommen und auch nicht dafür qualifiziert. Er gibt zu, daß er sich nicht Manns genug für Maren fühlt, schafft es aber, sich einzureden, er sei Schwanzes genug für sie, wenn er Aliona hätte. Und wer ist schuld daran, daß der Mann so einen Unsinn denkt? Die doofe Frau. Der gehört der Hintern versohlt. Schmach & Schande!
Ehrlichkeit und Verlangen ringen in mir. Ein mir bekannter Kampf, der stets zu Gunsten der Ehrlichkeit ausgeht und damit den Frust triumphieren lässt.
Echt! So ein Esel! Der Frust triumphiert jedesmal, weil jedesmal die Ehrlichkeit gegen das Verlangen siegt?
Die Logik liegt mit weggeschossenen Beinen hinter dem Busch da drüben. Nee, nee, nee.

Lieben Gruß,
Makita.

 

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