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Neben mir aufwachen
Neben mir aufwachen
Wenn ich aufwache, und sehe den Mann neben mir im Bett, dann weiß ich manchmal nicht, wo ich bin. Mein Körper liegt dort, unter derselben Decke wie seiner, und trotzdem weiß ich nicht, wo ich bin. Diese Distanz zwischen mir habe ich früher nie bemerkt. Ich weiß nicht, ob sie schon immer da war. Ich habe sie nie gespürt. Weil ich es nicht kannte, oder auch, weil der Spalt jetzt größer ist.
Für eine Zeit war jemand in meinem Leben, der etwas daran geändert hat. Mir das Gefühl gegeben hat, in meinem Körper zu sein. Ich habe gewusst, warum ich aufwachen wollte und neben wem. Ich war in mir, wenn ich aufwachte. Beinahe jeden Tag. Heute kostet es mich Kraft, soviel von mir in meinen Körper hineinzuzwingen, dass ich aufstehen kann. Meist ohne den Mann neben mir anzusehen. Manchmal ohne seinen Namen zu kennen. Wozu auch. Er bleibt nicht lang. Kaum je länger als zwei Nächte. Wenn überhaupt. Aber mir fällt es kaum noch auf. Sie ähneln einander. Nicht völlig, aber so, dass es mir auffällt.
Oft sehen sie gut aus. So gut, dass ich mich frage, warum sie mich wollen. Dass ich nicht verstehe, wen sie in mir sehen. Sie könnten jede haben, aber sie wählen mich. Manchmal. Dann steigt, von Zeit zu Zeit, in mir das Gefühl auf, ich wäre jemand Besonderes. Ich wäre jemand. Und ich denke, dass ich am nächsten Morgen wieder in mir aufwachen werde. Dass er es ändern kann. Es geschieht nie. Dass ich in mir aufwache, an einem der Morgende danach. Letztendlich wissen sie, dass sie zu gut für mich sind. Und sie lassen es mich spüren. Ich fühle nichts. Bin nur dankbar für ein paar Stunden, in denen ich an Nähe glauben kann. Manchmal, wenn er sagt, er kommt wieder, dann wage ich es, zu träumen. Von Zukunft und so. Aber das bleiben Träume.
Es gibt Tage, an denen sitze ich im Morgenmantel am Küchentisch und warte darauf, dass er geht. Mit der Frage, warum ich es tue, wenn ich mich danach so fühle, wie in diesen Stunden. Ich sehe mein Gesicht in der Fensterscheibe, vor der Dunkelheit, und fühle mich durchsichtig. Sehe mich so, wie er mich gesehen hat, letzte Nacht. Dann will ich nicht gesehen werden. Von niemandem. Nicht ihm, nicht mir. Nicht der Dunkelheit. Entferne mich aus mir. Ein stückweit.
Die Frage bleibt, steht zwischen mir und dem Bild im Fenster. Vielleicht tue ich es für die Illusion. Dafür, ein paar Stunden Nähe zu spüren. Vielleicht gebe ich mich zufrieden. Weil das Leben nicht mehr für mich hergibt. Es endet alles an diesem Punkt.
Einen habe ich gefragt: Warum? Warum er mich so behandelt. Mich nicht sieht. Er war wütend. Meinetwegen oder wegen meiner Frage. Oder wegen seiner Antwort. Genau weiß ich es nicht. "Du musst es wohl verdient haben", hat er mir vor die Füße geworfen, und sich nicht mehr umgedreht, als ich mich wieder ein Stück von mir entfernt habe. Männer wie er sind es, die mich dazu treiben. Und dann fühle ich mich so sichtbar, wie ich eben bin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.