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Nebelsicht
In einer nebligen Nacht, es war wohl im Herbst, befand sich ein verfrorener Mann auf dem Heimweg. Es war schon spät und der Nebel so dicht, dass er kaum einen halben Steinwurf weit Umrisse erahnen konnte. Gegen den Wind zog er sich seinen Hut stetig weiter ins Gesicht, was, wie er feststellen musste, ihn durchaus etwas verwegen erscheinen ließt, sodass seine Sicht noch weiter eingeschränkt war. Vor ihm lag nun eine mit Kopfsteinpflaster versehene Brücke, und seine schweren Herbststiefel stapften ein wenig dumpf auf dem Konstrukt. Nach einiger Zeit, ihm war nicht sehr wohl bei all dieser Dunkelheit, stoppte er, nur um festzustellen, dass er weiterhin Schritte hörte, wenn auch nur zwei oder drei weitere. Als er nun losging hörte er, wie sich bedrohlich unter das Schrittgeräusch seiner Schuhe ein weiteres, ebenso schnelles Schrittgeräusch gemischt hatte. Es lag eindeutig vor ihm, und obwohl die Lage ihn anspannte, entschied er sich nicht, zurück und zur nächsten Brücke zu gehen. Schließlich war dies der kürzeste Weg.
Er hatte nur wenige Schritte machen können, da tauchte vor ihm schemenhaft der Umriss eines Menschen auf. Schwarz bewegte er sich von der hinter ihm liegenden Häuserkulisse auf den Mann zu, der, um sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, nicht innehielt sondern ebenfalls weiterging. Wäre die Brücke nicht sehr schmal gewesen, hätte es ihm wohl keine Sorgen gemacht, dass eine schwarze, womöglich muskulöse oder nur in eine dicke Jacke eingepackte Gestalt mit einem tief ins Gesicht gezogenen Hut auf ihn zu kam. So aber hatte er Bedenken. Wer war dieser Schatten, der um diese Unzeit noch vor die Tür ging, mitten auf der Straße? Es war gut vorstellbar, dass er sich nur deshalb zu dieser Zeit vor die Tür traute, da er, aufgrund seiner kriminellen Fähigkeiten, von Passanten wie ihm nichts zu befürchten zu hatte, ja vielmehr umgekehrt musste es sein, dass man sich vor dieser Gestalt zu fürchten hatte. Angestrengt überlegte der Mann, was er dabei hatte, um sich zu verteidigen, während er weiter auf die sich ihm nähernde Gestalt zuging. Mit seinem Portemonnaie oder seinen Taschentüchern würde er wohl nicht viel anfangen können (bei dieser Gelegenheit versteckte er unauffällig das Portemonnaie hinter seinem Gürtel), mit seinem Schlüsselbund aber vielleicht noch. Er war immerhin recht schwer behangen, und wenn er auch nicht viel Schaden anrichten konnte, musste er doch das Gefühl einer Waffe in seinem Angreifer hervorrufen, wenn das Metall ihn traf. Seine einzige Hoffnung war, dass der nähernde Schatten nicht wesentlich besser ausgerüstet war, mit beispielsweise einem Messer oder einer Pistole, wenngleich auch viele Menschen wahrscheinlich immer ein Messer bei sich tragen.
Nur noch wenige Meter trennten die beiden voneinander, während der Mann sich angestrengt konzentrierte, auf jeden Angriff sofort reagieren zu können. Womöglich wäre eine Reaktion aber wohl zu spät, vor allem, wenn man bedachte, dass es sich bei dieser Gestalt um einen professionellen, bewaffneten Kriminellen handelte! Seine einzige Chance war es also, zuerst zuzuschlagen. Er würde ihn anstürmen, so schnell es eben bei den derzeitigen Verhältnissen möglich war, mit gepacktem Schlüsselbund in die Magengrube donnern und schnell wegrennen.
Er schien eine Nervosität in seinem Gegenüber zu erkennen, so als machte es sich bereit, was er als letzte Möglichkeit für seinen Angriff sah, wenn es nicht schon zu spät war. Adrenalinberauscht stürzte er sich auf den Mann, schlug ihm irgendwo auf seinen Torso mit der Hand ohne Schlüsselbund und rannte dann ohne seinen Hut, den er während des Kampfes verloren hatte, davon. Auch die Schritte des anderen beschleunigten sich rapide, er hatte ihn schreckhaft angebrüllt und bei seinem Schlag gekeucht, aber er hatte nicht sehen können, wie sehr ihn sein Treffer außer Kraft gesetzt hatte. Als er unter einer Laterne am anderen Ufer angekommen war, machte er eine Pause. Von der Gestalt hörte er nichts mehr, anscheinend hatten sich die Schritte eher entfernt, als ihm zu folgen. Mit den Händen auf die Knie gestützt lehnte er an einem Zaun, atmete schwer und dachte dann, das ganze noch ein paar Mal durchgehend:„Man ist ja seines Lebens wirklich nicht mehr sicher!“