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- 15.07.2004
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Napoleon Nimmersatt (oder: der große Semmelkrieg)
Am Vorabend seines fünfundsechzigsten Geburtstages riss sich König Konstantin Kugelbauch seine Krone vom Kopf und stellte sie mit einem Knall vor seine drei Söhne auf den festlich gedeckten Abendbrottisch.
„Ich habe die Schnauze voll“, rief er bestimmt, während er geschickt ein vorüberfliegendes Brathähnchen fing und es sich genüsslich in den Mund stopfte.
Die drei Prinzen ließen vor Erstaunen ihr Besteck fallen.
„Wovon?“, fragten sie überrascht. „Wovon hast du die Schnauze voll?“
„Vom Regieren!“, antwortete Konstantin Kugelbauch schmatzend. „Seit vierzig Jahren bin ich nun schon König des Schlaraffenlandes. Es ist wirklich an der Zeit in Rente zu gehen. Ich habe nämlich schon lange genug von all den anstrengenden Geschäftsessen mit den anderen Königen. Da vergeht mir jedes Mal der Appetit. Ach, ihr ahnt ja gar nicht, wie sehr einem Politik auf den Magen schlagen kann.”
Konstantin Kugelbauch rülpste laut. Das tat er immer, wenn er etwas wirklich Wichtiges zu verkünden hatte.
„Doch diese Suppe könnt künftig ihr auslöffeln!“, sagte er feierlich. „Denn von dieser Minute an ist es eure Aufgabe das Königreich zu regieren. Ich für meinen Teil werde nur noch aus Herzenslust Schlemmen und Genießen. Cholesterinwerte hin, Cholesterinwerte her – jetzt fängt mein Leben erst richtig an.”
Damit war dieses leidige Thema für Konstantin Kugelbauch ein für alle Mal vom Tisch. Das Gesicht noch voller Bratensauce sprang er auf, griff nach seinem kleinen Picknickköfferchen, das bereits fertig gepackt neben dem Stuhlbein stand, und verabschiedete sich mit einem herzlichen „Wohl bekommts“ in den lang ersehnten Ruhestand.
Sein Ziel war ein achttausend Meter hoher Grießberg, durch den er sich in den kommenden Wochen bis zum Gipfel hinauffressen wollte.
Die drei Prinzen mussten einige Male schlucken, bevor sie begriffen, dass sie nun das Sagen im Schlaraffenland hatten.
„Prima!“, frohlockte endlich Waldemar Wabbelwanst, der Älteste von ihnen. „Ich habe schon immer davon geträumt, König zu werden. Denn als König braucht man sich beim Spanferkelessen nie zu entscheiden, ob man lieber eine Keule oder ein Rippchen möchte, sondern bekommt immer gleich das ganze Schwein.“
„Außerdem ist es herrlich bequem, König zu sein“, jubelte Leopold Leckermaul, der Zweitälteste. „Als König muss man nichts mehr selber tun und hat für alles Diener, die einem die mühsame Arbeit abnehmen. Sogar das Kauen!“
Nur Napoleon Nimmersatt, der jüngste der Brüder, sagte gar nichts. Er nutze die Gunst der Stunde, um sich ungestört achteinhalb Stücke Zwiebelkuchen einzuverleiben. Immerhin dauerte es noch mindestens vierzig Minuten bis zum Mitternachtsmahl. Obendrein war er sich gar nicht sicher, ob er wirklich König werden wollte. Konstantin Kugelbauch hatte schließlich sehr deutlich gemacht, wie anstrengend es war, ein Land zu regieren. Ein böser Verdacht keimte in Napoleon Nimmersatt auf. Wahrscheinlich war das Leben als König gar nicht so angenehm und bequem, wie es sich seine Brüder ausmalten.
Seine schlimmen Vorahnungen wurden umgehend bestätigt.
„Am besten machen wir uns gleich ran an die ...”, Waldemar Wabbelwanst suchte fieberhaft nach dem passenden Wort. Es lag ihm auf der Zunge, dennoch wusste er, dass es etwas war, das er so gut wie nie in den Mund nahm. „... ran an die...”, versuchte er es noch einmal.
„... an die Buletten?“, schlug Leopold Leckermaul vor. Sein Magen knurrte laut.
Aber der älteste Prinz schüttelte entschieden den Kopf.
„... an die Arbeit!“, vollendete er schließlich seinen Satz. Das Gesagte hinterließ einen merkwürdig bitteren Nachgeschmack.
Napoleon Nimmersatt schüttelte sich angewidert. Arbeit! Genau das hatte er befürchtet. Schnell griff er nach einem gigantischen Teller auf dem sich ein Turm dampfender Marmeladenpfannkuchen stapelte. Der Prinz hegte die heimliche Hoffnung, sich mit diesen klebrigen Köstlichkeiten ein wenig ablenken zu können.
Doch schon nach dem zehnten Pfannkuchen schob er den Teller wieder beiseite. Die Situation war einfach zu ernst, um genussvoll zu essen. Statt dessen wandte er sich einem halben Dutzend Bratäpfel zu, und begann diese lustlos abzuknabbern.
„Bevor wir drei die neuen Könige werden können“, sagte Waldemar Wabbelwanst, während er würdevoll auf einem Stück Wurst kaute, „brauchen wir unbedingt eine neue Nationalspeise! So will es die Tradition.“
„Und Tradition ist beinahe genau so wichtig wie ein frisches Fünf-Minuten-Ei an einem Sonntagmorgen“, fügte Leopold Leckermaul neunmalklug an.
Damit hatte er selbstverständlich Recht. Denn im Schlaraffenland muss jeder König am Tag seiner Krönung eine Nationalspeise benennen. Dieses Gericht darf an Feiertagen auf keiner Festtafel fehlen. Und weil im Schlaraffenland jeder Tag ein Feiertag ist, kann auf eine Nationalspeise natürlich unmöglich verzichtet werden.
„Ohne neue Nationalspeise gibt es auch keine neuen Könige!“, brachte es Waldemar Wabbelwanst auf den Punkt. „Also sollten wir schleunigst eine auswählen. Es wäre doch gelacht, wenn wir uns nicht einig würden.”
„Aber es sollte etwas Einfaches sein”, meldete sich Leopold Leckermaul zu Wort, während er seine Hände gedankenverloren in Champagner badete. „Ich möchte nämlich keinesfalls dekadent wirken.”
Napoleon Nimmersatt seufzte gequält. Jetzt sollte er auch noch mit leerem Magen über Staatsprobleme grübeln. Das war einfach zuviel verlangt. Er hatte so großen Hunger, dass er unmöglich denken konnte. Schon gar nicht ans Essen.
„Ich habe es!“, rief Waldemar Wabbelwanst plötzlich begeistert.
„Nein! Ich habe es!“, schrie Leopold Leckermaul aufgeregt.
„Na prima!“, murmelte Napoleon Nimmersatt. „Das sollten wir sofort mit einem kleinen Imbiss feiern. Ich bin kurz davor, vom Fleisch zu fallen.” Rasch angelte er sich ein riesiges Kotelett, in das er sofort herzhaft hineinbiss.
Aber seine Brüder achteten gar nicht auf ihn. Beide steuerten schnurstracks auf die Platte mit den belegten Broten zu.
„Ich präsentiere euch die neue Nationalspeise!“, trompetete Waldemar Wabbelwanst so laut er konnte und versuchte dann mehr recht als schlecht, einen Tusch nachzuahmen. „Tatatata! Ein Käsebrötchen!“ Er griff nach einem und hob es triumphierend in die Höhe. „Ist es nicht herrlich? So volksnah und gleichsam so nahrhaft. Und jetzt bitte Applaus!“
Der jedoch blieb aus.
„Ein Käsebrötchen?“, erkundigte sich Leopold Leckermaul spöttisch. „Habe ich dich richtig verstanden? Du meinst wirklich ein schlichtes, nichtssagendes, albernes und stinklangweiliges Käsebrötchen wäre gut genug, um unsere neue Nationalspeise zu werden?“ Er kicherte hämisch. „Bei aller Liebe, Bruderherz, aber da weiß ich etwas viel, viel Besseres!“
Waldemar Wabbelwanst zog eine gekränkte Schnute.
„Was Besseres als ein Käsebrötchen!“, sagte er in säuerlichem Tonfall. „Da bin ich aber gespannt!“
„Halt dich fest!“, rief Leopold Leckermaul inbrünstig. „Mein Vorschlag wird dir die Schuhe ausziehen. Er ist brillant. Geradezu genial. Einfach ungeheuerlich! Schlichtweg fantas...“
„Ich höre!“, unterbrach ihn Waldemar Wabbelwanst eisig.
„Ein Wurstbrot!“, sagte Leopold Leckermaul feierlich. „Unser neues Nationalgericht kann nur ein Wurstbrot sein! Das hat einfach Klasse!“
Einige Augenblicke lang war es in dem großen Speisesaal mucksmäuschenstill. Dann jedoch begann Waldemar Wabbelwanst brüllend zu lachen. Er lachte so sehr, dass er im Gesicht puterrot anlief und Napoleon Nimmersatt schon fürchtete, sein Bruder würde gleich mit einem lauten Knall platzen.
„Was bitte schön, ist denn daran so komisch?“, fragte Leopold Leckermaul wütend.
„Ein Wurstbrot”, keuchte Waldemar Wabbelwanst atemlos. „Hat man so etwas Dummes schon mal gehört? Ich bitte dich, mein Lieber! Wie in aller Welt ist dir nur so ein Humbug in den Sinn gekommen?“
„Das ist kein Humbug!“, schimpfte Leopold Leckermaul. „Jeder mag Wurstbrot. Das ist wissenschaftlich erwiesen!“
Das stimmte zwar nicht, aber das war dem aufgebrachten Prinzen in diesem Moment völlig egal.
„Es weiß aber auch jeder, dass Käsebrötchen hunderttausendmillionen Mal besser schmecken als Wurstbrote”, behauptete Waldemar Wabbelwanst rechthaberisch, obwohl er beides eigentlich gleich gern aß. Doch in diesem Moment hätte er sich lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben.
Die beiden Brüder funkelten sich zornig an.
Napoleon Nimmersatt seufzte laut.
„Bestimmt können wir uns irgendwie einigen“, murmelte er und hielt sich mit unglücklichem Gesicht den Bauch. „Ihr wisst doch, dass uns Streitereien nicht bekommen. Davon kriegt man fürchterliche Blähungen.“
Just in diesem Moment ließ er einen fahren. Schuldbewusst senkte er seinen Blick zu Boden. Doch sein Vermittlungsversuch verhallte ungehört.
„Ich glaube nicht, dass ich mit jemandem zusammen das Schlaraffenland regieren will, der sich nicht davor scheut, vergammelte Milch zur Nationalspeise zu machen!“, zischte Leopold Leckermaul und verschränkte abweisend die Arme vor seiner Brust.
„Und ich lehne entschieden ab, dass jemand König wird, der unbedingt auf einem Stückchen totem Tier besteht”, entgegnete Waldemar Wabbelwanst und schlug aufgebracht mit der Faust auf den Tisch.
Leopold Leckermaul fletschte zornig die Zähne.
„Du weißt, was das bedeutet?“, sagte er in drohendem Tonfall.
Waldemar Wabbelwanst verzog seine Augen zu Schlitzen.
„Das”, sagte er kalt, „das bedeutet Krieg!“
Napoleon Nimmersatt zuckte erschrocken zusammen.
„Krieg?“, murmelte er atemlos. „Das kann nicht eurer Ernst sein.”
Im Schlaraffenland hatte es noch nie einen Krieg gegeben. Nur ein einziges Mal – während der legendären Kaba-Krise – war der Frieden ernsthaft bedroht gewesen. Doch das ist eine andere Geschichte.
„Und ob das mein Ernst ist”, sagte Waldemar Wabbelwanst und schälte hasserfüllt eine Orange. In seinen Gedanken sah er sich als großer Feldherr bis an die Zähne bewaffnete Schlachtplatten kommandieren.
„Bitterer Ernst”, bestätigte Leopold Leckermaul, der in seiner Fantasie bereits die Gulaschkanonen nachladen ließ.
„Aber das ist doch Käse!“, entfuhr es Napoleon Nimmersatt, der begriff, dass es jetzt um die Wurst ging.
„Eben nicht!“ brüllte Leopold Leckermaul ganz rot vor Zorn. Außer sich vor Wut zückte er einen Schaschlikspieß und hieb damit wild in der Luft umher. Ein übergewichtiger Brummer konnte gerade noch ausweichen, zwei vorüberfliegende Brathähnchen retteten sich mit einem waghalsigen Sturzflug und um ein Haar hätte der Prinz sich selbst in die Nase gestochen.
Schnell verschanzte sich Waldemar Wabbelwanst hinter einer riesigen Schüssel mit Erbsen. Er griff sich eine Handvoll davon und schnippte sie wild entschlossenen durch das Zimmer. Der Prinz traf die Lampe, den Stuhl, die Tapete und am häufigsten sich selbst.
Es gab keinen Zweifel mehr: Der Krieg hatte begonnen.
Napoleon Nimmersatt verging zum ersten Mal in seinem Leben der Appetit.
„Ich muss etwas unternehmen!“, murmelte er beunruhigt. „Bevor sich die beiden noch wirklich zerfleischen.“
Unglücklicherweise aber hatte Napoleon Nimmersatt nicht den blassesten Schimmer, wie er die beiden Raufbolde wieder beruhigen konnte. Er war nämlich nicht besonders gut darin, einen Streit zu schlichten. Genaugenommen gab es eigentlich gar nichts, worin er besonders gut war. Außer natürlich im Essen. Darin konnte ihm niemand das Wasser reichen. Und mit einem Mal verstand der Prinz, wie wenig es ihm derzeit half, dass er mehr Rollmöpse verschlingen konnte, als irgendein anderer Mensch auf diesem Planeten. Und er begriff, dass es im Leben Wichtigeres gab, als Makkaroni mit Schinken oder ein saftiges Stück Schwarzwälderkirschtorte.
Während Napoleon Nimmersatt seinen Gedanken nachhing, hatte sich der Streit seiner Geschwister weiter zugespitzt. Waldemar Wabbelwanst warf mittlerweile nicht mehr mit Erbsen, sondern mit Wassermelonen um sich. Und Leopold Leckermaul versuchte seinen Gegner in einer Schüssel Früchtebowle zu ertränken.
„Wurstbrot”, rief er dabei hitzig, während er mehr schlecht als recht den Melonengeschossen seines Bruders auswich.
„Käsebrötchen!“, krakelte Waldemar Wabbelwanst, wann immer es ihm gelang seinen Kopf aus der Bowleschüssel zu befreien.
„Niemals!”, rief Leopold Leckermaul aus. „Du bist in der Minderheit. Das Volk steht auf meiner Seite”, behauptete er. „Ebenso wie ...“ Er blickte sich suchend im Speisaal um. Sein Blick fiel auf Napoleon Nimmersatt. „Ebenso wie unser Bruder!“, führte er den Satz triumphierend zu Ende.
Waldemar Wabbelwanst riss seinen Kopf aus der Bowleschüssel und schaute Napoleon Nimmersatt vorwurfsvoll an.
„Stimmt das?“, knurrte er einschüchternd.
Napoleon Nimmersatt hob abwehrend die Hände.
„Nein!“, behauptete er schnell. „Natürlich nicht!“
Nun war es Leopold Leckermaul, der ihn drohend anfunkelte.
„Ich meinte natürlich ja!“, beeilte sich Napoleon Nimmersatt zu versichern.
Waldemar Wabbelwanst warf ihm einen mörderischen Blick zu.
„Was denn nun?“, knurrte er.
„Jein!“, rief Napoleon Nimmersatt in seiner Verzweiflung. „Oder doch besser: vielleicht. Ein klipp und klares: unter Umständen. Ach was sage ich: definitiv möglicherweise! Das jedoch nur eventuell.“
Damit machte er aber die Sache nur noch schlimmer für sich. Seine Brüder ließen voneinander ab. Statt dessen näherten sie sich nun beide mit mürrischen Mienen dem unglücklichen Napoleon Nimmersatt, der rasch einige Schritte nach hinten trat.
„Ich will wissen, auf wessen Seite du stehst”, grollte Waldemar Wabbelwanst.
Napoleon Nimmersatt trat noch einen Schritt zurück. Er befand sich nun schon in der hinterletzten Ecke des riesigen Speisesaals.
„Das will ich auch wissen!”, murrte Leopold Leckermaul. „Denn wer nicht für mich ist, ist gegen mich.”
Napoleon Nimmersatt wäre zu gern noch einen weiteren Schritt zurückgewichen. Leider stand ihm die Wand im Weg. Jetzt steckte er, umzingelt von seinen Brüdern, in der Falle.
„Ich ... ähm ... also ... ich finde ...“, stammelte er ängstlich, denn er hatte keine Ahnung, welchem der beiden Streithähne er Recht geben sollte.
Napoleon Nimmersatt wusste, dass er nicht mehr lange um den heißen Brei herumreden konnte. Seine Brüder erwarteten eine Entscheidung.
Mit einem Mal zeigten sich beide äußerst liebenswert.
„Bevor du deine Wahl triffst, mein Bester, solltest du dir noch einmal die überwältigende Vollkommenheit eines Käsebrötchens vor Augen halten”, flötete Waldemar Wabbelwanst und drückte dem verdutzen Napoleon Nimmersatt seins in die Hand. Das Brötchen hatte im Kampf arg gelitten und wirkte nicht mehr sonderlich als appetitlich.
„Bewundere lieber noch einmal den Anmut und die Grazie eines formvollendeten Wurstbrotes“, säuselte Leopold Leckermaul zuckersüß. Noch während er sprach, überreichte er Napoleon Nimmersatt feierlich die Schinkenstulle, die er zur Nationalspeise bestimmt hatte. Sie sah ebenso ramponiert und ekelhaft aus wie das Käsebrötchen.
„Jetzt solltest du dich aber entscheiden!“, mahnte Waldemar Wabbelwanst und klang schon bedeutend weniger freundlich.
„Und zwar richtig!“, fügte Leopold Leckermaul mit erhobenem Zeige Finger an.
Napoleon Nimmersatt zitterte am ganzen Körper. Egal, was er auch wählte, einer der beiden Brüder würde vor Wut toben. Er hatte die Wahl zwischen Verhungern und Verdursten. Und am Ende würde es dennoch zu einem Krieg kommen. Ein Krieg, der vermutlich das ganze Schlaraffenland zerstören würde.
In dem Speisesaal herrschte eine eisige Stille. Sowohl Waldemar Wabbelwanst als auch Leopold Leckermaul stand ins Gesicht geschrieben, dass sie einzig und allein eine Entscheidung zu ihren Gunsten dulden würden. Einen von beiden würde Napoleon Nimmersatt also enttäuschen müssen.
Verzweifelt suchte der Prinz nach einem Ausweg aus der Zwickmühle. Aber es gelang ihm nicht, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, der sich nicht ums Essen drehte. So sehr er sich auch bemühte, alles was in seinem Kopf herumspukte, waren Bilder vom herrlichen zubereiteten Leckereien.
Er sah Gänseklein mit Rotkohl und Semmelknödeln, Lachspastetchen mit Spinat und Kaviar, Kartoffelaufläufe mit Gemüse und Krabben, Spagetti mit Fleischklößchen und Tomatensauce, Erbensuppe mit Möhrchen und Speck, Wiener Schnitzel mit Kroketten und Schnittböhnchen und noch Dutzende andere Köstlichkeiten.
Und dann sah er plötzlich die Lösung. Ganz deutlich und klar. Ja, es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Mit einem Mal wusste Napoleon Nimmersatt wie er das Schlaraffenland retten konnte.
„Und?“, drängten seine Brüder. „Hast du dich nun endlich entschieden?“
Beide sahen sehr ungeduldig aus.
Napoleon Nimmersatt nickte ernst.
„Das habe ich”, antwortete er. Dann hob er das Käsebrötchen in die Höhe. „Ich liebe Käse“, sagte der Prinz. „Und ich kann mir kaum etwas Leckereres vorstellen als ein Käsebrötchen. Insofern finde ich, dass es ein ausgezeichnetes Nationalspeise abgeben würde.”
Waldemar Wabbelwanst stieß einen lauten Siegesschrei aus, während Leopold Leckermaul wütend dreinblickte.
„Aber“, unterbrach Napoleon Nimmersatt seinen jubelnden Bruder und hob das Wurstbrot empor. „Ich liebe auch Wurst. Und kaum etwas schmeckt so gut wie ein lecker zubereitetes Wurstbrot. Und deshalb denke ich, dass auch das hervorragend als Nationalspeise geeignet wäre.”
Jetzt zog Waldemar Wabbelwanst eine finstere Miene, während Leopold Leckermaul vor Begeisterung einen Luftsprung machte. Erst als er wieder landete, fiel ihm auf, dass alles noch genauso unklar war wie zuvor.
„Hör auf, uns Honig ums Maul zu schmieren!“, brummte Waldemar Wabbelwanst ärgerlich. „Sag uns lieber, für wen von uns zweien du dich entschieden hast!“
„Für keinen!“, rief Napoleon Nimmersatt aus. „Oder für beide! Ganz wie ihr wollt!”
Und mit diesem Worten nahm er das Käsebrötchen und klappte es mit dem Wurstbrot zusammen.
„Denn nichts schmeckt so gut, wie eine saftige Schinken-Käse-Stulle. Und deshalb bin ich der Meinung, dass diese – und wirklich nur diese —unsere neue Nationalspeise werden kann.”
Waldemar Wabbelwanst und Leopold Leckermaul sahen sich mit großen Augen an. Verblüfft schnappten sie nach Luft. Dann begannen Sie, verlegen mit den Füßen zu scharren.
„Wir sind einverstanden!“, sagten sie kleinlaut wie aus einem Munde.
Mit einem Mal fiel aller Zorn von ihnen ab. Erleichtert fielen sie sich in die Arme und baten sich mit feuchten Augen um Verzeihung.
„Niemals hätte ich so böse Sachen über dich sagen dürfen!“, jammerte Waldemar Wabbelwanst. „Es tut mir ja so Leid! Denn eigentlich habe ich dich zum Fressen gern.“
„Und ich erst!“, heulte Leopold Leckermaul. „Wie konnte ich nur so garstig sein. Aber zum Glück haben wir solch einen klugen Bruder. Ohne ihn hätte es eine Katastrophe gegeben. Im Grunde sollte nur er allein König des Schlaraffenlandes werden.”
Aber das wollte Napoleon Nimmersatt auf gar keinen Fall. Denn König zu sein, fand er, war ein Job, den man am besten zu mehreren ausübte.
„Entweder werden wir alle Könige oder gar keiner“, sagte er bestimmt. „Das wäre ja noch schöner, wenn ich alle Arbeit allein machen müsste.”
Da umarmten sich die Brüder und schworen sich tränenreich, dass sie nie mehr streiten und schon gar nicht jemals wieder einen Krieg gegeneinander führen wollten.
In diesem Moment klopfte es an der Tür und eine Vielzahl von Dienern trat ein, um den Tisch für das Mitternachtsmahl zu decken. Verwundert blickten sie auf die verheulten Gesichter der Prinzen, aber sie waren höflich genug, nicht zu fragen, was vorgefallen war.
Waldemar Wabbelwanst und Leopold Leckermaul berichteten sogleich von der neuen Nationalspeise und gaben allerhand Empfehlungen, wie sie am besten zuzubereiten sei.
Napoleon Nimmersatt aber setzte sich erschöpft auf einen Stuhl. Ihm war schon ganz flau vor Hunger. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine so lange Zeit gefastet zu haben. Mindestens eine halbe Stunde. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein Mensch eine solche Entbehrung überleben konnte.
Seufzend lehnte sich Napoleon Nimmersatt zurück. Er war ein kleines bisschen stolz auf sich. Immerhin hatte er gerade das Schlaraffenland gerettet. Dennoch hatte er nicht vergessen, dass er sich in Zukunft noch mit etwas anderem beschäftigen wollte, als einzig und allein mit dem Speisen. Vielleicht, dachte er, könnte ich ja mal kochen lernen. Oder backen. Oder wie man etwas einfriert und dann wieder auftaut.
Doch was immer er sich auch aussuchen würde, gleich morgen wollte er damit anfangen. Sofort nach dem Frühstück. Oder ... vielleicht doch besser nach dem Mittagessen. Zufrieden griff er nach einem stattlichen Hühnerbein und biss lustvoll hinein. Ja, gleich morgen!
Allerspätestens nach dem Abendbrot.