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Much im Frühling

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14.08.2012
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Much im Frühling

Herbst, vorgestern

Angefangen hatte alles mit Henniger. Also eigentlich mit Leo, der dem Henniger eine Dachwohnung geplant hatte und irgendwann im Sommer Much anrief. Er habe einen Goldfisch an der Angel, sagte Leo, und ob nicht er, Much, und so weiter … das Übliche unter Freunden, und er würde ihm Pläne und Fotos von der Terrasse schicken.
Deshalb, und nur deshalb, fuhr Much an einem ungewöhnlich warmen Herbsttag, noch dazu um die Mittagszeit, zu einer Besprechung mit dem Henniger in die Innenstadt. Zum Glück mit dem Fahrrad, weil er spät dran war, und da er keine Zeit zum Umziehen gehabt hatte, in einigermaßen, nun ja, salopper Aufmachung. Der Fahrtwind blies durch die Löcher der Arbeitshose, das offene Hemd flatterte, und Much genoss die warme Luft. Die Haare hatte er in der Werkstatt lediglich nass gemacht und hinter die Ohren gestrichen und seit einer Woche hatte er sich nicht rasiert. Es war sein neunundvierzigster Geburtstag und er fühlte sich gut.
Doch schon nach den ersten zwei Minuten seines Besuchs ahnte er, dass die folgende Stunde zu den vergeudeten seines Lebens zählen würde. Henniger, ein korpulenter Mittdreißiger, hatte ihm in Morgenmantel und Socken geöffnet und sich grinsend für seinen Aufzug entschuldigt. Er sei bis vier Uhr morgens im Puff gewesen und noch immer fix und fertig, erzählte er ungefragt, er hätte sich die Seele aus dem Leib gevögelt, es diesen Schlampen so richtig besorgt und sein Dings fühle sich an, als sei es in einen Gartenhäcksler geraten. Er schlug Much auf die Schulter und bellte ein dreckiges Lachen. Kaffee bot er ihm nicht an, stattdessen füllte er zwei Gläser mit Whisky, auch das ungefragt.
Die Aussicht von seiner Dachterrasse allerdings war atemberaubend. Mit einer gönnerhaften Geste wies Henniger auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er sie selbst erbaut. Sein anderer Arm lag dabei die ganze Zeit auf Muchs Schulter. Er paffte ihm Zigarrenrauch ins Gesicht und schwadronierte das Blaue vom Himmel herunter, von High-Risk-Fonds, AONs, Futures, Effizienzmarkthypothese. Much verstand kein Wort.
„Sehen Sie sich die fleißigen Ameisen da unten an, Pander, wie sie brav zur Arbeit rennen, diese Versager. Lauter Loser. Scheißlemminge.“
Als sie zurück ins Wohnzimmer gingen, ließ Much die Sonnenbrille auf der Nase, die Einrichtung war ein einziger Alptraum.
Der ganze Henniger war ein Alptraum, der Alptraum jedes aufrechten Werktätigen. Lustlos präsentierte ihm Much die Entwürfe und je länger er redete und je dämlicher Hennigers Fragen wurden, umso leerer fühlte er sich. Er warf Perlen vor die Säue, das war ihm klar, er wollte nur noch raus und diesen Kotzbrocken nie mehr sehen müssen. Spontan beschloss er, Henniger die besten Skizzen vorzuenthalten, und als es schließlich um die Kosten ging, verzehnfachte er im Kopf kurzerhand sein Angebot und addierte aus purem Schalk zusätzlich die ursprüngliche Summe. Dann räusperte er sich, zog an der Zigarette, blickte Henniger fest in die Augen und nannte einen derart absurden Preis, dass Henniger ihn auf der Stelle hochkant rausschmeißen müsste. So ihn nicht vorher der Schlag träfe, diesen Fettwanst.
„Heiliger Dow Jones, ganz schön happig für einen Haufen Alteisen.“ Henniger lachte dröhnend, schlug Much aufs Knie und schenkte ihm vom Glennfiddich nach.
„Junge, Junge! Dreiunddreißigtausend … Na ja, klingt aber fair. Echt reell, definitiv. Ist ja immerhin Kunst. Wird ja wohl mehr wert mit der Zeit. Hähä. Will ich zumindest hoffen.“ Und wieder schüttelte ihn dieses vulgäre Lachen und dazu stieß er Much den Ellbogen in die Rippen.
„Ist gekauft, mein lieber Pander, nullo Problemo. Sind in Wahrheit Peanuts, hähä. Noch einen Schluck?“

Much trat aus dem Haus, steuerte den nächsten Mülleimer an und schmiss die Handvoll Cohibas weg, die ihm Henniger bei der Verabschiedung in die Hemdtasche gesteckt hatte. Was für ein erbärmlicher Wichser!
Es war sinnlos, jetzt in die Werkstatt zurückzufahren, er hatte vier Whisky im Kopf, einen bizarr überteuerten Auftrag in der Tasche und brauchte jetzt erst mal ein kaltes Bier und ein wenig Zeit zum Nachdenken. Das Fahrrad ließ er abgesperrt am May-Picqueray-Platz zurück und schlenderte in das enge Gassengewirr hinter dem Dom. Hier irgendwo, versteckt in einem Souterraingewölbe, war einst das legendäre Anteo Zamboni gewesen, erinnerte er sich. Er wusste noch, wie herrlich kühl es im Sommer da drin immer gewesen war. Mal sehen, ob es das noch gab.
Es war heiß wie in Spanien, er knöpfte sich das Hemd wieder auf und versuchte, im Schatten zu bleiben. Gleichzeitig bemühte er sich, nur an das Bier zu denken, und noch nicht daran, dass er wieder einmal im Begriffe stand, seine Seele zu verkaufen, seine Ideale zu verraten, all die großartigen Ansprüche an sich mit Füßen zu treten. Wieder einmal …
Und wenn schon. Er war schließlich keine zwanzig mehr.

Mit zwanzig hatte er sich hier in diesem Viertel der Stadt, wo sich jetzt Boutique an Café, Café an Bar reihte, nächtelang herumgetrieben, war im Anteo herumgehangen oder im Sacco & Vanzetti, ein paar Gassen weiter, nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem, etwas, das wichtiger war als Rita, als Marlene, als Mona, und wie sie alle hießen, diese allnächtlichen Mädchen, mit denen er unterwegs gewesen war, eines schöner und verrückter als das andere, und alle genauso auf der Suche nach etwas Großartigem, nach dem wirklichen Leben. Nächtelang diskutierten sie, erträumten Utopien, entwarfen Strategien, erschufen in ihren Köpfen die Welt neu und waren überzeugt, die einzigen vernünftigen Menschen in diesem Land zu sein, die einzig wahren Guten. Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag, in Wahrheit reihte sich einfach Nacht an Nacht, und die Tage dazwischen waren dann entweder unerträglich heiß, oder es regnete, oder es war windig und kalt und sonst gar nichts. Im besten Fall hatte er auf dem Heimweg eine Sprühdose bei sich und eine Bankfiliale musste daran glauben, oder die Windschutzscheibe eines geparkten Polizeiautos. Öfter jedoch wurde er mittags vom Virnich, seinem Nachbarn, dem in Würde gealterten SA-Mann, aus dem Bett geläutet, weil er nachts beim Nachhausekommen wieder einmal dessen Philodendron im Stiegenhaus umgeschmissen, umgerempelt, beschimpft hatte. Sofern er überhaupt nach Hause gekommen war. Oder er wurde gar von zwei Polizisten wachgeklingelt, die ihn emotionslos aufforderten, sich auszuweisen, seine Zahnbürste einzustecken und mitzukommen - um halb sechs Uhr morgens - und er absolut keine Ahnung hatte, worum es überhaupt ging, er dann natürlich blöd zurückgeredet hatte, frech geworden war, weil er obendrein drei Tage zuvor Brazil im Kino gesehen hatte, in der Nachtvorstellung, mit Isa oder Mona, er wusste es nicht mehr, betrunken jedenfalls war er gewesen, oder bekifft, vermutlich beides, aber der Film geisterte noch durch seinen Kopf und Worte wie Faschistenpack, Büttel, Folterknechte kamen ihm damals leicht über die Lippen, weit leichter, als Moni oder Rita oder Isa zu sagen, dass er sie vermutlich nicht heiraten werde, aber sie lieben, sie lieben, das täte er, das wolle er tun, das hat er ihnen aber nie gesagt, und sie hätten es wohl auch nicht hören wollen, nicht die Moni, nicht die Marlene, nicht die Kathi, die wollten doch auch nur ihren Spaß haben, Nacht für Nacht, und darüber hinaus für die Weltrevolution sterben. Lieber Himmel, was waren sie jung damals, so jung und unsterblich. Jedenfalls war es nicht gerade schlau gewesen, Polizisten zu beschimpfen, schon gar nicht, wenn die in der Überzahl waren, zwei gegen einen, und dieser eine, einzige, er, Much Pander, obendrein furchtbar verkatert war, gemartert von Kopfschmerzen, gequält von Brechreiz, zerrissen von Liebesleid, vom Nichtverstehen der Welt, vom schieren Unverständnis von allem. Schlussendlich hatte er kapituliert, die halbherzigen Schläge der Polizisten grinsend hingenommen, ertragen, kaum gespürt eigentlich. An den alten Virnich konnte er sich noch erinnern, seinen Nachbarn, wie er durch die halboffene Tür herausgespäht hatte, im Pyjama, und ihn, Much, hämisch angrinste und dann, als er, Much, schließlich aufgab, endgültig kapitulierte, sich verloren gab, sich totstellte, er, Much Pander, gestorben, zumindest sich so fühlend, und er, der alte Virnich, den Polizisten nachher womöglich, wahrscheinlich, ziemlich sicher, garantiert Kaffee und Kuchen angeboten hatte, der alte Haudegen mit dem Blut Unschuldiger an seinen Händen, ihm, Much Pander, zu Fleiß …

Much lehnte an einer Hausmauer. Ihm war schwindlig, er verspürte Übelkeit und leichte Kopfschmerzen und verfluchte Henniger, verfluchte den Glennfiddich, verfluchte die Hitze, verfluchte sich selbst, lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und fühlte sich erschöpft und, ja, seltsam niedergeschlagen. An diesem heißen Tag in dieser Stadt, in diesem Stadtviertel, in dem er so lange nicht mehr gewesen war und in dem er sich jetzt verlaufen hatte. Das war doch ein Witz. Er stieß sich von der Mauer ab, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, strich sich die Haare aus der Stirne und wünschte sich, ein Tourist zu sein.
Die Einheimischen waren ausgesprochen freundlich, schickten ihn da entlang, zeigten dorthin, ließen ihn um diese Ecke biegen, wiesen ihn um jene. Und plötzlich stand er in der winzigen Majakowskijgasse und sah den Eingang zum Anteo Zamboni. Das gab es also tatsächlich noch. Das Sacco war vor Jahren schon geschlossen worden, nach unzähligen Anrainerbeschwerden, das hatte er irgendwann noch mitbekommen.
Als Much das kühle Gewölbe betrat, war ihm, als käme er in eine andere Welt. Aber was ihm wirklich kurz den Atem verschlug, war der Geruch. Es roch so wohlbekannt und unverändert, als wäre er in ein Zeitloch gefallen.
Eine Handvoll Gäste saß an den Tischchen, Nachtvögel mit bleichen Gesichtern, unmöglichen Frisuren und wachen Augen, und an der Bar lehnte ein junger Mann, auch er wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, mit ausgebleichtem T-Shirt, Schlabberhose und Jesussandalen. Er nickte Much freundlich zu und hielt ihm eine Selbstgedrehte hin.
„Willst? Ist ziemlich geiles Zeug.“
Die junge Sinéad O’Connor kam aus der Küche und Much spürte, wie sich seine Nackenhärchen sträubten, nein, natürlich war sie es nicht, es war einfach ein hinreißend schönes Mädchen mit kurzgeschorenem Haar und in seinem silbernen Ohrschmuck spiegelten sich die bunten Lämpchen des Flaschenregals und funkelten wie Lametta.
Much bestellte zwei Bier.
„Much … auf dich.“ Er hob sein Glas.
„Cool, Much. Danke. Ich bin der Brad. So wie Brad Pitt. Also Brad Estinato … Dichter.“ Der Typ kicherte wie ein Schulbub und die Kellnerin lächelte wie ein Engel.
„Alles Gute zum Geburtstag, Much.“ Sie strahlte ihn an.
„Hä? Woher weißt du, dass ich heute Geburtstag hab?“
„Ach, die spinnt“, sagte Brad und grinste, „das sagt sie zu beinahe jedem neuen Gast. Und manchmal landet sie halt einen Glückstreffer.“
„Und heute bist du das Glückskind.“ Das Mädchen beugte sich über die Bar, zog Muchs Kopf zu sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Much bestellte drei Tequila.


Winter, gestern

So war das gewesen im Herbst, so hatte er damals den Brad kennengelernt und Thiota, Brads bezaubernde Freundin. Immer öfter traf er die beiden, mindestens zweimal die Woche, meistens im Anteo und sie redeten und redeten und nach jedem Mal fühlte sich Much ein wenig mehr verstanden, ein wenig klüger und ein wenig jünger. Ein Schulterklopfen von Brad zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Brad auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
Brad vertrödelte seine Tage vorwiegend auf der Kunstakademie, aber in Wahrheit war er Dichter. Genau so hatte er sich vorgestellt, Dichter, nicht Literat oder Schriftsteller. Als ihn Much einmal fragte, ob es ein Buch von ihm gäbe, schaute ihn Brad verständnislos an und schüttelte den Kopf. Er schriebe doch für Thiota, sagte er.
Ende Dezember gab er Much erstmals ein paar seiner Gedichte zu lesen, endlich, im Anteo, wo sonst, und Much schrieb sie sich noch in derselben Nacht in sein Notizbuch ab, kaum eines länger als zehn, zwölf, höchstens fünfzehn Zeilen, und trank dann bis zur Sperrstunde mit Brad Bier und Mescal.
Am nächsten Tag ließ er die Werkstatt kurzerhand Werkstatt sein und fuhr raus aufs Land. Er lief stundenlang durch einen tiefverschneiten Wald und lernte die Gedichte auswendig. Welch vollkommene Poesie, dachte er, so rein, so erhaben, so in sich ruhend wie der Winterwald.
Much stapfte durch die Gegend wie ein Irrer. Er stapfte durch den knietiefen Schnee, sprach, flüsterte, rief die Verse in den eisigen Himmel, rang um Atem, lehnte sich an Baumstämme, blätterte in seinem Büchlein und der Schweiß rann ihm über die Stirn und gefror in seinen Augenbrauen zu glitzernden Perlen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, fühlte sich an irgendetwas erinnert, gemahnt an Gedanken und Ideen, kaum festzuhalten, die er vor dreißig Jahren weniger gedacht, als vielmehr geahnt und nie in Worte hatte fassen können. War dies das Große, das er damals gesucht, aber nicht zu benennen gewusst hatte?
Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte? Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer. Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Er schriebe nur für Thiota, hatte Brad gemeint, dieser Träumer.
Much hatte eiskalte Zehen und fröstelte. Was wusste dieser kleine Scheißkerl mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen? Konnte nicht ein Funken einen ganzen Wald in Brand setzen?
Herr im Himmel, er war doch noch nicht alt.

Es war längst dunkel, als er in die Stadt zurückfuhr, nass, verschwitzt und frierend. In der Eckkneipe neben der alten Schraubenfabrik trank er Tee mit Rum, ließ sich von Chomsky einen Sechserpack Bier geben und stiefelte dann über den verschneiten Hof zur Werkstatt. Er riss eine Dose auf, lehnte sich an das Stahltor, rauchte und starrte minutenlang in den Nachthimmel. Castor und Pollux, Prokyon, Beteigeuze und Bellatrix, Almilam, Saiph und Rigel, alle waren sie da. Nur Sirius schien hinter einem Schornstein hängen geblieben zu sein. Much warf die Kippe in den Schnee und schloss das Tor auf.
Er riss die Seiten mit den Gedichten aus seinem Buch und heftete sie an die Wand über der Werkbank, dann setzte er sich mit dem Skizzenblock davor und begann zu zeichnen. Kurz vor Mitternacht machte er sich schließlich an die Arbeit. Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von Neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.
Im Morgengrauen hatte Estinatos erstes Gedicht Gestalt angenommen.
Um zehn Uhr vormittags fuhr Much nach Hause und lag anschließend zwei Tage im Bett, mit Fieber und mit zerschundenen Händen. Am Abend des dritten Tages tauchten Brad und Thiota mit einem Topf Hühnersuppe auf, machten ihm heißen Grog und verschleppten ihn anschließend ins Anteo. Thiota hatte Geburtstag.

Brad Estinato. Der Name war Much nie ungewöhnlich erschienen, er wusste ja, dass Brads Vater Spanier gewesen war. Señor Bradorico Estinato. An dem Abend, als Brad Much von seiner Kindheit in Cartagena erzählte, lachte er dabei die meiste Zeit, grinste, gestikulierte wie ein Straßenhändler, schnitt Grimassen und starrte dann wieder minutenlang stumm in sein Bierglas. Sein Vater sei ein wohlhabender Mann gewesen, Besitzer eines Varietés, obendrein ein verdammter Mujeriego, ein Weiberheld, der die Frauen behandelt habe wie Putzfetzen, erzählte er, wie den letzten Dreck. Seine gesamte Kindheit hindurch war Brads größter Wunsch gewesen, einen anderen Vater zu haben, doch bevor er alt genug war, Bradorico Senior umzubringen, traf den der Schlag. Er starb während seiner Lieblingsbeschäftigung, als er schwitzend und rammelnd auf einer Dienstmagd oder einer Nutte, einem Esel oder einem Schaf zugange war, egal, war ja eins wie’s andere für diesen Hijo de la Chingada, und dann war er tot, mausetot. Der alte Hurenbock hatte sich schlicht zu Tode gefickt. Am selben Abend noch, er war gerade mal sechzehn, hatte Brad mit zwei Sparbüchern seines Vaters in der Tasche Spanien verlassen, war in die Heimatstadt seiner Mutter gefahren und nannte sich seit damals Brad. Brad Estinato. Ein wohlklingender Name, sonst nichts.


März, heute

Erst Pia stieß ihn mit der Nase darauf, immerhin hatte sie Latein gehabt in der Schule, nicht er. Das war zwar mehr als fünfunddreißig Jahre her, aber sie war eben ein schlaues Mädchen.
„Was soll das heißen, es gibt keine Zufälle?“ Much schüttelte genervt den Kopf. „Das ganze Leben ist eine Reihe von Zufällen. Und ich meine jetzt nicht nur mein Leben oder dein Leben, sondern das Leben an sich.“
„Ach Much, du bist so schrecklich fantasielos.“ Pia griff nach ihren Zigaretten, ohne die Tarotkarten aus den Augen zu lassen. Eine nach der anderen nahm sie vom Stapel und legte sie offen auf den Tisch, schob sie hierhin und dahin, ordnete sie nach einem rätselhaften Plan.
„Was wäre das denn für ein trostloses Leben, wenn in allem überhaupt kein Sinn steckt? Dass alles nur zufällig passiert. Nein, Much, das wäre echt traurig.“
So sehr Much seine Schwester liebte, mit ihr zu diskutieren, egal worüber, brachte ihn regelmäßig auf die Palme. Pia war klug, witzig, charmant, obendrein ungemein attraktiv, aber sie hatte eindeutig einen Dachschaden.
„Wieso traurig? Warum soll ein Wunder weniger wert sein, nur weil es nicht geplant geschieht, sondern zufällig? Ich meine, schau dir doch zum Beispiel nur mal dieses ganze Evolutionsdings an. Das ist eine einzige Aneinanderreihung von Zufällen. Also von zufälligen Fehlern halt. Und was dabei alles rausgekommen ist. Wahnsinn. Ist das etwa kein faszinierendes Wunder? Du liest die falschen Bücher, meine Liebe. Du solltest dir mal den Dawkins vornehmen.“
Was stritt er sich überhaupt mit ihr? Es war doch sowieso zwecklos. Er hätte ihr von der Sache gar nicht erst erzählen sollen, er hätte doch wissen müssen, dass sie ihm sofort wieder mit ihrem Hokuspokus käme. Mit Kraftlinien, Schwingungen, Arthur Köstler, Zahlenmagie. Es war immer dasselbe mit ihr. Herr im Himmel, diese Irre war tatsächlich seine leibliche Schwester? Blut von seinem Blute, Fleisch von seinem Fleische? Das durfte ja nicht wahr sein.
„Sag bloß, du findest nach wie vor nichts dabei, dass der Typ so einen seltsamen Namen hat. Sowas nennst du Zufall? Also wenn ich dich richtig verstehe, hat mit diesem Brad doch der ganze Schlamassel überhaupt erst angefangen.“
Sie lehnte sich im Sofa zurück und schaute ihren Bruder nachdenklich an.
„Ich sag’s dir jetzt noch einmal, Much: Brad Estinato – praedestinatus. Meinst du etwa, ich hab mir das ausgedacht? Kannst ja selbst im Pons nachschauen. Und dieser Typ läuft dir ausgerechnet im Zamboni über den Weg, wo du fünfundzwanzig Jahre lang nicht warst. Und nicht, was weiß ich, beim alten Chomsky zum Beispiel. Noch dazu an deinem Geburtstag. Das kommt dir nicht eigenartig vor?“
„Ein witziger Zufall halt.“
„Sei nicht so stur, ach was sag ich, sei nicht so dämlich. Nur weil du fünf Jahre jünger bist, brauchst du dich nicht benehmen wie ein Fünfjähriger.“
„Pia, bitte.“
„Gib mir mal das große Papier dort und einen Bleistift. Und den roten Filzschreiber.“ Sie schob die Karten zusammen und steckte sich noch eine Zigarette an.
„Du rauchst wie ein Schlot. Pia. Furchtbar.“
„Na und, du ja auch. Setz dich her.“ Sie schnappte sich den Bleistift und strich sich damit eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Also, nur damit ich das jetzt richtig verstehe: Im Herbst verschafft dir der Leo diesen Auftrag beim Henniger.“ Sie malte zwei Kreise aufs Papier, schrieb in den einen ein L, in den daneben ein H.
„Dann entpuppt sich der Henniger als unsympathischer Banause und du willst eigentlich gar nichts mit ihm zu tun haben. Und um sozusagen den Kopf aus der Schlinge zu kriegen, verlangst du diesen aberwitzigen Preis. Du vervielfachst einfach dein ursprüngliches Angebot, richtig? Und um wie viel?“
„Hab ich dir eh gesagt. Ich hab’s mit elf multipliziert.“
„Genau, mit der Elf, der kleinsten zweistelligen Primzahl.“ Pia schrieb eine fette rote Elf in die Mitte des Blattes und darunter ein seltsames Symbol.
„Weißt du, wie die alten Sumerer die Elf nannten?“
„Pia, ich bitte dich.“
„Die Sumerer rechneten mit einem Duodezimalsystem und die Elf betrachteten sie als eine Art retardierendes Moment. Die Zahl des Orion hieß sie bei ihnen, nach den elf hellsten Sternen des Himmelsjägers.“
„Mir reicht’s langsam.“
„Du hältst jetzt den Mund, kleiner Michi. Wie viele Whisky hast du mit dem Henniger damals getrunken?“
„Keine Ahnung. Vier oder fünf.“
„Wahrscheinlich fünf, auch eine Primzahl. Jedenfalls genug, dass du angeduselt warst. Noch dazu bei der Hitze an dem Tag. Und dann bist du besoffen durch die Altstadt gelatscht und prompt über das Anteo gestolpert. Bring mir mal den Brockhaus mit M. Und die Buntstifte.“
Much ging zum Bücherregal und machte auf dem Rückweg einen Abstecher in die Küche, um sich noch eine Flasche zu holen. Pia machte ihn schier verrückt.
„Ma, Maf, Mag … Majakowskij. Da haben wir ihn ja schon. … Na bitte. Ich hab’s ja gewusst. Neunzehnhundertdreißig hat sich der Vladimir aus der Welt terminiert. Das darfst du jetzt selbst ausrechnen, Brüderchen.“
„Was zum Teufel soll ich ausrechnen?“
„Na die Quersumme von Tausendneunhundertdreißig, Dummi.“
„Alles okay mit dir, Pia? Oder brauchst du einen Arzt?“
„Werd nicht frech, Kleiner.“ Sie strubbelte ihm die Haare. „Mein kleiner, zynischer Intellektueller. Hach, ich mag dich einfach.“ Sie schrieb eine Dreizehn aufs Papier, darunter neuerlich ein fremdartiges Zeichen, zog Linien, kritzelte da ein paar Wörter, dort ein paar Zahlen hin.
„Herr im Himmel, Pia, du hast echt eine Schraube locker.“
„Klappe, Much. … So, wo waren wir? Im Anteo lernst du also diesen Tagedieb kennen, diesen kleinen Hippie mit seinem närrischen Flittchen. Die beiden verdrehen dir den Kopf, dann hängst du bald nur mehr im Anteo herum. Gehst kaum mehr in die Werkstatt, benimmst dich wie ein bescheuerter Achtzehnjähriger. Midlifecrisis, oder was? Dann kommt eines Abends der Henniger zu dir, im November, richtig? Verschleppt dich ins Chez Orion, säuft dich unter den Tisch und gibt dir schließlich Zwanzigtausend bar auf die Hand, als Anzahlung, sagt er. Bis dahin hast du aber noch keinen einzigen Handgriff gemacht an dem Ding, sagst du. Und am nächsten Morgen haut’s den Henniger von seiner Dachterrasse runter. Siebenter Stock, stimmt’s? Heiliger Bimbam! Und weil das vermutlich Schwarzgeld vom Henniger war, weiß kein Mensch von dem Haufen Geld. Ist wie ein Lottotreffer. Michi, Michi.“
Während Pia sprach, hatte sie immer wieder auf dem Papier gekritzelt, weitere Kreise gezeichnet, rätselhafte Symbole gemalt, ein schwarzes Kreuz neben das H gemacht, Linien von hier nach dort, von dort nach da gezogen, gerechnet, durchgestrichen, radiert, überschrieben, übermalt. Das Blatt sah mittlerweile aus wie ein früher Basquiat. Sie blickte Much ernst an.
„Ja, mein kleiner Liebling, scheint so, als hättest du dich gehörig in die Bredouille geritten.“
„Komm, Pia, ich bitte dich, lass es gut sein. Echt. Das ist doch alles vollkommener Unsinn. Ich wollte mich doch nur ein wenig unterhalten mit dir. … So von Bruder zu Schwester. Weil ich momentan echt nimmer weiß, wo mir der Kopf steht.“
„Und das wundert dich? Seit Monaten baust du keine vernünftigen Dinge mehr, verkaufst nichts, verkriechst dich in deiner Werkstatt. Weiß der Teufel, was du dort machst. Oder treibst dich im Anteo herum. … Sag mal, Much, bist du etwa verknallt in die Kleine? Schläfst du gar mit der?“
„Machst du Witze?“
„Ich mach mir einfach Sorgen um dich. Seit gut drei Monaten lässt du mich nicht mehr in die Werkstatt. Findest du das etwa normal? Ich will dir doch nur helfen, mein kleiner Michael.“
„Verdammt, Pia, ich bin nicht mehr der kleine Michael. Ich bin kein Schulbub mehr.“
„Ist schon gut, Much. Wir schweifen ab ... praedestinatus heißt auf Deutsch vorherbestimmt, das weißt du ja jetzt. Denk mal drüber nach. Dieser Brad und das Mädchen tun dir einfach nicht gut. Das seh ich auch alles da in dem Diagramm.“
Diagramm? Ich lach mich schief. … Herrgott, Pia, das ist doch nur sinnloses Gekritzel. Und was sind schon Namen? Mein Nachbar heißt Resnik, das kommt vom tschechischen řezník, Metzger, und der Typ ist Tänzer. Und im vierten Stock wohnt ein Herr Lama, kein Witz.“
„Ja, mach dich nur lustig. Warum kommst du dann überhaupt angetanzt und jammerst mir die Ohren voll?“
„Ich wollte dich halt einfach sehen. Muss dann eh wieder weg. Muss noch in die Werkstatt.“
„Wann darf ich dich besuchen, Much? … In der Werkstatt. Ich mein’s ernst.“
„Hm, bald. … Mal sehen.“ Er beugte sich zu Pia und küsste sie.
„Mach’s gut, große Schwester. Ich liebe dich.“
Pia strich ihm zärtlich durchs Haar.
„Pass auf dich auf, Michi.“
In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.


Frühling, morgen

Seit im Februar in der Gino-Lucetti-Straße die alte Fabrik abgerissen worden war, hatte Much morgens für ein paar Minuten Sonnenstrahlen in der Werkstatt. Als er das zum ersten Mal erlebt hatte, war es ihm wie ein Wunder vorgekommen. Die Maschinen, bis dahin nur von Neonröhren beleuchtet, glänzten im goldenen Licht, die Stahlsäulen warfen nie gesehene Schatten und die Staubteilchen zeichneten Striche in die Luft.
Much hatte sich beim alten Chomsky einen Kaffee geholt und als er zurückkam, erlebte er genau diesen magischen Augenblick. Auch heute ließ ihn das Schauspiel nicht kalt. Die ölige Dreckschicht auf der Metora-Säge sah aus wie ein lebender Schimmelpilz, die Kette des Flaschenzuges schleuderte Blitze und die Eisernen Gedichte schienen sich zu bewegen, schienen zu tanzen wie Derwische. Much ging langsam um sie herum und mit jedem seiner Schritte veränderten sie ihre Gestalt, ihre zerschrammten, zerrissenen, geflämmten, verbogenen, verzogenen, verdrehten Oberflächen schillerten in allen Farben, flüsterten Worte ins Sonnenlicht, sprachen zu ihm, Much, von Sonne, von Wald, von längst Vergessenem, von Schnee, von Blut, von Ozeanen, von Träumen. Von Spanien, von Pia, von Thiota. Und als die Sonne weiterwanderte und ihre letzten Strahlen die großen Acetylengasflaschen streiften, dann immer kürzer wurden, sich zurückzogen auf den Hof, zurückkehrten in ihre helle Welt draußen, verstummten die Gedichte nicht, sondern sprachen weiter. Leise raunten sie Much zu, kaum hörbar. Much aber verstand jedes Wort. Thiota, Pia, Isa, Mona, Kathi. Anteo, May, Sophie, Hans, Emiliano, Rosa. So viele Leben, so viele Hoffnungen. So viel Mut und so viel Leid.
So viel Unbeugsamkeit und Optimismus.
Much trank den Kaffee aus und suchte Werkzeug zusammen. Er stopfte es in eine Umhängetasche, verlängerte zu guter Letzt die Schläuche des Schneidbrenners und schleppte alles in den Hof. Dreimal musste er schwer bepackt die Feuerleiter hochsteigen, um den Kram auf das Blechdach zu schaffen, dann machte er sich an die Arbeit.
Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste durch die großen Öffnungen im Dach hinauf in den Frühlingshimmel. Schließlich ging er zum alten Chomsky hinüber, um den Glaserer anzurufen.
Und danach Pia.

 

Folge 3

@ weltenläufer

weltenläufer schrieb:
wow, ist echt ein wuchtiger Text, den du hier ablieferst. Muss schon sagen, das Teil hat eine enorme Sogkraft. Das Thema Jugend und Verrat der Ideale, das finde ich echt sehr gut dargestellt. Ist ja schon oft bemüht worden, aber dank deiner Wortgewalt und deiner starken Bilder hast du dem echt was Unverbrauchtes eingehaucht. Das hat mich richtig mitgenommen. Also allein diese langen Sätze im Mittelteil, das muss man erstmal hinbekommen mit den ganzen Kommata, ohne dass es lästig wird.
Also das ist schon ein ganz großes Kompliment, weltenläufer, um nicht zu sagen, ein wuchtiges.
Und nachdem du schon am zweiten Tag nach dem Posten der Geschichte der sechste Kommy warst, der sich nicht abfällig über diese sprachlichen Amokläufe äußerte, sondern im Gegenteil sie über den grünen Klee lobte, war ich die restliche Zeit bis zur Demaskierung aber so was von entspannt. In meinem Kopf herrschte sozusagen Vorweihnachtsfriede & -freude.

EIn bisschen "lästig" hingegen fand ich den Dialog zwischen Much und seiner Schwester. Das lief mir doch zu sehr und dafür zu lange im gleichen Rhythmus ab … da würde ich noch mal ein bisschen das Muster abklopfen und auflockern.
Da sag ich dir jetzt mal ganz leidenschaftslos, dass ich diese Einwände einfach ignoriere. Zum einen, weil der Dialog mir persönlich in der jetzigen Form richtig gut gefällt, zum anderen, weil du mit deiner Kritik so ziemlich alleine dastehst. Beinahe alle anderen Kommies mochten die Szene vorbehaltlos …

Ach ja und auch die Comic-Sprache des H., da würde ich vll auch ein bisschen zurückschrauben. Ich finde das in den seltensten Fällen angebracht, ein Lachen zu wörtlich schreiben.
Ist schwierig, ich weiß. Zweimal kommt dieses Hähä in Sätzen des Henniger vor, beide Male an Stellen, wo ich es einfach zu brauchen meinte und nicht extra einen Redebegleitsatz einschieben wollte. Ist ähnlich wie Liesis gekichertes Hihi im Witwer, ich weiß echt nicht, wie man das anders lösen könnte.
Ein Patentrezept gibt’s da nicht, fürchte ich. Aber wenn es dich wirklich stört, musst du wohl warten, bis es meine Geschichten als Hörbuch gibt, gelesen von Christian Brückner, De Niros deutschem Synchronsprecher.

Vielen Dank für dein Lob, weltenläufer.


@ ernst offshore

offshore: Also diese beiden Sätze taten mir in ihrer pathetischen Banalität beinahe weh, sorry, …
Ich scheiß auf Ihre Entschuldigung, offshore.
Sie hören von meinem Anwalt.


@ JuJu (und ein bisschen @ Novak)

Also … man kann das natürlich blöd finden, dieses Jugend-Nostalgie-Ding, aber dann kann man ja alles blöd finden. Dann kann man die ganze Gefühlswelt mit Kitsch zusammenfassen und das wars.
Sehr schön gesagt, JuJu. Diese deine Sichtweise gefällt mir und sie ist auch die meine. Kitsch ist ja nur eine Frage der Definition.

ich hab die Geschichte gestern Nacht gelesen, und dann hab ich sie gleich nochmal gelesen, und ich finde sie wirklich toll. Sprachlich toll, aber nicht nur. Ich les den Schluß wie Novak, und mir gefällt das. Ich weiß nicht, ob du da was ändern musst … also für mich nicht.
Wobei ich zu bedenken gebe, dass Novak und du den Schluss nicht so gelesen habt, wie ich ihn schrieb. Auch ihr lasst den armen Much seine (eine???) Skulptur aufs Dach schleppen, was vollkommen unmöglich wäre, wenn es sich um nur eine handelte, die wöge ja hunderte Kilo. Warum habt ihr eigentlich alle überlesen, dass Much mehrere Skulpturen erschafft?

… und die Eisernen Gedichte schienen sich zu bewegen, schienen zu tanzen wie Derwische. Much ging langsam um sie herum und mit jedem seiner Schritte veränderten sie ihre Gestalt, …
Also für mich steht da eindeutig der Plural. Jedes von Freds Gedichten formt Much zu einem Kunstwerk aus Stahl. Oder macht einen die Geschichte beim Lesen wirklich dermaßen meschugge im Kopf, dass man im letzten Abschnitt dann echt schon neben den Schuhen steht?
Dann sollte ich den Schlussteil wohl wirklich noch einmal überarbeiten.
In eurem Fall ist das aber eh hinfällig, weil ihr beide letztendlich die richtigen, also die von mir intendierten Schlüsse aus dem Ende zieht. Und darum geht es ja hauptsächlich, nämlich darum, dass die Geschichte sozusagen mit einer Läuterung Muchs endet, versöhnlich und optimistisch.
Dass Much nicht nur an einer einzigen, womöglich riesigen Skulptur herumwerkt, sondern mehrere erschafft, ist mir auch deshalb wichtig, weil das einfach Muchs neue Schaffensphase darstellen soll, also sein wirklich kreatives Weitergehen und nicht das obsessive Sichverrennen in einem megalomanischen (Wahn?)-Gebilde. Much ist ja nicht verrückt, sondern höchstens ein bisschen exaltiert, und deshalb holt er sich kurzerhand die Sonne in die Werkstatt. Gibt es ein stärkeres Symbol für Wiedergeburt als die Sonne? In diesem Fall steht sie halt für Muchs schöpferische und künstlerische Wiedergeburt.

Der Text ist zweifelsohne klug, aber das ist halt ein Gefühlstext. Der ist schon cool, aber der ist auch nicht so cool und ich mag das. Also für mich funktioniert der Text auf dieser Gefühlsebene. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass dem Autor nicht viel am Text liegt. Dass da nicht viel reingeflossen ist.
Nun ja, JuJu, du scheinst mir auch einer von den harten, coolen Hunden mit den zarten Seelen zu sein. Schön.
Ich hab’s ja schon in meiner Einleitung erwähnt, dass sich viel aus meiner eigenen Lebens- und Erlebenswelt in die Geschichte gestohlen hat, so wie es mir momentan überhaupt unmöglich ist, ausschließliche Fiktion zu schreiben. Aber das kommt vielleicht auch noch irgendwann. Mal sehen.

Das Highlight ist das mit der Schwester. Weil sie ja über Primzahlen reden, und der Dialog so schon toll ist, und sie mir auch voll sympathsich ist, die Schwester,. … Also ich finde die ganze Szene rührend. Und am Ende hat die Schwester ja auch Tränen in den Augen. Was an sich schon wieder rührend ist.
Ja, ist natürlich auch meine Lieblingsszene, und womöglich spürt man das als Leser, wenn da so ein bisschen Herzblut vom Autor drinsteckt.

Basquiat find ich auch cool. So alt kannst du nicht sein, glaub ich.
Äh, wie soll ich das verstehen?
Dass man z.B. für gewisse Filme ein Mindestalter haben muss, sehe ich ja ein, aber gibt es etwa ein (ungeschriebenes) Höchstalter für Kunstbetrachtung? Also Basquiat hab ich schon immer verehrt und seit dem Herbst läuft in Wien eine große Ausstellung, und zum ersten Mal konnte ich seine Werke im Original sehen. Bist du deppat! Mittlerweile war ich dreimal dort und sicher nicht zum letzten Mal, und jedesmal, JuJu, hat‘s mir dort förmlich den Vogel rausgehaut, Spaß ohne, trotz meines beinahe biblischen Alters …

Kubus? Es muss Kubus sein. Rick vielleicht sogar?
Und als ich das las, hat’s mir auch den Vogel rausgehaut.

Vielen, vielen Dank JuJu. Du hast mir mit deinem Kommentar eine große Freude gemacht.


Fortsetzung folgt

 

Irgendwie befürchtete ich, dass ich mit diesem irren Stil am Geschmack eines Gutteils der Forumsmitglieder womöglich (vermutlich?) vorbeischreibe. Aber ich wollte es einfach wissen, wollte
einfach die Sau rauslassen, wollte so schreiben, wie ich es das letzte Mal als Siebzehnjähriger versucht hatte, kompromisslos und ohne Rücksicht auf irgendwelche literarische Konventionen, die ich damals obendrein gar nicht kannte.
Na ja, und da bot sich der Maskenball einfach an, schon alleine deshalb, weil sich da in aller Regel die wirklichen Kapazunder der Texte annehmen, und ich eben wissen wollte, was passiert, wenn man auf den Konsens, wie eine moderne Kurzgeschichte auszusehen hat, einfach pfeift. Ehrlich gesagt, und das schwöre ich bei meiner letzten Schachtel Zigaretten, rechnete ich eher mit Unverständnis und Verrissen, allerhöchstens mit ambivalenter Zustimmung, und nicht mit beinahe einhelligem Lob. Dass es dann gerade diese Textstellen waren, die bei so vielen von euch zündeten, hat mich wirklich überrascht.
Das Forum ist nicht so dogmatisch. Es wirkt nur von außen oft so, weil viele Autoren, deren Texte hier nicht gut ankommen, sich auf eine Position zurückziehen, das Forum sei rückständig und sie selbst avantgardistisch.
Es soll aber um Gottes willen deshalb keiner anfangen, sich nichts mehr zu trauen oder nur auf Nummer sicher zu gehen.

Was mir oft an Texten missfällt ist es, dass ein Autor sich überhaupt keine Gedanken um die Struktur seines Textes macht, sondern einfach jeder Idee nachgeht, die er grade hat. Dann steht er am Ende vor der Textmenge, weiß selbst nicht, wie das passiert ist, und sagt: Ist halt Kunst.
Das Forum ist insofern restriktiv und gemein, weil es die Bedürfnisse der Leser vertritt, nicht die des Autoren. Wenn es die Bedürfnisse des Autoren vertreten würde, dann würde das Forum alles durchwinken und sagen: Ja, das ausarbeiten macht mir auch keinen Spaß, ich schreib auch lieber am Stück runter, das ist schon alles gut so.
Für manche Autoren ist es oft unangenehm, dass ihre Texte von anderen gelesen werden, hab ich das Gefühl. So manchen Text kann nur der Autor selbst vollends schätzen.

So ist auch dein Text - bei allen Pluspunkten - nicht für mich als Leser geschrieben an den entscheidenden Stellen. Vielleicht solltest du dich das bei allem Lob, das du für die Form bekommst, schon fragen, in wie weit du beim Text auch die Leser im Auge behalten möchtest. Oder es gibt den Ansatz, dass die Leser gefälligst auf einen Text zugehen sollen. Das ist vielleicht wirklich eine Position, die hier im Forum nicht so präsent ist. Aber ich denke da spiegelt das Forum auch das "draußen" wieder.

Wenn du sagst: Du schreibst an "literarischen Konventionen" vorbei, das stört mich überhaupt nicht. Mich stört nur, wenn du am Leser vorbeischreibst. Die Autoren-Position: Dann soll sich der Leser halt mehr Mühe geben und ein Stück auf mich zugehen - ich kenn das auch (bei "Purpur" fand ich jahrelang die LEser seien dran schuld, bis ich den Text dann nochmal gelesen hab ...). Ich versuch als Leser auf Texte zuzugehen, aber das ist schwierig. Mal Nähkästchen, in der Hoffnung, dass es nicht arrogant klingt: Ich gehör ja mit zu so "Kritikern, deren Kommentare besonders angeschaut werden" und ich werd dann zum Teil auch angefeindet, wenn ich es nicht schaffe, auf einen Text zuzugehen. Ich bin als Leser nicht die Schlampe des Autors. Ich geh nur auf einen Text zu, wenn der mir etwas bietet. Das ist oft wie die Befreiung der Prinzessin im Märchen, hab ich das Gefühl. Dass ein Autor denkt, je schwerer die Burg bewacht ist, desto mehr Mühe wird sich der Leser schon geben und desto mehr Spaß wird er dabei schon haben.
Ein Text mit einer ablehenden Prinzessin im Oberstübchen und einem Burggraben davor - da mach ich als Leser doch nicht die Kletterarmbrust fertig, da setz ich mich aufs Pferd und dreh um.
Deshalb "funktioniert" dein Text hier so gut. Der hat einen riesen Burggraben mit Stachelfallgruben und schnappenden Krokodilen - aber die Prinzessin ist nackt und winkt beidarmig von der Veranda unter Höhensonne. Der hat natürlich viel zu bieten, um auf ihn zuzugehen. Ich bin trotzdem nicht rangekommen.

Ganz ehrlich: Ich hab den Text vor 2 Wochen gelesen, er ist mir beim Lesen auch mächtig und prächtig vorgekommen, er hat aber in mir keine Wurzeln geschlagen. Ich hab nicht mehr an ihn gedacht, die letzten Tage, da war die Distanz dann wohl zu groß.

 

Auch ihr lasst den armen Much seine (eine???) Skulptur aufs Dach schleppen, was vollkommen unmöglich wäre, wenn es sich um nur eine handelte, die wöge ja hunderte Kilo. Warum habt ihr eigentlich alle überlesen, dass Much mehrere Skulpturen erschafft?

Kann ich Dir sagen, warum das alle überlesen.
1. Ist es für die Geschichte oder das Ende oder Muchs Entwicklung, what ever, völlig wurscht, ob er jetzt ein Superdings geschaffen hat oder mehrere. Das ändert gar nix.

2. Wo steht, dass er ein Oberlicht bastelt (außer in deinem Selbstkommentar)?

Much trank den Kaffee aus und suchte Werkzeug zusammen. Er stopfte es in eine Umhängetasche, verlängerte zu guter Letzt die Schläuche des Schneidbrenners und schleppte alles in den Hof. Dreimal musste er schwer bepackt die Feuerleiter hochsteigen, um den Kram auf das Blechdach zu schaffen, dann machte er sich an die Arbeit.
Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste hinauf in den Frühlingshimmel.

Also, vorher hast du die Aufmerksamkeit auf die Kunst gelenkt. Also ist die noch präsent im Kopf. Dann klettert er hoch und arbeitet. Und das Dicke, kann man schon mal gut überlesen, weil man zu dem Zeitpunkt eh tausend Fragezeichen im Kopf hat. Der kann ja auch gut in der Tür stehen und zum Himmel grinsen. Verstehste? Da steht nix von Oberlicht ...

 
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Also, vorher hast du die Aufmerksamkeit auf die Kunst gelenkt. Also ist die noch präsent im Kopf. Dann klettert er hoch und arbeitet. Und das Dicke, kann man schon mal gut überlesen, weil man zu dem Zeitpunkt eh tausend Fragezeichen im Kopf hat. Der kann ja auch gut in der Tür stehen und zum Himmel grinsen. Verstehste? Da steht nix von Oberlicht ...
Da muss ich mich mal fix anschließen. Ich glaub Du unterschätzt, wie viel Denkarbeit ein Leser bis hierhin schon hatte. Auch weil der Plot keinem bekanntem Muster folgt, was ja an sich gut ist. Guck mal, man kommt da doch gerade mit rauchendem Schädel aus der Pia-Szene, wo man gar nicht mehr weiß, was jetzt echt und was erfunden ist. Da wäre es wie Balsam, wenn da stünde, dass Much den Brenner hochschleppt, um ein Oberlicht für seine Skulpturen zu bauen. Meinetwegen nur, dass er ein Oberlich baut, ohne den Grund. Ich kann Dein Dilemma verstehen, weil ich mich auch oft scheue, Dinge so geradeheraus anzusprechen und dadurch die Intelligenz des Lesers zu beleidigen und seine Trüffelschweinfreuden einzuschränken. Und dann hab ich die Balance zwischen Gesagtem und Ungesagtem auch oft falsch. Aber in Deinem Fall würdest Du dem Text ja gar nicht viel an seiner mystischen Aura nehmen. Denn selbst wenn man wüsste, was da genau passiert, hätte man immer noch total viel Denkmaterial, um jetzt daran rumzubasteln, warum das passiert und was das sagt. Mehr sogar, denn wenn man das mit dem Oberlicht wie ich nicht schnallt, kommt man ja gar nicht dazu, über den tieferen Sinn nachzudenken, weil man im schnöden "hä?" gefangen bleibt. Ich kann nur sagen, die Geschichte hat für mich total gewonnen, seit ich weiß, was am Ende passiert. Und trotzdem ist sie damit nicht langweilig auf- und totgeschlüsselt, sondern bleibt anregend aber eben nicht hoffnungslos-frustrierend rätselhaft.

 
Zuletzt bearbeitet:

Folge 3½

@ Quinn, fiz, Fliege

Quinn schrieb:
Was mir oft an Texten missfällt ist es, dass ein Autor sich überhaupt keine Gedanken um die Struktur seines Textes macht, sondern einfach jeder Idee nachgeht, die er grade hat. Dann steht er am Ende vor der Textmenge, weiß selbst nicht, wie das passiert ist, und sagt: Ist halt Kunst.
Jede einzelne deiner Überlegungen kann ich nachvollziehen, Quinn, und deine Bedenken meiner Geschichte gegenüber ebenso. Um ganz ehrlich zu sein, müsste ich sogar sagen, ich teile sie.
Allerdings mit der Einschränkung, dass ich mich weit davon entfernt sehe, einen hehren Kunstanspruch an meine Texte zu stellen. Dazu bin ich viel zu realistisch, auch weil ich aus einer ganz anderen Lebensecke kommend das Schreiben für mich entdeckte. Der Grund dafür, dass mir bisweilen das Augenmaß dafür fehlt, was ich den Lesern zumuten kann, ist weniger Arroganz, als vielmehr, und das soll jetzt um Himmels Willen nicht kokett klingen, meine Blauäugigkeit und Unerfahrenheit als Autor. Wohl jeder kennt es, dass man, so man sich intensiv mit einem Text beschäftigt, irgendwann jegliche Distanz dazu verliert, genau, ist eine Binsenweisheit. Aber um eben die Korrektur dieser eigenen, nahezu blinden Sichtweise geht es ja letztendlich hier im Forum, also mir zumindest, und gerade mit den Kommentaren zu dieser Geschichte kann ich unheimlich viel anfangen.

offshore schrieb:
Oder macht einen die Geschichte beim Lesen wirklich dermaßen meschugge im Kopf, dass man im letzten Abschnitt dann echt schon neben den Schuhen steht?
Dann sollte ich den Schlussteil wohl wirklich noch einmal überarbeiten.
Ich wäre von selbst nämlich echt nicht mehr draufgekommen, dass die Geschichte auf den Leser wie ein

… riesen Burggraben mit Stachelfallgruben und schnappenden Krokodilen …
wirken könnte. Einfach, weil ich zu sprachverliebt dem Trugschluss aufgesessen bin, die Schwächen des Plots hinter schönen Worten verstecken zu können.
Mal sehen, ob ich während der Feiertage Zeit finde, mich noch mal dran zu setzen.
Vielen Dank für eure vielen Hinweise.


Fortsetzung folgt

 

Folge 4

@ bernadette

bernadette schrieb:
ich habe die Geschichte schon vor Tagen durchgelesen und konnte mich nicht so recht dafür entscheiden, wie ich mit ihr umgehen soll. Mich störte etwas an ihr und ich konnte es nicht richtig deuten. Andererseits ist sie souverän geschrieben, viele tolle Sätze und Beschreibungen dabei (wenn sie nicht zu sehr redundant werden) und auch die Idee gefällt mir recht gut. Beim Drübernachdenken kam ich zu dem Schluss, dass ich die Geschichte nicht zusammenfassen konnte. Der Aufbau und die Proportionen machten mir zu schaffen, es war für mich kein durchgehend roter Faden, weil es zu viele Nebenschauplätze gibt …
… Das hört sich jetzt negativer an, als ich das meine. Aber es stört mich im Gesamtpaket doch sehr.
Ich finde es natürlich schade, bernadette, dass ausgerechnet dich der Text nicht so richtig überzeugen konnte. Andererseits ist dein Kommentar für mich ein sehr nützliches Korrektiv zu den anderen und zeigt mir einmal mehr, dass halt jeder nicht nur seine ganz persönlichen Lektürevorlieben und –abneigungen hat, sondern überhaupt eine individuelle Art der Textwahrnehmung. Und wenn man stellenweise mit der Sprache dieses Textes nicht warm wird und die Handlung obendrein einigermaßen konfus ist, tut man sich mit der Geschichte natürlich schwer. Wobei ich das Gefühl habe, dass du dir mit deiner rational-pragmatischen Sichtweise die Lektüre bisweilen selbst unnötig verleidest. Einige deiner Kritikpunkte konnte ich nämlich nicht gänzlich nachvollziehen.

Dann ist mir als Leser zu offensichtlich, dass der zweifellos sehr authentisch und gekonnt geschriebene Dialog mit seiner Schwester als kleiner Kunstgriff zum Erklären ganz vieler Umstände herhalten muss - wenn auch sehr unterhaltsam verpackt.
Das z.B. klingt für mich so, als würde es dir eigentlich eh gefallen; aber weil du als Leserin quasi unlautere Mittel des Autors zu erkennen vermeinst, wird dadurch der Text, trotz seiner Qualitäten, für dich abgewertet.

Wenn ich mich dann frage, was mir die Geschichte im Grunde erzählen will und von meiner Interpretation ausgehe, könnte ich auf einiges verzichten, was mir erzählt wird. Nicht, weil es schlecht geschrieben ist, sondern nur, weil es schmückendes Beiwerk ist, was mich ein Stückweit auch ablenkt.
Und auch das kann ich, der ich selbst obsessiver Leser bin nicht recht nachvollziehen. Weil es so puristisch klingt, fast eine bisschen nach Selbstkasteiung. („Um Himmels Willen, ich kann zu dem herrlichen Bauernspeck doch nicht Pepperoni und Gewürzgürkchen essen, die lenken mich vom Speck ab.“)
Wie gesagt, so viele Leser, so viele Arten, sich einem Text zu nähern.


Ganz schlüssig wird mir nicht, wieso das zum Glück mit dem Fahrrad ist, denn es gibt im weiteren Teil des Satzes keinen Bezug dazu. Oder wegen der warmen Luft? Hm.
Wegen der Hitze, um sich abzukühlen? Oder lediglich anstatt sich die Haare zu waschen (was in dem Zusammenhang keinen Sinn ergäbe), also von daher verstehe ich das nicht recht. Zum Umziehen hat es nicht gereicht, aber damit er nicht ganz wie ein Waldschrat aussieht, klebt er sich die Haare an den Kopf und fährt danach Fahrrad, was alles eh wieder durcheinander wirbelt? Much scheint etwas verpeilt zu sein.
Mit dem Fahrrad fährt Much, weil er spät dran und damit in der Stadt einfach am schnellsten ist. überhaupt wollte ich ihn als so einen unangepassten, etwas schlurfigen Typen darstellen, dem sowohl seine Klamotten, als auch seine Frisur egal sind.

Das ist für mich ein typischer Satz, bei dem ein Semikolon die beste Entscheidung wäre.
Keine Ahnung, woher meine Abneigung gegenüber dem Semikolon stammt. Möglicherweise von einem traumatischen Erlebnis in der Kindheit. Ich sollte wohl eine entsprechende Therapie in Erwägung ziehen.

Eigentlich passt es nicht zu Muchs restlichem Verhalten, dass er den ersten Whisky überhaupt getrunken hat.
Also wenn ich mir so anschau, was Much während der Geschichte so alles in sich hineinschüttet, scheint mir der ein rechter Schluckspecht zu sein.

ich zähle drei und kann mir nicht vorstellen, dass Much noch länger als nötig bei Henninger bleibt und somit einen vierten trinkt.
Also ich habe nicht mitgezählt, bernadette. Ich muss zugeben, dass ich in Wahrheit keine Ahnung habe, wie viel die beiden da oben gebechert haben, ich nehme mal an, der Henniger hat halt ununterbrochen nachgeschenkt.

im Begriff sein, also in dem Fall war
Ich zitiere aus dem Duden: „im Begriff[e] sein/stehen (gerade anfangen wollen, etwas zu tun: sie sind im Begriff zu gehen; ich stand im Begriff, das Haus zu verlassen)"

Nur, weil er einen normalen Auftrag annimmt oder weil er für einen Arsch mit Geld arbeitet? Da wird mir nicht ganz klar, mit was Much hadert.
Mit deiner zweiten Annahme liegst du schon richtig.

Folgender langer Absatz finde ich unnötig und bringt der Geschichte keinen Mehrwert,
Das finde ich besonders schade, ist es doch eine meiner Lieblingsstellen. Aber offenbar unterscheiden wir beide uns wirklich als Leser. Du bist die eher ökonomische Leserin, die auf Plot und stringenten Handlungsverlauf Wert legt, wohingegen mich die spannendste Geschichte nicht zu interessieren vermag, so sie mir stilistisch nicht gefällt. Umgekehrt kann ich seitenweise von alltäglichen Belanglosigkeiten lesen, wenn mir nur die Sprache nahegeht. Ich nenne als Beispiel gerne den großartigen Philippe Djian.

Diese Wiederholungen mag ich nicht.
Gerade in diesem Text habe ich die vielen Wiederholungen ganz bewusst als Stilmittel eingesetzt, klar, ist Geschmackssache.

aber müsste er sie nicht hinter die Ohren streichen, wenn sie denn schon so lange sind?
Äh, versteh ich nicht.

ausgeblichenem (oder ist das regional verschieden?)
Wir in Wien sagen ausgebleicht, äh, also ich zumindest. Der Duden kennt und erlaubt beide Varianten.

ihrem silbernen Ohrschmuck (seinem hört sich komisch an)
Zu dem leidigen Thema Genus des Mädchens hab ich mich vorgestern ausführlich in einem Blogbeitrag geäußert.

Das ist mir zu pathetisch. Da ich die Gedichte selber nicht zu lesen bekomme (oder wenigstens eines) fühle ich mich hier als Leser außen vor und kann dem nicht nachfühlen.
Die Kritik kann ich zwar nachvollziehen, allerdings gefiel gerade diese Stelle anderen Kommies besonders gut, so dass ich deinen Einwand leichten Herzens übergehe.

Folgender Absatz ist wiederum für mich ein Riss im Teig - und unnötig für die Geschichte.
Fred Estinato. Der Name war Much nie ungewöhnlich erschienen, er wusste ja, dass Freds Vater Spanier gewesen war [...] Fred Estinato. Ein wohlklingender Name, sonst nichts.
Ich hab’s ja schon erwähnt, dass an dieser Stelle mir die Geschichte vollkommen aus dem Ruder zu laufen drohte. Da ging es über beinahe 1000 Wörter nur mehr um Freds Familie in Spanien, und ich musste mich fragen, wer verdammt noch mal ist nun die Hauptfigur, Much oder Fred? Ganz kippen wollte ich die Szene allerdings auch nicht, weil sie möglicherweise Freds Suche nach einer Vaterfigur erklären könnte.

Dieses Echauffieren ist mir zu theatralisch. Much kennt seine Schwester ja schon einige Jahrzehnte und dann wundert er sich noch so über sie?
Sind halt beide etwas exaltierte Personen.

Das verstehe ich nicht. Wenn Henninger tot ist, hat Much die Kohle. Ist doch prima.
Ich meinte, dass Pia sich Sorgen macht, weil sie Muchs bisher geregeltes und seriöses Berufsleben den Bach runtergehen sieht. Und sie macht eben seine Bekanntschaft mit Fred und Thiota dafür verantwortlich, bzw. die Vorsehung …

Wenn jemand was verkauft, macht er also noch anderes als Auftragsarbeiten.
Wieso? Much wird beauftragt, Dinge zu entwerfen und zu fertigen. Dann verkauft er sie, im Sinne von: er bekommt Geld dafür. Aber jetzt begeben wir uns, glaub ich, auf das rutschige Parkett der Haarspalterei.

In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.
Huch, ist das kitschig.
Nicht wahr? Mir gefällt es auch …

Die Umsetzung der Gedichte in die Muchsche Stahl-Interpretation ist mehr als ein eisernes Gedicht. Für das, was ich als Leser da hereininterpretiert habe, ist das fast wie eine kalte Dusche, wenn das so genannt wird. Da fände ich eine Umschreibung, wenn ein dem Vorgang/dem Ergebnis adäquates Wort fehlt, besser.
Die Skulpturen sollten auch gar nicht beschrieben werden. „Die Eisernen Gedichte“ ist einfach Muchs Bezeichnung, bzw. Arbeitstitel für die Dinger.

mir ist das rüber etwas zu umgangssprachlich im restlichen Wortgebrauch.
Da muss ich dir beipflichten, werde ich ändern.

Zu offshore könnte das Genre passen, aber ich bin mir da sehr unsicher, ob er das von seinem bisherigen Niveau her stemmen könnte.
Du hörst von meinem Anwalt, bernadette.

Nein, im Ernst jetzt, ich finde es toll, wie intensiv du dich mit der Geschichte auseinander gesetzt hast. Mal sehen, ob ich mit meiner nächsten deinen Geschmack besser treffen kann.
Vielen, vielen Dank, bernadette.


@ Ane

mir hat der erste Teil sehr gut gefallen. Es hat einfach Spaß gemacht, das zu lesen.
Und damit, Ane, hat die Geschichte ja schon mal was erreicht bei dir. Und das Schicksal, dass sie sich dir nicht zur Gänze entschlüsselt hat, teilst du immerhin mit mehreren anderen. Aber ich habe ohnehin vor, mich vor allem mit dem Schluss noch einmal ernsthaft zu beschäftigen.

dass Henniger ihn auf der Stelle hochkant rausschmeißen müsste.
bzw. dein Vorschlag: hätte rausschmeißen müssen.
An der Stelle hab ich viel mit verschiedenen Zeitformen herumprobiert und glaube nach wie vor, dass meine Variante halbwegs richtig ist. Der Vorgang des Rausschmeißens findet ja nicht gleichzeitig mit Muchs Angebot und vor allem aber nicht tatsächlich statt, sondern Much hofft ja nur, dass es passieren würde. Im Moment seines Nachdenkens darüber liegt der eventuelle Vorgang noch in der Zukunft. Äh, weißt du, was ich meine, Ane? Also ehrlich gesagt bin ich mir nach wie vor unsicher, wie es richtig heißen müsste.

Das hat mich irritiert, weil es doch gar nie um das Sacco ging, vorher und nachher auch nicht.
Nun ja, das Sacco war eben genau so eine Underground-Kneipe wie das Anteo, und beide sind in Muchs Jugenderinnerungen präsent. Das Sacco gibt es nun aber nicht mehr, Much hat irgendwann davon gehört. Damit wollte ich wohl ausdrücken, wie lange er schon nicht mehr in diesem Stadtviertel war. Glaub ich zumindest.

Hier stehe ich voll-kommen auf dem Schlauch. Später wird der Name mit vorherbestimmt übersetzt.
Warum macht sich die Schwester eigentlich soviel Mühe, um ihm lediglich zu beweisen, dass etwas vorherbestimmt, also unabänderlich ist - unabhängig davon ob es jetzt gut oder schlecht genannt wird?
Ich weiß, Ane, in einer ganz wesentlichen Szene der Geschichte steckt ein gewaltiger Logikfehler. Ich weiß noch nicht, ob und wie ich den jemals rauskriege. Jedesmal wenn ich darüber nachdenke, beginnt sich mein Hirn einzuringeln.

Sehr gerne hab ich's trotzdem gelesen.

Vielen Dank, Ane.


@ rehla

ich bin ziemlich neu hier und hätte mich aus diesem Grund auch noch nicht an einen Kommentar zu einer eurer immer sehr hochklassigen Maskenballgeschichten herangetraut, wenn ich nicht genau diesen Text von jemandem empfohlen bekommen hätte.
Na ja, rehla, empfohlen im Sinne von empfohlen hab ich dir die Geschichte eigentlich nicht, das wäre ja unlautere Eigenwerbung gewesen, ich hab dich lediglich gefragt, ob du sie schon gelesen hättest.
Wie auch immer, es freut mich dass du deine Schwellenangst überwunden hast.

…und mir dann gedacht: Scheiß drauf, jetzt kannst du sie kommentieren auch gleich, kennt dich ja eh niemand.
Sowas gefällt mir, das ist die richtige Einstellung. Ich selbst habe als Forumsneuling sehr lange gebraucht, mir dieses Selbstbewusstsein im Umgang mit den „Profis“ zu erarbeiten.

Für mich war es aber gar nicht relevant, ob ich den Text auch wirklich und vollkommen verstehe, ich mochte hauptsächlich die Idee des Autors, den Protagonisten die Gedichte in ein handwerkliches Kunstwerk zu verwandeln. Man spricht ja immer von sprachlicher Gewalt, wenn einen ein Text auf dieser Ebene besonders beeindruckt. Und diese Symbolik, die sprachliche Gewalt der Worte, tatsächlich lebendig werden zu lassen, das finde ich wirklich toll.
Also mit deiner Fähigkeit, Texte zu reflektieren brauchst du dich wirklich nicht verstecken, rehla. Mir gefällt ungemein, was du zu meiner Geschichte zu sagen hast. Und wie du das ausdrückst.

Wie auch immer, mich hat die Geschichte glücklich und zufrieden zurückgelassen. Und das Wort Sprachgewalt für mich neu definiert.
Und mit solchen Sätzen, rehla, lässt du mich glücklich und zufrieden zurück. Vielen, vielen Dank.


Fortsetzung folgt

 

Hallo ernst,

ich schreibe mal so mit, was mir im Text auffällt.

Angefangen hatte alles mit Henniger. Also eigentlich mit Leo, der dem Henniger eine Dachwohnung geplant hatte und irgendwann im Sommer Much anrief.
ach da sind sie wieder, die schönen Namen; Henninger und Much gefallen mir. Henninger, weil ich mir einen Henninger irgendwie sofort vorstellen kann, und Much, weil ich noch nie von einem gehört habe, der so heißt; ich muss mir ständig auf die Finger hauen, und meinem Kopf beim Lesen sagen: Nein! Das heißt nicht much (engl.), aber trotzdem gefällt mir der Name.

Der Fahrtwind blies durch die Löcher der Arbeitshose, das offene Hemd flatterte, und Much genoss die warme Luft. Die Haare hatte er in der Werkstatt lediglich nass gemacht und hinter die Ohren gestrichen und seit einer Woche hatte er sich nicht rasiert. Es war sein neunundvierzigster Geburtstag und er fühlte sich gut.
ich kann ihn mir gut vorstellen.

Henniger, ein korpulenter Mittdreißiger, hatte ihm in Morgenmantel und Socken geöffnet und sich grinsend für seinen Aufzug entschuldigt. Er sei bis vier Uhr morgens im Puff gewesen und noch immer fix und fertig, erzählte er ungefragt, er hätte sich die Seele aus dem Leib gevögelt, es diesen Schlampen so richtig besorgt und sein Dings fühle sich an, als sei es in einen Gartenhäcksler geraten. Er schlug Much auf die Schulter und bellte ein dreckiges Lachen. Kaffee bot er ihm nicht an, stattdessen füllte er zwei Gläser mit Whisky, auch das ungefragt.
auch den kann ich mir richtig gut vorstellen.

Er warf Perlen vor die Säue, das war ihm klar
Haha, da musste ich echt lachen, geile Metapher!

„Ist gekauft, mein lieber Pander, nullo Problemo, ich hab’s ja. Sind Peanuts, hähä.
nullo Problemo, und dann sind es auch noch Peanuts, ist ganz schön dick aufgetragen; weiß gerade auch nicht, was ich davon halten soll, vllt entwickelt sich der Henninger so, dass es sich für mich schlüssig anfühlen wird, so im Nachhinein.

Also bis hierhin läuft die Story; Prots kann ich mir gut vorstellen, und der Grundkonflikt zwischen den beiden macht die Sache interessant.

Gleichzeitig bemühte er sich, nur an das Bier zu denken, und noch nicht daran, dass er wieder einmal im Begriffe stand, seine Seele zu verkaufen, seine Ideale zu verraten, all die großartigen Ansprüche an sich mit Füßen zu treten. Wieder einmal …
Mhm; ich bin ein Freund von szenischem Erklären. Die Stelle hier passt schon gut in den Erzählton, ist schon okay, dass die Info so übermittelt wird, aber in einer Szene hätte es mir wohl besser gefallen.
Vllt hätte ich nach Seele verkaufen den Punkt gesetzt, nämlich dass er ein idealistischer Freigeist ist, und lieber den Auftrag nicht bekommt, als mit einem wie Henninger arbeiten zu müssen, kam schon in der Szene zuvor heraus. Nur so ein Gedanke.

Mit zwanzig hatte er sich hier in diesem Viertel der Stadt, wo sich jetzt Boutique an Café, Café an Bar reihte, nächtelang herumgetrieben, war im Anteo herumgehangen oder im Sacco & Vanzetti, ein paar Gassen weiter, nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem,
Dieser Absatz hat mir ziemlich gut gefallen, der junge Much ist mir sympathisch

An den alten Virnich konnte er sich noch erinnern, seinen Nachbarn, wie er durch die halboffene Tür herausgespäht hatte, im Pyjama, und ihn, Much, hämisch angrinste und dann, als er, Much, schließlich aufgab, endgültig kapitulierte, sich verloren gab, sich totstellte, gar tot war, er, Much Pander, gestorben, zumindest sich so fühlend als ob, und er, der alte Virnich, den Polizisten nachher womöglich, wahrscheinlich, ziemlich sicher, garantiert Kaffee und Kuchen angeboten hatte, der alte Haudegen mit dem Blut Unschuldiger an seinen Händen, ihm, Much Pander, zu Fleiß …
ist ein interessanter Kunstgriff, da ständig die Perspektive zu ändern, aber beim Lesen war es etwas anstrengend, das führte etwas vom schönen Erzählton weg, dem man ohne große Anstrengung folgen konnte; kann sein, dass das beabsichtigt war, so eine Gedankenspirale?

„Alles Gute zum Geburtstag, Much.“ Sie strahlte ihn an.
„Hä? Woher weißt du, dass ich heute Geburtstag hab?“
„Ach, die spinnt“, sagte Fred und grinste, „das sagt sie zu beinahe jedem neuen Gast. Und manchmal landet sie halt einen Glückstreffer.“
Mann, solche Charaktereigenschaften zu beobachten bzw. sie für Figuren anzuwenden sind schon große klasse, ich finde, das ist eine der schwierigsten Sachen beim Schreiben. Die charakterisieren und individualisieren super, brechen das Stereotyp der alternativen Barkeeperin; gefällt mir sehr gut!

Winter, gestern
die Zeiteinteilung gefällt mir; dass Winter gestern war, finde ich irgendwie originell.

vollkommene Poesie, so rein, so erhaben, so in sich ruhend wie der Winterwald.
toller Vergleich!

Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte? Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer.
Der muss es dem alten Much ja echt angetan haben :D

Was wusste dieser kleine Scheißkerl mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen?
Das Unterstrichene könntest du theoretisch raus streichen; wird schon vorher erwähnt, und lässt den Text etwas im Kreis laufen, finde ich

kämpfte wie ein Berserker.
Berserker? Sagt mir jetzt nichts ...

Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.
Im Morgengrauen hatte Estinatos erstes Gedicht Gestalt angenommen.
Oh Mann, jetzt wird mir erst klar, dass Much ein Skulpturkünstler ist ... ich weiß nicht, ob ich einfach auf dem Schlauch gestanden war, oder ob das erst jetzt ersichtlich werden sollte. Aber aus irgendeinem Grund war ich der Meinung, er sei der Architekt für irgendein Projekt vom Henninger; das mit der Skulptur leuchtet mir erst jetzt ein. Aber okay, im Nachhinein ist das eigentlich echt ersichtlich, liegt wohl an mir.

Was mir an dieser Stelle beim Lesen auffällt, ist, dass ich den Konflikt zwischen dem Henninger und Much irgendwie vermisse - der gab so einen guten Grundkonflikt, und jetzt entwickelt sich der Text eher in Richtung: "Wie ich es geschafft habe, diese Skulptur zu bauen", als "Henninger, der fiese Auftraggeber"; aber mal sehen, wie es sich weiterentwickelt. Nur so eine Zwischenbilanz.

„Du rauchst wie ein Schlot. Pia.
Das dachte ich mir auch gerade, verdammt, wird da viel geraucht :D

„Was soll das heißen, es gibt keine Zufälle?“ Much schüttelte genervt den Kopf. „Das ganze Leben ist eine Reihe von Zufällen. Und ich meine jetzt nicht nur mein Leben oder dein Leben, sondern das Leben an sich.“
„Ach Much, du bist so schrecklich fantasielos.“
Ja, verrückt. Jetzt geht es tatsächlich nochmal in die Richtung Zufälle. Der nächste Absatz erinnert mich an die eine Story, die du mal darüber geschrieben hast.

„Mach’s gut, große Schwester. Ich liebe dich.“
Pia strich ihm zärtlich durchs Haar.
„Pass auf dich auf, Michi.“
In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.
Ah okay. Die ganze Henninger-Story war praktisch das Vorgeplänkel zur wie-ich-die-zwei-Hippies-kennenlernte-Geschichte; und die haben ihm irgendwie den Kopf verdreht.

Jo, also ich bin noch recht unentschlossen, besser gesagt: überfahren von der Story; das ist nicht negativ gemeint, ich musste mich nur gerade echt sammeln, um da irgendeine Art von Urteil bilden zu können.
Also zuerst möchte ich dir echt meine Glückwünsche aussprechen; ich habe das Gefühl, dass da bei dir ein Knoten geplatzt ist - ich und viele andere hatten ja immer angeprangert, dass deine Texte zu kurz sind, gute Einleitungen, aber nicht mehr; jetzt hast du es geschafft, mit einer interessanten Figur zwanzig Seiten zu füllen. Und ich muss dir sagen: die zwanzig Seiten gingen verdammt schnell rum. Ehrlich - dein Schreibstil ist ziemlich angenehm, ich war überrascht, als das Ende schon vor mir stand. Großes Lob dafür!
Beim Inhaltlichen bin ich etwas zwiegespalten; die Figuren zeichnest du sehr schön, auch mit tollen Eigenheiten, allen voran natürlich Much, ein sypmathischer Freigeist im mittleren Alter, der durch einen Auftrag von einem Geldproleten zwei Hippies kennenlernt, die ihn irgendwie zurück in seine Jugend ziehen, und dann gibt es da noch die Esoterik-Schwester, die das alles irgendwie zu einem Sinn ordnen will, und den Tod des Henningers deuten will ... aber irgendwie habe ich das nicht ganz begriffen, fürchte ich. Versucht sie, ihm zu erklären, dass er die Anzahlung behalten soll, weil es vorherbestimmt war? Irgendwie habe ich den vorletzten Absatz mit der Schwester echt nicht so begriffen, vllt hast du das in vorigen Kommentaren schon erklärt, muss ich dann mal nachsehen; schwierig. Ja, schwierig, weil du viele verschiedene Sachen anschneidest; der Grundkonflikt zwischen Henninger und Much hätte mir auch für eine gute und spannende Geschichte getaugt, ich hätte es auch total interessant gefunden, wenn, nachdem Much die Hippies kennengelernt hat, er sich in das Mädchen verliebt, und da der Grundkonflikt herrscht ... oder der Grundkonflikt heißt: kann ich die zwanzigtausend behalten?
Ich habe neulich gelesen, eine gute Geschichte ist eine, die eine Grundprämisse zeigt: sowas wie sich selbst treu bleiben führt zu Reichtum oder wenn man im mittleren Alter Probleme mit dem Job hat, flüchtet man sich zurück zu Jugendlieben; irgendeine Art Pointe, eine Charakterentwicklung der Protagonisten, die sie erfahren, nachdem sie ein Hindernis überwunden haben. Ich habe auch das Gefühl, dass Much sich zum Schluss verändert hat, dass da etwas mit ihm geschehen ist, und ich kann dir sagen, dass ich die Story irgendwie sehr gerne gelesen habe, einfach auch, weil ich die Figuren sehr interessant fand; aber diese Prämisse habe ich irgendwie nicht zu fassen gekriegt, der rote Faden der Story wackelte in meinen Augen mal von "böser Geldprolet" hin zu den Hippies und dann wird der Tod Henningers nur am Rande erwähnt, und die Pointe ... ich glaube, die habe ich nicht so richtig gekriegt. Vllt muss ich nochmal drüberlesen. Aber wie gesagt; trotzdem irgendwie echt gerne gelesen. Ich habe das Gefühl, du hast dich weiterentwickelt, allein auch aus dem Aspekt heraus, dass du eine Geschichte mal in die Länge gebracht hast, ohne dass sie langweilig wird. Mann, jetzt habe ich aber viel geschwafelt. Ich hoffe, du kannst irgendwas davon mitnehmen. Soviel auf jeden Fall zu meinem ersten Leseneindruck.

Grüße nach Wien!

 

Hallo,
der Frühlingsmuch war nach T. Anins Alpsee die andere Geschichte die mir aus meiner erzwungenen Zeit als reiner Beobachter besonders in Erinnerung geblieben ist. Es ist natürlich auch viel einfacher etwas Nettes zu schreiben, als einen Verriss, daher will ich mir meinen Wiedereinstieg jetzt leicht machen.
Herr offshore, das ist schon Wahnsinn was du hier ablieferst. Ein wirklich kluges und emotionales Stück ist das, mit spannenden, literarisch hochwertigen Konflikten, und die Sprache ist einfach brilliant. Diese endlosen Nebensätze wie sie ineinandergreifen und damit so vielschichtige Bilder, Gedanken, Gefühle und Erkenntnisse kombinieren, dabei so originell und ausgewogen sind, da ist mir an einigen Stellen die Luft weggeblieben.
Da ist schon eine Menge zu der Geschichte gesagt worden, soviel, dass ich es nicht mehr alles lesen konnte, und ich fürchte, dass du von mir nicht viel neues hören wirst. Auch will ich mir, ehrlich gesagt, nicht das Lesevergnügen das ich soeben noch einmal gehabt habe, durch die Analysetätigkeit vermiesen. So viele weise Sachen fallen mir vor allem gar nicht ein und ich fürchte ich bin auch ein lausiger Kritiker. Nur als ich die letzten Zeilen las, musste ich kurz die Stirn runzeln, aber eigentlich vor allem aus dem Wunsch heraus, dass es irgendwie weitergeht. Keine Ahnung was Much da auf dem Dach machen will, aber das hätte ich gerne erfahren, und dabei mehr von diesem unheimlich symphatischen Erzählton genossen.
Ich habe deine anderen Geschichten gelesen, zum größten Teil, meine ich jedenfalls, und, ich hoffe das klingt jetzt nicht irgendwie anmaßend, ich finde diese hier so drei-vier Ebenen drüber. Habe auf jeden Fall einen großen Respekt vor dieser Leistung, und das ist ein Text wo ich auch für mich als Autor einiges mitnehmen kann.
Ah ja, wie ich sehe, hast du was übrig für Anarchisten. Falls von Interesse und dir noch nicht bekannt, empfehle ich dir sehr die Beschäftigung mit Nestor Machno. Eine sehr beeindruckende Persönlichkeit, einer, der es mal richtig durchgezogen hat mit der Anarchie. Habe da viel auf Russisch über ihn gelesen und auch was gesehen, ich hoffe da gibt es auch was auf Deutsch.
Na ja, das jetzt nur an Rande. Vielen Dank auf jeden Fall für diesen tollen Text.
lg, randundband

 
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@ von f wie fiz bis Z wie zigga

Verzeiht mir bitte meine ans Unhöfliche grenzende Reaktionszeit. Allerdings haben sich in den letzten Tagen meine Prioritäten etwas verschoben. Aber sobald ich wieder die Schuhe anhabe, neben denen ich momentan meterweit stehe, kümmere ich mich wieder um euch, spätestens in ein paar Tagen, versprochen.

Möge 2014 so toll weitergehen, wie es begonnen hat.

 

Folge 5

Eigentlich hatte ich vor, die ausständigen Antworten an euch, markus, Fliege, fiz, in einer zusammenzufassen, sie sozusagen in einen Topf zu werfen und ordentlich umzurühren, nicht nur, weil euer Lob, ach was sag ich, euer riesiges, euer enthusiastisches, euer mich beinahe schwindlig machendes Lob, überwiegend übereinstimmte und sich nur in winzigen Nuancen unterschied, sondern, auch wenn das jetzt ignorant klingt, nach der wochenlangen, so intensiven Beschäftigung mit der Geschichte mir das Ding momentan echt schon zum Hals heraushängt, kein Witz. Als ich nun während der Feiertage eure Kommentare noch einmal las, dachte ich mir allerdings, dass es einfach undankbar wäre, auf die viele Mühe, die vielen Gedanken, die viele Sympathie, die ihr da hineingesteckt habt, nicht angemessen zu reagieren. Und obendrein haben sich jetzt ja auch noch zigga und randundband zur Gratulantenschar hinzugesellt.
Also will ich mir noch einmal die Ärmel hochkrempeln.

@ markus

markus schrieb:
Fand ich gut! … Fand ich witzig! … HAMMER! … Richtig gut, ich muss da vieles rausschreiben, weil da echt viele gute Sachen drin sind! … Das ist überhaupt einer der geilsten Sätze in dem Text! … Herrlich! … Sehr schön! …ABSOLUTER HAMMER! … Auch sehr gut … Boah, einfach gut geschrieben! … So etwas nenne ich FLOW … Einfach sympathisch dein Stil! … Ein sehr beeindruckendes Stück … Ich bin schwer beeindruckt und freue mich gerade, dass wir Menschen hier im Forum haben, die zu solchen Sätzen fähig sind, ehrlich, das ist High End! … Hinter der Maske versteckt sich jemand, der es sprachgewaltig hinter den Ohren hat.

markus, markus!
Erinnerst du dich? Im März letzten Jahres schrieb ich dir unter deiner Geschichte Eigentlich egalangesichts deines Schreibniveaus müssten sich alte Säcke wie ich schön langsam warm anziehen und sich die Pudelhaube gehörig über die Ohren ziehen.“ Und dann schreibst ausgerechnet du so was unter einer Geschichte von mir! Altersmäßig trennen uns zwar mehr als drei Jahrzehnte, trotzdem scheinst du mir ein Seelenverwandter, einer dieser verrückten, sprach-und stilverliebten Träumer zu sein. Als ich deinen Kommentar hier las, hatte ich das Gefühl, ich hätte die Much-Geschichte ausschließlich und speziell für dich geschrieben, ja, ich finde es einfach toll, wie sehr sie dich packen konnte und wie sehr du dich auf sie eingelassen hast.
Überhaupt bewundere ich jedesmal wieder, wie genau und analytisch du Texte zu lesen imstande bist, deine Fähigkeit, selbst kleinste Detail zu hinterfragen, Verstecktes zu entdecken.
Wobei ja gerade diese Geschichte, das sag ich jetzt ganz unbescheiden, mal abgesehen von den augenfälligen Hinweisen auf verschiedene Anarchisten und linke Kultfiguren, einiges zu bieten hat. Die Namen Much und Leo z.B. sind eine dezente Hommage an einen meiner Lieblingsschriftsteller, Michael Köhlmeier. In einem seiner Bücher (wirklich lesenswert: Spielplatz der Helden) heißen zwei Protagonisten eben Much und Leo. Und Muchs Nachname Pander ist eine Verballhornung von Panda, dem entzückenden, vegetarischen Bären und dem Raubtier Panther. Peter Panter war obendrein eines der Pseudonyme des sozialistischen, pazifistischen und antimilitaristischen Publizisten Kurt Tucholsky, unter dem er zur Zeit der Weimarer Republik seine bissigen, gesellschaftskritischen Satiren in der Weltbühne veröffentlichte. An einer anderen Stelle wiederum stand „es war heiß wie in Macondo“, usw., viel von diesem Quatsch hab ich dann allerdings wieder rausgeschmissen, weil ich mir die Sachen für ein eventuelles Projekt aufheben wollte, nämlich eine Rätselgeschichte für Literatur-Connaisseurs und notorische Vielleser. Und gut war’s, weil es mir tatsächlich gestern gelang, diese Idee für teures Geld dem joe offshore zu verscherbeln. Der Blödmann glaubt wohl, sie in seinem bescheuerten Blog verwenden zu können.

Dann hast du auch wieder ein paar Formulierungen beanstandet, darauf will ich im Detail jetzt aber gar nicht so eingehen, zum einen, weil es sich um deine – durchaus legitime – Einzelmeinung handelt, zum anderen, weil ich nach wie vor das Gefühl habe, nicht ein einziges Wort, nicht ein einziges Komma steht zufällig, bzw. von mir nicht mindestens fünfmal hinterfragt an seinem Platz im Text. Diese Hybris maße ich mir jetzt einfach einmal an.
Nur auf ein paar Stellen will ich eingehen:

So ihn nicht vorher der Schlag träfe, diesen Fettwanst.
Da stimmt etwas nicht.
Wieso nicht? Abgesehen davon, dass er eine Ellipse ist und man statt so auch sofern schreiben könnte, ist für mich nichts Fragwürdiges an dem Satz.

Mir kam das "entwarfen Strategien" irgendwie unnötig vor, so als hättest du das nachträglich rein geschoben - damit es halt drei Sachen sind.
Ehrlich gesagt ging es mir da um den Reim zu Utopien.

Ein Schulterklopfen von Fred zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Fred auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
Ich mag, das sich die Dinge in ihrer gefühlten Bedeutung unterscheiden, dass das einmal ausgesprochen wird, dass sich ein Text so etwas auch traut, aber hier scheint mir das Zählen wieder zu berechnend, was zählt er da überhaupt, wie kann ein Lächeln eine Stunde zählen, ist es das Glücksgefühl oder würde er eine Stunde seines Lebens zahlen, um dieses Lächeln noch einmal sehen zu können?
Das Zählen bezieht sich auf den vorhergehenden Satz:

… und nach jedem Mal fühlte sich Much ein wenig mehr verstanden, ein wenig klüger und ein wenig jünger.
Wird Much von Thiota z.B. angelächelt, fühlt er sich um eine Stunde jünger, usw.

Kann er nicht vorher auch Sterne benennen? Ich finde die Stelle grad nicht, aber da scheint er sich auch ein bisschen mit den Dingen beschäftigt zu haben. Könnte ein Widerspruch sein, oder auch einfach eine Nebenwirkung aus der Beziehung zu seiner Schwester, Pia.
Ein Widerspruch wäre es nur dann, wenn man Astrologie mit Astronomie gleichsetzte, und das erschiene mir ähnlich fragwürdig, wie z.B. Religiosität bzw. esoterischen Unfug, was ja im Grunde dasselbe ist, als rational zu bezeichnen.

Nun ja, und was den etwas undurchsichtigen Schluss betrifft: Den will ich wirklich, allerdings nach einer angemessenen Much-Abstinenz, noch einmal überarbeiten. Ist eine Arbeit für den Frühling …

Noch einmal, markus, was für ein unpackbarer Kommentar!
Vielen, vielen Dank.

Fortsetzung folgt

 
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Folge 6

@ Fliege

Irgendwie sucht er sich ja in der Vergangenheit, sprich Jugend. Also, diese Nichtakzeptanz des Alters ist für mich schon das zentrale Thema und das Ende dann doch ein Ankommen, nicht mehr die Gedichte des Jungen, sondern seine Kunst strahlt, da wird aus der dunklen Werkstatt ein Ort, in den die Sonne scheint und er bricht aus, öffnet Werkstatt und auch sich selbst, …
… Sind ja auch nicht mehr die Gedichte, von denen ein Zauber ausgeht, sondern von seinem Kunstdings, seinem Werk, nicht mehr das eines anderen. Wenn auch die Gedichte ihn inspiriert haben mögen, geschaffen hat er es jetzt. Also, für mich stellt das Ende ein Ankommen da, ein Befreiung, ein Loslassen, ein gutes Ende für Much.
Also dass du das auch ohne Erklärungen von mir so gelesen und verstanden hast, finde ich toll, Fliege. Es war zwar nicht die ursprüngliche Prämisse des Textes, aber irgendwie driftete der während des Schreibens halt immer mehr in diese Ecke. Da saß dem Much vermutlich der Autor zu sehr im Nacken.
Das ist ja eine wirklich schwere Kiste, die so manchem, zugegeben nicht allen, auf den Schultern lastet, diese Diskrepanz zwischen dem gefühlten und dem wahren Alter, ich spür die ja selbst, vermehrt seit ich meinen ersten Sohn, diesen kleinen Scheißer, nun als eigentlich Erwachsenen betrachten muss. Und mir fehlt einfach noch die Abgeklärtheit (die Altersweisheit?), um mit dem Umstand, dass ich z.B. beim Armdrücken seit einem halben Jahr keine Chance mehr gegen ihn habe, ganz entspannt umzugehen und das als biologische Selbstverständlichkeit zu akzeptieren. Also möglicherweise ist der Much aus der Geschichte mir da schon einen Schritt voraus, er will nicht die erloschene Fackel seiner Jugend noch einmal aufheben um sie neuerlich zu entzünden, sondern begreift sich einfach in einem neuen, nicht minder spannenden Lebensabschnitt. Er versucht, sein Leiden an der Welt, das ihn offenbar sein Leben lang begleitet hat, durch Kunstwerke zu sublimieren. (Jessas, offshore versucht sich in Tiefenpsychologie …)
Und jetzt könnte man natürlich endlos darüber spekulieren, was der Handwerker Much bis dahin gemacht hat, ob das nicht ebenso Kunst war, vor allem im Hinblick darauf, dass es diese Unterscheidung von Kunst und Handwerk ja eigentlich erst seit der Frührenaissance gibt. Früher war alles Handwerk, bzw. war jeder Schuster und jeder Steinmetz ein Künstler, blablabla …
Verdammt, jetzt erkläre ich mir meine eigene Geschichte …

Die Schwester ist schon geil. Und was mir an diesem Teil gefallen hat, wie da Blödsinn und Ernst gemischt werden, Albernheiten und doch bittere Realität, denn die ganzen Kringel und Zahlen und Dingsbums, da steckt schon ein Haufen Kritik am Brüderchen drin. Und auch Liebe, denn Pia will ja helfen. Was Much dann am Ende auf seinen Weg zurückbringt, weiß ich zwar nicht so genau, vielleicht genau das, nicht was Pia da tut, sondern weil sie es tut.
Übrigens mag ich Pia als Figur super gern, die ist wunderbar irre. Also sympathisch irre.
Na klar zwinkert dieses Gespräch gehörig mit den Augen, diese ganze Dialogszene hab ich ja beinahe unverändert aus einer frühen Fassung übernommen, als ich noch vorhatte, eine Groteske zu schreiben.
Schön, dass sie trotzdem so vielen gefallen hat.

… passt mir dieser Satz so gar nicht dazwischen:
„Ja, mein kleiner Liebling, scheint so, als hättest du dich gehörig in die Bredouille geritten.“
Oder meint Pia damit die Einbahnstraße, in die er eingebogen ist? Dann ist ja mal gut, dass da bald mal die Sonne rauskommt und ihm in seine dunkle Kammer leuchtet.
In Wahrheit ist Pia ja trotz ihrer Plemplemheit eigentlich die Rationalere der beiden, ganz die große Schwester eben, sie wünscht sich ja nur, dass Much einfach vernünftig seinen Job weitermacht und sich nicht in irgendwelchen Träumereien verrennt. Eigentlich müsste sich Pia ja freuen, dass ihr Bruder aufblüht, aber offenbar hat Much zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht erkannt, dass er auf dem für ihn richtigen Weg ist und kann es Pia deshalb auch nicht vermitteln.
Tja, und da steckt eben der von mir zwar erkannte, jedoch gleichzeitig und hartnäckig ignorierte Logikfehler. Wie verdammt noch mal sollte Pia Much helfen können, wenn ihrer Meinung nach bei wirklich Allem ein determiniertes Schicksal Regie führt?

Ist die Anschuldigung von Pia - Tagedieb - also wörtlich zu nehmen? Sie haben ihm die Tage geklaut? Das fände ich ja großartig. Ja, ich will das so haben und glauben …
Wow, Fliege, das freut mich wahnsinnig, ehrlich. Genau darüber, nämlich über die verschiedenen, möglichen Bedeutungen des Wortes Tagedieb, hatte ich während des Schreibens eine sehr amüsante Unterhaltung mit meiner Freundin.

Liebe Fliege, vielen Dank für deinen schönen Kommentar und noch einmal danke für deine professionelle Betreuung in der Künstlergarderobe.

Zur Sprache sag ich jetzt nichts, haben alle vor mir schon gesagt und ich seh schon, wie Du da im Glück vor Dir hertaumelst und ständig irgendwo gegenrennst. Nichts zu der tollen! Sprache und zum sicheren Stil zu sagen, ist meine erste Hilfe.
Und auch dafür will ich mich bedanken, Fliege, langsam wurde es mir nämlich echt schon zu viel. Ich verbrachte ja beinahe die halben Weihnachtsferien in der Unfallambulanz. („Jessas, Sie schon wieder, offshore!“)


@ fiz

Aber der Text ärgert mich natürlich auch. Weil er offensichtlich schlauer ist als ich.
Das hast du in deinem ersten Kommentar noch geschrieben, liebe fiz, und ich muss sagen, da hast du dein Licht aber gehörig unter den Scheffel gestellt. Weil, wenn ich mir so anschau, was du dann später noch alles zum Text zu sagen wusstest …

Vorwärts vom vorgestern zu gestern zu morgen. Also aus der Vergangenheit in die Zukunft, aus Muchens Herbst durch den Winter in den Frühling. Das passt schon. Also die Geschichte ist immer noch rätselhaft. Aber sie verwirrt mich nicht mehr. Ich fühle festen Boden unter den Füßen. Das ist schön.
So schön, deine Kurzfassung!

Da wird das so greifbar, wie ungreifbar das ist. Und ich finde es halt spannend, dass es nicht bloß Erinnerung sondern eher Nostalgie ist - das kann ja auch die Sehnsucht nach einem Ort oder einer Vergangenheit sein, die man so nie wirklich erlebt hat. Also dieses Parasitäre des Much finde ich sehr spannend. Wie er von ihrer Jugend, Liebe und Kunst zehrt. Und dass er dann das Gedicht nachbaut, in so einem Gewaltakt so ein Monster schafft, finde ich ganz großartig. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob ihm da was glückt, oder ob er sich da ganz ins ackernde Epigonentum verirrt, wie es mir anfangs schien. Zumindest das Spiel der Sonne macht das statische Blechmonster dann ja wieder zu etwas Leichtem und Bewegtem. Das ist fast wie ein göttlicher Gnadenackt für den armen alten Much. Und das macht ja auch ne gute Skulptur aus, die Dynamik die bei Vielansichtigkeit durch die Bewegung des Betrachters und durch die Interaktion mit der Umgebung, mit Licht und Raum entsteht. Das ist hier auch ein sehr guter Text über Kunst mit allem was man sich wünschen kann: Kommerzialisierung, Paragone zwischen Wort- und Gegenstandskunst, geniehaftem Schöpfen und demiurgischem Ackern.
Und wenn man das Licht als Gnadenakt sieht, dann könnte tatsächlich auch der Tod vom Henninger ein Gnadenakt gewesen sein. Womit Pia wahrscheinlich alle Rechenschritte falsch, aber das Ergebnis richtig hätte
Diesen Absatz hab ich mir ins Schreibprogramm kopiert, weil ich ein paar Stellen daraus zitieren wollte, aber je öfter ich ihn mir jetzt durchlese, umso schwerer fällt es mir, mich zu entscheiden. Ich will nämlich jeden Satz zitieren. Scheiß drauf, ich lass ihn zur Gänze stehen. Und nachdem ich das mir vollkommen unbekannte „demiurgisch“ nachgeschlagen habe, gefällt er mir noch besser. (Zitat Wikipedia: Demiurg (griechisch δημιουργός dēmiourgós „Handwerker“) ist in philosophischen und theologischen Lehren der Antike, insbesondere im Platonismus, die Bezeichnung für den Schöpfergott. Der Schöpfergott als Baumeister des sinnlich wahrnehmbaren Kosmos wird als „Handwerker“ bezeichnet,)
„Euer Vater hat demiurgisch geackert und geschuftet, und sehet, es entstand Kunst.“ Einfach geil. Das sag ich nächstes Mal meinen Söhnen, wenn sie mich fragen: „Na, offshore, was hast du denn heute so in der Werkstatt getrieben?“
Paragone musste ich auch nachschauen (lieber Himmel, was seid ihr alle schlau), aber jetzt, wo ich’s verstehe, gefällt mir natürlich, welch breiten Interpretationsspielraum die Geschichte offenbar bietet. Mir selbst fällt ja auch jeden Tag was neues dazu ein.

... und an solchen Kleinigkeiten wird es dann ganz greifbar, wie saugut dieser Text gemacht ist.
Also, die Geschichte hat mit dem zweiten Lesen nichts eingebüßt. Ich liebe sie noch mehr als zuvor.
Ja, fiz, nach deinem unglaublichen Kommentar liebe ich dich auch mehr als zuvor.
Ganz vielen Dank dafür!

PS
Deine drei Meckerwinzigkeiten habe ich zur gefälligen Prüfung an die Abteilung Qualitätssicherung und Reklamationen in Halle G weitergeleitet.

PPS

das tut unheimlich viel für diesen gemütlich-südlichen Ton. Erinnert mich auch ein bisschen an diese Brenner-Krimis von dem Dings.
Ich möchte dir ein Buch von diesem Dings ans Herz legen, fiz. Ist ganz anders als seine Brenner-Krimis, aber vor allem für Leute, die sich selbst mit dem Schreiben beschäftigen, beinahe eine Pflichtlektüre. Ganz großartig.

PPPS
Auf wen du im Spoiler dich nicht zu tippen getraut hast, willst du mir offenbar wirklich nicht verraten. Schade.

PPPPS

Der Mensch, der diese Geschichte geschrieben hat, hat eine wunderbare Sprache, eine hervorragende Bildung, Kunst- wie Technikverständnis
Dein Schlusswort habe ich mir gestern auf die Stirne tätowieren lassen.


zigga und randundband bitte ich noch um etwas Geduld.

 

Sowas nennst du Zufall?
mein lieber Jolly - darauf'n Glennfiddich oder besser, wer hätt denn schon je'n Schwein auf drei Beinen gesehn?, ...

und so hat der liebe Friedel auch noch’n Grund, diesen feinen Text zu lesen nebst Eigenkommentar

lieber ernst,

denn so was immer aus’nander, da umgangssprachlich für so [et]was.
(Der Satz kommt vor unter „heute“ im Lenzmonat, wenn der olle Fritz Richter auf der Ewigen Baustelle bitteres, braunes Bier trinkt und mit mir). Ein Schelmenstück, dat ich mich getz inne Innentasche steck, dat'm nich' kalt werd, und mit nach Haus nehm.

Gruß und gutes neues Jahr, bevor't rum is', wünscht der

Friedel

 
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Servus zigga,

Also da kommt ja schon gehörig viel Lob von dir, und das freut mich umso mehr, da wir ja wirklich verschiedenen Generationen angehören - also mit ein bisschen gutem Willen könnte ich ja beinahe dein Großvater sein - und das Alter des Autors lässt sich in dieser Geschichte ja wirklich aus jeder fünften Zeile herauslesen, glaub ich zumindest.
Das zeigt sich schon in solchen Details:

Er warf Perlen vor die Säue, das war ihm klar
Haha, da musste ich echt lachen, geile Metapher!
Sag bloß! Echt noch nie gehört? Der Spruch ist nämlich mitnichten von mir.
In Matthäus 7, Vers 6 spricht Jesus in der Bergpredigt folgende Worte: „Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf dass sie die selbigen nicht zertreten mit ihren Füßen [...].“ Im Lateinischen heißt es: „Neque mittatis margaritas vestras ante porcos [...].“

Berserker? Sagt mir jetzt nichts ...
Jessas zigga, von welchem Planeten kommst du?

ist ein interessanter Kunstgriff, da ständig die Perspektive zu ändern, aber beim Lesen war es etwas anstrengend, das führte etwas vom schönen Erzählton weg, dem man ohne große Anstrengung folgen konnte; kann sein, dass das beabsichtigt war, so eine Gedankenspirale?
Na ja, genau dieser Absatz mit diesen aberwitzigen Zehnzeilen- und Achtundzwanzigkommasätzen war mir natürlich ein besonderes Anliegen, ich wollte Muchs vom Whisky etwas derangierte Gedankengänge, das Hineintaumeln in seine schönen, traurigen, bitteren Jugenderinnerungen einfach möglichst atemlos erzählen, Much erzählt sich das ja praktisch selbst, er redet, redet, redet mit sich, ohne Punkt und Komma, wie’s so schön heißt.

Das Unterstrichene könntest du theoretisch raus streichen; wird schon vorher erwähnt, und lässt den Text etwas im Kreis laufen, finde ich
Und auch dieses immer wieder Redundante, dieses sich Wiederholende an so vielen Stellen im Text war mir ganz wichtig, also weg von diesen „pro Info ein Subjekt/ein Prädikat/maximal zwei Dingsbums-Sätzen“ hin zu diesen dahinsprudelnden, beschwörenden, (gar rapartigen?) Wortkaskaden, äh …, kannst du mir folgen, zigga?

Oh Mann, jetzt wird mir erst klar, dass Much ein Skulpturkünstler ist … ich weiß nicht, ob ich einfach auf dem Schlauch gestanden war, oder ob das erst jetzt ersichtlich werden sollte.
Ich schwör’s dir zigga, bis dahin wusste ich es auch nicht.

Ah okay. Die ganze Henninger-Story war praktisch das Vorgeplänkel zur wie-ich-die-zwei-Hippies-kennenlernte-Geschichte;
Genau, und schon auch eine finanzielle Absicherung, quasi Lottotreffer wie gesagt.

Jo, also ich bin noch recht unentschlossen, besser gesagt: überfahren von der Story;
Ich glaube, da warst du nicht der einzige.

aber diese Prämisse habe ich irgendwie nicht zu fassen gekriegt, der rote Faden der Story wackelte in meinen Augen
Tja, das mit dem roten Faden einer Story, also da muss ich echt noch dran arbeiten, bis ich einer Geschichte mal so einen richtig harmonisch geschwungenen Handlungsbogen hinbekomme, so eine perfekte mathematische Kurve im besten Fall. Ich will mich bemühen.

ich habe das Gefühl, dass da bei dir ein Knoten geplatzt ist - ich und viele andere hatten ja immer angeprangert, dass deine Texte zu kurz sind, gute Einleitungen, aber nicht mehr;
Na komm, zigga, da tust du mir jetzt aber unrecht. Oder du hast bisher ausschließlich die Milo-Geschichte gelesen, nicht aber z.B. „Nordwand“ oder „Störks Ende“, also bitte, das sind doch durchkomponierte, in sich schlüssige äh, … Thriller. Und wir reden schon von Kurzgeschichten, oder?

Hat mich wirklich sehr gefreut, von dir zu hören, zigga. Vielen Dank.


Herr offshore, das ist schon Wahnsinn was du hier ablieferst. Ein wirklich kluges und emotionales Stück ist das, mit spannenden, literarisch hochwertigen Konflikten, und die Sprache ist einfach brilliant.

Nimm‘s mir nicht übel, randundband, dass ich dir jetzt nicht viel mehr sagen kann als: „Wahnsinn. Vielen, vielen Dank.“
Ja, das ist ein weiterer Kommentar, der mich einfach sprachlos macht.
Offenbar hat sich meine Mühe bezahlt gemacht. „Ich habe demiurgisch geschuftet, und siehe, es ward gut.“
Und vielen Dank für den Hinweis auf Нестор Иванович Махно, ich hab schon begonnen, mich ein wenig schlau zu machen …


offshore

 

WiÞout Þinkin’ 2 Much –
kommt mir doch beim zwoten Lesen ein vielleicht abwegiger Gedanke, der aber in seiner Abschweifung umso verlockender wird:

Kinder basteln bereits mit geringem handwerklichen Geschick und umso größeren Spaß Hunde u. a. aus Luftballons,

lieber ernst,

das größte und geschäftstüchtigste Kind derzeit wird am 21. d. M. 58 und heißt Jeff Koons. Der hat das Zeitalter der Reproduktion mit Nippes nach barockokoigen Vorbildern auf die Spitze getrieben, und gerade erst in Erinnerung an Balloonflowers (steht für gutes Geld auf’m Marlene-Dietrich-Platz zu Berlin) einen kindischen Hund gebastelt, der gerade erst zum teuersten und damit scheinbar wertvollsten modernen Kunstwerk gekürt (womit ich nicht in eine Diskussion Gebrauchs-/Tauschwert einsteigen will). Der Kunstmarkt (incl. Verlagswesen) hat was von der Börse.

Der reinliche Köter verschwindet im Safe.
Wird weggeschlossen.
Zu recht!

Den Goldesel nenn ich mal Henniger – obwohl ich eine gewisse Sympathie für den empfinde, erinnert mich dieses geldfurzende, schlampampender Schlamperl in seinem Aufzug an Originale vor allem Deiner Heimat - und bräuchte es einen Darsteller, so schlüge ich den Herrn Karl oder einen Epigonen Q. vor - und gönn dem Gockel doch den Absturz – und sei’s nur in der nächsten Börsen-Blase.

Der Name Henniger ist nun nix anderes als eine maskuline Ableitung der Henne und in der Tat ist H. in all seiner Schlampigkeit ein Gockel, der sich

die Seele aus dem Leib gevögelt
hat. Den Gockel lernen wir an Panders (Panthera pardus?) Geburtstag (mutmaßlich dem 64-er Jahrgang, was mir Brazil einflüstern will) kennen – und könnten ihn, den Gockel, trotz des Geschäftes gleich wieder vergessen (wie Koons als dem Bankster unter den bildenden Künstlern). Von vorgestern bis morgen, an vier Tagen zu drei Gezeitenwechseln
Herbst, vorgestern,
- mit 49 kann man sich schon im Herbst des Lebens wähnen, Pander ist aber im Sommer seines Lebens - so wie der Fahrrad fährt ... Komm ich weiter unten noch mal bis zur Unkenntlichkeit drauf zurück). War vorgestern noch Herbst, so muss gestern Winter gewesen sein, folglich ist heute der Lenzmonat, den der offizielle Kalender als den Monat des Mars ansieht, und
Frühling, morgen.
Kurz: Wir begleiten P. durch Episoden seines Lebens, keineswegs geradlinig, und halten an vier Stationen, von den anarchischen Träumen (weil einer Wände besprüht ist er weder Bakunin (Michail!), Kropotkin und schon gar kein Netchajew und das Schicksal Sacco und Vanzetti (muss mal wieder Townes Van Zandt hören). Der heutigen Generation Biedermeier mit dem angeborenen Karrieredenken muss es fremd erscheinen, ein nicht lineares Leben zu führen.

Da passt dann der Name

Thiota
(Þio/deo = ahd. Volk; nach Grimms dt. Mythologie kam Thia aus Alamannien übern Rhein nach Mainz und verkündete – ganz in der Nachfolge Kassandras – den Untergang der Welt - wie dann später in der Völuspa besungen, womit ich mir eine Pause zu Zufall und Notwendigkeit/Wahrscheinlichkeit(srechnung = Zufall & Gesetzmäßigkeit) und somit der Magie von Zahl und Sprache einlass (Pia ist schließlich die Fromme).

Warum komm ich anfangs auf Koons?
Ein Jahr jünger als Koons ist der auf den Maskarenen im Indischen Ozean geborene Michel H., der in dem Jahr, da Koons 50 wird (da isset, rufts auf Ruhrlatein) einen Roman* beginnt, in dem Koons (mit einem leichten Anflug, wie ich spürte, von Neid) genannt wird und ein Schriftsteller, den der Autor Michel Houllebecq nennt, umgebracht wird.

Der Name Mich(a)el stellt die Frage nach dem, „wer (wie) Gott“ sei. Zugleich heißt so der Erzengel, der die himmlische Streitschar (mich juckte, ein K-Wort zu wählen) gegen Satan führt, wie ja auch schon Kleist den Kohlhaas nicht einen Johannes (wie das historische Vorbild hieß), sondern den gewalttätigen Michael als Namen spendiert.

Aber was verbindet die beiden – K. und H.?

M. H. hat einen Hund (im Roman wie in Wirklichkeit) und verdient sich tot und dusselig.
Beide – J. K. wie M. H. - haben was, von dem auch junge Menschen träumen (vor allem der von Soziologen bezeichneten Generation Biedermeier): Sie haben ausgesorgt!

Genug für itzo, bevors Hirn verdampft!

Aber vielleicht bin ich ja auch auf'm woodway, wie's mal ein schlichter Mensch formulierte - der zwote Bundespräsident.

Bis bald

Friedel


* La carte et le territoire/Karte und Gebiet

 

Ich weiß nicht recht, Friedel, was ich dir auf deinen Kommentar antworten soll, außer „Vielen Dank und es freut mich, dass du dich offenbar gut unterhalten fühltest.
Es war mir natürlich schon beim Schreiben klar, dass ich gerade mit diesem Text einem wie dir eine wahre Spielwiese biete, einen regelrechten Tummelplatz für Gehirnakrobatik, ein weites Feld zum intellektuellen Austoben, zum Nachgrübeln über die Bedeutungen der Namen, zum Aufspüren eventueller Hintergründigkeiten, ja, einen Abenteuerspielplatz für große Buben halt, z.B scheinst du mir der einzige (neben offshore, wen wunderts?) gewesen zu sein, der über sich über dem Namen Thiota den Kopf zerbrochen hat

Und verdampfendes Hirn hin, Holzweg her, du hast die Lektüre offenbar unbeschadet überstanden und das ist ja letztendlich das Wichtigste.

Danke fürs Lesen, Friedel.
offshore

 

Nee, zerbrochen hab ich mir mein köpfchen nicht,

lieber e. o.,

wer könnte den je wieder zusammensetzen und aus dem alter, klebstoff zu schnüffeln, bin ich raus. Aber recht hastu, das ist ein schöner tummelplatz für unter der schädeldecke, und wenn ich heut mal dran denk, deine kommentare zu sichten, wird’s vielleicht noch lustiger.

Thia sah ich schon beim ersten lesen und damit ziemlich schnell als die frau an vom thio - und wenn du tisk/disk dranhängst, hastu die zusammensetzung volkssprache im gegensatz zum vulgärlatein der gebildeten schichten im frühmittelalter -, da dämmerte der Henn-inger a bisserl länger. Aber wie dem auch sei:

Ich schau garantiert noch mal rein … das täglich stündlein geht zu end

Friedel

PS: Houllebecqs Karte und Gebiet ist der Roman, der mir in seinem Werk bisher uneingeschränkt gefällt (nicht nur wegen der beißenden, will sagen buchstäblich tödlichen Selbstironie).

 
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Geänderter Schluss

Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste durch die großen Öffnungen im Dach hinauf in den Frühlingshimmel. Schließlich ging er zum alten Chomsky hinüber, um den Glaserer anzurufen. Und danach Pia.

Ich habe gezählte zehn Wörter im vorletzten Satz hinzugefügt. Ich hoffe, den für viele ursprünglich so kryptischen Schluss dadurch etwas verständlicher gemacht zu haben.
Und bei der Gelegenheit habe ich gleich auch Fred Estinato umbenannt. Ich wollte ja einen möglichst exakten Gleichklang seines Namens mit dem lateinischen Wort praedestinatus. Und es stimmte ja auch beinahe überein, aber halt nicht ganz.
Na ja, jetzt ist mir aber was noch Besseres eingefallen. Fred heißt jetzt Brad.

Much bestellte zwei Bier.
„Much … auf dich.“ Er hob sein Glas.
„Cool, Much. Danke. Ich bin der Brad. So wie Brad Pitt. Also Brad Estinato … Dichter.“

 

„Alles okay mit dir, … / … liebe Maske? / …. // Hehe, was für ein herrlich durchgeknallter Text!
Holla, ollé!, welch ein Eigenkommentar,

lieber ernst,

Selbstbeschimpfung und zugleich Parodie auf hiesiges Verhalten
Mir wäre es lieber gewesen, du hättest, anstatt dich in Nebensächlichkeiten zu verlieren, mehr Gewicht auf die Charakterisierung Muchs gelegt. Der wird mir nämlich, trotz aller Sympathie, die ich ihm als Altersgenosse entgegenbringe, nicht wirklich erfassbar. Schon gar nicht durch solche Sätze …
Und doch: Wenn drei Ärzte über Patienten fachsimpelnd am Mittagstisch sitzen, kann der mehr oder weniger geneigte Zuhörer wenigstens fünf Meinungen hören nach meiner langjährigen Erfahrung, ob nun Patienten oder Besucher mit in der Caféteria sitzen. Ganz so ist es hierorts nicht, es bleibt hier bei zwei, höchstens aber zweieinhalb Meinungen, wieviel man sich auch im Kommentar zu einem einigermaßen gelungenen Text übt. Diese ernstlich gelungene Konjekturalbiografie aus einer Hand voll Episoden und einer sich durchziehnden Rahmenhandlung von weniger als anderthalb Meinungen, und das sehr unkaufmännisch und großzügig nach oben aufgerundet. Tatsächlich sinds 1,0309 Meinungen (schöner Gruß an Pia! Wer als erster darlegt, wie die Zahl zustande kommt, erhält den vielseitig verwendbaren Wäschetrockner). Selbst wenn’s nicht erlaubt ist, plagiiere ich einen vollständigen Kommentar Proproxilators in volkstümlicher Verkürzung (ohne, dass ich damit promovieren will)
der’s mir nachsehn möge! Es soll auch keine Doktorarbeit werden, darauf geb ich ein barschel Ehrenwort! Absoluter Höhepunkt ist dann aber für mich (kanns anders sein?) der Eigenkommentar nebst des Ergebnisses zum Bibelzitat. Ist ja kein Wunder, dass Guugel und Wikidingenskirchen so viel Gläubige hat. Gute Literatur ist immer anstrengend. Nicht nurs Schreiben ist Arbeit und mancher schreibt nicht aus Spaß, selbst wenn er Spaß haben sollte dabei. Ach ja, noch wat, keine Bange, ernst, ich kann nicht mal meine gereimten Verse auswendig. Wozu auch? Ich weiß ja, wo sie zu finden sind. Auch ohne Suchmaschine.

Gruß

Friedel,
der jetzt die Änderungen mitnehmen muss

 
Zuletzt bearbeitet:

Friedel schrieb:
Tatsächlich sinds 1,0309 ... Wer als erster darlegt, wie die Zahl zustande kommt, erhält den vielseitig verwendbaren Wäschetrockner

1,0309 ist nicht nur das Ergebnis der Division des Kehrwertes (137,03) der Feinstrukturkonstante (7,2973525698 x 10 hoch -3) durch den einmillionsten Teil (132,922688) der Fahrgestellnummer (132 922 688) meines Maserati Biturbo Megacool 780 XZ Oceanblue Metallic, sondern obendrein die Zahl, mit der multipliziert das Produkt der Fläche des Gennakers auf meiner Swan 70 in Quadrat-Inches (48050) und der Anzahl der Primzahlen zwischen 0 und 1000 (168) die Telefonnummer (eine Geheimnummer) von joes Tante in Linz ergibt.
Das war leicht, Friedel.
(Könnte ich bitte statt des Wäschetrockners die vierzehntägige Luxuskreuzfahrt in der Karibik für zwei Personen haben?
Danke.)

Weniger leicht tat ich mir damit:

Absoluter Höhepunkt ist dann aber für mich (kanns anders sein?) der Eigenkommentar nebst des Ergebnisses zum Bibelzitat. Ist ja kein Wunder, dass Guugel und Wikidingenskirchen so viel Gläubige hat. Gute Literatur ist immer anstrengend. Nicht nurs Schreiben ist Arbeit und mancher schreibt nicht aus Spaß, selbst wenn er Spaß haben sollte dabei.
Ich habe leider, trotz ausgiebigen Kopfzerbrechens und zahlloser Versuche, zwischen, hinter, unter deinen Zeilen zu lesen, absolut keine Ahnung, was du mir damit sagen willst ...

Hübsch wiederum fand ich das:

ernstlich gelungene Konjekturalbiografie
... auch wenn ich konjektural nachschlagen musste. (Sorry, Friedel, aber du hast es mit einem Schulabbrecher zu tun. Bei einer eventuellen Fortsetzung deines Kommentars bitte ich dich, darauf Rücksicht zu nehmen.)

Danke, offshore

 

Ich habe leider, trotz ausgiebigen Kopfzerbrechens und zahlloser Versuche, zwischen, hinter, unter deinen Zeilen zu lesen, absolut keine Ahnung, was du mir damit sagen willst ...
Wenn's Empfehlungen für Kommentare noch gibt/gäbe, wäre Dein Kommentar vom 11.12. empfehlenswert - ein wahres Schelmenstück!

Die Neuerungen,

lieber ernst,

sind ja gar nicht allzu viel und wohl eher auch auf einen Gag ausgerichtet, der es dafür aber doppelt und dreifach in sich hat als Wortspiel, Kaluckauer und Fettnäpfchen.

Das Wortspiel ist einfach. Es klingt vorneweg schon an, mag aber dem flüchtigen Leser bei der ersten Begegnung mit dem dichtenden Kollegen nicht auffallen, umso dicker trägt Pia auf

Brad Estinato – praedestinatus,
wobei – gäbe es den Vornamen denn auf spanischer Zunge vor der Entdeckung durch Hollywood - keineswegs [’brædesti’nato], sondern [’brad es’tinato] gesprochen würde, wobei die genügsamere Destination für sich allein genommen i. S. von Bestimmung / Endzweck den Scherz vernichtete.

Das Spiel mit Namen und Begriff kommt keineswegs aus Calau, was seinerzeit der Maulwurf Erich Fried belegt hat - habe doch die Etymologie „nachgewiesen, dass Kalauer nicht aus Calau stammen“, was wert ist, weiter zitiert zu werden, weil damit dem Namenstableau und der Rosa L. ihr Karl L. zugeführt wird: „Sie stammen aus Luckau. Ich [nicht ich, sondern Eich] weiß es, ich bin im Grenzgebiet beider Kreise aufgewachsen. Luckau hat eine Strafanstalt, Calau hat gar nichts. Die kleinen doldenförmig angeordneten Blüten brechen schon zeitig im Frühjahr aus dem gefrorenen Boden. Sie sind anspruchslos; wenn es keinen Regen gibt, ist ihnen auch ein Vortrag recht. Für Sonne bedanken sie sich. Sie sind lila und haben meine Jugend koloriert. Ich fände die Neubildung Kaluckauer recht glücklich. [Danke, Erich!] Luckau hat keine großen Söhne, nur Zugereiste, was durch die Strafanstalt bedingt ist. Liebknecht hat hier Briefe geschrieben, es hat nichts genützt.“ Kalauer ist also nicht der Komparativ von Calau, was uns nur recht sein kann. Eich sieht in ihnen „eine Möglichkeit, die Welt zu begreifen, vielleicht die einzige, anspruchslos und lila.“

Freilich, was harmlos beginnt als Änderung

„Cool, Much. Danke. Ich bin der Brad. So wie Brad Pitt. Also Brad [vormals: Fred] Estinato … Dichter.“
Also wird der neue, durchaus populäre Name für einen Kaluckauer verwendet und ist dann doch eine Fußfalle, mit der sich für die Neuerungen die Frage stellt: Scherz oder Ironie? Spätestens hier:
Seine gesamte Kindheit hindurch war [alt: Freds, neu:] Brads größter Wunsch gewesen, einen anderen Vater zu haben, doch bevor er alt genug war, [alt: Frederico, neu:] Bradorico Senior umzubringen, traf den der Schlag.

Du wirst verzeihn,

Heiliger (Un-)ernst!,

dass ich ob der Namenskonstruktion eher müde gelächelt hab, vor allem in Zeiten, wenn Kinder Caloderma oder Schauma genannt werden: Fred ist i. d. R. einer der Kurznamen von „Friedrich“ (wer kann’s besser beurteilen als meine arme Seele, da klingt vielleicht noch die Völkerwanderungszeit im späteren ahd. fredum / fredus durch, bevor der Friede zum fridu umgelautet wird), gelegentlich von „Manfred“ (besonders bei seefahrenden und singenden Österreichern, die den Kurznamen dann noch verniedlichen; es ist mir von höchster Stelle untersagt, den Namen vollständig auszusprechen). Die von Dir vorgeschlagene ursprüngliche Variante des Vaternamens

Frederico (Senior)
ist eigentlich ital., Frederigo wäre da schon angemessener spanisch vorgekommen, Brad (auch der Pitter) aber heißt voll ausgeschrieben Bradley. Wer wollte schon freiwillig Heftzwecke oder Stahlstift sein? Und doch: „Z(w)ecke“: Ein schöner Titel für Frauenhelden, seien sie nun ein Gockel von Henniger oder d’Estinato.

Bin noch gar nicht drauf eingegangen, worauf ich schon beim ersten Lesen abgefahren wie’n Zäpfchen:

Du vervielfachst einfach dein ursprüngliches Angebot, richtig? Und um wie viel?“
„Hab ich dir eh gesagt. Ich hab’s mit elf multipliziert.“
„Genau, mit der Elf, der kleinsten zweistelligen Primzahl.“
„Die Sumerer rechneten mit einem Duodezimalsystem und die Elf betrachteten sie als eine Art retardierendes Moment. Die Zahl des Orion hieß sie bei ihnen, nach den elf hellsten Sternen des Himmelsjägers.“
Tatsächlich ist Much gegenüber der Schwester nicht ganz ehrlich, tatsächlich kann er – so will’s mir erscheinen – gar nicht mit elf multiplizieren!?
Spontan beschloss er, Henniger die besten Skizzen vorzuenthalten, und als es schließlich um die Kosten ging, verzehnfachte er im Kopf kurzerhand sein Angebot und addierte aus purem Schalk zusätzlich die ursprüngliche Summe.
Was Kindern beim Zählenlernen widerfährt, geschieht hier Much: Die Entdeckung der elf! Warum heißen elf und zwölf nicht einfach ein- und zwozehn? Im got. schon bedeutet ains genau das, was wir daraus lesen, das Zahlwort eins, die elf aber wird „ainlif“ benannt und bleibt formal für die westgermanistische Zunge genau so erhalten. Nun, die Endsilbe steht nicht für die „zehn“, sondern für das „Übriggebliebene“, und bleibt es auch noch als einlif im ahd., um mit dem mhd. zu „eilf“ abgeschliffen zu werden. Eilf wird heut noch poetisch verwendet (und im 19. Jh. war’s noch Standardsprache): Elf ist eine Zahl, die sich für die (ganz) Alten, alle Kinder und Much ergibt, wenn bis zehn gezählt wurde und ein „Rest“ übrigbleibt.

Und eins höher taucht dann auch noch auf

Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Er schriebe nur für Thiota, hatte Brad gemeint, dieser Träumer.
Zwölf, die Grundzahl des Dutzends und des Duodezimalsystems (s. o. Pia): Got. twalif, ahd. zwelif, mhd. zwelf, heilige Zahl und damit auch des Aberglaubens von den Tierkreiszeichen bis hinunter zum Zwölffingerdarm … Und es öffnet sich der Dichterhimmel
Im Morgengrauen hatte Estinatos erstes Gedicht Gestalt angenommen.
Und Much setzt ein Dutzend Zeilen des deutschesten aller deutschsprachigen Gedichte um (sag ich mal so): „Geschrieben steht: ‚im Anfang war das Wort!’ / Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ….“*
Much hatte eiskalte Zehen und fröstelte. Was wusste dieser kleine Scheißkerl [gemeint ist alt: Fred, neu: Brad] mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? [Anm.: Der neue Satz:] Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen? Konnte nicht ein Funken einen ganzen Wald in Brand setzen?
Herr im Himmel, er war doch noch nicht alt.
„… / Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn. / Bedenke wohl die erste Zeile, / Dass deine Feder sich nicht übereile! / Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? / Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft! / Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, / Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. / Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!“*, eben
die Eisernen Gedichte
von denen wir nur die Tat kennen und Ergebnisse nur mutmaßen.

Aber ein großes Geheimnis bleibt, wenn’s vordem hieß

Schließlich ging er zum alten Chomsky rüber, um Pia anzurufen
itzo
Schließlich ging er zum alten Chomsky hinüber, um den Glaserer anzurufen.
Und danach Pia.
Wer oder was ist Komparativ vom Glaser?

Gruß vom


Friedel,
einem Mittelschüler und Opfer des sog. zwoten Bildungsweges

 

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