Morgens um fünf ist die Welt noch in Ordnung
Mamas haben immer gute Laune. Immer. Ohne Ausnahme.
Nur morgens nicht. Insbesondere dann, wenn die Kaffeedose leer ist.
An zwei Tagen die Woche pflege ich vor meiner werten, tief schlafenden Familie auf-zustehen. Um fünf Uhr. Da steht doch niemand auf! Doch. Ich! Und ich versuche da-bei keinen Laut von mir zu geben.
Zuerst eine Dusche. Das tut gut. Das weckt die Lebensgeister und der Dampf läßt meine zellulitisentstellten Oberschenkel in einem sanften Dunst verschwinden. Heute Abend – nehme ich mir vor – heute Abend gehe ich zum Sport und sage den acht Kilogramm zuviel den Kampf an. Jawoll. Aber jetzt erst mal Kaffee trinken.
Leise ziehe ich mich an, im dunkeln, Licht könnte meine Tochter aufwecken. Blind greife ich in den Kleiderschrank. Rot liegt links, blau daneben, hellblau unten, beige, rosa und weiß ganz rechts. Wo liegt denn nochmal schwarz, herrjeh!? Egal, wird schon passen. Das Ergebnis kann ich ja dann in der Küche bei einem Kaffee begut-achten.
Die Schuhe in der Hand betrete ich die erste Stufe der Treppe die nach unten führt. Zu meinem Kaffee.
„Mama?“ Och nö! „MAMA!?“ Ich ziehe den Fuß wieder zurück, seufze ein wenig und gehe zu Lea, meinem Hallowachkind. „Wo gehst du hin?!“ fragt sie vorwurfsvoll. Und sie hat Recht. Ich bin eine arbeitende Rabenmutter. Da ist es wieder – mein schlechtes Gewissen.
Schlaf noch, Liebes. Mama geht arbeiten.
„Oh nein, immer gehst du arbeiten!“
Ja, mein Schatz, das muß sein. Ich hole dich nachher vom Kindergarten ab und ma-chen wir was tolles zusammen.
„Ist heute Kindergarten?“ Ja, aber erst viiiiiiel später. Schlaf noch, Süße. Es ist noch gaaaanz früh, die Vögelchen schlafen auch noch und der Papa schläft noch und....
„Ich will nicht in den Kindergarten. Immer Kindergarten. Das ist ja so blöd!“
Adieu Kaffee. Angesichts der drohenden Ich-muß-in-den-Kindergarten-Gefahr ist meine Tochter hellwach und beschließt, jetzt nicht mehr einzuschlafen. Jetzt, wo Mama weggeht und sie was verpassen könnte. Und wer weiß, vielleicht kann sie Mama ja überreden, nicht arbeiten zu gehen.
„Bleibst du noch ein bißchen bei mir, kann ich eine Banane haben?“ Verschlafen reibt sie sich die Augen. Sie ist todmüde. Nur würde sie das nie zugeben. Vor meinen Augen steigt meine gefüllte Kaffeetasse in ein Flugzeug und fliegt nach Thailand. Apropos Thailand. Vor vielen Jahren wollte ich früh morgens eine Straße in Bangkok überqueren. Wir – mein Mann und ich – suchten einen Ort, an dem es Kaffee gab. Mein Tip: Überqueren Sie als Kaffeetrinker morgens um sieben Uhr niemals eine Straße in Bangkok ohne vorher Kaffee getrunken zu haben. Niemals! Das schaffen Sie nicht, die nervliche Anstrengung ist zu groß.
Schließlich wurde auch mein Mann wach. Er knipste das Licht an und ich stellte fest, daß ich zu dem rosafarbenen Pullover eine grüne Hose trug.
„So willst du nicht ins Büro, oder?“ Mein Mann schaute mich etwas seltsam an.
„Ich will eine Banane!“ Diese unmißverständliche Aufforderung meiner Tochter reißt mich aus meiner Überlegung, wie ich es anstelle, jetzt noch einen Kaffee zu bekom-men, gleichzeitig meine Kleidung zu wechseln und Lea zu überzeugen, daß der Kin-dergarten etwas ganz tolles ist. Schließlich muß man Prioritäten setzen. Es gelingt mir nicht. Es ist einfach zu früh, um spontan zu reagieren. Die Maschine ist noch nicht warm gelaufen. Diese Entscheidungsfülle läßt mich in Unbeweglichkeit verhar-ren.
Mein Mann schreitet helfend ein. Er schickt mich runter eine Banane zu holen. Als ich wieder hoch komme sitzen die beiden im Bett und schauen ein Buch an. Hach, selige Harmonie, Vater und Tochter, wie schön. Ich drücke mein Kind lieb und ihr die Banane in die Hand, verteile Küßchen und trolle mich die Treppe runter.
Jetzt einen Kaffee! Doch das Schicksal ist grausam. Die Kaffeedose ist leer. Wie ein Süchtiger durchwühle ich alle Schränke. Nichts. Meine Hände zittern. Ich muß mich setzen. Die größtmögliche Katastrophe ist eingetreten. Wie ein Verdurstender schleppe ich mich zum Auto und fahre ins Büro. Ich renne die drei Stockwerke hoch zu meinem Büro, reiße die Tür auf, greife mir die Kaffeedose und schüttele sie. Ein tiefer Frieden überfällt mich. Ich küsse die Kaffeedose. Danke. Es gibt doch einen Gott. Minuten später schlürfe ich behaglich das schwarze Gebräu mit viel Zucker.
Und es stört mich irgendwie gar nicht, daß der Pullover so gar nicht zu der Farbe meiner Hose paßt.