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Morgen, vielleicht

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04.01.2002
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Morgen, vielleicht

Morgen, vielleicht

Die Krämpfe waren unerträglich geworden. Teuflisch zwickende, glühende Zangen wüteten in seinen Eingeweiden, die ihre normale Funktion bereits vor Äonen eingestellt hatten und weckten Assoziationen. Er hatte vor Jahren einen Bericht gelesen, in dem Folteropfern von ihren Peinigern mit Hilfe von Rohren hungrige Ratten in die Därme geschleust worden waren. Der Bauchraum von, auf solch grausame Art Mißhandelten, hatte sicher ähnlich schreckliche Schmerzsignale ausgesandt. Von neuen Spasmen zu Boden gezwungen, wurde ihm beinahe schwarz vor Augen.

„Vielleicht gehe ich morgen doch einmal zu einem Arzt“ – dachte er.

 

Hallo Antonia!

"Vielleicht..." - Er wird wohl wieder nicht zum Arzt gehen, Dein Protagonist? Sich in der Angst lieber Dinge einreden, die sein könnten, als das, was ist, erfahren zu wollen, der Wahrheit ins Auge zu sehen, die dann meist viel weniger schlimm ist, als die ausgestandenen Ängste? Feigheit pur.

Die Stelle mit den Folteropfern ist ja echt eklig... Ist das Tatsache? Eine grausame Vorstellung.

Finde, Du hast dieses Problem der Angst vor der Wahrheit, oder ich möchte fast sagen der "Selbstfolter", gut dargestellt. :thumbsup:

Alles liebe
Susi

 

Hallo Antonia,

jetzt habe ich Dich doch noch aufgestöbert. Normalerweise schaue ich nur in der Philo- Rubrik, es wird sonst einfach zu viel.
Man fragt sich automatisch: Was ist los was ist mit dem Kranken, daß er bei solchen Symptomen „vielleicht“ zum Arzt geht!
Irgendwie so ein kleiner Hinweis, worin dieses surreale Verhalten begründet ist...
Die Probleme scheinen ja nicht nur im Bauchraum zu sitzen, sondern ein ganzes Stück weiter oben...

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo, Susi!

Mich verwundert immer wieder, was der Mensch an physischen und psychischen Qualen aushalten kann,
sei es aus Feigheit, oder aus Bequemlichkeit - also freiwillig.

Das mit den Folteropfern stimmt tatsächlich.

Vielen Dank auch für´s Lesen und Kommentieren!


Hallo, Siegbert!

Überraschung gelungen! Freut mich, dass du vorbeigeschaut hast.

Genau. Die Probleme des Kranken sitzen tatsächlich weiter oben und scheinen kaum nachvollziehbar zu sein.
Wie weit Warnsignale jeder Art ignoriert werden können, bis die Vernunft eingreift, ist wirklich unfassbar, aber tagtäglich zu beobachten.


Liebe Grüße an euch Beide
Antonia

 

Hallo Antonia,

aha! Der Protagonist heißt also nicht Hans oder Miguel, sondern Menschheit.
Oder?

Tschüß... Siegbert

 

Wie weit Warnsignale jeder Art ignoriert werden können, bis die Vernunft eingreift, ist wirklich unfassbar, aber tagtäglich zu beobachten.
Das Schlimmste daran ist, daß man es oft eh weiß, sieht, aber viel zu bequem ist, solange es einen selbst nicht genug drückt...

 

Hallo Antonia,

wenn er morgen denn noch zum Arzt kommt?
Tja, das mit den Ratten habe ich leider auch schon mal gelesen vor über 20 Jahren.

Ich denke diese kleine story kann man so im raum stehen lassen, wie sie ist. Wer kennt es nicht. Es zum Arzt gehen, bevor es nicht mehr anders geht. Zahnarzt fällt mir da ein.

liebe grüsse stefan

 

Hallo, Siegbert!

Hast du gut erkannt! Nicht nur der einzelne Mensch zeigt dieses absurde Verhalten, sondern die gesamte Menschheit. Wie oft denke ich: "Was muß denn noch Alles passieren, bis..."


Hallo, Susi!

Stimmt genau! Aus der Ferne betrachtet, läßt sich eh Einiges aushalten.


Hallo, Stefan!

Richtig. Wenn(!) er noch zum Arzt kommt. Wie sagte mein Dad immer: "Gefahr erkannt, Gefahr gebannt."
Also lieber rechtzeitig handeln.

Wann hast du das gelesen? Da siehst du mal, was für ein elefantöses Gedächtnis ich habe.

Angst vor dem Zahnarzt? Habe ich auch, obwohl ich fünf Tage die Woche dort hin muß.


Liebe Grüße an Euch
Antonia

 

Hej Antonia!

Fiese kleine Geschichte über die alltäglichen Bauchschmerzen der Menschheit... gefällt mir trotz der Kürze! Und das mit den Ratten kann man so ähnlich auch bei Bret Easton Ellis ("American Psycho") nachlesen, der hat wohl die gleiche Quelle wie Du... ;)

Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

Hallo, Chaosqueen!

Freut mich, dass Dir dieses fiese Stück gefallen hat. :cool:

Wo ich das mit den Ratten her habe, weiß ich nicht mehr (ich nehme an, bei Amnesty International). Ist aber zu lange her.

Hast Du "American Psycho" gelesen? Soll ja den Kritiken nach zu urteilen ziemlich heftig sein.


Liebe Grüße
Antonia

 

Hej Antonia!

Ja, ich hab "American Psycho" gelesen - im Rahmen eines Seminars in der Uni... :)

Es ist heftig, aber es ist auch brilliant. Das Buch ist zum einen die Geshcichte eines Psychopathen und zugleich auch die Geschichte einer kranken Gesellschaft. Empfehlenswert, man sollte es nur nicht auf nüchternen Magen genießen! :D

Gruß,

chaosqueen :queen:

 

Liebe Antonia,

gut, dass ich diesen Text ausgegraben habe, denn mir scheint, ich habe in dir auch so eine Mitstreiterin in Sachen superkurz Geschriebenes gefunden. Ich mag solche winzigen Texte, die manchmal mehr aussagen als ein ganzer Roman ungemein gern. Sie passen in unsere Zeit, weil sie ob ihrer Kürze in unser Gedächtnis passen und man sie bequem mitnehmen kann in die Warteschlangen, die unsere Zeit ja auch allerorts mit sich gebracht hat.
Sehr eindringlich geschildert, sehr extrahiert, gut so.

Mir fallen so stichwortartig viele Vorwürfe ein, die ich gegen einen solchen Protagonisten hätte, wie z.B., dass er lieber das Leiden als Funktion behält, als sich auf das wohl für ihn gefährliche Neuland des Geheiltwerdens und Geheiltseins zu begeben, es fiele
dadurch das Leiden weg, welches ja für manchen Menschen eine feste Größe im Leben darstellt und ihn auf eine höchstberechenbare Weise in der Ordnung der Krankheit gefangen hält.
Manche Menschen benötigen diese Ordnung.

Und dann fallen mir noch all diejenigen Menschen ein, die, wenn man ihnen rät, doch unbedingt sich von einem Arzt raten und helfen zu lassen, einen mit einem Wortschwall an Erkenntnissen zurückdrängen. Diejenigen, die bezüglich ihrer eigenen Erkrankung die hellseherischen Fähigkeiten entwickeln, genau zu wissen, dass ihnen kein Arzt helfen kann.

Wobei...wenn ich es mir so recht überlege, diese Menschen wohl sogar in ihrem Innersten recht haben mit dieser Erkenntnis, denn viele Erkrankungen haben ihren Ursprung im Kopf.
Mir ist nur wichtig, als Aussenstehende nicht diejenige zu sein , die solch einem Erkrankten auch noch ähnlich aktiv wie ein Ko-Alkoholiker zur Seite steht und damit indirekt eine Veränderung verhindern hilft.
Sorry, aber ich bin grad im Moment wohl sehr zynisch.
Ist aber nicht gegen dich gerichtet.

Lieben Gruß
elvira

 

Guten Abend, Elvira!

Hey, diese wirklich kurze Geschichte hatte ich beinahe schon vergessen.

Sie entstand in einer Phase, die nach Beobachtungen in meiner näheren Umgebung zu Genervtheit führte.
Ich kenne ziemlich viele Personen, die das Verhalten des Prot. an den Tag leg(t)en. Was Du in Bezug auf mögliche Heilung anmerkst, stimmt genau. Es gibt durchaus Kranke, die sich hinter ihrem Leiden verstecken, um Pflichten aus dem Weg zu gehen, oder um des ihnen entgegen gebrachten Mitleids willen.
Andere hingegen geben sich tatsächlich noch vor einer Befunderhebung selbst auf. Schlimm.
All denen ist jedoch gemeinsam, dass die Ursache im Kopf zu suchen ist und dort erweist sich Hilfe als sehr schwierig.

Viele wollen sich nunmal nicht helfen lassen und manchmal ist es am nächsten Morgen bereits zu spät.

Wie recht Du hast! Eine gewisse Härte gegenüber Alkoholikern und Drogenabhängigen führt nach meinen Erfahrungen eher zum Erfolg, als stille Duldung.

Danke, für Deinen Kommentar!

Ganz lieben Gruß
Antonia


P.S.: Dein Zynismus ist durchaus verständlich.

 

Hallo Antonia,
Deine Geschichte gefällt mir sehr gut, vor allem deswegen, weil es immer eine Person im Bekanntenkreis gibt, die so denkt. Das macht die Geschichte liebenswert.

Viele Grüße
Herbert

 

Hallo Antonia,

Du schilderst einen Schmerzgeschädigten der hartgesottenen Sorte: - Herrn Menschheit. Hier trifft deine Schilderung mE 100%ig zu.
Die Einzelindividuen hingegen sind meist nicht so resistent, wollen es auch nicht sein, zumindest bei akuten Schmerzen. Die Tendenz zum Arzt zu gehen ist heute eigentlich weit verbreitet, nur bei der Vorsorge harpert es eher. Aber natürlich gibt es diese Leute, die gerne ohne Arztstudium eine Eigendiagnose treffen, die den Arztbesuch hinfällig macht.

Was die Geschichte mit den Ratten angeht, sie wurde im Zusammenhang mit der Demonstration der Selbstbeherrschung der Spartaner erzählt (das habe ich übrigens vor über 30 Jahren gehört :) ).

Fazit zum Text: kurz, knackisch und gut!

Ciao belissima
Maris

 

Oh je, da habe ich beinahe Kommentare verschlafen!
Sorry ihr Beiden!

@ Herbert Stahlvogel:

Danke fürs Lesen und die Anmerkung! Ja, es gibt leider immer Jemanden, der so denkt und sich (und oft auch Anderen) damit das Leben unnötig beeinträchtigt.


@ Marissimo:

Danke, auch Du hast den/die Patienten gut durchschaut! Wo der Einzelne doch eher einmal gewillt ist, eine Besserung von eigentlich untragbaren Zuständen zuzulassen und eine Eigendiagnose zurückzustellen, mag in der Gesellschaft viel zu oft keiner der Erste sein, der Initiativen ergreift.

Das mit den Ratten willst Du vor über 30 Jahren gehört haben? Lüg´ nicht, da warst Du doch im Kindergarten! :D


Ciao
Antonia

 

Es freut mich, dass es mir gelungen ist, in diesem kurzen Text soviel Aussagekraft unterzubringen. Ich gebe Dir gerne Recht bez. Deiner Anmerkung über vorsätzliche Ignoranz. Manchmal erscheint es tatsächlich besser, die Augen zu verschließen vor Dingen, die Hoffnungen zerstören. Das gilt sowohl für Einzelpersonen, als auch für Völker oder die Menschheit. Was bleibt denn auch übrig.

Nein, ich möchte nicht wissen, wann ich sterben werde und woran.

Dank an Dich, werter Herr von Homburg!


Antonia

 

Ja,

habe das mit solchen Folterungen auch mal gelesen, am Ende gelangen die Ratten durch den Mund wieder heraus, bis dahin soll das Opfer gar noch leben.


Grausam.

Leider ich gehöre ich auch zu der Art Mensch, der einfach nie mit irgendwas anfängt, immer morgen sagt, aber heute noch mal Sonntag, und so tut man sich eine Menge an, Münchhausen lässt grüßen, der innere Schweinehund.

 

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