Momente
Er war so einsam. Wäre die Erde ein totes Stück Stein im All gewesen, er hätte nicht einsamer sein können. Er schaute aus dem Fenster, hinein in das trübe, lustlose Grau des verregneten Tages. Die Regentropfen fielen aus dem wolkenverhangenen Himmel, prallten gegen Blätter, Dächer, Fenster, immer bestrebt den Boden zu erreichen, als sei da etwas Verheißungsvolles, von dem sie sich etwas versprachen. Er beneidete die Regentropfen in ihrer einfachen Vollkommenheit. Glasklare, perfekte Gebilde, die in der Kurzen Zeit ihrer Existenz nichts anderes zu tun hatten ,als einfach nur vollkommen zu sein und den Boden zu erreichen. Er beneidete sie wirklich diese kleinen Geschöpfe, diese Wunder der Natur. Alleine waren sie nichts, vielleicht eine Träne auf der Wange, ein Tropfen auf der Haut, aber gemeinsam konnten sie Flüsse zum überschwemmen bringen, Städte vernichten und Menschen töten und alles nur, weil sie den gemeinsamen Drang hatten, immer tiefer zu gelangen. Vom Himmel auf die Erde, von der Erde in den Bach, den Fluß, den See, das Meer um dann denselben Kreislauf immer und immer wieder zu durchwandern. Schon immer. Schon seit Ewigkeiten. Er sah einen Regentropfen an seiner Scheibe zerplatzen und dann in vielen kleinen Rinnsalen an Ihr herunterlaufen und Verschwinden. Ob dieser Tropfen irgendwann schon einmal seine Scheibe berührt hatte, oder Ihn, oder sonst etwas, was ihn betraf ? Er schloß die Augen. Er war dieser kleine unscheinbare Tropfen, dieses kleine Etwas, blind, taub, stumm und doch kannte er immer nur ein Ziel. Vorwärts, vorwärts, niemals zurück, immer nur das eine - fließen, fließen, fließen. Hinab, hinab, hinab. Ein Teil des ganzen und doch kein Teil. In der Gesamtheit ein einziges Ganzes.
Die Sonne brannte auf die bunte Wiese, die von zahlreichen Blumen übersät war und der sanfte Sommerwind streichelte zärtlich über die saftig grünen Hügel die um ihn herum waren. Er schaute in den Himmel, zwinkerte geblendet einigen dahingleitenden Wolken zu, die majestätisch über den tiefblauen Himmel zogen und gleich riesigen Vögeln ihre gigantischen Schwingen über das Land legten und es mit kühlendem Schatten überzogen. Der Schatten kam, verweilte ein Weilchen bei mir, verabschiedete sich wieder und überließ mich dem nun wieder angenehm wärmenden Sonnenlicht. Wieder streichelte der sanfte Sommerwind über meine scheinbar immergrünen Wiesen und Felder und ließ mich einen Moment frösteln um mich eine Sekunde später gleich einer weichen Wolldecke zärtlich zu umschmeicheln. Ich war allein mit meinen guten, alten Freunden. Der Schatten kam und ging, meldete sich jedoch nie vorher an, trotzdem zweifelte ich nie an seiner Aufrichtigkeit. Ich konnte mich auf ihn verlassen, genauso wie auf all die anderen.
Der Moment fror ein im Eismeer der Zeit. Für immer konserviert im Lauf der Ewigkeit. Festgehalten und doch auf ewig verloren. Ein Moment kann immer nur einmal mit der gleichen Intensität gefühlt, mit den gleichen Sinnen erlebt werden und immer nur von denen, die an seiner Erschaffung beteiligt waren.
Es tut mir leid, alter Freund, ein Moment war da. Er kam nie, er ging nie, er war einfach wieder weg. Festgehalten war er nur in der wärmenden Erinnerung meiner Gedanken. Meine kleiner Freund der Regentropfen sprach jedoch zu mir, als ich meine Gedanken in die unendliche Tiefe des blauen Himmels schickte. „Wenn alles da ist, nichts kommt, nichts geht und auch wieder nichts existiert, was ist der Moment eigentlich? Was ist es eigentlich was unser Leben ist? Viele Moment aneinandergereiht. Viele Male nichts. Eine Million mal Null ist nichts! Ist unser Leben, Du - Ich, sind wir alle überhaupt?“ Ich schaute Ihn an meinen kleinen Freund, den Tropfen und mir wurde klar, daß wir uns schon oft gesehen hatten in dieser Welt und auch in vielen anderen. Das Leben eines Menschen war eine Moment, aus der Perspektive eines Regentropfens war ein Moment ungleich anders. Ich konnte meinen kleinen Freund nur zu gut verstehen.
Der Moment war jetzt da - und jetzt war er weg. Ich schaute im wehmütig nach. Eine Träne floß aus meinem Auge, rollte über meine Wange, befeuchtete meine Lippen, rann über mein Kinn und fiel auf den Boden, wo sie im imprägnierten Teppich starb. Mein armer kleiner Freund, dachte ich, das wollte ich nicht. Ich beugte mich nieder zu dem Grab der kleine Träne, diesem dunklen, kleinen Fleck auf meiner bunten Sommerwiese und beobachtete wie er langsam verschwand. Da war er wieder mein kleiner Freund. Er räkelte sich, reflektierte das schillernde Sonnenlicht und zeichnete mir die tausend Farben des Regenbogens in meinen Geist und auf die ganze Welt und zum ersten Mal manifestierte sich ein Moment in Form einer Emotion. tiefempfundene Zuneigung begleitete meinen Freund, als er durch das offene Fenster seine Freiheit wiederfand, um noch viele Momente zu erleben. Ich erschauderte, weniger weil meine alter Freund der Sommerwind mich freundlich umschmeichelte, nein mehr noch ob der Erkenntnis dieses Moments und schon war er wieder weg der Moment.
Aber- er war sehr nett gewesen, alter Freund.
Ich wußte, ich würde Sie wiedersehen. Alle meine guten Freunde. Auch wenn sie sich nie anmeldeten. Ich konnte mich auf sie verlassen.
So sehe ich das Leben durch meine Augen. Alle fünf und zwei Momente lerne ich jedoch neue Freunde kennen. Doch nur die wenigsten verstehen diese Worte - ob sie es Wert sind ? Der Moment wird die Antwort der Ewigkeit geben. Diese fragte und erhielt die Antwort.