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Mit der Einzigartigkeit eines Rosamunde Pilcher-Romans
„Ich möchte eine Geschichte über Liebe schreiben“, sage ich. „Eine, wie sie die Welt noch nie gesehen hat.“
Jay beginnt zu lachen. „Nun, dann darf sie nicht von Liebe handeln.“
„Das wird aber ein bisschen schwierig, meinst du nicht?“
„Jana, hör mir zu: Liebe ist das meistgewählte Thema in Kurzgeschichten, Romanen, Gedichten, Songtexten … eigentlich der gesamten Kunst – es gibt ja auch noch Bilder und …“
„Okay, okay! Ich versteh schon, aber irgendetwas muss es doch geben.“ Ich habe mein konzentriertes Gesicht aufgesetzt, tippe nachdenklich meinen Bleistift auf den Schreibblock vor mir.
„Und wenn schon – wie willst gerade du diejenige sein, die diese Marktlücke findet? Du bist jung und naiv und hast keine Ahnung von Liebe.“ Jay sieht mich belustigt an, hält kurz in ihrem ständigen Umherschleichen vor meinem Fenster inne und verschränkt die Arme, um ihr Argument zu verstärken. Wofür habe ich sie eigentlich gerufen?
„Vielleicht ist das ja gerade mein Vorteil?“ Ich lehne mich zurück, um meinen trotzigen Blick besser zur Geltung kommen zu lassen.
„Bitte, dann schieß mal los: Welche Ideen hast du denn bisher?“
Ich schaue auf meinen Block. Bis auf die Punkte, die meine Nachdenklichkeit dort fabriziert haben, ist die Seite leer. Genau wie alle anderen Seiten danach. Jay folgt meinem Blick.
„Faszinierend! Wusste gar nicht, dass du die Brailleschrift beherrschst.“
„Ich will jedenfalls kein Mann-trifft-Frau-Mann-verliert-Frau-Gedöns mit klischeehaftem Ende.“ Ich sehe, wie sie zum Reden ansetzt, haue die Spitze meines Bleistifts mit Nachdruck auf das Papier. „Kein Person-trifft-Person-Person-verliert-Person-Gedöns mit klischeehaftem Ende! Geschlecht egal!“
Jay grinst. „Dann sind wir ja ein gutes Stück weiter.“
„Keine Kennenlerngeschichte also. Aber was, wenn das Paar sich schon länger kennt? Echte Liebe ist es doch erst, wenn sie sich schon bewiesen hat. Nicht so 'ne Flirterei und teenagerhaftes Übereinanderherfallen.“
„Gefällt mir. Du hast schon drei solcher Geschichten geschrieben.“
Der Stift fliegt weg und kullert quer über den Tisch. Musste ja irgendwann passieren.
„Wie wäre es mit einem besonderen Setting, in dem die Geschichte stattfindet?“ Ich nehme mir einen neuen Bleistift und drehe ihn langsam zwischen Daumen und Zeigefinger. Jay sieht mich erwartungsvoll an.
„Eine Hütte im Wald – eine Wochenendhütte. Ein Künstler nutzt sie als Ruheort für Inspiration. Es gewittert und …“
„… eine regendurchnässte Frau klingelt an der Tür, weil ihr Auto den Geist aufgegeben hat und sie niemanden übers Handy erreichen kann. Er gibt ihr Tee und einen alten Pullover, beim Umziehen sieht er ihre halbnackte Gestalt und ist inspiriert, sie erzählen sich sentimentale Geschichten, während er sie zeichnet und am nächsten Morgen will sie am liebsten nicht mehr von ihm weg.“
Ich schweige und puhle am Radiergummiende des Stifts herum.
„Genauso begeistert werden die Leser auch reagieren.“
„Wochenendhütte ist aber gut“, sage ich.
„Und liegengebliebene Autos und hilfsbereite, unglaublich gutaussehende Männer. Und Orte, an denen Stroh rumliegt. Jana, du willst über Liebe schreiben. Keine. Pornos.“
„Okay, neues Setting: Es geht um einen Mann, der -“
„Wenn das jetzt wieder sowas Morbides wird …“
„Ich hab doch noch nicht mal was gesagt!“
„Ich wollt’s nur schon mal anmerken; früher oder später stirbt bei dir immer jemand.“
„Okay, erstens: Das stimmt nicht. Zweitens: Der Tod ist was ganz Natürliches und eignet sich super als Motiv.“
„Du wolltest über Liebe schreiben“, erinnert Jay mich.
„Danke, hätte ich beinahe vergessen.“ Wir schweigen. Mein Kopf war noch nie so leer. Selbst mein perforierter Block gibt ein inspirierenderes Bild ab als meine Gedanken. „Jetzt mach du doch auch mal einen Vorschlag!“
„Damit du ihn ablehnen kannst? Bestimmt nicht.“
„Ach ja, aber du bist ja so konstruktiv!“
„Zu deiner Erinnerung: Du warst der Ansicht, eine Marktlücke finden zu können. Ich hab dagegen gewettet. Ich bin also fein raus. Außerdem bist du die Autorin unter uns – oder ähnliches.“
„Aber du bist meine Kreativität, meine persönliche Kritikerin, ohne dich läuft hier gar nichts!“ Ich gestikuliere in großen Bewegungen über meinem leeren Block, um ihr den Ernst der Lage klarzumachen. Es sieht jedoch eher aus, als wollte ich die Buchstaben nun durch Magie heraufbeschwören.
Jay lässt den Versuch, ihr meine Wertschätzung ihrer Anwesenheit deutlich zu machen, unkommentiert.
„Zwei Kindheitsfreunde treffen sich nach langer Zeit wieder und merken langsam aber sicher, dass sie noch immer diese besondere Connection haben.“
„Was, sorry? Ich war kurz weggedöst.“
„Witzig“, sage ich trocken.
„Was ist mit Arbeitskollegen, die sich zunächst nicht leiden können, aber dann …“
„Was Frauen wollen.“
„Wie bitte?“
„Dieser Film mit Mel Gibson und Helen Hunt. Schon ewig alt. Wie die Story.“
„Und wenn sich zwei Fremde in so 'ner Art virtuellen Realität treffen? Sie verbringen immer mehr Zeit miteinander, kennen sich in- und auswendig, ohne sich jemals tatsächlich getroffen zu haben.“
„San Junipero-Folge aus Black Mirror.“
„Liebe als Resultat einer überstandenen Gefahrensituation?“
„Ach herrje, jetzt wird’s spezifisch. Zu sehen in so ziemlich jedem Action-Thriller.“
„Frustrierend“, seufze ich.
„Sag das mal Inga Lindström oder Rosamunde Pilcher, die schreiben jeden Tag das Gleiche. Das ist Fließbandarbeit mit Buchstaben.“
„Wird trotzdem gelesen.“ Der Radiergummi ist abgepuhlt. Ich beginne, kleine Schnipsel von meinem leeren Block abzureißen und sie zwischen meinen Fingern zu klitzekleinen Röllchen zu formen. „Superhelden gehen immer“, stelle ich fast beiläufig fest.
„Als Comics. Und was ist aus deinem Vorsatz geworden, innovativ zu sein?“
„Geht doch anscheinend auch ohne.“
Jay setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber, sie hat ihre strenge Miene aufgesetzt und ist bereit zum Real-Talk. Ich weiß jetzt schon, dass sie gleich wieder aufstehen und weitertigern wird, möchte sie aber ungern darauf ansprechen. „Natürlich geht langweilige Kommerzscheiße. Aber du schreibst, weil du was zu sagen hast ... Wenn du was zu sagen hast ...“
Ich lache. In meiner Magengegend spüre ich Hysterie aufkeimen. Die Lage ist schlimmer, als ich zunächst vermutet habe.
„Eigentlich wollte ich ja auch gar nicht über Superhelden schreiben, sondern über Liebe.“
„Dann lass dich halt nicht ablenken!“
Während wir schweigen, erhebt Jay sich von ihrer kurzfristigen Sitzgelegenheit und geht zum Fenster, um rauszuschauen. Dort bietet sich ihr der vielleicht uninspirierendste Blick, den man sich vorstellen kann, aber sie scheint sich nicht daran zu stören.
„Schnee“, sage ich plötzlich.
Jay nickt beeindruckt. „Ein umfassendes Thema. Kann auch schnell zu einem fetten Wälzer ausarten. Und hat extrem viel mit Liebe zu tun.“
Ich schnipse die Röllchen über den Tisch. Sie landen in ganz unterschiedlichen Richtungen. Faszinierend.
„Meinst du, das wird hier heute noch mal was, oder ...“ Der Satz bleibt in der Luft schweben. Anders als das Papierröllchen, das ich gerade in Richtung des Fensters katapultiert habe. Es dotzt gegen Jays Schlüsselbein und kullert in ihren Ausschnitt. Das amüsiert mich.
„Jana!“, versucht Jay es erneut.
„Hm?“, mache ich.
„Ist unsere Unterhaltung zielführend oder musst du vielleicht mal was anderes machen?“
„Was denn zum Beispiel?“
„Putzen.“ Jay schnipst eines der Röllchen zu mir zurück. Es landet auf meiner Stirn, benutzt sie als Rutsche und bleibt in meiner Augenbraue hängen. „Ich muss jedenfalls noch was erledigen.“
„Danke für deine Hilfe!“, rufe ich Jay nach, als sie meine Wohnung verlässt; vielleicht ein bisschen zu ironisch, merke ich im Nachhinein.
Während ich die Schnipsel zusammenkehre, überlege ich, welche Themen sich wohl für eine neue Kurzgeschichte eignen würden. Vielleicht irgendwas mit Freundschaft oder so. Etwas, das die Welt noch nie gesehen hat.