Was ist neu

Michael

sim

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13.04.2003
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Michael

Peter Krieter setzt zum Endspurt an. Den hätte er gar nicht nötig, so überlegen, wie er das Feld anführt. Drei Kilometer vor dem ersten Verfolger. Für das Publikum, das ihm an der Straße zujubelt, gibt er noch einmal sein Bestes. Keine Siegerpose, kein schon vor der Ziellinie in die Luft gestreckter Arm. Er bleibt konzentriert im Rhythmus, den die Zuschauer anfeuernd klatschen, tritt in die Pedale, bis er die Zeitmessung erreicht hat. Ein großer Champion.
Ich bin zu Hause, stelle mein Fahrrad im Hof ab und gehe in den Laden.
»Guten Tag Frau Brunner, guten Tag Frau Melfsen, guten Tag Frau Seifert.«
»Wie schön, eine Hilfskraft«, begrüßt Mama mich. Papa höre ich im Keller Kartoffeln wiegen. Jacke und Schultasche schmeiße ich auf das Sofa im Aufenthaltszimmer, eile hinter den Tresen, schaue den beiden Damen ins Gesicht, die Mama gerade nicht bedient. »Wer will zuerst?«
»Ach Peterchen, was koche ich denn heute?«, fragt Frau Seifert. »Ich habe mir nebenan ein schönes Stück Kassler gekauft.«
Ein kurzer Blick auf den Bestand im Fenster. »Versuchen Sie die Teltower, Frau Seifert. Die sind so frisch, die brauchen sie nicht zu schälen. Ich suche Ihnen kleine raus, einfach mit Salz und Pfeffer in Öl dünsten, zum Schluss mit Zitronensaft und Honig ablöschen. Das passt prima zum Kassler.«
»Dann geben Sie mir bitte ein Pfund davon.«
Ich reiße eine Tüte vom Haken, fülle die Rübchen hinein.
»Ihr Sohn ist immer so freundlich«, höre ich Frau Melfsen zu Mama sagen, »Den haben Sie wirklich gut erzogen. Und er strahlt immer.«
»Nur ich merke nichts davon.«

*

Peter Krieter ist es gelungen, das Simple in der Haute-Cuisine zu etablieren. Es muss nicht immer Kaviar sein. Nicht immer Lachs, Entenbrust oder Wildfilet. Der deutsche Spitzenkoch hat gezeigt, welch Gaumengenuss Kartoffeln und Möhren sein können, wenn man sie auf den Punkt gart, mit saisonalen, frischen Kräutern würzt und weder Geschmack noch Vitamine mit dem Kochwasser in den Ausguss kippt. Großartige Küche, die jeder sich leisten kann.
»Willst du deinen Vater umbringen?« Mama schaut Papa an, nicht mich. Ihre Gabel in der Hand als wollte sie damit zustechen. »Du weißt doch, dass er nicht so viel Salz darf.«
Papa isst schweigend.
»Ich habe es doch nur zum Schluss mit einer halben Tasse Gemüsebrühe abgelöscht.«
»Das ist zu viel.«
»Schmeckt es nicht?«
»Doch, aber dein Vater darf kein Salz.«
Papa isst schweigend. Mama isst knirschend. Ich esse nichts, warte, bis mein Vater sich Nachschlag nimmt.
»Wir haben heute einen Neuen in die Klasse bekommen. Er heißt Michael.«
Papa isst schweigend, Mama isst stumm. Ich esse meinen Teller leer, räume ab, koche Kaffee, während meine Eltern sich für eine halbe Stunde hinlegen, bevor wir den Laden wieder öffnen.

*

Peter Krieter läuft aus dem Tor. Ganz allein steht er dem angreifenden Stürmer gegenüber, fixiert diesen, wartet, für eine Seite muss der Stürmer sich entscheiden, für eine Seite muss Peter Krieter sich entscheiden. Jetzt taucht er rechts nach unten, wirft sich auf den Ball, bleibt Sieger. Es ist einfach kein Vorbeikommen an diesem Klassetorwart.
Ich werfe den Ball zu Dennis, einem meiner Klassenkameraden, der schießt ihn weit nach vorn. Hauptsache weg. Uns ein bisschen Verschnaufpause gönnen, bevor der nächste Angriff kommt.
»Bist wohl mächtig stolz, Krieter«, schimpft Frank. »Den Nächsten schieß ich dir durch die Beine.«
»Ich bin gespannt.«
Wir sind die Loser, Timo, Matthias, Manuel, Andreas und ich. Wir gehören nicht zu denen, die sich gleich zusammenfinden, wenn der Sportlehrer Fußball anordnet. Gegen Frank, Thomas, Kevin, Kaan und Younes haben wir keine Chance. Aber noch haben sie kein Tor geschossen.
Der Ball kommt zurück. Kevin spielt zu Frank, Timo kann nicht hinterherlaufen. Ich muss wieder raus, mich wieder entscheiden, warten, bevor ich mich auf den Ball werfe, ihn unter mir begrabe. Frank setzt zum Schuss an, zieht durch, tritt mir aus vollem Lauf in die Rippen.
Der Lehrer pfeift. Ich bleibe liegen. Frank grinst. »Loser«, zischt er.

*

Keine Kritik am Essen, obwohl es so ungesalzen bescheiden schmeckte. Keine Kritik am Abendbrot, trotz der Rühreier, die doch den Cholesterinspiegel viel zu stark erhöhen. Fast Harmonie vor dem Fernsehgerät am Samstagabend. Mama weint bei zwei Jungen, die ihre Klassenkameraden am Klang einer Plastikflasche erkennen, die auf deren Kopf geschlagen wird. So, wie bei ihren alten Platten von Heintje oder bei Filmen mit Kindern.
»Der Neue in der Schule ist richtig nett. Michael singt bei den Alsterspatzen und hat mich gefragt, ob ich nicht einmal mit ihm kommen möchte.«
»Und wer soll uns dann helfen?«, fragt Mama. »Du kannst doch gar nicht singen.«
Peter Krieter hat für sein zartes Alter von dreizehn Jahren einen erstaunlichen Stimmumfang. Wichtiger aber ist das Gefühl, mit dem er singt. Brüchig, verletzlich, pianissimo in tragischen Szenen, überschwänglich, fast übermütig, lebensfroh fortissimo in jubelnden Koloraturen rührt er im Duett mit seinem Freund Michael die meist mütterlichen Zuhörer zu Tränen.

*

»Hey Krieter, heute lernst du fliegen, ein Überflieger bist du ja schon.« Kaan und Thomas fangen mich schon bei der Tür zum Klassenraum ab. Beide sitzengeblieben, beide zwei Jahre älter als ich. Frank öffnet das Fenster. Die Pause ist bald vorbei.
Eine 2. Nur eine 2 habe ich in der Mathearbeit geschrieben.
»Wie fühlt man sich als Oberschlauer?«, fragt Timo. »Du hättest mich wenigstens abschreiben lassen können.«
»Du hast abgeschrieben. Offenbar falsch.«
Die Mädchen setzen sich gleich an ihre Tische. Kaan schubst mich voran. Timo und Frank schieben einen Tisch vor das Fenster, stellen sich darauf. Thomas drückt seine Hand in meinen Nacken und zwingt mich mit dem Kopf auf die Tischplatte.
»Du darfst meine Schuhe lecken«, höhnt Frank. »Egal wie schlau du bist.«
Ich sammle soviel Speichel, wie ich kann, und spucke ihm auf seine Sneakers.
»Das wirst du noch bereuen.« Frank setzt seinen Fuß auf meinen Rücken, Kaan und Thomas reißen meine Beine hoch. Ein schmerzhafter Stich.
»Die Wirbelsäule soll ja sehr biegsam sein«, sagt Thomas lachend.
»Das weiß er doch«, fügt Timo hinzu. »Schließlich passt unser Streber in Biologie immer auf.«
»So biegsam nun auch wieder nicht!«, brülle ich. »Ihr brecht mir das Kreuz!«
Die Jungen lachen, von den Mädchen höre und sehe ich nichts. Frank und Timo umklammern meine Fußgelenke, reißen mich an ihnen nach oben. Mein Kopf schwebt über der Tischplatte.
Peter Krieter lässt sich für einen waghalsigen Stunt kopfüber aus dem Fenster der dritten Etage seiner Schule hängen. »Es ist eine Frage der Vorbereitung und des Vertrauens«, gab er vorher in einem Interview an. »Auf meinen Partner Michael kann ich mich hundertprozentig verlassen. Ohne ihn wäre die Nummer nicht möglich.« Kein Netz ist unter dem Fenster gespannt. Lässt sein Partner los, stürzt Krieter kopfüber auf die Steinfliesen. Auch, wenn er natürlich in der Lage ist, sich mit einem Salto zu drehen, bleibt der Ausgang ungewiss.

*

»Endlich Hilfe«, begrüßt Mama mich. »Wir brauchen dringend Kartoffeln vorgewogen. Dein Vater ist beim Zahnarzt.«
»Hallo Frau Seifert, haben Ihnen die Teltower geschmeckt?«
Sie rümpft die Nase, wie sie es immer tut. »Die waren großartig, Peterchen.«
Jacke und Schultasche schmeiße ich auf das Sofa im Aufenthaltszimmer und gehe in den Keller.
»Wenigstens ist er nicht bei den Linken und nimmt keine Drogen«, höre ich die Stimme meiner Mutter.
Peter Krieter hat gekämpft, hart für den Erfolg gearbeitet. Er hat in seiner politischen Laufbahn seine Wurzeln nicht vergessen. Ein Mann aus dem Volk, der die Sprache der kleinen Leute spricht. Einen besseren Außenminister hätte sein Freund und Kanzler Michael nicht finden können. Vielleicht ist es ein Vorteil, dass er in seinem Alter noch nicht so erfahren ist. Das bietet ihm die Chance, sich eingeschliffener Sprechblasen zu enthalten und unkonventionelle Entscheidungen jenseits von Diplomatie und Sachzwängen zu treffen. Sein freundlicher Charme wird ihn dabei unterstützen, auch kritische, den Linken wichtige Themen wie Menschenrechtsverletzungen anzusprechen.

 

Hallo sim,

souverän und flüssig wie immer geschrieben, deinen Prot Peter kann ich gut vor mir sehen: ein ehrgeiziger Träumer, dem die Realität immer wieder in die Quere kommt. Seiner Mutter ist er nicht gut genug, in der Schule ist er der als Streber verschrieene Außenseiter.

Nicht ganz sicher bin ich mir, was diesen Michael betrifft, der immerhin titelgebend für deine Geschichte ist. Fast glaube ich, er ist nur eine Erfindung von Peter - der Freund, den er gern hätte, den es aber in Wahrheit gar nicht gibt. Dazu würde passen, dass er in keiner Szene der Geschichte selbst auftritt.

Wenn meine Deutung richtig ist, könntest du es noch ein bisschen deutlicher machen, z.B. indem du Michael auch in der Fußballträumerei auftreten lässt (er könnte ja der stolze Trainer von Peter sein, oder eben ein perfekt eingespielter Teamkollege, wobei letzteres zu einem Torwart nicht sooo gut passt).

Ansonsten hat mir die Geschichte gefallen, vor allem die Phantasien, in denen Peter zum Radchampion, zum Spitzenkoch usw. wird. Was Michael anbetrifft, hast du mich vielleicht auch auf eine falsche Fährte gelockt.

Ein wenig Textkram:

»Ach Peterchen, was koche ich denn heute?«, fragte Frau Seifert.
fragt Frau Seifert

Die sind so frisch, die brauchen sie nicht schälen.
..., die brauchen Sie nicht zu schälen.

Das passt prima zur Kassler.
Hm. Ich könnte schwören, dass es bei uns zuhause "das Kassler" heißt, wobei ... sicher bin ich mir nicht.

»Der Neue ist richtig nett. Michael singt bei den Alsterspatzen und hat mich gefragt, ob ich nicht einmal mit ihm kommen möchte.
da fehlt ein « am Ende.

Liebe Grüße,
ciao

Malinche

 

Hallo Malinche,

vielen Dank fürs Lesen und für deine Hinweise.
Kassler war bei mir immer weiblich, weil mein Vater, ein gelernter Fleischer, sie weiblich bezeichnet hat, da ich im Netz aber keinerlei Hinweise auf regionale Unterschiede finden konnte, habe ich es geändert. Ich hoffe, ja, es geht in meinem Sprachgebrauch noch ein.
Deine Deutung zu Michael trifft zumindest meine Intention, insofern habe ich dich nicht auf eine falsche Fährte gelockt. Beim Fußballspiel kann ich ihn allerdings noch nicht auftreten lassen, da dieser Traum formal noch vor der Realität platziert ist, wäre es eher verwirrender. Es würde nicht deutlich, dass Michael in keiner Szene selbst auftritt.

Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Liebe Grüße und vielen Dank
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim,

ich habe sie sehr gern gelesen, Deine Geschichte vom "Träumer".
Die Träume, in die er flüchtet, in denen er die Selbstbestätigung sucht, die weder Mutter, noch die Klassenkameraden ihn zukommen lassen. Denn, wäre er so, würden ihn alle bejubeln und feiern. Dabei würde ihm im realen Leben schon eine kleine Geste seiner Mutter reichen.

Was Michael betrifft, so erging es mir wie Malinche, Traum oder Realität? Ich habe ihn dann in die Realität geschoben, da er bei den Alsterspatzen singt. Das gab ihm einen Hauch von "sein" :). Kann natürlich aber auch Peters Wunschdenken zugeschrieben werden. Oder meinem, ich wünsche ihm so sehr einen Freund.
Das Peter sich allerdings einen "Freund" aussucht, welcher nicht, wie die anderen auf dem Fußballplatz bolzt und mit körperlicher Kraft in Erscheinung tritt, sondern jemanden, der die Musik mag, finde ich ein schönes Charaktermerkmal, was unscheinbar durch die Hintertür kommt.

Papa isst schweigend. Mama is(s)t knirschend.

Nehme ich mal an :).

Sehr schön. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen.

Lieben Gruß Fliege

 

Salü sim,

wirklich gut Deine neue Geschichte - inhaltlich und sprachlich, wie aus einem Guss. Besonders schön in meiner Lesart: Dass der Michael so im Hintergrund bleibt, geheimnisvoll wie Siegfried unter der Tarnkappe und doch ist er da, wenn Not und Einsamkeit am grössten sind und all die Qual mit Heldentaten gelindert wird.
Da ist Dir wieder mal etwas gelungen, was haften bleibt! Besonders die Szene mit dem Stunt:

»Auf meinen Partner Michael kann ich mich hundertprozentig verlassen. Ohne ihn wäre die Nummer nicht möglich.«
hat mich richtig hergenommen. Der ganze Absatz ist wunderbar eindrücklich.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hi sim,

ja, hat mir auch gefallen. Sauber geschrieben, in einem Fluss durchgerutscht, bin lediglich über den gleichen s-Vertipper (?) gestolpert wie Fliege.

Ich habe bei Michael gleich an einen imaginären Freund gedacht. Tröstlich, dass Peter ihn hat, viel anderes scheint er nicht zu haben. Das bringst du sehr eindrucksvoll in den verhältnismäßig wenigen Zeilen rüber. Die Stationen, die du zeigst, lassen eigentlich kaum Fragen offen.
Viele Sätze laden zum interpretieren ein.
So sagen die Eltern nichts, als Peter Michael erwähnt - Michael gehört nicht in die Reale Welt und wird daher von den allzu realen Eltern ignoriert. Auch der zweite Versuch mit dem Gesang scheitert, ein Eindringen Michaels wird abgelehnt.
Schön finde ich auch diesen Satz:

ebensfroh fortissimo in jubelnden Koloraturen rührt er im Duett mit seinem Freund Michael die meist mütterlichen Zuhörer zu Tränen.
kann man doch hier die Sehnsucht Peters nach Zuneigung seitens der Mutter rauslesen.

Rein Formal sehe ich sechs Absätze. Die ersten 3 werden mit der Fantasie eingeleitet, die letzten 3 enden damit jeweils. Habe lange rumgerätselt, ob das inhaltlich irgendwas unterstützt, komme aber auf keine befriedigende Antwort. Bestimmt war aber diese Einteilung Absicht, oder?

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fliege,

für Peter ist Michael real. Er kennt auch seine Haar- und Augenfarbe, die Sommersprossen. Und hätte es gepasst, könnte er sie beschreiben. Nur will ja niemand in seinem Umfeld von Michael wissen. Warum die Alsterspatzen muss ich vielleicht noch mal deutlicher machen. Ebenfalls, dass Peter zwar träumt, aber durchaus etwas zu bieten hätte. Zum Beispiel hat er eine Klasse übersprungen, kann (für einen 13-jährigen) wirklich (gut) kochen und hat tatsächlich kein Tor durchgelassen. Dazu aber später bei Weltenläufer noch mehr.
Und Mama isst natürlich knirschend, wie konnte ich das nur bei so vielen Kontrolllesungen übersehen?
Vielen Dank für deine Hinweise.
Schön, dass es dir gefallen hat.

Hallo Gisanne,

auch dir vielen Dank. Es freut mich natürlich, wenn es haften bleibt.

Hallo weltenläufer,

die Eltern wissen noch nicht einmal, ob es Michael wirklich gibt, sie gehen aber davon aus. Wahrgenommen wird er halt erst, als er die Belange der Eltern bedrohen könnte.
Es freut mich, dass dir die "mütterlichen Zuhörer" aufgefallen sind. Ich wollte erst noch eine Beobachtung Peters einbringen, nach der die Mama immer weint, wenn im Fernsehgerät der Tölzer Knabenchor oder die Wiener Sängerknaben auftreten, dann wäre mir aber seine Fantasie zu bewusst und reflektiert erschienen. Darum freut es mich, dass du den Gedanken dahinter auch so aufgefasst hast.
Natürlich ist die formale Einteilung Absicht. Die ersten drei Fantasien stehen wie die zweiten drei im Zusammenhang mit dem realen Erleben, verschönern aber noch nicht eine reale Abfuhr oder dissoziieren eine in der Tat lebensbedrohliche Situation.
Die ersten drei Fantasien begleiten die aktuelle Handlung aktiv. Er fährt gerade wirklich Rad, kocht gerade wirklich, steht gerade wirklich im Tor, übertreibt nur in einer Art Reportage, mit der er sein eigenes Tun begleitet. Man kann sich bei den ersten beiden sogar vorstellen, dass er sie laut spricht.
Die letzten drei Fantasien kommentieren entweder erst geplantes oder gewünschtes Tun (er singt ja nicht wirklich), dissoziieren ihn aus der Realität (er wird tatsächlich aus dem Fenster gehängt und bekämpft mit der Fantasie die Angst) oder greifen eine ihm widerfahrende Geringschätzung durch die Mutter auf, die nicht für seine Ohren bestimmt ist, um wenigstens in der Fantasie Widerstand zu zeigen (er wird Politiker, hier sollte ich vielleicht die Linken noch mit einbinden) Erst in diesen Fantasien der Wünsche und Dissoziationen spielt Michael deshalb auch eine Rolle.
Soweit zu meiner inhaltlichen Absicht. Ob die für bewusste Interpretationsebenen wichtig ist, mag ich nicht beurteilen. Ich bin aber sicher, sie muss so genau nicht erfasst werden, um zu wirken. ;)
Auch dir vielen Dank.

Liebe Grüße euch allen
sim

 

He Sim

die Eltern wissen noch nicht einmal, ob es Michael wirklich gibt, sie gehen aber davon aus. Wahrgenommen wird er halt erst, als er die Belange der Eltern bedrohen könnte.
Ja, so habe ich das auch gelesen.

ch wollte erst noch eine Beobachtung Peters einbringen, nach der die Mama immer weint, wenn im Fernsehgerät der Tölzer Knabenchor oder die Wiener Sängerknaben auftreten, dann wäre mir aber seine Fantasie zu bewusst und reflektiert erschienen.
Das wäre in meinen Augen auch etwas zu aufzeigend. Finde ja gerade schön, dass man hier das meiste zwischen den Zeilen lesen muss.

Natürlich ist die formale Einteilung Absicht
Daran habe ich auch nicht gezweifelt. Und deine Antwort befriedigt mich vollkommen.

Und Mama isst natürlich knirschend, wie konnte ich das nur bei so vielen Kontrolllesungen übersehen
nun ja, zerknirscht ist sie womöglich. :D Und gibt es nicht auch die Redensart knirsch mit jemanden zu sein?
Von daher ist das Übersehen gar nciht so weit hergeholt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo sim!

Deine Geschichte hab ich gefunden, als wir am letzten Tag auf der Insel Hvar ein W-Lan-Restaurant entdeckt haben. Leider konnte ich sie dort nicht lesen, weil es für meinen Taschenspiegel viel zu hell war, aber daß sie mir gefallen könnte, sah ich gleich. So gab es wenigstens einen Grund, mich aufs Heimkommen zu freuen. :)

Der erste Eindruck war dann auch tatsächlich keine Täuschung, denn sie ist eine von denen, die einen länger beschäftigen können, und sowas mag ich ja, wie Du weißt.

Peter flüchtet mithilfe seines imaginären Freundes Michael vor der bitteren Realität, in der sich niemand wirklich für ihn interessiert. Seine Eltern sind nur an seiner Arbeitskraft interessiert, richtige Freunde hat er keine, seine Mitschüler wollen bestenfalls von ihm abschreiben, ihn also wie die Eltern bloß für die eigenen Zwecke benutzen.
Nur in seiner Phantasie ist alles schön und bunt, werden seine Begabungen und Leistungen gesehen, hat er einen Freund, der ihn sogar unterstützt und ihm die Angst nimmt, und ebenso kann er nur hier zu den Gefühlen seiner Mutter vordringen. Interessant ist dabei aber auch, daß er sogar in seiner Phantasie etwas Besonderes leisten muß, um sie zu erreichen. Du schreibst in einem Kommentar, Du hättest überlegt, die Mutter beim Fernsehen zu zeigen, wie sie bei den Kastelruther Spatzen oder den Sängerknaben heult – ich fände es sehr gut, wenn Du das noch einbringen könntest, da es doch ein bisschen etwas anderes ist, als meine Lesevariante: So macht er in seiner Phantasie nicht nur irgendetwas Besonderes, sondern genau das, worauf die Mutter ja eigentlich steht. Die Sehnsucht nach ihrer Liebe würde damit umso deutlicher, aber – zumindest für meine Begriffe – noch nicht zu dick aufgetragen. Es ist verdammt hart, wenn andere Kinder sie mit ihrem Gesang zu Tränen rühren, sie ihm aber sagt, er könne ja gar nicht singen, ohne es ihn versuchen zu lassen. Letzteres hat er wohl vorausgeahnt, deshalb war die Lüge auch gar kein Risiko für ihn.
Du machst damit sehr deutlich, wie Kinder, Jugendliche und selbst noch manche Erwachsene vergebens versuchen, die Liebe der Eltern durch Anpassen an ihre Vorstellungen bzw. durch besondere Leistungen zu erwerben, weil sie nie bedingungslos geliebt wurden.

Sehr vielsagend auch die Szene zu Beginn, als er die Kundin sogar mit Kochrezepten versorgt, sie also bestens und zu ihrer Zufriedenheit bedient, aber die Mutter einfach nicht merken will, was für einen tollen Sohn sie hat. Er ist nur gut genug, wenn es um die Arbeit des Kochens geht, und selbst dann stänkert sie herum, bevormundet dabei den Vater, der es sich wortlos gefallen und stattdessen das Essen schmecken läßt, das er doch gar nicht essen darf. Aber es geht hier weniger um die Bevormundung des Vaters, sondern vor allem darum, daß zwar zählt, was für den Vater gut ist, nicht aber, was für Peter gut und wichtig wäre. Er ist nur die Dienstmagd, die man ausschimpft, wenn etwas nicht den Vorstellungen entspricht, aber niemals lobt, denn die Leistung wird selbstverständlich hingenommen, schließlich bekommt sie ja Kost und Quartier dafür.

Die Fußballszene fand ich nicht ganz so beeindruckend, aber es geht trotzdem daraus hervor, daß er auch von den Mitschülern keine Anerkennung bekommt, selbst wenn er gut spielt. Hier wird er für seine Leistungen sogar bestraft, indem sie sich an ihm abreagieren (weil sie zuhause vermutlich selbst genug einstecken müssen).
Ob ich wirklich glauben soll, daß es funktionieren kann, sich die Angst mithilfe eines imaginären Freundes auszureden, wenn man kopfüber aus dem Fenster hängt, weiß ich nicht so recht. Gerade, wenn er so intelligent ist, kann er zwischen Realität und Einbildung bestimmt unterscheiden, selbst wenn er sich gern in die Phantasie mit Michael flüchtet; wie ja auch manche an Gott glauben, obwohl sie ganz genau wissen, daß er – zumindest in der überlieferten Form – nicht existiert haben kann, weshalb sie sich auch nie wirklich auf ihn verlassen, sondern sich z.B. im Auto anschnallen statt vor jeder Fahrt zu beten. Genauso weiß Peter, daß nicht sein verläßlicher Freund Michael ihn hält, sondern Frank und Timo, die alles andere als seine Freunde sind.

Besonders stark finde ich dafür aber wieder den Schluß. Hier beginnt er endlich, sich nicht nur alles schönzumalen, sondern sich zumindest innerlich aufzulehnen, indem er sich genau das wünscht, was die Mutter nicht will – bei den Alsterspatzen war das ja noch ganz das Gegenteil.
Er träumt davon, klare Worte für das Unrecht zu finden – leider nicht für jenes, das ihm persönlich widerfährt.
Der Drang, sich gegen die Ungerechtigkeiten, die einem selbst widerfahren sind, zu wehren, geht nicht verloren, sondern wird wie in einem Akku gespeichert und fließt dann direkt in die politische Arbeit. Man ist obendrein durch die eigenen Erfahrungen für jegliches Unrecht sensibilisiert und im Kampf dagegen kann man sein inneres Auflehnungsbedürfnis ausleben, ohne dabei für sich selbst zu kämpfen. Also wie gehabt: alles für die anderen – und die Hoffnung, für diese Leistung anerkannt zu werden. Noch ist es ja nur eine Phantasie, deshalb bekommt er die Anerkennung auch – durch seinen Freund Michael. Schlägt er hingegen wirklich diesen Weg ein, wird es wohl ähnlich wie die Jagd nach der Liebe der Mutter, was dann einer unbewußten Wiederholung entsprechen würde. So weit geht Deine Geschichte zwar nicht, aber der Schluß lädt direkt dazu ein, sie weiterzuspinnen, und das liegt natürlich nicht zuletzt auch an der guten Charakterisierung. :)


Nur noch ein paar Kleinigkeiten:

»so überlegen, wie er an der Spitze liegt.«
– Wiederholung legen/liegt

»Drei Kilometer vor den ersten Verfolger.«
– »vor dem ersten Verfolger« oder »vor den ersten Verfolgern

»gibt er noch mal sein Bestes.«
– einmal

»kein schon vor der Ziellinie in die Luft gereckter Arm.«
– »gestreckter« gefiele mir besser, weil »gereckter« zu hart klingt

»Er bleibt konzentriert im Rhythmus, in dem die Zuschauer anfeuernd klatschen,«
– in dem Rhythmus, den die Zuschauer …

»bis er die Zeitmessung überwunden hat.«
– »überwunden« finde ich unpassend, das sagt man doch eher bei unangenehmen Dingen; »hinter sich gelassen hat« wäre eine Möglichkeit.

»stelle mein Fahrrad in den Hof und gehe in den Laden.«
– zweimal »in den«, Vorschlag: stelle mein Fahrrad im Hof ab

»Drei Kunden stehen dort, die ich freundlich mit Namen grüße.«
– Da es sich, wie aus dem weiteren Text ersichtlich ist, ausnahmslos um Frauen handelt, würde ich auch Kundinnen schreiben.
– Irgendwie gefällt mir der Satz aber nicht, obwohl er grundsätzlich nicht falsch ist. Ich denke, direkte Rede würde die Szene besser verdeutlichen, d.h. das anerzogene, übertrieben brave Verhalten daran hervorheben. Die dadurch entstehenden Wiederholungen (immer derselbe Gruß, nur mit unterschiedlichen Namen) wären daher auch nicht störend.

»Wie schön, eine Hilfskraft«, begrüßt Mama mich,«
– Noch ein Punkt, der für meine letzte Anmerkung spricht, da sich durch die vorgeschlagene direkte Rede die Wiederholung grüße/begrüßt aufheben würde.

»Meine Jacke und meine Schultasche schmeiße ich schnell hinten auf das Sofa im Aufenthaltszimmer, gehe hinter den Tresen,«
– beide »meine« würde ich streichen, ebenso das erste »hinten«, und dann ist noch die Frage, ob man etwas langsam schmeißen kann.

»Das passt prima zum Kassler.«
– Ich weiß zwar nicht einmal, wie Kass(e)ler aussieht, aber aus früher viel gelesenen Brigitte-Rezepten kenne ich sie nur als die Kasseler. Müßte also meiner Meinung nach »zur Kassler« heißen. Der Duden geht dem Problem ja wieder einmal geschickt aus dem Weg, indem er gar keinen Artikel nennt.

»höre ich die Kundin zu Mama sagen«
– statt »die Kundin« würde ich sie namentlich nennen, da der Protagonist ja weiß, wer sie ist.

»mit saisonalen frischen Kräutern würzt«
– vertauschbar, daher Beistrich: saisonalen, frischen Kräutern

»Papa isst schweigend. Mama isst knirschend. Ich esse nichts,«
»Papa isst schweigend, Mama isst stumm. Ich esse meinen Teller leer,«
– beide »isst« nach »Mama« könntest Du streichen

»Timo kann nicht hinterher laufen.«
– zusammen: hinterherlaufen

»Ich muss wieder raus, mich wieder entscheiden,«
– eines der beiden »wieder« würde ich streichen

»Wichtiger aber ist das Gefühl, mit dem er singt. Brüchig, verletzlich, pianissimo in tragischen Szenen, überschwänglich, fast übermütig, lebensfroh fortissimo in jubelnden Koloraturen rührt er im Duett mit seinem Freund Michael die meist mütterlichen Zuhörer zu Tränen.«
– Irgendwie liest sich das komisch. Abgesehen davon, daß es mir zu viele Adjektive sind, hatte ich sie bis »Koloraturen« als Ergänzung zum im ersten Satz angesprochenen Gefühl gelesen, wodurch der Rest ab »rührt« nicht ganz paßte. Ich denke, durch eine Umstellung wäre das Problem gelöst.
Was die Adjektive betrifft, hab ich nach dem letzten Lesen aber doch den Eindruck, daß Du es deshalb so übertreibst, weil Du damit die Dringlichkeit seines Bedürfnisses nach der mütterlichen Liebe unterstreichen willst, oder so ähnlich. Vielleicht sind es sogar ihre Worte, wenn sie von diversen anderen Kinderchören schwärmt.

»Beide sitzen geblieben,«
– die alte und noch immer erlaubte Variante »sitzengeblieben« gefällt mir persönlich besser, Dir nicht auch?

»Eine 2. Nur eine 2 habe ich in der Mathearbeit geschrieben.«
– Wie war das nochmal mit den Zahlen in Kurzgeschichten? ;)

»»Du hast abgeschrieben. Offenbar nicht richtig. ««
– eine Leertaste zuviel zwischen dem Punkt und dem Anführungszeichen
– statt »nicht richtig« würde ich »falsch« schreiben

»»So biegsam nun auch wieder nicht!«, brülle ich. »Ihr brecht mir das Kreuz.««
– ich nehme an, den zweiten Satz brüllt er auch, daher würde ich auch nach »Kreuz« ein Rufzeichen machen.

»Selbst, wenn er in der Lage ist, sich mit einem Salto zu drehen, bleibt der Ausgang ungewiss.«
– Möglichkeitsform?

»Die waren großartig Peterchen.«
– großartig, Peterchen

»Meine Jacke und meine Schultasche schmeiße ich schnell hinten auf das Sofa im Aufenthaltszimmer und gehe in den Keller.«
– siehe oben


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo weltenläufer,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Ein paar Änderungen habe ich doch noch vorgenommen, ich hoffe, dadurch wird es nicht zu aufzeigend.

Lieben Gruß
sim

Liebe Häferl,

es ist immer ein tolles Gefühl, wenn man als Autor merkt, jemand versteht auch die vielen Kleinigkeiten in einer Geschichte so, wie man es in seiner Vorstellung hatte.
Für einen Menschen, der so viel leisten muss, ist es wahrscheinlich unverstellbar, Beachtung und Akzeptanz auf andere Weise als durch Leistung zu erfahren. Insofern mussten die Fantasien tatsächlich auf herausragende Leistungen setzen.
Die Fußballszene gehört für mich in diese Konsequenz, weil Torhüter oft sowohl im Erfolg, erst recht aber im Versagen nach den Schiedsrichtern die einsamsten Menschen auf dem Spielfeld sind. Schade, dass sie nicht ganz so beeindruckend für dich ist.
In lebensbedrohlichen Situationen retten sich gerade intelligente und fantasiebegabte Kinder durch Dissoziation indem sie sich von der erlebten Situation völlig abspalten. Es gibt Theorien, nach denen sich bei Menschen mit einem Multiplen Personlickkeitssyndrom genau in solchen Situationen Personen zusätzlich zur Kernperson bilden, die der Gefahr besser gewachsen sind. Ebenfalls gibt es die Theorie, dass diese neuen Persönlichkeiten zunächst als imaginäre Freunde in Erscheinung treten (vergl. Michaela Huber - Multiple Persönlichkeiten).
Von imaginären Freunden ist man überzeugt, die Idee, man wüsste ja irgendwo in seinem Inneren, sie seien nur eingebildet, gibt es für Menschen mit imaginären Freunden höchst selten. Soweit zum Hintergrund. Ändert natürlich nichts daran, dass es in der Geschichte dann auch glaubwürdig beschrieben sein muss.
Der wirkliche "Dank" wird in der Politik sicher ausbleiben, auch diese wäre später eine Fortsetzung oder Wiederholung der er- und gelebten Erfahrungen.
Die meisten deiner zahlreichen Anmerkungen und Vorschläge habe ich umgesetzt, einige etwas anders.

Du schreibst in einem Kommentar, Du hättest überlegt, die Mutter beim Fernsehen zu zeigen, wie sie bei den Kastelruther Spatzen oder den Sängerknaben heult – ich fände es sehr gut, wenn Du das noch einbringen könntest, da es doch ein bisschen etwas anderes ist, als meine Lesevariante
Bei den Kastelruther Spatzen weint dei Mama nicht, das sind ja dicke Männer ;)
Ich habe zwar keinen Chor eingefügt, da mir die Flucht in die Fantasie dann thematisch zu reflektiert und bewusst wäre, aber Heintje und Kinderwetten bei Herrn Gottschalk machen das Prinzip wohl auch deutlich.
– Ich weiß zwar nicht einmal, wie Kass(e)ler aussieht, aber aus früher viel gelesenen Brigitte-Rezepten kenne ich sie nur als die Kasseler.
Ja, so kenne ich es auch und hatte deshalb zunächst auch "zur Kassler", nach Malinches Hinweis habe ich aber in keiner Suchmaschine, in keinem Rezept einen Bestätigung dafür gefunden, dachte also, es wäre eine familiäre Sprachregelung gewesen.
Etwas worüber sich Linguisten offenbar streiten können. ;)
– beide »isst« nach »Mama« könntest Du streichen
Für mich ist die Wiederholung hier inhaltlich wichtig, denn dadurch wird die Tätigkeit isolierter als bei einer Verbindung der Eltern durch ein gemeinsames Subjekt.
– eines der beiden »wieder« würde ich streichen
auch hier liegt für mich in der Wiederholung eine andere Betonung der Situation. Peter muss beides wiederholen.
– Irgendwie liest sich das komisch. Abgesehen davon, daß es mir zu viele Adjektive sind, hatte ich sie bis »Koloraturen« als Ergänzung zum im ersten Satz angesprochenen Gefühl gelesen, wodurch der Rest ab »rührt« nicht ganz paßte
Die Häufung der Adjektive muss hier tatsächlich sein. Ich verstehe, was du meinst, bin mir aber noch nicht ganz klar über die Lösung.
– Wie war das nochmal mit den Zahlen in Kurzgeschichten?
In diesem Falle sind es Zensuren. Die werden auch auf dem Zeugnis und unter den Arbeiten in Ziffern geschrieben. Ich hatte sie erst als Wörter, aber das erschien mir in diesem Zusammenhang unpassend.
»Selbst, wenn er in der Lage ist, sich mit einem Salto zu drehen, bleibt der Ausgang ungewiss.«
– Möglichkeitsform?
Nein, weil in den Reportagen keine Zweifel an Peters Können auftauchen sollen. Entsprechend habe ich den Satz noch mal so umgestellt, das ein Konjunktiv sich erledigt haben solte. ;)

Vielen Vielen Dank für deine tiefe Beschäftigung mit dem Text.
Es freut mich sehr, dass er dir gefallen hat.

Liebe Grüße
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim!

Der Gedanke hinter der Geschichte ist schön. Ich mag solche Geschichten, in denen Aspekte des Lebens beleuchtet werden, die normalerweise im Dunkeln bleiben.

Peter und Michael, zwei Seelen und doch eine. Das kann niemand wirklich verstehen, der es nicht erlebt hat, denke ich. Zumindest ist es schwer.

Mir fiel es allerdings schwer, in die Geschichte reinzufinden und dann später, mich in ihr zurechtzufinden. Peter hat keine Stimme. Ich nehme ihm nicht ab, was er erzählt. Er kommentiert ganz cool, wie ihn seine Mitschüler quälen, ja, er protestiert sogar, wehrt sich, spuckt und all das.

Hier zum Beispiel:

Die Jungen lachen, von den Mädchen höre und sehe ich nichts. Frank und Timo umklammern meine Fußgelenke, reißen mich an ihnen nach oben. Mein Kopf schwebt über der Tischplatte.

Durch das Präsens ist er ja mittendrin. Aber es klingt so beiläufig. Ist die Beiläufigkeit Absicht?
Sollte er so weit dissoziieren, dass er nicht mehr reagieren kann, würde er nicht spucken oder protestieren, sondern auch das über sich ergehen lassen. Oder es Michael erleben lassen.
Da er aber Michael nicht vorschickt, sondern er das noch selbst erlebt, würde ich mir vorstellen, dass er Angst hat, wenn er sich noch wehren kann. Dann müsste das aber in den Text rein.

Dann: Michael. Er ist ja nicht so eigen, er kommentiert ja nur. Schwer wirds dann, wenn sie zu diskutieren anfangen. Wobei ja im Text nicht steht, ob das passiert, vielleicht wird es einfach nicht erwähnt, obwohl es passiert.

Spannend finde ich, dass Michael positiv drauf ist. Ich hätte mir gedacht, wenn er selbst leidet, also Peter leidet und es über sich ergehen lassen muss, dass Michael die Teile annimmt, die Peter nicht sein darf. Michael wäre also erfolgreich, würde gut singen, wäre gut in der Schule und im Fußball.

Oder: Michael würde die Schläge abbekommen und Peter würde sich in der Zeit rausnehmen.


Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

sorry yours,

gegen persönliche Erfahrungen, die so ganz anders sind als meine, kann ich wahrscheinlich nicht anschreiben, auch wenn es natürlich meine Aufgabge gewesen wäre, in die von mir beschriebenen Erfahrungen mitzunehmen und sie glaubhaft zu machen.
Angst jedenfalls ist kein Peter bestimmendes Gefühl, nicht mal, wenn er welche haben müsste. Hätte er Zugang zu seinen Gefühlen wie Angst oder auch Einsamkeit, bräuchte er Michael nicht.

Spannend finde ich, dass Michael positiv drauf ist. Ich hätte mir gedacht, wenn er selbst leidet, also Peter leidet und es über sich ergehen lassen muss, dass Michael die Teile annimmt, die Peter nicht sein darf. Michael wäre also erfolgreich, würde gut singen, wäre gut in der Schule und im Fußball.
Michael erfüllt ja Peters Sehnsucht nach Akzeptanz, danach, in seinen Talenten gesehen zu werden. Insofern muss er eher die Rolle des Freundes übernehmen, der ihn sieht.
Kommt vielleicht nicht richtig raus.

Lieben Gruß und vielen Dank
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber sim!

es ist immer ein tolles Gefühl, wenn man als Autor merkt, jemand versteht auch die vielen Kleinigkeiten in einer Geschichte so, wie man es in seiner Vorstellung hatte.
Freut mich, wenn ich Dir eine Freude gemacht hab! :)
Jetzt hab ich endlich Zeit gefunden, die Geschichte mit Deinen Änderungen noch einmal zu lesen.

Mama weint bei zwei Jungen, die ihre Klassenkameraden am Klang einer Plastikflasche erkennen, die auf deren Kopf geschlagen wird. So, wie bei ihren alten Platten von Heintje oder bei Filmen mit Kindern.
Die Stelle hast Du jetzt ziemlich verändert – zur Frage, ob ich das gut finde, später; grundsätzlich würde ich aber das Beispiel mit der Plastikflasche umkehren, sodaß nicht die Jungen sie den Klassenkameraden auf den Kopf schlagen, sondern sie selbst sie spüren und am Klang/Schlag erkennen, welcher der Klassenkameraden sie damit geschlagen hat. Daß die Mutter (oder überhaupt jemand) bei Deiner Variante weint, kann ich mir nämlich trotz allem nicht vorstellen.
Die Filme mit Kindern könntest Du z.B. auf Waisenkinder erweitern, das wäre nicht so allgemein.

Für einen Menschen, der so viel leisten muss, ist es wahrscheinlich unverstellbar, Beachtung und Akzeptanz auf andere Weise als durch Leistung zu erfahren. Insofern mussten die Fantasien tatsächlich auf herausragende Leistungen setzen.
Ja, und in Wirklichkeit leistet er ja sogar viel – aber er bekommt dafür trotzdem weder Liebe noch Anerkennung, es wird als selbstverständlich hingenommen, daß er z.B. im Geschäft hilft und sogar kocht, während die Eltern sich ausruhen. Seine eigenen Interessen interessieren sie nicht, und wie es ihm mit seinen Klassenkameraden geht, ebensowenig. Die Fahrradphantasie läßt ja auch erahnen, daß er sich nach der Schule schnell nach Hause beeilt, was möglicherweise mit dazu beiträgt, daß er zum Außenseiter geworden ist, wenn die anderen nach der Schule vielleicht noch im Park Zeit miteinander verbringen oder auch nur gemeinsam mit dem Bus fahren. Hauptsache, er nimmt keine Drogen und steht als Arbeitskraft zur Verfügung. Seine Persönlichkeit wird nicht gesehen und er findet weder zuhause noch in der Schule Halt. Michael zu erfinden, auf den er sich verlassen kann und der zu ihm hält, ist da eine Art Selbstschutz.

Die Fußballszene gehört für mich in diese Konsequenz, weil Torhüter oft sowohl im Erfolg, erst recht aber im Versagen nach den Schiedsrichtern die einsamsten Menschen auf dem Spielfeld sind. Schade, dass sie nicht ganz so beeindruckend für dich ist.
Daß ich die Szene nicht ganz so beeindruckend fand wie jene, die mir am besten gefallen, ist kein Grund, traurig zu sein – es können mir ja nicht alle Szenen gleich gut gefallen. ;-) Daß ich mit Fußball grundsätzlich weniger anfange, weißt Du ja. Damit will ich nicht sagen, daß man Ahnung vom Fußball haben müßte, um Deine Geschichte zu lesen bzw. zu verstehen, nur kann man sich in einer Situation, die einem geläufig ist, leichter auf das Wesentliche konzentrieren bzw. es erkennen. Aber so selten wie ich wird wohl kaum ein Leser Fußball schauen. ;-)

Von imaginären Freunden ist man überzeugt, die Idee, man wüsste ja irgendwo in seinem Inneren, sie seien nur eingebildet, gibt es für Menschen mit imaginären Freunden höchst selten. Soweit zum Hintergrund. Ändert natürlich nichts daran, dass es in der Geschichte dann auch glaubwürdig beschrieben sein muss.
Mir ging es da speziell um diese lebensbedrohliche Situation, da kam ich mit dem Glauben daran, daß er sich die mithilfe von Michael schönredet, nicht ganz zurecht. Glaubwürdiger fände ich beispielsweise, wenn Michael ihm sagt, wie er reagieren soll.
Es stört mich also eigentlich nicht, daß Michael in der Situation anwesend ist, sondern eher, daß die Lebensbedrohung ausgeblendet wird; die sollte meinem Gefühl nach schon erhalten bleiben, auch wenn sie in eine andere Umgebung verlagert wird. Wobei Michael sich in meinen Augen besser machte, wenn er der helfende, verlässliche Freund bliebe; auf die, die Peter real an den Beinen halten, kann er sich ja keineswegs so verlassen – die Lösung, Michael diese Rolle zu geben und daraus Vertrauen in die Hände an den Beinen zu ziehen, erscheint mir einfach zu einfach.
Die Hände können irgendwem gehören, vielleicht wollte er jemanden retten, dessen Peiniger ihn nun aus dem Fenster hängt, aber zu Michael paßte es meiner Ansicht nach besser, wenn er z.B. auf den Peiniger einredet oder ihn vielleicht sogar überwältigt. Peter wäre als Retter des ursprünglichen Opfers aber der eigentliche Held.
Direkt mit dem Thema befaßt hab ich mich zwar noch nicht, aber ich denke, es ist ein Unterschied, ob es um das »Schönreden« von Situationen geht, in denen es um den Kampf gegen den seelischen Tod geht, oder eben um eine Bedrohung des körperlichen Überlebens. Da müssen ganz andere Alarmglocken läuten, die mehr erfordern als das bloße Verstecken des Bedrohers hinter dem Bild des imaginären Freundes. Hier könnte auch ruhig die besondere Leistung einmal in den Hintergrund treten und der Zusammenhalt von Peter und Michael in den Vordergrund, indem er ihn an seiner Seite (nicht an seinen Beinen) weiß und sich so auf ihn verlassen kann. Außerdem wäre in Deiner Version ja im Fall des Fallens Michael derjenige, der losgelassen hätte – hat er ihn jedoch an seiner Seite, hätte er ihn da auch dann noch, wenn es zum Loslassen käme.

Der wirkliche "Dank" wird in der Politik sicher ausbleiben, auch diese wäre später eine Fortsetzung oder Wiederholung der er- und gelebten Erfahrungen.
Über das Thema könnte ich ein ganzes Buch schreiben … ;-)

Bei den Kastelruther Spatzen weint dei Mama nicht, das sind ja dicke Männer
Für die Bildungslücke schäm ich mich nicht. :D Ich denke bei Spatzen eben mehr an helle Kinderstimmen, von denen sich einsame alte Frauen CDs wie »Die 20 schönsten Weihnachtslieder« kaufen. ;-)

Ja, so kenne ich es auch und hatte deshalb zunächst auch "zur Kassler", nach Malinches Hinweis habe ich aber in keiner Suchmaschine, in keinem Rezept einen Bestätigung dafür gefunden, dachte also, es wäre eine familiäre Sprachregelung gewesen.
Vielleicht ist es eher regional unterschiedlich? Frag doch mal ein paar alte HamburgerInnen, wie sie dazu sagen.

Die Häufung der Adjektive muss hier tatsächlich sein. Ich verstehe, was du meinst, bin mir aber noch nicht ganz klar über die Lösung.
Ich hätte statt der Änderung mit »Wetten dass« und den Filmen mit Kindern die ursprüngliche Variante um einen halben Satz ausgebaut, sodaß man nicht nur erfährt, daß die Mutter dabei weint, sondern auch so überschwenglich schwärmt, wenn sie die diversen Chöre im Fernsehen sieht. Ich hatte ja schon beim Lesen der vielen Adjektive den Eindruck, es könnten die von der Mutter gehörten Worte sein, mit denen sie den Gesang vor Rührung weinend lobpreist – ich weiß nicht, ob Du das so ungefähr gemeint hast, wenn ja, dann würde das alte Beispiel, um den halben Satz erweitert, doch besser passen, oder? Wenn sie bei auf Köpfe geschlagenen Plastikflaschen und Filmen mit Kindern weint, kann ich die Adjektive nicht mehr so gut nachvollziehen wie zuvor.
Aber (nochmals darüber nachgedacht) vielleicht haben sie ja auch einen anderen Grund, zum Beispiel könnten sie auch sein immenses, aber unterdrücktes Interesse an Musik ausdrücken. Dann müßte es natürlich auch nichts mit dem von der Mutter beheulten Fernsehprogramm zu tun haben. Wenn ich so drüber nachdenke, finde ich das sogar die schönere Variante, weil sein Wunsch/Interesse sich dann nicht an dem ausrichten würde, was der Mutter gefällt, sondern viel mehr als meine erste Lesart zeigt, daß er eben für seine Persönlichkeit anerkannt sein will; dafür muß das Interesse an der Musik nicht das der Mutter sein, und in dem Fall finde ich Deine Änderung, daß die Mutter jetzt etwas ganz anderes beweint, sogar sehr gut. In Variante 1 wäre es ja nur ein Erfüllen der Erwartungen, während es in Variante 2 wirklich um ihn selbst geht.
Also ich vermute mal, daß Dir eher Variante 2 vorschwebte, in dem Fall würde ich noch klarer machen, daß das wirklich sein Interesse ist und sich nicht unbedingt an dem orientiert, was die Mutter sonst so alles zum Heulen bringt, auch wenn es ihm natürlich in jedem Fall auch darum geht, sie gefühlmäßig zu erreichen.

Nein, weil in den Reportagen keine Zweifel an Peters Können auftauchen sollen. Entsprechend habe ich den Satz noch mal so umgestellt, das ein Konjunktiv sich erledigt haben solte.
Vielleicht so: Der Ausgang bleibt ungewiss, auch wenn er natürlich jederzeit in der Lage ist, sich mit einem Salto zu drehen.

Liebe Grüße
Susi :)

 

Hallo sim,

Wir sind die Loser, Timo, Matthias, Manuel, Andreas und ich. Wir gehören nicht zu denen, die sich gleich zusammenfinden, wenn der Sportlehrer Fußball anordnet. Gegen Frank, Thomas, Kevin, Kaan und Younes haben wir keine Chance.
Die Aufzählung der Namen ist schon sehr viel, also wer da alle Namen mitbekommt, der muss geistig viel fitter sein als ich, bei mir ist es eher so, wenn da 10 Namen vorbeirauschen, dass ich am Ende noch vergesse, wie der Protagonist heißt. Also ist das nicht einfach zu viel hier?

bevor ich mich auf den Ball werfe, ihn unter mir begrabe. Frank setzt zum Schuss an, zieht durch, tritt mir aus vollem Lauf in die Rippen.
Das find ich aber ganz schön heftig, also ich denke nicht, dass das irgendein Sportlehrer mit sich machen lässt. Da würde man doch auf jeden Fall den Frank da mal fünf Minuten vor versammelter Mannschaft zur Sau machen. Das sieht ja auch jeder, wenn er den Ball da unter sich begräbt. Und so ein Sportlehrer ist doch normalerweise vom Typ her einer, der auf Fairplay achtet, und die Schwächeren unterstützt und sich nicht von nem 14jährigen Fuzzy irgendwie einschüchtern lässt.

Mama weint bei zwei Jungen, die ihre Klassenkameraden am Klang einer Plastikflasche erkennen, die auf deren Kopf geschlagen wird. So, wie bei ihren alten Platten von Heintje oder bei Filmen mit Kindern.
Ich würde das „weint“ noch mal im zweiten Satz erwähnen.

Peter Krieter hat für sein zartes Alter von dreizehn Jahren einen erstaunlichen Stimmumfang. Wichtiger aber ist das Gefühl, mit dem er singt.
Das ist wirklich sehr cool, weil es von Mal zu Mal besser wird, finde ich, also ein running gag des Textes, der wirklich zieht.

»Wenigstens ist er nicht bei den Linken und nimmt keine Drogen«, höre ich die Stimme meiner Mutter.
Das „Keine“ würde man rauslassen, oder? Also gesprochen auf jeden Fall.

Das bietet ihm die Chance, sich eingeschliffener Sprechblasen zu enthalten und unkonventionelle Entscheidungen jenseits von Diplomatie und Sachzwängen zu treffen.
Bisschen zu viel.

Ja, und dann ist es schon zu Ende? Hm, komisch, also ich hab den jetzt so runtergelesen und gedacht, ich wäre maximal beim ersten Drittel angelangt. Das ist die Exposition. Ein Junge, verschiedene Konflikte, relativ aussichtlose Lage. Normal erwartet man dann das Angebot einer Lösung oder dass die Konflikte angegangen werden, dass Michael – wie ich dann aus den Kritiken gelesen habe – eine Illusion ist und dass er sich da nach einem richtigen Freund sehnt, puh, also es wär mir jetzt nicht aufgefallen, vor allem weil der Junge halt wirklich begabt wirkt, begabt, aber verdammt unglücklich. Aber er hält ja 2 mal den Schuss von dem Typen da, ist in dem Laden und als Koch wohl deutlich über dem Durchschnitt, ja, die Situation ist halt schwierig, aber nicht aussichtlos.
Was mir fremd ist, aber ich komm auch vom Dorf, ist die Gewalt in Schulen, in diesem Ausmaß, also das wär bei uns undenkbar gewesen, das hätte nicht nur die Lehrerschaft nicht zugelassen, sondern die Schülerschaft auch nicht. Mal Rangeleien klar, aber dass da so massiv mit 2 gegen 1 rangegangen wird, aber das ist überhaupt keine Kritik, ich weiß durchaus, dass es so was gibt, ich fand’s nur da am Sportplatz ein wenig überzogen, aber das weißt du sicher auch besser als ich, mit was man da durchkommt und mit was nicht.
Jo, also was von der Geschichte da ist, gefällt mir gut, ich hab nur das Gefühl, es fehlen 2/3. Weiß nicht.

Gruß
Quinn

 

@ Quinn

sim schrieb:
bevor ich mich auf den Ball werfe, ihn unter mir begrabe. Frank setzt zum Schuss an, zieht durch, tritt mir aus vollem Lauf in die Rippen.
Das find ich aber ganz schön heftig, also ich denke nicht, dass das irgendein Sportlehrer mit sich machen lässt. Da würde man doch auf jeden Fall den Frank da mal fünf Minuten vor versammelter Mannschaft zur Sau machen.

Ich habe auf dem Fußballplatz schon erfahren, dass nicht einmal der Schiri pfeift ... Oft ist es zu schnell passiert, als dass es jemand gesehen hat, dass es Absicht war. Außenstehende nehmen nur wahr dass der Junge ja den Ball spielen wollte und nicht rechtzeitig stoppen konnte/wollte? Zumindest ist der Übergang fließend.

Also wird der Trainer nicht den Stürmer zur Sau machen, sondern nochmals auf Fair Play hinweisen.

Hallo sim,

Die Geschichte über Peter nimmt schon für sich in Anspruch, dass da etwas nicht stimmt. Er ist komisch und das merken Kinder. Ein Fantasiefreund oder die Geburtsstunde eines zweiten Ichs, was stellt Michael dar? Vielleicht hat Peter bereits eine milde Form einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Sie ist nicht wirklich störend oder gar gefährlich. Sie ist aber offenbar der Grund warum Peter in die Außenseiterposition in der Schule gekommen ist.

Leider kann ich nicht "wirklich" anhand des Textes festmachen, warum der Junge sich so verhält. Es ist mehr ein Gefühl, das ich beim Lesen hatte, als die Eltern den Sohn immer wieder abwerten. Letztendlich kann ein gesundes Ich sich nur entwickeln, wenn es gestärkt wird und nicht ständig runtergemacht wird. Eine gekränkte Seele mag sich dann helfen, indem sie entflieht und zu Michael wird.

Zumindest könnten begabte oder intelligente Kinder, die auch AD(H)S
haben davon betroffen sein. Ich komme darauf, weil die Szene des gemeinsamens Essen mich an den Zappelphilipp erinnert hat. :)

Auf alle Fälle bietet die Geschichte Stoff zum Nachdenken.

Mich hat gewundert, dass diese Geschichte ziemlich distanziert geschrieben auf mich wirkt. Ich nehme an, dass das der Dissoziationseffekt ist.


LG
GD

 

Hallo sim!

Ich will mich nur kurz Quinns Schlussargument anschließen. Mir fehlt da auch was, eigentlich die Geschichte. Du beschreibst, charakterisierst Peter: gemobbter Schüler, Arbeitssklave der Eltern, der sich in Fantasien flüchtet. (Für mich sehr treffend, gut nachvollziehbar.) Das ist die Ausgangslage. Aber dann ist der Text auch schon zu Ende. Das, wohin die Ausgangslage führt, lässt du einfach weg. Für mich liest sich der Text wie in der Mitte durchgeschnitten, absolut nicht komplett.

Der titelgebende Michael nimmt meiner Meinung nach nicht genug Platz ein im Text. Er wird kurz (mehrmals) als "bester Freund" erwähnt, aber nicht gezeigt - was macht ihn denn zum besten Freund? (Gerade ein Phantasie-Freund muss doch etwas Besonderes sein, etwas Besseres als die Typen in der Realität.) Auch hier fehlt mir einiges.

Grüße
Chris

 

Hallo sim,

ich habe jetzt nicht alle Kritiken gelesen, waren ja auch sehr lange dabei.

Ich kann gar nicht so viel dazu sagen, nur das: obwohl das Thema des Aussenseiters ein altes ist, hat mich Deine Darstellung auf ganz besondere Weise beruehrt. Richtig ins Herz gepiekst hat es mich. Diese Spaltung des wirklichen und des imaginierten Lebens funktioniert hier wunderbar - liegt auch an der Sprache, die genau richtig ist. Besonders die Stelle, wo er sich vorstellt, wunderbar zu singen ist toll.

Michael spielt in der Geschichte eingentlich kaum eine Rolle finde ich, zu wenig fuer eine Geschichte ueber einen eingebildeten Freund jedenfalls.
Mir wuerde gar nichts fehlen, wenn Michael einfach rausgestrichen wuerde, wenn das einzige Thema Traum und Wirklichkeit waeren, dann faende ich die Geschichte perfekt. Aber so eine Streichung ist fuer den autor natuerlich hart.


lg
fiz

 

Liebe Häferl,

auch, wenn er sehr lange auf sich warten ließ, mein herzlichster Dank für dein weiteres Feedback.

grundsätzlich würde ich aber das Beispiel mit der Plastikflasche umkehren, sodaß nicht die Jungen sie den Klassenkameraden auf den Kopf schlagen, sondern sie selbst sie spüren und am Klang/Schlag erkennen, welcher der Klassenkameraden sie damit geschlagen hat
Das ist leider nicht möglich, denn die beschriebene Wette war nun einmal so. Gerade das "Allgemeine" ist durchaus Absicht. Es müssen keine Waisenkinder sein, alle anderen Kinder schaffen es, die Mutter zu rühren, selbst, wenn ihnen etwas noch so schwachsinniges gelingt.
Mir ging es da speziell um diese lebensbedrohliche Situation, da kam ich mit dem Glauben daran, daß er sich die mithilfe von Michael schönredet, nicht ganz zurecht. Glaubwürdiger fände ich beispielsweise, wenn Michael ihm sagt, wie er reagieren soll.
ff
Schwierig, denn gerade in körperlich lebensbedrohlichen Situationen dissoziieren Kinder ganz häufig. Wenn die Fantasie als "verstecken" empfunden wird, ist sie leider nicht deutlich, sie sollte eher als real angenommen werden. Ich bin noch nocht socher, wie ich das löse.
Für die Bildungslücke schäm ich mich nicht.
Nein, es ist auch eher an mir, mich zu schämen, sie zu überhaupt zu kennen. Aber verwichteln werde ich sie sicher nicht. ;)
Ich hätte statt der Änderung mit »Wetten dass« und den Filmen mit Kindern die ursprüngliche Variante um einen halben Satz ausgebaut, sodaß man nicht nur erfährt, daß die Mutter dabei weint, sondern auch so überschwenglich schwärmt, wenn sie die diversen Chöre im Fernsehen sieht.
Auch da muss ich noch einmal drüber nachdenken. Ich kenne nur die Tränen, keine Lobpreisungen, kann also gut sein, dass ich mir hier etwas im Weg stehe.
Aber (nochmals darüber nachgedacht) vielleicht haben sie ja auch einen anderen Grund, zum Beispiel könnten sie auch sein immenses, aber unterdrücktes Interesse an Musik ausdrücken.
Für mich war beides wichtig. Der imaginäre Freund darf etwas tun, was Peter selbst nicht vergönnt ist (so wie ich ja als Kind alle Geschichten vernichten musste, sobald sie geschrieben waren, weil ich sonst Schläge riskiert hätte).

Hallo Quinn,

die Aufzählung der Namen wäre natürlich in den meisten Fällen zu viel. Hier ist sie wichtig, obwohl es nicht nötig ist, sich die Namen zu merken. Sie muss aber darauf hinweisen, dass ein Name fehlt, nämlich "Michael". Ein wichtiges Indiz für dessen imaginären Charakter.

Das sieht ja auch jeder, wenn er den Ball da unter sich begräbt. Und so ein Sportlehrer ist doch normalerweise vom Typ her einer, der auf Fairplay achtet, und die Schwächeren unterstützt und sich nicht von nem 14jährigen Fuzzy irgendwie einschüchtern lässt.
Ich erlebe das leider selbst bei den Trainern der G-Junioren, die ich ja auch trainere, manchmal anders. Ein 5-Jähriger Steppke eines Hamburger Vereins wurde bei einem Turnier mal von Papa und Trainer systematisch dafür eingesetzt, den Gegenspielern in die Beine zu grätschen. Ich als Trainer hätte den Jungen sofort aus dem Spiel genommen, wenn ich das als Absicht erlebt hätte.
Das „Keine“ würde man rauslassen, oder? Also gesprochen auf jeden Fall.
Geht nicht, dann würde er Drogen nehmen, da "nicht" als Bezug nicht funktioniert.
Schön ist, dass du Peter als tatsächlich begabt gelesen hast, weniger schön natürlich, dass du in der Geschichte erst die Exposition siehst, denn sähe ich das so, hätte ich die Geschichte natürlich nicht veröffentlicht. In der Fantasie zur politischen Laufbahn entsteht für mich die Änderung, der dramaturgische Bogen schließt sich, anderenfalls würde es ewig so weitergehen, bis Peter erkennt, dass er Michael aufgeben muss, um zu realen Freunden zu kommen oder bis jemand Reales sein "Vermögen" erkennt und ihn unterstützt. Dann hätte er Michael nicht mehr nötig.
Aber deiner und auch Chris' Kommentar haben mich da durchaus nachdenklich gemacht, ob nicht tatsächlich noch eine Fortsetzung fehlt.

Hallo Goldene Dame,

die Distanz liegt wirklich im Dissoziationseffekt. Die Außenseiterposition setzt sich ja oft fort. Warum die Eltern ihren Sohn nicht achten, erschien mir für die Geschichte unerheblich, wichtig war, dass sie ihn nicht sehen oder anders sehen als er ist/sich selbst wahrnimmt. Mit AD(H)S Kindern hat er ganz sicher gemeinsam, nicht "erkannt" zu werden, ähnlich wie oft auch hochbegabte Kinder oder eben Kinder, deren Eltern eher eigene Ziele mit ihnen haben.
Viel zu viele Erklärungen, ich weiß, ich hatte gehofft, die Geschichte funktioniert derart, dass es gesehen wird.

Hallo Chris,

auch dir vielen Dank für dein Feedback. Es scheinen tatsächlich zu viele Erklärungen nötig. Offenbar stimmen Form und Inhalt da nicht überein. Michael brauchte für mich nicht viel Raum, das Besondere an ihm ist, dass er da ist und Peter "erkennt"

Hallo feirefiz,

danke fürs Aufbauen. Michael ganz zu streichen empfände ich tatsächlich zu hart. Schön, dass dir die Geschichte ansonsten gefallen hat.

Euch allen liebe Grüße
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim,

ein eindringliche Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat. Der Stil ist gradlinig, fast nüchtern, die Struktur der Geschichte ist geschickt. gewählt. Ein Außenseiter, der sich mit verträumten Blickwinkel auf seine eher triste Realität einen Ausgleich zu schaffen versucht, die darin mündet, dass er sich einen imaginären Freund schafft, weil er im wirklichen Leben keine wirklichen Freunde hat. Die Looser-Situationen von Peter haben mich stellenweise an Stephen King erinnert, der daraus dann seine Horrorstories webt.

Außerdem hat mich dein Konzept, Fantasie und Realität darzustellen, teilweise an meine eigene Jungend erinnert. Schon allein der Heimweg von Peter, bei dem eine normale Fahrt mit dem Fahrrad zu einem sportlichen Großereignis wird, bei der man sich selbst als Held und Sieger sieht. Ich habe früher auch oft auf diese Weise meinen Alltag "dramatisiert" und aufgepeppt und mich mit solchen Fantasien abgelenkt. Vermutlich einer der Hauptgründe, warum ich heute Geschichten schreibe :-)

Das Thema ist an sich ist natürlich nicht neu, aber die Art und Weise, wie du es komponiert hast, macht den Reiz aus. Es steckt so viel mehr in dieser Geschichte, als man im ersten Moment meint, jedenfalls habe ich das so empfunden, und dieses "Mehr" hat sich schnell in meinem Kopf eingestellt.

Am Ende war ich erstaunt darüber, dass deine Geschichte es in ihrer Kürze geschafft hat, mir das Gefühl zu vermitteln, ich hätte gerade einen Roman gelesen.

Sehr gern gelesen!

Rick

 

Hi Rick,

ich bin auch oft auf diese Weise Fahrrad gefahren. ;)
Schön, dass die Geschichte dir gefallen hat.

Liebe Grüße
sim

 

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