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- 19.05.2015
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- Anmerkungen zum Text
Mit der Nennung der Nicknamen haben sich die Genannten einverstanden erklärt.
Metaversum der Herzen
Stammtisch der Wortkrieger
Tüüt, tüüt, tüüt. Klock.
Die Fenster auf dem Bildschirm öffnen sich, die Kameras zeigen die Bildausschnitte aus den Domizilen der Teilnehmer an der Zoomkonferenz.
Anwesend: @greenwitch; @Fliege, @dotslash, @lakita, @Webmaster, @Isegrims; später @Maedy
„Wie scheiße sieht’n das aus, Isegrims?“
„Weiß nicht, was du meinst, Dot.“
„Jesses!“ Fliege verzieht das Gesicht, öffnet den Mund, streckt die Zunge heraus und formt eine Clownsgrimasse.
„Was’n los, hä?“, fragt Isegrims.
„Na, auf was hockst du Pisser?“, fragt der Webmaster.
„Klopapierpaletten, was sonst.“
„Und das Zeug da im Hintergrund?“
„Schnaps, Whisky und Wein. Erstklassige Ware.“
„Alter!“
„Reines Geschäftsinteresse, außerdem, man weiß ja nie: Ich lege Vorräte an.“
„Scheißen und fressen muss man immer“, ergänzt der Webmaster: Im Hintergrund türmen sich Kartons, auf denen ein paar bunte Katzen herumturnen.
„Und saufen!“
„Und noch was!“
„Vergiss es! Denk nicht mal dran.“
„Scheiße.“
„Verfickte Scheiße.“
„Kann man so sagen.“
„Jesses.“
„Jesses.“
„Was ist eigentlich aus Offshore geworden?“
„Dem Bergsteiger aus Wien?“
„Selbstredend.“
„Der hat’s nicht geschafft. Verschwunden.“
„Gute Idee.“
„Schaltet der sich zu?“
„Weiß nicht. Der ist hinüber.“
„Scheiß Zeiten.“
„Kann man wohl sagen.“
„Hurensohn, der Corona!“
„Das!“
„Was meinst du?“
„Das Corona.“
„Scheiß was auf das dritte Geschlecht.“
„Was anderes, bist du bereit?“
„Immer!“
Isegrims hält das Kristallglas in die Kamera, prallgefüllt mit durchsichtiger Flüssigkeit und einigen Eiswürfeln.
„Kann losgehen!“
„Wir haben noch zwei Minuten.“
„Kommt noch jemand?“
„Keine Ahnung, mir wurscht.“
Maedy schaltet sich dazu, scheint in einem riesigen Ballsaal zu sitzen, Kronleuchter an den kirchenhohen Decken. Sie trägt ein rotes Kleid.
„Na, ihr Gauner, alles klar bei euch?“
„Nette Begrüßung, könnte ich mich dran gewöhnen.“
„Mal was anderes, Mae.“
„Was denn?“
„Ist die Lieferung angekommen?“
Sie grinst ihr Schlitzaugenlächeln, das die Augäpfel in den Höhlen verschwinden lässt, als hätte sie überhaupt keine. Dann macht sie eine ausladende Geste und hält die Flasche in die Kamera.
„Edradour, finest scottish stuff. Ich bin verliebt. Seit Tagen bin ich verliebt in das Zeug.“
„Kein Wunder, nicht gerade billig, der Stoff.“
„Die Kisten sind auf jeden Fall angekommen, Isegrims. Danke, danke, danke. Die Lieferketten funktionieren.“
„Und wenn die Lieferketten funktionieren, läuft das Business wie am Schnürchen, yea. Darauf stoßen wir an, Leute“, sagt Maedy und hält das Glas hin, stößt es gegen ein zweites Glas, damit es klirrt, wie es sich gehört.
„Traurig ist es trotzdem, der ganze verfickte Scheiß“, sagt Dotslash.
„Hehe, jetzt mal nicht schlapp machen.“
„Ich bin immer noch Schweizer!“
„Offenbacher!“
„Haha, nur weil ich da geboren bin.“
„Ändert nix.“
„Lass stecken, Mann!“
„Was anderes. Da läuft was gewaltig schief.“
„Wie meinst’n das.“
„Ach nur so. Hat mir einer gesteckt. Die Bosse haben die Finger im Spiel, hat er mir erzählt.“
„Was für ein Schwachsinn! Und das glaubst du?“
„Die einen glauben das, die anderen jenes und mal ehrlich: keiner hat eine Ahnung, was wirklich abläuft.“
„Wie meinst du das?“
„Könnte ne Verschwörung sein.“
„Schwachsinn!"
„Wieso?“
„Dann würden wir doch gar nichts mitbekommen.“
„Quatsch. Könnte doch sein, dass die da oben ganz anders denken. Die müssen dafür sorgen, dass die Alterstruktur wieder in Ordnung kommt und außerdem wollen sie das Bargeld abschaffen.“
„Das mit dem Bargeld habe ich mir auch schon gedacht.“
„Dann kannst du nix mehr verstecken. Alles ist registriert. Und wir sind am Arsch.“
„Klappt das jetzt mit den Lieferketten?“
„Ja, ich denke schon.“
„Übrigens habe ich ein interessantes neues Geschäftsfeld entdeckt, nachhaltig, grün und witchig.“
„Witzig.“
„Nee, ich meinte schon witchig.“
„Lass hören, was du meinst.“
„Also bekanntlich gibt’s ja Lieferengpässe für Bettwaren.“
„Scheiß Trumps.“
„Aber nicht nur die.“
„Nachhaltige, witchige Kissen und Decken, superflauschig, gefüllt mit getrockneten Pflanzenresten.“
„Du hast’s nicht alle.“
„Glaub mir, der Megatrend, gerade jetzt.“
„Und du willst einsteigen?“
„Klar.“
„Viel Erfolg! Also ich bleibe bei Wodka, Whiskey und Narkotika.“
„Wirst deine Meinung schon noch ändern, glaub’s mir.“
„Egal.“
„Wisst ihr was?“
„Mm?“
„Wir sollten uns treffen. So richtig wie früher. Gathering!“
„Träum!“
„Bin dabei!“
„Leute!“, sagt der Webmaster.
„Was’n?“, sagen alle anderen.
„Vergesst es!“
„Warum?“
„Ihr wisst alle, warum.“
„Scheiße!“
„Kann man so sagen!“
„Schluss jetzt!“, sagt Fliege und summt als erste davon.
Ein Besuch
Berlin-Mitte, Nähe Alexanderplatz. Zweiter Hinterhof eines Gründerzeitgebäudes, an der Fassade eine Banksy-Imitation: ein Kind, das herzförmige Luftballons zum Himmel aufsteigen lässt. Das Hellblau des Bildhintergrunds hebt sich vom Braun der Mauern ab. Neben den alten Rosenstöcken auf dem kleinen Rasenstück wachsen sechsblättrige Pflanzen in einem frischen Beet. Trotz der späten Nachtstunde dringt Licht aus der Wohnung im zweiten Stock.
Ein Zischen, ein Rascheln, ein Klopfen, dann wird die Balkontür aufgedrückt und ein kleines Männlein steht vor dem Webmaster. Die Katzen verkriechen sich in den letzten Winkeln.
„Wie bist du denn reingekommen?“
„Erst mal Hallo sagen, hm?“
„Mann, was willst du?“
„Dich besuchen.“
„Ach, nee.“
„Du hast übrigens süße Katzen, warum verstecken die sich vor mir?“
„Die können dich nicht riechen. Und jetzt raus hier!“
„Du solltest in Zukunft die Balkontür abschließen. Hast du was zu trinken für mich?“
„Nein!“
„Wodka, komm schon!“
„Bei mir gibt’s keinen Alkohol.“
„Gut, dann Whisky.“
„Sehr witzig. In der Abstellkammer ist noch ’n Kasten Bier, kannst dir ne Flasche nehmen.“
„Geht doch!“
„Ok und jetzt stell dich mal vor und erzähl mir, was du willst.“
„Ich bin der Geist, der stets verneint …“
„Mann, hör auf mit dem Goethe-Geschwafel. Also wer bist du?“
„Kurzum?“
„Von mir aus auch kurzum.“
„Mephisto, wer sonst.“
„Okay und was habe ich mit dir zu schaffen?“
„Du betreibst doch so eine Literaturseite.“
„Kurzgeschichten, ausschließlich Kurzgeschichten.“
„Also folgendes: Die Welt ist ja grade im Arsch.“
„Am Arsch!“
„Klima, Erderwärmung, die Seuche, Abstand, Amerika und China, vegane Woke-Kutur. GOTT versucht alles, um die Menschheit zu ruinieren.“
„Komm auf den Punkt, Mann!“
„Du bist nominiert!“
„So?“
„Ja, keine Ahnung, wer dich vorgeschlagen hat.“
„Ich hab keine Zeit für irgend so einen Scheiß!“
„Also es läuft zur Zeit ein geheimes Projekt, das ich initiiert habe, Head-Hunting im wörtlichen Sinne. Das mit GOTT läuft nicht mehr lange. Ich meine: schau dir doch mal die elende Gestalt an, total divers, das ist das einzige Moderne, was da noch bei rauskommt. Und das Paradies - ein Scheißhaufen, die Priester - kleine Wixer. Im wörtlichen Sinne, versteht sich. Und nicht, dass du denkst, nur die Römisch-Katholischen, jede Religion bringt den gleichen Dreck hervor. Wir brauchen frischen Wind, richtig frischen.“
„Ich glaube nicht an GOTT.“
„Solltest du aber!“
„Nee!“
„Egal: Selbst das mit der Seuche hat nicht geklappt. GOTT glaubt ja immer noch, jetzt würden die Menschen wieder zu glauben anfangen. Schwachsinn! Siehst ja, was daraus wird. Deshalb starten wir eine Casting-Show, bei der es ums Ganze geht, also darum GOTT zu ersetzen.“
„Nicht mein Ding. Du bist doch selbst prädestiniert für den Job.“
„Eben nicht! Und beiläufig erwähnt, ich wollte es auch nicht, bin sehr zufrieden mit dem, was ich bin.“
„Warum sollte ausgerechnet ich mich daran beteiligen, mm?“
„Damit wieder alles ins Ruder kommt. Es braucht einen Stimmungsumschwung auf der Erde. Im ersten Schritt benennst du deine Seite um. Wortkrieger, wie das schon klingt. Viel besser wäre doch Kissenkrieger, von mir aus auch Kuschelburgenwächter, Lustig & Kitschig, nur mal so ein paar Vorschläge. Jedenfalls was Niedliches. Und dann sorgst du für die Wohlfühlstimmung auf der Erde. So sehr, dass alles vor Liebe vibriert.“
„Das machen die User nicht mit, die wollen Literatur, Horror, Zombies und Sci-Fi, Sozialromantik, Dystopien, so was eben. Außerdem: was habe ich davon?“
„Recall! Und wenn du das Finale gewinnst bist du GOTT. GOTT, habe ich gesagt. Hast du das verstanden?“
„Glaub schon.“
„Hier handelt es sich um eine echte Mission: die Welt verbessern, einen Planeten des Friedens und der Liebe erschaffen.“
„Ich bin dafür nicht geeignet.“
„Doch, sonst wärst du nicht nominiert worden. Glaub mir, in dir steckt was ganz Großes. Außerdem könnte ich dich zwingen, Bot-Heere losschicken, User bestechen, die dich in den Wahnsinn treiben, Off-Topic-Spam, wirre Metadiskussionen. Aber ich hab noch ne andere Idee.“
„Okay, okay, ich versuch’s. Aber beweis mir erst mal, dass du der bist, der du vorgibst zu sein.“
„Kein Problem: Lust auf eine Holo-Sitzung mit GOTT?“
GOTT
Mephisto greift in die Jackentasche und hält eine leuchtende Kugel empor, streicht über die Oberfläche und murmelt Worte, die sich wie Knacklaute anhören, weder Vokalen noch Konsonanten ähneln. Aus der Kugel strömt Rauch, eine Wolke breitet sich aus, nimmt den ganzen Raum ein. Nach und nach erscheint eine weitläufige Halle mit dicken, bloßen Mauern. Das Bild wird klarer.
GOTT thront, in eine Art Spinnwebengeflecht eingehüllt. Die Gesichtszüge sind schwammig, der Blick unstet im Saal hin und her wandernd, bis er auf die Besucher fällt. Daneben stehen zwei Engel, die sich mühsam auf Hellebarden stützen. Ein Adler sitzt GOTT auf der Schulter. Unablässig kreist ein Wolf durch den Saal.
„Ach, Besuch.“
„Ich habe jemand mitgebracht.“
„Du bist’s. Und wer ist der Kerl neben dir?“
„Musst du doch wissen.“
„Stimmt, ich werde vergesslich. Krieger, mm?“
„Wortkrieger, genau.“
„Kann der mal gerade stehen, der Wortkrieger da? Was macht der hier?“
„Hab was vor mit dem. Deswegen zeig ich ihm, dass es dich gibt.“
„Der soll aber nichts sagen. Ich kann das Menschengejammer nicht mehr hören. Bin kurz vorm Burnout.“
„Läuft schlecht im Himmel was? Hab schon einiges gehört. Genervte Engel, ein überfülltes Paradies.“
„Bei allem Respekt, pass auf, was du sagst. Aber okay, ich geb’s zu. Ich langweile mich gewaltig. Die Kapazitäten sind längst erschöpft, die Paradiesierungsrate viel zu hoch. Entweder ich räume hier oben auf, oder ich suche das Weite, das Gejammer hierorts hält doch keiner mehr aus. Ich hör nur, das Leben auf der Erde wäre besser als das hier. Das ewige Singen und Jauchzen sei öde, Beten sinnlos, die Manna-Mahlzeiten nicht mal vegan, den Honig könne man den armen Bienen nicht stehlen und so weiter und so weiter. GOTTsein macht keinen Spaß mehr. Wenn ich wüsste, wie, dann würde ich mindestens die Hälfte dieses Jammerlappen ins All schießen. Allein, ich bin ja GOTT, deswegen kann ich natürlich nicht, wie ich will…“
GOTT redet und redet. Mephisto unterbricht ihn nach einer Weile:
„Tschüss dann, wollte nur kurz vorbeischauen."
GOTT registriert nicht, dass die Verbindung abbricht.
„Na, glaubst du mir jetzt?“
„Bin dabei. Ich berufe eine Sitzung des Leitungsgremium ein, gleich heute Abend.“
Sitzung des Wortkrieger-Exekutiv-Ausschusses
Teilnehmer: @Webmaster; @lakita; @Friedrichard; @Fliege; @dotslash
„Ich eröffne die Sitzung und bitte die Anwesenden ernsthaft zu bleiben und alles, was wir besprechen, mit höchster Diskretion zu behandeln. Wir müssen über ein höchst brisantes Projekt sprechen. Folgendes, Leute: Wir sind nominiert.“
„Wie meinst’n das`“
„Geht ums Ganze. Läuft so ein Projekt, also genauer gesagt ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren.“
„So?“
„Da war so ein Kerl bei mir, kam über den Balkon rein, Mephisto, ihr wisst schon.“
„Du solltest die Balkontür abschließen.“
„Im Ernst, der hat mir sogar GOTT über ein Hologramm gezeigt.“
„Okay, okay und um was geht’s genau.“
„Die suchen einen Nachfolger für GOTT.“
„Echt jetzt?“
„Und was haben wir damit zu schaffen?“
„Wenn es uns mithilfe der Seite gelingt, die Menschen glücklicher zu machen als die anderen BewerberInnen, dann sind wir, also genauer gesagt ich: GOTT.“
„Und wie soll das gehen?“
„Darüber diskutieren wir jetzt.“
Langes Schweigen, dann ergreift Fliege das Wort, schaut ernst in die Kamera, im Hintergrund eine künstliche Palmen- und Strandlandschaft.
„Kennt einer von euch Nietzsche?“
„Keine Ahnung, wen du meinst. Ist das ein Neuer im Whisky-Geschäft? Heißt der Alexej mit Vornamen?“
„Banausen! Friedrich, Friedrich Nietzsche, heißt der.“
„Nie gehört, echt nicht.“
„Sagt euch Zarathustra was, der Übermensch?“
„Auf was für nem Trip bist du denn, Fliege? Übermensch?“
„Bildung nennt sich das, Bildung.“
„Scheiß drauf. Also was willst du uns sagen?“
„Friedrichard, erklär du denen mal, um was es geht!“
„Geht um was ganz anderes. Könnte doch sein, dass der Weltgeist, also die Natur oder GOTT, eben einer von denen, beschlossen hat, mal richtig aufzuräumen, nutzlose Kreaturen zu beseitigen, so was.“
„Du hast doch Abitur, oder Friedel?“
„Ich hab sogar studiert, ein paar Semester wenigstens.“
„Siehst du, das ganze Wissen frisst sich in deine Birne wie so ein dummer Virus.“
„Aber könnte doch sein.“
„Könnte, könnte, könnte.“
„Survival of the Fittest, hm?“
„So ähnlich.“
„Dann haben wir ja gute Chance dabei zu sein.“
„Eins steht fest: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und wenn, dann hat er nichts davon, weil er sich das Genick bricht. Außerdem…“
„Stopp, Friedel, sag das noch mal.“
„Er bricht sich eben das Genick, lässt sich nicht ändern. Ist ja metaphorisch gemeint.“
„Nein, was du davor gesagt hast.“
„Ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“
„Genau! Du weißt gar nicht, auf was du mich da gebracht hast“, sagt der Webmaster. „Metaphysisch, sag ich nur, metaphysisch.“
„Was meinst’n damit?“
„Kann ich jetzt nichts zu sagen. Ich muss los! Bin gleich wieder da.“
Man sieht den Webmaster, wie er die Schiebermütze aufsetzt und sich aus der Sitzung ausloggt.
„Was ist denn in den gefahren?“
„Keine Ahnung, ganz merkwürdig das, aber gut, dann können wir ja wieder zum gemütlichen Teil zurückkehren.“
Gläser werden erhoben.
„Was ich übrigens noch sagen wollte. Man beachte den Unterschied zwischen metaphorisch und metaphysisch. Ein wirklich interessanter Aspekt, den man auch vor etymologischem Hintergrund beachten sollte.“
Der Webmaster erscheint wieder auf dem Bildschirm.
Alle lachen. Friedrichard hält eine Flasche Bier hoch.
„Übrigens trinken die wahren Nietzscheaner Bockbier, kein Kölsch, auf keinen Fall Kölsch, viel zu harntreibend, das Zeug.“
„Is gut, Friedel. Jetzt mal im Ernst“, sagt der Webmaster. „Hab mit Marc gesprochen.“
„Welcher Marc?“
„Zuckerberg.“
„Echt jetzt?“
„Ja. Der hat uns eine Lizenz fürs Metaversum zugesagt. Dann können wir jetzt loslegen. Lakita, kannst du den Vertrag aufsetzen?“
Lakita schreckt auf, lässt das Glas fallen. „Na klar. Gib mir die Details.“
„Wir brauchen eine Versuchsgruppe, mit denen wir arbeiten.“
„Im ersten Schritt benennen wir die Seite um Kitschkrieger finde ich gut, oder Kissenwahn oder Kissenkrieger. Danach ändern wir die Statuten. Texte ohne Happy-End werden gelöscht, ausschließlich Kuschelburgenniveau.“
„Wen nehmen wir?“
„Schwierige Frage.“
Namen werden hin und hergereicht, diskutiert, für gut, für schlecht befinden. Das Komitee einigt sich auf sieben User, die ihren eigenen Avatar erhalten: Nichtgeburtstagskind, Kiroly, Maedy, Chutney, Greenwich; Isegrims, Chai.
Roll-Out
Auf den Bildschirmen der Teilnehmer erscheinen viereckige Kästchen, Videoübertragungen der Teilnehmer. Nach und nach füllt sich der Raum.
Teilnehmer: @Nichtgeburtstagskind, @kiroly, @Maedy, @Chutney, @Greenwich; @Isegrims, @Chai, @Fliege, @Webmaster, @dotslash
Im Schneidersitz vor einem künstlichen Sonnenuntergangshintergrund wiegt sich eine Frau mit Brille und Pipi-Langstrumpfzöpfen in einem nur ihr bekannten Takt hin und her. Das Mikrofon ist angeschaltet, aber Musik erklingt keine. Sie ergreift als erste das Wort.
„Herzlich willkommen zur Dringlichkeitssitzung unserer Organisation, okay, eigentlich zur Kuschelrunde der ehemals Wortkrieger genannten Webseite zur Diskussion gehobener Literatur. Ich spreche hier im Rahmen meiner Funktionalität als Sprecherin des Webmasters. Wie ihr vielleicht bemerkt habt, wurde die Seite heute umbenannt. Das Rollout hat also begonnen. Ich, beziehungsweise wir möchten ausgewählte Mitglieder über den Stand der Dinge informieren und euch für eure Rolle als Versuchsgruppe bestmöglichst vorbereiten. Alles Wesentliche hat euch der Webmaster per PN mitgeteilt. Ihr habt der Teilnahme per Zweifach-Authentifizierung zugestimmt“, sagt Maedy.
„Kannst du das noch mal wiederholen, ich habe gar nichts mitbekommen, war damit beschäftigt, Drinks zu mixen“, sagt Isegrims, hält den Kopf ins Bild, während direkt vor der Kamera ein schwarz-weiß befellter Terrier das Maul aufmacht und gähnt. „Robby weg da, los!“
Daraufhin meldet sich ein bebrillter Alpenbewohner, der es sich inmitten einer Sammlung Schweizer Schokolade und einigen Whisky-Flaschen vor einer Unmenge von Computerbildschirmen aller Größen und auseinander geschraubten Laptops, Desktops und anderem unkenntlichen technischen Gerätschaften gemütlich gemacht hat.
„Also eins will ich klarstellen. Dein unerzogener Hund, der unglücklicherweise denselben oder einen ähnlichen Vornamen wie ich trägt, hat nichts, aber auch gar nichts mit mir zu tun, Ise!“, sagt dotslash.
„Weißt du eigentlich, wie man nen Bojarksi mixt, mm Dot?“
„Will ich gar nicht wissen, Ise“, zeigt auf sein Whisky-Glas. „Außerdem sind wir in einer ernsten Angelegenheit zusammengekommen, also konzentrier dich!“
„Um was geht’s noch mal?“
„Muss ich etwa von vorne anfangen?“, meldet sich Maedy.
„Nee, lass mal. Wo ist eigentlich der Webmaster?“
„Der hat was von: 'Ich muss mich um die Katzen kümmern' erzählt.“
Ise erscheint im Bild, hält ein Wodkaglas in der Hand und prostet in die Runde: „Zum Wohl, Leute!“ Dann leert er das Glas. Es folgt ein lauter Knall und splitterndes Glas. „Scheiße, scheiße.“
„Du bist selten dämlich, Ise“, sagt Dotslash. Alle lachen.
Unterdessen haben sich zwei weitere Teilnehmer eingefunden: Lakita und der Webmaster. Lakita trägt eine schwarze Bluse, im Hintergrund eine strahlend weiße Wand. Sie winkt fröhlich in die Kamera. Chai grinst, sagt nichts. Chutney genauso, nur mit geöffnetem Mund und zeigt auf ihren Hintergrund: Glühwürmchen glühen über die Wand. Kiroly hat neben sich eine Breitspurbahn aufgebaut. Die Gleise verlaufen über den Tisch, an der Kante sieht man eine Art Rampe. Die Hinzugekommenen grüßen fröhlich in die Runde.
„Könnt ihr mal aufhören zu saufen und mir zuhören, mm“, sagte der Webmaster. Man sieht im Hintergrund, dass er eine getigerte Katze von seinem Schoß jagt.
„Wisst ihr eigentlich wie Bojarski gemixt wird, also einen richtig geilen Bojarski?“
„Ich schalt den Ise aus!“
„Hehe, ich dachte hier geht’s um Literatur? Ohne Bojarski geht gar nichts.“
„Um Kissen geht’s, um Kuschelburgen im Metaversum genauer gesagt.“
„So?“
„Also Leute, hört mir mal gut zu. Wir haben was zu besprechen. Es ist nämlich so, wir sind nominiert und ihr habt die Ehre, die Versuchsgruppe zu bilden. Das habe ich euch bereits geschrieben. Jetzt steht die Umsetzung an. Um was es geht, also rein technisch, habe ich euch mitgeteilt. GOTTwerdung, ich meine, ein höheres Ziel gibt's nicht! Alles, was ihr jetzt tun müsst, ist euer Bestes zu geben, Geschichten schreiben, die ins Herz treffen, den Menschen das Leben verschönern. Kurzum: wir müssen die Welt verbessern. Um euch zu ermöglichen, etwas wirklich Beeindruckendes zu schaffen, könnt ihr die Vorteile des neuen Zeitalters nutzen, das Metaversum, die Zukunft einer Menschheit, die das Paradies auf Erden errichten will.“
„Ähm, Webmaster, bevor du weiterredest habe ich da mal eine Frage“, sagt Kiroly.
„Jetzt nicht, war gerade so schön pathetisch.“
„Entschuldigung, Entschuldigung, tut mir so leid. Okay, ich warte.“
„Sag schon!“
„Also ich würde gern, wenn es dir nichts ausmacht, wissen, ob ich über Eisenbahnen schreiben darf, ob kirolyisch erlaubt ist, also ein paar Wortkaskaden, vielleicht sogar sozial gefärbt, direkt aus dem Leben und ob es zwischen den Zeilen rauchen darf wie eine alte Lokomotive?“
„Ähm, kapier ich nur halbwegs, wenn’s gut ausgeht, wenn’s den richtigen Kitschfaktor aufweist, warum nicht.“
„Danke, danke, danke.“
„Also, wo war ich stehengeblieben? Es geht ums Ganze, ein neues Zeitalter wird eingeleitet. Es geht um Glück und Liebe und eine bessere Welt. Von göttlichem Hauch angetrieben, unterstützt von den Möglichkeiten des Metaversums werdet ihr Geschichten streuen, überall auf der Erde, die zu Tränen rühren, Schauer hervorrufen, gottgemäß auf die Seelen einwirken.“
„Warum sagst du eigentlich gottgemäß, Webmaster?“
„Warum unterbrichst du mich, ich fass es nicht!“
„Na ja, gottgemäß, das klingt doch meiner Meinung nach sehr nach einem christlichen Weltbild oder eben nach den drei patriarchalischen Religionen. Was ist mit Buddha, Shiva, was mit den Lehren des Konfuzius? Weil Konfuzius sagt: die Welt ist eins.“
„Und es gibt keinen GOTT außer GOTT“, ergänzt Chutney. „Glühwürmchen, Vögel und Pflanzen, alle Lebewesen dieser Erde, das ist doch erlaubt, oder?“
„Natürlich, natürlich, ich wiederhole mich, es geht um die richtige Haltung, das vor allem!“
„Und was ist mit den Pflanzen, der Schönheit des Grüns, dem Blühen und Wachsen aus der Mutter Erde heraus?“, fragt Greenwitch.
„Ein Leben ist ein Leben ist ein Leben“, antwortet der Webmaster.
„Und ein Bojarski eben ein Bojarski. Große Literatur erwächst aus der Natur“, sagt Isegrims.
„Du wieder!“
„Übrigens muss ich dringend zu bedenken geben, dass allein die Nutzung des männlichen Artikels für Bojarski, was an sich schon problematisch ist, eine eindeutige Bevorzugung der männlichen Bojarski-Konsumenten beinhaltet, das patriarchale Denken zementiert. Ganz so, als ob es eine Rolle spielte, welchen Geschlechts jemand ist, der einen Drink zu sich nimmt. Was gleichsam die männliche Haltung gegenüber der anderer Geschlechter entlarvt. Warum heißt es: der Caipirinha, der Mojito, der Aperol-Spritz, mm?“, fragt Nichtgeburtstagskind.
„Schreib’s um, hat keiner was dagegen eine geschlechtergerechte Sprache zu erschaffen.“
„Und du wirst dann GOTT?“
„So ist der Plan. Aber nun beginnen wir mit der ersten Schreibübung!“
Finale
Während die Probanden sich sammeln, Blätter rascheln, Stifte in die Hand genommen werden, der Countdown läuft, auf dass sie los schreiben können, bereit in die wilde Fantasiewelt abzutauchen, dreißig Sekunden, zwanzig, zehn, werden alle Bildschirme schwarz, als gäbe es ein Shutdown des Systems. Eine Weile passiert nichts, dann erklingt Sphärenmusik: Shine on your crazy Diamonds, könnte man glauben.
Eine Figur erscheint auf dem Bildschirm, ein behelmtes Gesicht. Die dunklen Augen blitzen darunter hervor, ähnlich Darth Vader, aber mit einem Kranz aus Rosen gekrönt, rote, rote Rosen.
Die Stimme klingt blechern:
"Sehr geehrte Damen und Herren, verehrter Webmaster, geschätzte Probanden, liebe Alle!
Ich spreche hier im Namen der übergeordneten Organisationen, die ein globales Mega-Projekt gestartet haben, um Themen zu platzieren, die unsere Welt verändern. Bevor die Schreibübung startet, werde ich nun aufklären, was der Zweck des Ganzen ist. Es geht beileibe nicht um die Nachfolge von Gott. Denn eben jener Gott wurde ja längst ersetzt, durchdringt die Welt in unterschiedlichen Geschlechterrollen, Hautfarben und unterschiedlichen sozialen Schichten. Gott ist tot und lebt doch weiter, könnte man sagen.
Wir haben seine Rolle bestmöglich besetzt, wie auch die seines Antagonisten Mephisto. Illusionen über Illusionen! Das Metaversum der Herzen ist eröffnet! Die Spiele mögen beginnen!"
Und nun zu Ihrer ersten Übung:
"Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich inmitten einer riesigen Kuschelkissenburg, eine, die bis zum Himmel reicht. Setzen Sie den Stift nicht ab und fangen an zu schreiben. Schreiben Sie eine ganze Stunde lang über das, was sie sehen, riechen, fühlen, schmecken. Schaffen Sie Bilder, die bis zum Herzen reichen, ihre eigene Existenz berühren!"