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Menschenfresser
Tom erschauerte und hielt seine Hände über die Glut. Nicht mehr lange, und die Sonne würde Kälte und Nebel vertreiben.
Der Hundling, der sich neben dem Feuer zusammengerollt hatte, winselte. Seine Hände öffneten und schlossen sich, seine Lefzen zitterten. Schließlich ging ein heftiger Ruck durch seinen Körper und er öffnete die Augen.
„Na, auf der Jagd gewesen?“, fragte Tom.
„Eher auf der Flucht.“ Tyras setzte sich auf und gähnte.
„Vor wem?“
„Keine Ahnung. Frag mich lieber, wovor. Es war groß – und zugleich klein, irgendwie … Ach was soll’s, ein Traum, mehr nicht.“
„Groß und zugleich klein irgendwie?“
„Es kam aus dem Fluss, ein riesiges Kind ... das Wasser war rot und dampfte ... als es den Kopf schüttelte, wurden aus den Spritzern Vögel, die waren auch rot … es schüttelte sich so lange, bis nichts mehr von ihm übrig war.“ Tyras tippte sich an die behaarte Stirn. „Völlig verrückt, stimmt’s?“
„Und dann?“
„Die Vögel sind gelandet, direkt vor mir. Hunderte. Kamen langsam auf mich zu, die Viecher. Tja, da bin ich eben losgerannt. Das war’s.“
„Und ich?“, wollte Tom wissen. „Bin ich auch in dem Traum vorgekommen?“
„Du warst nicht da. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.“
Tyras stand auf und deutete flussaufwärts. „Da kommen sie. Ziemlich pünktlich, muss ich sagen.“
Die Mastspitzen der Korvette leuchteten im Schein der aufgehenden Sonne. Tom öffnete seine Truhe und nahm das Fernrohr heraus. Er betrachtete die kunstvoll geschnitzte Gallionsfigur, einen goldenen Adlerkopf auf dem Körper eines grünen Drachen.
Wenig später betraten sie das Deck des Schiffes und wurden von ihrem Auftraggeber begrüßt. Agar war ein hagerer, ernst blickender Mann. Er musterte Tom und besonders den Hundling eine Weile, bevor er ihnen die Hand entgegenstreckte.
„Es ist lange her, dass ich einen Hundling gesehen habe, noch dazu einen so stattlichen. Und Ihr, mein Freund“, sagte er zu Tom gewandt, „seid also bereit, diesen Auftrag zu übernehmen?“
„Wären wir sonst hier?“
„Natürlich, sicher.“ Agar griff in sein Wams und förderte einen Lederbeutel zutage, den er einige Sekunden anstarrte, bevor er ihn Tom übergab. „Es sind zwei. Der Kleine ist für euch, der Große für die elenden Leichenfresser, die meinen Sohn entführt haben.“
Tom öffnete den Beutel und ließ die beiden Kristalle auf seine Handfläche gleiten. Während der Kleinere einer Erbse glich, hatte der Große die Ausmaße einer Kinderfaust. Beide schimmerten rötlich, und Tyras atmete geräuschvoll aus.
„Senker! Meine Güte, damit könnte man…“ Er berührte sie zaghaft mit den Fingerspitzen. Senker, oder Rosensteine, wie sie auch genannt wurden, wuchsen in den Hirnen der großen Felsenbären des Rhu’wan-Gebirges wie Perlen in einer Muschel. Der große Stein musste im Schädel eines wahrhaft gigantischen Tiers herangereift sein.
Tom erinnerte sich an das Fell eines Jungtieres, das bei seinem Oheim an der Wand der Eingangshalle hing und mit dem man eine gewöhnliche Droschke samt Zugpferd hätte bedecken können. Es hieß, diese Steine besäßen magische Kräfte, aber Tom hielt das für Unsinn. Fest stand, dass selbst der Kleinere der beiden Steine ein Vermögen wert war.
„Solltet ihr mir mein Kind und den großen Stein zurückbringen, wird meine Großzügigkeit keine Grenzen kennen, so viel kann ich euch versichern.“
„Wo soll die Übergabe stattfinden?“
„Flussaufwärts, eine halbe Tagesreise von hier. Kennt ihr die Fährstation Dol-Kanoi? In der dortigen Schenke warten sie bereits. Mein Schiff wird später in der Nähe vor Anker gehen und ich werde eure Rückkehr erwarten.“
In der Scheune stank es entsetzlich. Der Junge starrte durch die Gitterstäbe auf die fünf zuckenden Körper, die vor der gegenüberliegenden Bretterwand von der Decke hingen. Nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Und, da war er sich sicher, die furchtbaren Schmerzensschreie dieser bedauernswerten Menschen würden er nie mehr vergessen können.
Als er die Schritte hörte, warf er sich zu Boden und stellte sich schlafend. Das Tor der Scheune wurde aufgerissen. Das Geräusch, das folgte, kannte er nur zu gut.
Das Schaben einer Klinge, die aus einer Lederscheide gezogen wurde.
Agar hatte den beiden eine Jolle zur Verfügung gestellt, mit der sie die Strecke in wenigen Stunden bewältigt hatten. Seine Truhe hatte Tom an Bord der Korvette zurückgelassen und sich nur mit dem Nötigsten versehen.
Vor der Fährstation, die sich unmittelbar neben der Schenke befand, standen an die zwanzig Männer mit Bierkrügen und Pfeifen in den Händen und redeten lebhaft aufeinander ein. Es war gegen Mittag und die Sonne stand im Zenit.
„Natürlich ist der Kleine nich hier – was habt ihr denn gedacht?“ Der Mann musterte Tom und den Hundling verächtlich. Seine beiden Kumpane waren sitzengeblieben und grinsten.
Der Schankraum war bis auf die drei Kerle leer. Die anderen Gäste hatten anscheinend beim Anblick der angsteinflößenden Gestalten den Schankraum verlassen, um ihr Bier lieber in der sengenden Sonne zu trinken.
„Also, wenn ich euch richtig verstehe, sollen wir euch den Stein überlassen, und ihr bringt den Jungen in ein paar Tagen unversehrt hierher?“
„Genau.“
„Und das sollen wir euch glauben?“, fragte Tyras. „Weil ihr Männer von Ehre seid, hab ich recht?“
„Stimmt, das sind wir.“
Der Hundling sah Tom fragend an. Der nickte unmerklich.
Wenige Sekunden später lagen zwei der Männer mit gespaltenen Schädeln auf dem Boden. Der dritte starrte auf Tyras‘ Klinge, deren Spitze sich in seinen Magen bohrte. Es bedurfte keiner besonderen Überredungskunst, ihn zur Preisgabe des Ortes zu bewegen, an dem man Agars Sohn gefangen hielt. Mit zitternden Fingern zeichnete er eine grobe Karte auf ein Stück Papier. Tyras warf dem Wirt, der sich zitternd hinter der Theke verkrochen hatte, ein Goldstück zu. „Wir waren nicht hier, merk dir das. Mach sauber, und schaff die Kadaver weg.“ Mit diesen Worten stiess er dem dritten Strolch seinen Dolch in den Leib.
„Diese verdammten Blutsauger!“
Der Hundling rieb sein rechtes Ohr. Es gab nur wenige Stellen an seinem Körper, die nicht von dichtem Fell bedeckt waren. Er wandte sich um. „Wieso eigentlich wirst du nicht gestochen? Kein Fell, überall blanke Haut – aber die Viecher verschonen dich. Möchte wissen, warum.“
Tom, der wusste, dass Tyras jegliche Bemerkungen über seinen ganz speziellen Körpergeruch übelnahm, murmelte etwas von Schicksal und ertragen müssen, und ließ durchblicken, dass er einfach nur Glück habe.
Ihm war klar gewesen, dass Agars Sohn irgendwo in dem riesigen Waldgebiet oberhalb der Senkun-Ebene gefangen gehalten wurde. Ohne die Karte wäre es jedoch so gut wie aussichtslos gewesen, ihn zu finden.
Sie hatten sich an der Fährstation zwei Dromgolls gemietet, die schneller, ausdauernder und genügsamer als Pferde waren. Der Hundling hatte anfänglich protestiert und kundgetan, dass er kein Tier bestiege, das mehr als vier Beine habe, aber schließlich ließ er sich überreden.
„Kein Feuer, Tyras“, sagte Tom, als sie sich gegen Abend im Schutz einer Felswand niederließen. „Wir wollen nichts riskieren. Die Karte ist zwar nicht übermäßig genau, aber es ist nicht mehr weit. “
„Die Mücken …“ jammerte der Hundling, „sieh dir mal meine Ohren an! Und woher willst du wissen, dass wir bald da sind?“
„Ein Gefühl, nichts weiter.“
„Gefühl … pah!“
Der Junge wandte sich ab, doch vor seinem inneren Auge sah er genau, was der Mann mit dem Messer anstellte. Wie er die Wunden anschließend mit einer Art Baumharz verklebte, damit seine Opfer nicht verbluteten; wie er dabei schmatzte, kicherte und grunzte. Einmal hatte er ein Stück aus dem Oberschenkel eines Mannes herausgeschnitten und es sich in den Mund geschoben. Dann hatte er in einen kleinen Bottich mit Harz gegriffen und die blutende Stelle damit beschmiert. Das Geschrei des Mannes hatte ihn belustigt. Kauend hatte er dagestanden und schließlich mit einem Knüppel zugeschlagen.
Den Jungen beachtete er nicht. Lediglich ein Wort sagte er, wie jedes Mal, bevor er die Scheune verließ.
„Bald.“ Es klang, als habe er stundenlang auf dem zu großen Wort herum gekaut und es dann ausgespuckt.
Der Junge dachte viel an sein Zuhause. Flüchtete in Gedanken in die friedlichen Wälder und duftenden Wiesen, die sein Elternhaus umgaben. Er dachte an seine Freunde, an die Bediensteten, die ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatten. Sein Vater war reich. Bestimmt würde er ihn freikaufen.
Bestimmt.
Bald.
Der Baum bot ihnen eine ausreichende Sicht auf das Dorf.
„Spielende Kinder, zwitschernde Vögel, gackernde Hühner“, wisperte Tyras. „Es sieht alles so verdammt … harmlos aus. Ich kann’s kaum glauben.“
„Ja“, erwiderte Tom, „aber was hast du erwartet? Behaarte, blutverschmierte Gestalten, die grunzend um riesige Pfannen mit gebratenen Babies herumtanzen?“
„Was glaubst du, wo haben sie den Jungen?“
„Ich weiß nicht. Wir müssen abwarten.“
„Siehst du die alten Weiber da an dem Kessel? Da ist er vielleicht schon gelandet.“
„Womöglich“, sagte Tom. „Vielleicht gehst du da runter und fragst einfach.“
Rings um das Dorf war ein breiter Streifen Wald gerodet worden, auf dem nichts wuchs als Gras und vereinzelte, kniehohe Büsche. Tom vermutete, dass nicht mehr als zweihundert Menschen hier hausten, ein Drittel davon Kinder.
Er zog sein Glas aus der Weste. Einige der Häuser bestanden aus Mauerwerk, doch die meisten waren einfache Holzhütten, deren Dächer aus Bohlen bestanden. Die Fugen waren geteert, wie man es von Schiffsplanken kannte.
Eine Gruppe von Kindern, die vor einer großen Scheune standen und durch die Spalten der Wand ins Innere spähten, fiel ihm auf. Sie stießen sich an und machten eindeutige Gesten, fuhren sich mit der flachen Hand über die Kehlen und rieben sich lachend die Bäuche. Irgendetwas sagte ihm, dass der Knabe dort drin gefangen gehalten wurde. Er reichte dem Hundling das Glas und deutete auf die Kinder.
„Da in der Scheune vielleicht“, flüsterte er.
„Gut möglich.“
„Walte, mein Schatz, aufgewacht. Es ist Zeit, aufzustehen!“ Er schlug die Augen auf und sah das Gesicht seiner Mutter über sich. Er streckte sich und wischte sich ihren feuchten Schmatzer von der Stirn. Durch das Fenster drang der Duft gemähten Grases und der Rosenhecke im Garten. Die Vögel zwitscherten, in den Ställen wieherten Pferde. Die Morgensonne malte helle Kringel an die Wand zu seiner Linken. Er streckte die Arme nach seiner Mutter aus. Verwundert bemerkte er einen Schatten auf ihrem Gesicht. Ihr Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Sie hob den Arm, und er erkannte das Hackmesser aus der Küche in ihrer Hand. Die Sonne ließ es glitzern, und als es niedersauste, stieß sie ein Keuchen aus.
Der Schmerz in seinem Fußgelenk war unbeschreiblich, und er wachte auf.
„Na, Jungchen? Süß geträumt?“
Es war der Mann mit dem großen Messer. Er zerrte an der eisernen Fußfessel des Jungen und schmierte eine übelriechende Salbe auf den verletzten Knöchel.
„Kannst es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen, ich weiß. Verrätst du mir deinen Namen, Kleiner?“
„Menschenfresser!“ stieß der Junge hervor und spuckte dem Mann ins Gesicht.
„Oho! Ein seltsamer Name für so einen hochwohlgeborenen Knaben. Weißt du, ich glaube, ich probier mal ein Stückchen von deiner Hand. Schmecken nämlich am besten, die Handflächen. Dein Vater wird’s verkraften.“ Er wischte sich den Speichel von der Wange und zog sein Messer.
„Hörst du das?“
„Verdammt … das klang wie ein...“
Ein zweiter Schrei war zu hören, der jedoch abrupt endete. Kurz darauf verließ ein Mann die Scheune. Er zeigte den Kindern lachend etwas, um es sich dann mit großem Getue in den Mund zu stecken.
„Das war Agars Sohn, ich bin mir sicher. Das müssen wir uns heute Nacht mal ansehen, Tyras.“
„Ja.“
Der Mann hatte sich auf seinen Arm gekniet, ihm mit einem schnellen Schnitt den Daumenballen der linken Hand entfernt und ihm ein schmutziges Stück Stoff in den Mund gestopft. Dann war er hinausgegangen, ohne die heftig blutende Wunde mit Harz zu verschließen.
Nun war es Nacht. Fliegen umschwirrten den Jungen. Auf der pochenden Wunde hatte sich eine dünne Schorfschicht gebildet. Der Schein eines großen Lagerfeuers drang durch die Ritzen des Scheunentors. Er hörte Gesang und schrilles Gelächter. Seine Entführer schienen sich prächtig zu amüsieren.
Einige Male glaubte er, Flüstern, Kratzen und gemurmelte Worte an der Wand hinter ihm zu hören. Doch die Geräusche wiederholten sich nicht, und so versank er erneut in einen Dämmerzustand jenseits aller Hoffnungen. Schließlich schlief er ein.
Weder Tom noch der Hundling, dem die Menschenfresser ein noch größerer Greuel als die Untoten in der Ebene waren, hatten Skrupel bei dem, was sie vorhatten. Bei dem Lärm, den diese Bestien in Menschengestalt veranstalteten, mussten sie sich nicht einmal besonders leise bewegen, als sie an einigen Hütten am Dorfrand trockenes Laub und Gras anhäuften. Gegen Mitternacht zündeten sie alles an und zogen sich zurück. Binnen weniger Minuten brannten die Holzhütten lichterloh. Beißender Rauch breitete sich aus, und die Einwohner rannten panisch umher.
Die Scheune lag am entgegengesetzten Ende des Dorfes. Es gab kein Schloss, nur einen Riegel aus Holz, und das Tor zu öffnen war eine Sache von wenigen Sekunden. Der Junge kauerte in einem hölzernen Käfig, war jedoch mit einer im Boden verankerten Kette gefesselt, die ein ernsthaftes Hindernis darstellte.
„Der Mann hat einen Schlüssel, der Mann mit dem Messer“, flüsterte der Knabe und deutete auf das rostige Schloss an seinem Knöchel.
„Ich finde den Kerl“, stieß Tyras aus und bevor Tom etwas sagen konnte, war der Hundling verschwunden.
Tyras presste sich neben dem Tor an die Scheunenwand. Zufrieden ließ er seinen Blick über das Chaos, das sich vor ihm abspielte, wandern. Die Dorfbewohner rannten, zeitweise von Rauchwolken verhüllt, panisch zwischen den lodernden Hütten umher wie aufgescheuchtes Vieh.
Das seid ihr, dachte der Hundling. Vieh, nichts sonst.
Er verspürte kein Mitleid, als er sah, wie einen Steinwurf von ihm entfernt die Kleidung eines Mannes, der ein Kind auf dem Arm trug, Feuer fing. Wenige Augenblicke später standen beide in Flammen und stürzten zu Boden. Für einen Moment glaubte Tyras den Geruch von Gebratenem wahrzunehmen.
Er setzte sich in Bewegung. Das Heft seines kurzen Schwertes mit der Rechten umklammernd, näherte er sich den beiden zuckenden und kreischenden Körpern. Zwei kräftige Hiebe beendeten ihren Todeskampf.
Geduckt hastete Tyras weiter. Der Mann, den er suchte, musste sich irgendwo in diesem Getümmel aufhalten. Durch Toms Glas hatte er den hageren, in schmutzig-graues Tuch gehüllten Kerl genau gesehen. Die lederne Kappe mit den Ohrenklappen würde er sofort wiedererkennen.
Wie aus dem Nichts sah sich der Hundling einer alten Frau gegenüber, die der Rauch eben noch verhüllt hatte. Sie hustete und versuchte mit vor Schreck geweiteten Augen zu schreien, wobei ihr zitternder Arm auf ihn deutete. Tyras zögerte keine Sekunde. Die Klinge in ihren Hals zu stoßen und sie wieder herauszuziehen, war die Sache einer Sekunde. Er sah sich um, doch niemand hatte Notiz von ihm genommen. Wieder trieb eine dichte Rauchschwade über ihn hinweg. Er hörte Stimmen. Gebrüllte Befehle waren das – der Hundling verstand nur einzelne Brocken. Jemand versuchte, Ordnung wieder herzustellen, das Löschen des Feuers zu organisieren. Hunde bellten, Kinder wimmerten, Frauen kreischten. Sehr schön, ihr Tiere!
Immer wieder rissen die Rauchwolken auf. Als unmittelbar neben ihm eine Hütte in sich zusammenfiel, eine Funkenwolke zum Himmel stieg, begann sein Nackenfell zu glimmen. Mit der Linken wischte er die Funken weg, als er den Kerl sah.
Kein Zweifel. Der dreckige Bastard bewegte sich, zwei prall gefüllte Säcke schulternd, zum Rand des Dorfes. Am Gürtel trug er einen weiteren Beutel aus grauem Hanf.
Mit wenigen Sprüngen hatte Tyras ihn eingeholt.
„Soll ich dir tragen helfen? Sieht verflucht schwer aus.“ Wie angewurzelt blieb der Mann stehen und wandte sich um. Während er die beiden Säcke zu Boden gleiten ließ, musterte er staunend das merkwürdige Wesen, das da mit gezogenem Schwert vor ihm stand. Auf seiner Brust baumelte an einem ledernen Riemen ein Bund mit zwei kleinen Schlüsseln. Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, sprang ihn der Hundling an und stieß ihm seine Klinge bis zum Heft in die Brust.
Schaumiges Blut quoll aus dem Mund des Menschenfressers, seine Augen traten aus ihren Höhlen und er schlug lang hin. Tyras sah sich um, während er die Klinge einige Male in der Wunde drehte, dann zog er das Schwert heraus. Er hockte sich seitlich neben den Kopf des Mannes, griff in dessen Haar und trennte mit wenigen Schnitten seinen Kopf vom Rumpf. Dann löste er den Beutel vom Gürtel, und schüttete die darin befindlichen Münzen achtlos auf den Boden.
Nach wenigen Minuten war er zurück. Er schloss das Tor der Scheune und warf Tom den Schlüsselbund zu. An seinem Gürtel baumelte ein Sack aus grobem Hanf.
Agar umarmte und küsste seinen Sohn, dessen Tränen ein Geflecht von hellen Linien auf seine dreckverkrusteten Wangen gezeichnet hatten. Dann wanderte sein Blick zu dem Stoffbündel, das Tyras mit einer Verbeugung auf die Decksplanken fallen ließ.
„Was ist das?“
„Seht selber nach“, sagte der Hundling, dem sein Stolz deutlich anzusehen war.
Agar bückte sich, öffnete den Sack, und starrte verblüfft hinein.
„Das ist er, Vater“, rief Walte, „der Mann, der ein Stück von meiner Hand gegessen hat! Tyras hat ihm den Kopf abgeschnitten, als er den Schlüssel geholt hat.“
In dem weit aufgerissenen Rachen des Menschenfressers steckte etwas rötlich Glitzerndes.
„Nehmt es Tyras nicht übel“, sagte Tom. „Mein Freund hat mitunter einen sonderbaren Humor.“