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Menschen im Hotel

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Menschen im Hotel

Eine Besprechung des Buchs von Vicki Baum von 1929
mit Anmerkungen zu den Verfilmungen von 1933 und 1959

Ich bin durch einen Podcast auf »Menschen im Hotel« gestoßen. Ein wirklich beeindruckender Roman, der mich stilistisch sehr an Erich Kästner erinnerte. Vordergründig geht es um Kringelein, einem todkranken Buchhalter, der sein ganzes Erspartes nimmt, die Frau unwissend zurücklässt und sich in Berlin im Grand Hotel, dem besten Hotel vor Ort, eincheckt. Es muss dieses Hotel sein, weil dort stets sein Chef Preysing übernachtet.
Was Kringelein nicht weiß, dass dies auch dieses Mal der Fall ist, denn Preysing steht kurz vor dem Ruin und will einen großen Deal einsacken. Und neben dem Deal auch noch die junge Sekretärin »Flämmchen«.
Hiervon bekommt Kringelein jedoch nichts mit, sondern er freundet sich mit Dr. Otternschlag, einem desillusionierten Kriegsveteranen, und Baron von Gaigern an, der jung, leichtsinnig und lebenslustig, aber komplett pleite ist. Deswegen hat er es auch auf den Schmuck von der alternden Ballerina Grusinskaja abgesehen. Doch sein Diebeszug wird zu einer Suizidvereitelung und anschließend zur großen Liebe.

Der Roman tropft teils vor Adjektiven und ich habe mich lange gefragt, ob eines zu viel dabei ist; die Antwort ist klar: nein. Sie sind so gesetzt, dass sie Atmosphäre schaffen; genauso wie die Metaphern. So hat Flämmchen ein »Stiefmütterchengesicht« und die Frau des Preysing heißt »Mulle«. Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen. Jeder Satz erscheint durchdacht und selbst das Ende, das stakkatoartig die Gäste, die einst durch die Drehtür kamen, wieder auf die Straße spült, überzeugt trotz einer gewissen Länge.

Das Buch wurde zweimal verfilmt. Die deutsche Verfilmung von 1959 mit O. W. Fischer und Heinz Rühmann (als Kringelein) überzeugte mich wenig. Der Inhalt des Buches ist so zusammengestaucht, dass das Buch kaum noch zu erkennen ist. Einzig Michèle Morgan als Grusinskaja überzeugt in ihrer melodramatischen Rolle.

Die Hollywood-Verfilmung von 1933 mit Greta Garbo und John Barrymore dagegen besticht durch Textnähe. Vor allem hat auch der sehr geniale Dr. Otternschlag einen kleinen Part, der aus der deutschen Verfilmung komplett rausgekürzt wurde. Wer das Buch also nicht lesen will, dem sei die Filmversion von 1933 angeraten. Schwarz-Weiß sind beide Filme gedreht.

Menschen im Hotel ist eine zeitlose Gesellschaftsanalyse. Eine Momentaufnahme eigensinniger Individuen bei ihrem Hotelaufenthalt. Vicki Baum versteht es aber, an diese Menschen heranzuzoomen, ihre Schwächen und Stärken zielgerichtet zu analysieren, auch wenn natürlich so manche Passage old-fashioned wirkt und eine Sekretärin namens »Flämmchen« heute wohl zu einem Aufschrei der Kritiker:innen führen würde.
Von mir ein dicker Daumen nach oben :thumbsup:für eine Autorin, die noch rechtzeitig fliehen konnte und deren Bücher als "Asphaltliteratur" verbrannt wurden.
Ich bin mir sicher, dass dies nicht der letzte Roman war, den ich von ihr gelesen habe.

 

Dankeschön für die neugierig machende Buchbesprechung. Da mich ja "Alltagszenen" in ihrer besten Form immer interessieren, hört sich das nach einem Genuss über die Weihnachtszeit an.

 

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