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Meine Schwester
Ich erwachte früh und sah, dass meine Schwester im Nebenbett noch schlief. Ihre Atemzüge waren unregelmässig, ihr Gesicht fahl im Licht der aufgehenden Sonne, die durch das Fenster schien.
Leise stand ich auf, um ihren Schlaf, den sie nun dringend brauchte, nicht zu stören. Ich ging zu ihrem Bett und tränkte den Lappen, der auf ihrer heissen Stirn ruhte, mit frischem kaltem Wasser. Sie öffnete kurz ihre Augen, lächelte mich sanft an und kehrte dann in den Schlaf zurück.
Vor drei Wochen erkrankte Briana an dieser Krankheit, die der Arzt als Lungenentzündung bezeichnete. Unsere Mutter weinte, als ihr diese Nachricht von dem Doktor aus unserem Dorf überbracht wurde. Ich verstand nicht ganz warum, aber was versteht schon eine Elfjährige von den schrecklichen Dingen dieser Welt? Doch nun musste ich lernen zu verstehen.
Meine Schwester würde sterben.
Jeden Tag sah ich sie schwächer werden. Vorher war sie das blühende Leben. Eine fünfzehnjährige junge Frau mit wunderschönen roten Locken, einem Alabasterteint und einem Körper, der sich gerade zu der Frau verwandelte, die sie einmal werden sollte.
Wir standen uns immer sehr nahe, auch wenn sie 4 Jahre älter war als ich. Sie war für mich die grosse Schwester, die ich immer um Rat fragen konnte, die mir immer half. Ja, ich liebte sie sehr und wollte sie nicht verlieren.
Eine Träne rollte über meine Wange, als ich mir vorstellte, welches Leben sie sich erträumt hatte. Euphorisch und entzückt hatte sie mir von dem Mann erzählt, den sie liebte, der sie heiraten möchte. Als junges romantisches Mädchen, das ich war, hörte ich begierig zu, um mehr über die Liebe zu erfahren, die ich mir irgendwann für mich selbst erhoffte.
Briana und James sahen sich zum ersten Mal in der Stadt in der Nähe unseres Dorfes. Briana sollte an diesem Tag für Mutter einkaufen. Sie wollte gerade in das kleine Geschäft eintreten, als ein junger Soldat ihren Weg kreuzte. Unter seiner Mütze konnte Briana braunes Haar erkennen, seine Augen waren grün und blickten ihr tiefgründig entgegen. In diesem Moment erfuhr meine Schwester die Liebe. Auch James erkannte in ihr die Frau, die zu lieben, er bestimmt war. Sie verbrachten den ganzen Tag zusammen, lernten sich behutsam kennen und öffneten ihre Herzen füreinander. Als der Tag sich dem Ende entgegen neigte, küsste James meine Schwester sanft und versprach ihr am nächsten Tag bei unserem Vater um ihre Hand anzuhalten.
Doch dieser Tag sollte nie kommen. 1914 kam der Krieg in unser Königreich und verbannte die Männer an die Front, wo sie für ihr Land und für ihr Leben kämpfen mussten. Briana litt in diesen Tagen, immer wartend auf eine Nachricht von James, doch nichts geschah. Nach zwei Wochen ohne ein Zeichen von ihm, schrie meine Schwester in der Nacht. Ich eilte zu ihr, hielt ihre Hand.
„Er ist tot. Ich habe es in meinem Traum gesehen“, sobald sie dies gesagt hatte, begann ihr Körper sich unkontrollierbar zu schütteln, sie weinte und schluchzte. Ich konnte sie nicht beruhigen, obwohl ich alles versuchte.
Am nächsten Tag war sie krank.
Ich konnte ihr nicht helfen und doch tat ich alles für sie. Ich sprach mit ihr, während sie schlief, versuchte ihr Suppe einzuflössen, wenn sie wach war und kühlte ihr die Stirn. Nichts half und die Krankheit breitete sich, wie auch meine Verzweiflung, weiter aus.
An diesem Tag nachdem ich meiner Schwester Kühlung verschafft hatte, setzte ich mich an ihr Bett und streichelte ihre Haare. Ich erzählte ihr, wie schon manche Tage zuvor, ihre Liebesgeschichte, um ihr Zuversicht und Hoffnung zu spenden. Am Ende der Geschichte weinte ich leise, da ich in diesem Augenblick erkannt hatte, dass alles zu spät war. Ich blickte meine Schwester voller Verzweiflung an, in dem Wissen, was nun geschehen würde.
Briana öffnete ihre Augen, wisperte seinen Namen und tat ihren letzten Atemzug. Ich war ganz still und hielt weiter ihre Hand, um ihre Wärme nicht zu verlieren.
Ich kann heute nicht mehr sagen was ich damals dachte, aber erst später als ich selbst die Liebe erfahren hatte, wurde mir klar wie tief ihre Liebe zu Jamie gewesen sein musste.
Ich behielt ihre Hände in den meinen. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, versuchte meine Gefühle in meinem Innern zu bannen, damit ich weniger leiden musste.
Da hörte ich hinter mir leises Weinen und erwartete meine Mutter zu sehen, als ich mich dann aber umdrehte, überrollte mich eine Welle von Verzweiflung und Hilflosigkeit, denn meine Augen blickten in ein Gesicht mit grünen Augen und braunen Haaren.