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Thema des Monats Meine liebe Ruth

Seniors
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04.08.2001
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Meine liebe Ruth

Aushang am 09.04.

Es wird eingeladen zu einer Lesung mit unserem geehrten Bürger und Schriftsteller
Hein Horsten.
Er liest aus Werken seines langjährigen Schaffens, außerdem werden einige seiner Schüler lesen.
Allesamt Einwohner von Bad Walsen.

Termin ist der 29.04. in unserer Stadtbibliothek.
(Es wird um Voranmeldungen gebeten, da das Interesse, wie bei den vorangegangenen Veranstaltungen wieder sehr rege sein wird)

Vorankündigung:
Im Mai wird eine Ausstellung des Malers Maik Gleitsberg und seiner Schüler im Rathaus unserer Stadt eröffnet werden.​


Meine liebe Ruth! 16.04.
Der erste Brief an dich und mir kommt es vor, als wärst du schon hundert Jahre fort. Es läuft alles seinen gewohnten Gang, obwohl ich das vor deiner Abreise nicht hätte glauben können.
Ich stehe morgens auf, der Wecker klingelt um acht, doch eigentlich brauche ich ihn nicht, denn ich werde vorher wach. Ich recke mich und öffne das Fenster. Dann absolviere ich bei frischer Luft meinen morgendlichen Sport: zwanzig Kniebeugen, ein bisschen den Hampelmann, etwas Rumpfbeugen. Dabei komme ich kaum außer Atem – nicht schlecht für eine alte Frau!
Nach dem Frühstück mache ich meine täglichen Besorgungen. Wenn ich aus dem Haus gehe, ist Herr Quandt meist schon da und mäht den Rasen oder was sonst anfällt. Da ist er unerschütterlich, kommt jeden Tag vor neun, obgleich ich ihm nicht viel zahlen kann. Eigentlich ist er nicht sehr gesellig – bulliger, alter Mann, aber ich habe den leisen Verdacht, der Gute ist ein klein wenig in mich verliebt.
Das bleibt unter uns, Ruth, nicht wahr. Allerdings wird wohl kaum hierher nach Bad Walsen dringen, was du erzählst, wo du jetzt bist. War das der Vordere Orient, der Hintere, wo es dich hingezogen hat? Ich war noch nie gut in Stadt-Land-Fluss. Einzig dass es dich nach all den Jahren in deinem Alter noch einmal aus unserer Stadt weggetrieben hat, konnte kaum jemand begreifen.
Ich soll dich grüßen, von Herrn Pieper. Der Gute hat mir, wie immer, beim Einkauf geholfen – eine Tüte Zucker, einen Salat, ein paar Mohrrüben und Knäcke.
Er hat mich über die Brille freundlich angeschaut, während er alles in einen Beutel tat. Ich glaube, der Mann wird immer dünner, mit seiner Lauferei übertreibt er es wohl. Ist auch nicht mehr der Jüngste, Herr Pieper.
Schönen Gruß in den Irak, sagte er, als er die Tüte rüber gab. Ich wusste zuerst nicht, was er meinte. Dann begriff ich und sagte, ich würde es in dem Brief ausrichten.
„Ein Brief“, erwiderte er. Er kratzte sich durchs Stoppelhaar und meinte liebenswürdig: „Heutzutage schreibt doch keiner mehr Briefe, geht doch alles elektronisch.“
„Einen Brief kann man anfassen“, sagte ich da zu ihm. „Man kann ihn riechen und wenn er traurig ist, sieht man getrocknete Tränen darauf.“
Als ich seinen Laden verließ, hielt er mir die Tür auf, sagte „Auf Wiedersehen!“ und strahlte mich an, wie jeden Tag.
Ich habe vorhin geschrieben, dass alles seinen gewohnten Gang geht, das stimmt so nicht. Vor ein paar Wochen hat doch die kleine Hündin von Elisa Gehrke fünf entzückende Jungen geworfen. Die Pudeldame. Die Kleinen waren so süß, sie sagt, der Vater wäre ein Shi-Tzu gewesen. Du glaubst nicht, wie possierlich die Tiere sind. Und nun hat Elisa mir einen der Racker überlassen und seit heute Nachmittag lebe ich nicht mehr allein in meinem Haus.
Ruth, ich dachte immer, schlaue Knopfaugen bei Hunden, wären Klischees, doch ich weiß jetzt unerschütterlich, dass dem nicht so ist. Der Kleine ist klug, er weiß genau was er will und er weiß, wie er es kriegen kann. Ich habe noch keinen Namen für ihn, vielleicht weißt du ja einen.
Ist schon komisch, so ein Tier zu kriegen, von dem man weiß, dass es einen wahrscheinlich überleben wird. Ich erziehe hier meinen Erben.
Er sitzt übrigens neben mir, schaut zu mir hoch und weiß ganz sicher, was ich tue.
Meine liebe Ruth, ich schließe jetzt, ich hoffe, der Brief wird dich möglichst bald erreichen. Sei mir gegrüßt und lass es dir gut ergehen!
In Liebe
Deine Elsbeth
P.S. Ich weiß nicht, ob du es vor deiner Abreise noch mitbekommen hast, unsere Stadt Bad Walsen wird von der Partnerstadt Morlaix in der Bretagne ein Buch zum Geschenk erhalten. Es soll sich um ein sehr wertvolles Stück handeln und hier sind alle in großer Aufregung, weil die feierliche Übergabe in einigen Wochen stattfinden soll.


Meine liebe Ruth, 21.04.
ich glaube, da, wo du bist, ist es erheblich ruhiger, als hier in unserer Stadt. Ist dort nicht furchtbar viel Wüste?
Hier, jedenfalls, herrscht heillose Aufregung, alles und jeder ist in gespannter Erwartung. Es wird eine kleine Abordnung französischer Gäste herkommen und dem Museum das versprochene Buch überreichen.
Nächste Woche ist es soweit, und ich muss dir gestehen, dass auch ich ein wenig kribbelig bin. Es passiert nicht alle Tage, dass ein paar Reisende angerauscht kommen und im Gepäck ein wertvolles Präsent haben.
Der einzige, so scheint es, den diese fiebrige Spannung nicht gepackt hat, ist Kastor, der Kleine.
Liebe Ruth, ich konnte nicht länger auf einen Brief von dir warten, in dem du einen Namen für meinen Begleiter vorschlägst; ich habe ihn Kastor genannt.
Kastor, der Zerbrechliche, der schließlich von Idas jämmerlich erschlagen wurde.
Herr Quandt mag den Hund nicht besonders, obwohl er es nicht zu zeigen versucht. Er kam heute Vormittag zu mir und hat sich schüchtern dafür entschuldigt, dass er gestern und vorgestern nicht da war, er hätte krank daniedergelegen.
Die ganze Zeit klebte dabei ein lustiges Blättchen auf seiner Stirn – seiner Glatze. Ich konnte nicht anders, in einem fort starrte ich darauf und irgendwann kam es über mich und ich musste lachen. Obwohl er gar nicht wusste, was mich erheiterte, stimmte er mit ein und unser gemeinsames Lachen verband uns für den Augenblick. Als ich das Blatt dann vorsichtig entfernte, hielt er ganz still und schaute mich an.
Glaub es, Ruth, oder lass es bleiben. Im selben Moment knurrte von unten Kastor herauf und wir beide mussten schon wieder lachen.
Herr Quandt, der allein ein kleines Häuschen am Stadtrand bewohnt. Er muss früher Handwerker gewesen sein, so große und starke Hände, wie er hat. Er ist immer schüchtern gewesen, redet nicht viel, aber ein böses Wort kam nie über seine Lippen.
Ich weiß, was du jetzt sagen willst, Ruth. Kaum bist du fort, geht’s der alten Elsbeth zu gut, aber nein, sei ganz beruhigt, ich habe ja meinen Kastor, der mich verteidigt, selbst nachts noch, vor dem Bett.
So, meine liebe Ruth, genug der Neuigkeiten. Ich hoffe, der nächste Brief kommt von dir!
Sei lieb gegrüßt,
Deine Elsbeth.
P.S. Ich bin eingeladen, beim Empfang der französischen Delegation als Ehrengast mitzuwirken.

Meine liebe Ruth, 25.04.
du hättest es sehen sollen!
Sie standen alle in einer Linie. In vollem Ornat!
Man sollte meinen, die Zahl der Stadtoberen übersteige die Zahl der Einwohner von Bad Walsen, so viele, wie sich dafür halten. Und ein Gefunkel war das in der ganzen Reihe. Es blitzte und strahlte nicht nur auf den Anzügen der Herren, sondern auch in ihren Gesichtern.
Wir waren zwei Frauen im Empfangskomitee, Frau Gehrke und ich, die wir seit Jahren das Stadtmuseum mitbetreuen. Wir standen beide in der zweiten Reihe, ich fürchte, wir waren nicht zu sehen. Die Vertreter aus Morlaix müssen einen schönen Eindruck von uns bekommen haben. Nicht nur, dass jedermann hier verliebt ist in seine Orden und Trachten, nein, zu allem Überfluss scheint die Stadt nur aus hochmütigen alten Männern zu bestehen.
Ein leises Gemurmel kam auf, als die Franzosen – stolz und erhaben – mit dem Buch ankamen. Der Bürgermeister des französischen Städtchens hielt es in Händen, alles verstummte, er trat vor und legte es im Großen Saal des Museums auf ein extra eingerichtetes Pult. Ehrfürchtig wurde ein Absperrband drum gezogen und erst dann wurde geklatscht.
Ruth, die ganze Zeremonie war so steif, so feierlich, man rechnete jede Sekunde damit, irgendwo ein Springteufelchen rauskommen zu sehen.
Abends bin ich noch einmal hinein und habe mir das Buch ganz allein angeschaut.
Der Raum in Dunkelheit gehüllt, nur das Pult beleuchtet. Ich ging herum und betrachtete es von allen Seiten. Dann bückte ich mich und kroch unter dem Absperrband durch.
Es ist ein großes Buch, schwer und wuchtig. Es stammt aus dem 17.Jahrhundert, ein Nachdruck von Sigmund Feyerabend. Es handelt sich um eine Sammlung von Bittbriefen an verschiedenste Schutzheilige der damaligen Zeit.
Mit dem Einband in dunkelblauem Leder scheint es ein lebendiges Wesen zu sein und es machte den Eindruck, als beherrsche es den gesamten Raum. Ich hielt die Luft an, um zu sehen, ob es nicht atme.
Unsinn, selbstverständlich. Ich verließ das Museum, und als ich auf die Straße trat, musste ich beinahe ein bisschen blinzeln, obwohl es schon fast dunkel war.
Ich nahm das Fahrrad, stieg auf und fuhr sofort los.
Es war so dämmrig, dass wenigstens die Straßenlaternen angegangen waren; so fuhr ich die Greiffenstraße hinunter, den Münsterweg hinab, um dem Autoverkehr ein bisschen zu entgehen. Trotzdem überholte mich das eine oder andere Fahrzeug.
Meine Fahrradbeleuchtung funktioniert und ich bin trotz meines Alters noch immer eine recht sichere Fahrerin. Aber als ich in die Meinhardt-Straße einbog – du weißt, hier stehen die schönen Ulmen, aber einen Radweg gibt es immer noch nicht – da überholte mich ein Auto von dunkelblauer Farbe so rasant und in halsbrecherischer Manier, dass ich ins Straucheln kam. Ich stürzte, konnte mich eben noch fangen und stolperte an die Straßenseite. Der Flegel fuhr ungerührt weiter, ich bin sicher, er hatte mitbekommen, was vor sich gegangen war.
Als ich das Rad an einen Baum gelehnt hatte und ein wenig verschnaufte, um mich zu beruhigen, lief ein abendlicher Jogger auf dem Bürgersteig an mir vorüber. Es war Herr Pieper, der seine Runden drehte, er musste das Unglück mit angesehen haben. Doch er lief weiter, rannte, als ob nichts geschehen wäre. Ich rief ihn noch an, aber kurze Zeit später war er im Dunkel verschwunden.
Ich war ganz entsetzt, das hatte ich noch nie erlebt in unserer Stadt.
Sei es drum, liebe Ruth. Ich will dir natürlich nichts vorklagen.
Frau Gehrke hat mich eingeladen zu einer Tasse Tee. Wir wollen über die weitere Verwendung des Buches im Museum beraten. Momentan herrscht nichts anderes als ein Provisorium, das gute Stück kann nicht ewig so schutzlos liegen bleiben.
Frau Gehrke wohnt ja nur ein paar Häuser weiter, ich kann praktisch in Hausschuhen rüber gehen.
Ich werde dir berichten, liebe Ruth. Bis dahin hoffe ich aber, endlich ein Lebenszeichen von dir zu erhalten.
In Liebe,
Elsbeth.

Meine liebe Ruth, 01.05.
die Sonne meint es heute gut mit uns, die ersten wirklich warmen Strahlen des Jahres. Und schon treibt es die Menschen hinaus in den Garten, in die Natur. Alles wächst und sprießt.
Trotzdem habe ich ein unschönes Gefühl, wenn ich durch die Stadt gehe. Die Menschen sind emsig, sie richten die Beete her, mähen Rasen, pflanzen. Jeder in seinem eigenen Reich. Jeder für sich.
Herr Quandt war wieder zwei Tage nicht da, ich hätte ihn gut brauchen können bei der vielen Arbeit, die nun anfällt. Dann war er am dritten Tag plötzlich hier, als wenn nichts gewesen wäre, und machte seine Arbeit nicht richtig, die Sau.
Er ging mit dem Rechen übers Gelände und sollte das gesamte Grundstück von Unrat befreien. Dabei ließ er das Stück unter dem Walnussbaum völlig unberührt, warum auch immer. Ich sah es erst, als er schon wieder weg war.
Du kannst dir vorstellen, wie ich mich geärgert habe. Ich nahm die Harke selbst zur Hand, ich alte Frau, und machte den Ecken sauber.
Als er am nächsten Morgen angeschlurft kam, wartete ich schon auf ihn, um ihn zur Rede zu stellen.
Ich las ihm die Leviten, er stand mir gegenüber und sagte keinen Ton. Du hättest ihn sehen sollen, wie er mich von oben herab angestiert hat. Kastor sprang die ganze Zeit aufgeregt um uns herum.
Ich endete und er starrte mich weiter an; wir schwiegen beide. Ich bekam es ein bisschen mit der Angst.
Da drehte er sich plötzlich um und ging grußlos davon.
Ich musste ihm die Meinung sagen, er wird von mir bezahlt!
Ich grüße dich,
Elsbeth.

Meine liebe Ruth, 02.05.
Was ist nur über mich gekommen? Gleich nachdem der Brief rausgegangen ist, habe ich bereut, ihn aufgegeben zu haben.
Der arme Herr Quandt, ich kann nicht glauben, dass ich ihn ausgeschimpft habe.
Ich hoffe, du hast jetzt kein falsches Bild von mir, liebe Ruth. Du weißt, so bin ich sonst nicht.
Ich habe ihn heute Morgen gleich angesprochen, ich bin mir nicht sicher, ob er die Entschuldigung akzeptiert. Er hat etwas vor sich hingemurmelt, wie das immer seine Art ist und fuhr fort, den Weg zu fegen. Es täte mir leid, wenn er mir den Vorfall übelnähme.
Es sind verrückte Zeiten, hier. Das Museum ist jeden Morgen aufs Neue rappelvoll, die Menschen stehen Schlange. Sie kommen mittlerweile von außerhalb, um an dem Wälzer vorbeidefilieren zu dürfen; das Buch indessen liegt gleichmütig und unbeeindruckt inmitten des Trubels und schert sich keinen Deut um die aufgeregte Menge. Es scheint in einer anderen Zeit zu existieren, aus einer fernen Vergangenheit zu stammen, was ja so auch stimmt. Und was wohl gerade für das enorme Interesse verantwortlich ist.
Ich war wieder bei Frau Gehrke, und etwas Erschütterndes ist passiert.
Ich bin gern an der frischen Luft, und so war es mir angenehm, dass wir im Garten bei ihr Platz fanden und dort den Kaffee tranken. Sie war sehr liebenswürdig, sie tischte Kuchen auf und wir plauderten angeregt. Ihre Enkelin ist für ein paar Tage zu Besuch. Die dreijährige Dorothea saß zu unseren Füßen auf dem Rasen und spielte mit ihren Puppen.
Das Grundstück am Haus ist sehr schön angelegt, man sitzt in einem grünen, luftigen Zimmer, der Blick in die Nachbarschaft ist bis auf eine Stelle mit Büschen und Blumen verwehrt. Wir hatten den Eindruck, auf Kilometer die einzigen Menschen in diesem Urwald zu sein. In der einen freien Stelle zum Nachbargrundstück erschien plötzlich der schmale Kopf von Herrn Pieper.
Ich hatte gar nicht gewusst, dass er hier wohnte. Ich wollte ihn begrüßen, als ich den Ausdruck in seinem Gesicht sah und er jeden freundlichen Gruß mit schneidender Stimme abwehrte.
„Sie haben meine Johannisbeerbüsche abgeschnitten!“, keifte er über den Zaun hinweg, ohne mich überhaupt zu beachten. „Sie haben verdammt wieder an meinen Pflanzen herumgeschnitten!“
Frau Gehrke stand auf und ging auf ihn zu. Wir hatten uns eben noch nett unterhalten, über das Buch, das die Franzosen in die Stadt gebracht hatten und darüber, dass es eine Bereicherung für unser Leben geworden war. Die ganze zauberhafte Atmosphäre war dahin.
„Ich habe lediglich…“
Sie wollte besänftigend auf ihn einreden, doch er ließ ihr keine Gelegenheit dazu. Er schrie: „Sie haben die Büsche abgeschnitten, und ihren Müll schmeißen Sie rüber!“
„Herr Pieper!“
Er hob die Hand und schlug ihr mit vollster Wucht ins Gesicht. Dann lachte er kurz, wandte sich ab und rannte davon. Zehn Meter, dann blieb er stehen und drehte sich um. „Noch mal, und ich bring Sie um, Sie Hexe!“
Ich konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. Frau Gehrke versuchte sich aufzurappeln, während sie sich das Gesicht hielt.
„Er hat mir eine Backpfeife gegeben“, murmelte sie fassungslos.
Ich versuchte ihr aufzuhelfen, doch sie blieb sitzen und schaute mich an.
„Er hat mich tatsächlich geschlagen, der Idiot“, sagte sie.
„Was ist nur los“, erwiderte ich. „So kenne ich ihn gar nicht.“
Sie begann zu lachen. Es war wirklich unheimlich.
Tja, meine liebe Ruth, das war’s von mir. Jetzt bist aber wirklich einmal du dran mir zu schreiben, ich mache mir ernsthaft Sorgen.
Sei gegrüßt, in Liebe
Elsbeth.

Meine liebe Ruth, 08.05.
ich ängstige mich ein wenig um meine beste Freundin, die mich damals, als ich hierher gezogen bin, so nett aufgenommen hat Du bist nun seit über einem Monat fort, und ich habe noch kein Lebenszeichen von dir erhalten. Manchmal bereue ich, es nicht einmal versucht zu haben, dich zur Mitnahme eines Handys zu bewegen. Ich weiß, du magst diese Dinger nicht – ich ja auch nicht. Aber was würde ich jetzt für einen kurzen Anruf von dir geben, der mir sagt, dass es dir gut geht.
Vielleicht ist es ja wirklich so, dass die Post so furchtbar lange braucht, einen Brief dorthin zu schaffen, wo du dich gerade aufhältst. Ich nehme es mal an, das zu glauben lässt mich auch ruhiger schlafen.
Hier läuft alles seine Bahnen, es scheint so, als sei alles ein wenig hektischer und aggressiver geworden. Die Sonne scheint schneller zu kreisen, die Nacht ein bisschen finsterer zu sein. Frag mich nicht, wie ich darauf komme! Alles nicht fassbar, das Unwohlsein findet unter der Haut statt.
Melde dich bitte, Ruth!
In Liebe,
Elsbeth.

Meine liebe Ruth, 10.05.
Pieper ist ein Arschloch! Während ich heute Nachmittag in seinem Geschäft einkaufte, hat er die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ohne großartig Luft zu holen, sprach er in einer Tour. Davon, wie gut das Buch doch unserer Stadt tue, wie toll es doch sei, und was es Großes beinhalte. Die ganze Zeit hing ein ekelhafter Spuckefaden an seinem Mundwinkel und ich musste an mich halten, ihn nicht wegzuwischen.
Ach, Pieper, dieser abgemagerte Langstreckenläufer, der dürre Mann, mit dem es hin und wieder mal durchgeht.
Er erzählte weiter und weiter, und lief die ganze Zeit hinter mir her. Er scheint verliebt zu sein in das Buch. Irgendwann war ich fertig mit meinem Einkauf und wollte bezahlen. Da erst hielt er endlich seine Klappe.
Ich sagte: „Schlagen Sie lieber weniger Frauen!“
Er starrte mich an, dann lachte er, auf diese dreckige, unbeholfene Weise, wie sie Betrunkenen und gewalttätigen Kindern eigen ist. In letzter Zeit scheint jeder in unserer Stadt etwas zu lachen zu haben.
Wenn ich im Museum bin, muss ich immer einen Blick auf das Buch werfen, Pieper hat schon Recht. Es geht eine gewisse Faszination von den Pergamentseiten aus, im kreischenden Neonlicht scheinen die üppigen Illustrationen zu atmen, zu pulsieren.
Wenn ich Glück habe, ist es leer in dem Raum, manchmal komme ich spät abends oder nachts hierher. Die ganzen Bittbriefe an die Schutzheiligen, man glaubt, die Gebete zu hören, die wispernden Stimmchen, das Flüstern, das von den Wänden zurückhallt.
Als ich dann zurückkam, hockte Quandt auf den Stufen vor dem Haus und starrte mich an.
„Was wollen Sie?“, fragte ich ihn außer Atem. Ich wollte die Beutel nicht aus der Hand stellen, weil ich davon ausging, dass er Platz machen würde.
Er grinste unbeholfen, aber in seinen Augen sah es nicht lustig aus.
Erst als mir einer der Beutel aus der Hand rutschte und ein Eisbergsalat über den Weg kollerte, stand er auf. Hatte ich jemals geglaubt, der Kerl da hätte etwas für mich übrig?
„Ich brauch mehr Geld“, sagte er. Er war unrasiert; eigentlich habe ich ihn niemals unrasiert gesehen.
„Oh“, erwiderte ich und stellte den anderen Beutel aus der Hand. „Herr Quandt, Sie können ja sprechen.“
„Ich will mehr Geld.“
Das war es, was er sagte: „Ich will mehr Geld!“ Nichts anderes, aber sein Gesicht sprach viel mehr.
Es erzählte von Unsicherheit und Verschlagenheit, von der lauernden Feindseligkeit, niemals waren wir so etwas wie Freunde gewesen.
„Lassen Sie mich bitte vorbei, Herr Quandt.“
Ich muss zugeben, in dieser Situation hatte ich eine schlimme Angst vor dem Mann. Aber die Furcht war durchsetzt mit Wut, ich hätte knurren können. Was bildete er sich ein?
„Ich will mehr Geld.“
Ich zitterte, mein Einkauf lag auf dem Weg verstreut und der Kerl machte keine Anstalten, zur Seite zu gehen. Dort das Haus, hier ich und zwischen uns der alte Mann, der immer noch groß und kräftig war. Es schien ein bisschen so, als wunderte er sich selbst über sein Verhalten.
Hätte ich nur irgendetwas zu Händen gehabt, womit ich mich hätte wehren können.
Die Gartenpforte quietschte; ich wandte mich um. Selten war ich dankbarer gewesen, Herrn Pieper zu sehen.
„Macht er Schwierigkeiten?“ Der gute Herr Pieper hatte die Situation sofort erfasst. Er kam aufs Grundstück, ging an mir vorbei und stellte sich direkt vor Quandt. Der wiederum machte sich recht groß, dass er Herr Pieper wohl um einen Kopf überragte. Ich sah die Augen von Quandt, das Weiße war kaum noch weiß, als wären sie mit Blut gefüllt.
Pieper stieß ein Knurren aus, er war zwar kleiner, aber ein Gutteil jünger als sein Kontrahent.
Ich klaubte meine Sachen auf, und es gelang mir, mich an den beiden Männern vorbeizudrücken. Sie sahen sich, wie sie so dastanden und von mir überhaupt nichts mitkriegten, so unglaublich ähnlich, in diesem Moment hätten sie Brüder sein können.
Ich musste mich setzen, als ich endlich im Haus war. Die Spannung, die sich löste, zog die Beherrschung mit aus meinem Körper, ich musste weinen.
Nachdem ich mich halbwegs beruhigt und die Tränen weggewischt hatte, ging ich nach hinten hinaus und holte mir aus dem Schuppen eine Hacke. Dann schlich ich wieder nach vorne und beobachtete am Fenster, wie die beiden Männer sich prügelten. Es ging wirklich zur Sache, Piepers linker Arm war seltsam auf den Rücken verdreht, aber er hatte Quandt in den Schwitzkasten genommen und stieß nun mit seinem Kopf ein ums andere Mal auf dessen Schädel.
Quandt konnte sich befreien, da saßen sie schwer atmend auf dem Rasen und stierten sich wütend an. Sie hatten immer noch nicht genug.
Ich ergriff die Gelegenheit, nahm das Gerät und schlüpfte zu ihnen hinaus. Ich zog beiden mit der Hacke eins über – Quandt erwischte ich am Hinterkopf, er blutete ein wenig danach, bei Pieper war es ein Volltreffer an der Schläfe.
So ließ ich die beiden Streithähne liegen und zog mich ins Haus zurück. Es dämmerte allmählich, es wurde Zeit, sich bettfertig zu machen. Vorher aber gab es Pilawa im Fernsehen, und den wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Morgens dann, als ich zum Einkaufen ging, sah ich, dass beide weg waren, getrocknetes Blut auf dem Pflaster und ein Büschel Haare waren Beweis für den Kampf am Abend. Meine Blumenbeete hatten die Raufbolde unberührt gelassen.
Pieper war tatsächlich in seinem Laden, er war unglücklich bandagiert und mit Pflastern beklebt, und sein Blick war flatterig. Aber er half mir mit dem Einkauf, auch wenn er nur die rechte Hand benutzen konnte. Ein befremdliches Detail fiel mir auf, er hatte sich auf den Rücken seiner rechten Hand ein „F“ geritzt. Ein blutiges Kürzel für was auch immer.
Als er hinter mir herhinkte und mir einen „Schönen Tag noch!“ wünschte, lächelte er nicht.

Etwas geht vor, das spüre ich ganz deutlich und es wird etwas geschehen in unserer Stadt.
Ich werde heute Nachmittag noch einmal Frau Gehrke besuchen, wir werden beraten, was zu tun ist.
Bis dahin, liebe Ruth
Elsbeth.

Aushang am 10.05.

Es werden tatkräftige Bü
die mit anpacken und helfen, di
verschönern. Am 16.05 um 08.00Uhr wol
Stadtpark treffen und einen Frühjahrsp
Wir hoffen auf ebenso rege Teiln
wie im letzten Jahr.​

Liebe Ruth, 10.05.
es ist alles ganz furchtbar, was nur ist aus dieser Stadt geworden? Bis heute wusste ich nicht, was vor sich geht, aber nun glaube ich es zu wissen, und ich weiß, was getan werden muss.
Ich war bei Frau Gehrke, gleich nachdem ich den Brief an dich eingeworfen hatte. Sie machte nicht auf.
Das war beunruhigend, denn wir hatten uns verabredet und es ist nicht ihre Art, sich daran nicht zu halten.
Also nahm ich den Schlüssel, den sie mir gegeben hatte und öffnete den Eingang. Die Tür war nur zugeworfen gewesen, diese Tatsache machte mich noch ängstlicher. Ich zog dir Tür wieder zu und lauschte.
„Hallo.“ Ich war nicht sicher, ob ich eine Antwort hören wollte. Eigentlich wollte ich auch nicht in dieses Haus gehen, wenn sich seine Besitzerin nicht meldete.
Ich ging trotzdem hinein. Es schien wie immer, alles war aufgeräumt und sauber, freundlich und gut durchgelüftet. Es machte den frischen Eindruck eines Frauen-Haushaltes.
Ein Geräusch war zu hören und mein Herz tat einen Satz. Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich langsam, leise schwang sie auf. Die kleine Dorothea kam heraus. Sie sah wirklich so unschuldig aus, wie sie ängstlich in der Tür stand.
„Komm her, mein Kind!“ Ich hockte mich hin, obwohl mir das nicht leicht fiel.
Das Mädchen war ohne jede Scheu. Ich nahm es in den Arm und dabei bemerkte ich das Blut in seinen Haaren. Es war soviel, dass es unmöglich von dem Kind stammen konnte, der ganze Hinterkopf war blutverschmiert. Die Kleine musste ihren Kopf direkt in die Blutlache hineingelegt haben.
Das Schlafzimmer, durchzuckte es mich. Und auch hier war es so, dass ich Angst hatte, weiterzugehen.
Als ich hineinblickte, sah ich, woher die Kleine den furchtbaren Blutfleck hatte. Wenn man seine Großmutter so sehr liebt, dass man sich an seinen Bauch schmiegt, wenn man sich ängstigt …
Frau Gehrke lag auf dem Bett.
Das Blut war ihr aus allen Körperöffnungen getreten und es sah nur so aus, als ob sie grinste.
Mich überkam Eiseskälte. Ich wusste nicht, wer das hier getan hatte, noch warum. Aber ich ahnte die Ursache des Ganzen, den Ursprung.
Und wenn ich diesen Gedanken zu fassen bekomme, der da in meinen Eingeweiden umherschwirrt, dann weiß ich, was zu tun ist.
Einstweilen nahm ich das Kind und verließ das Haus. Wir durcheilten die Straßen, möglichst nah an den Häuserwänden, immer ein Auge im Rücken.
Obwohl die Situation meine vollste Aufmerksamkeit erforderte, konnte ich nicht verhindern, über unsere Lage nachzudenken.
Irgendetwas war über uns gekommen, die Stadt ist in Aufruhr.
Was ich bis dahin nicht gesehen hatte, sah ich jetzt: Unrat in den Straßen, Müllkübel umgeworfen, überquellend. Die Stadt war wie infektiöse, pockennarbige Haut.
Gestalten kamen uns entgegen, ich versuchte, ihnen nicht in die Augen zu sehen. Mal schwankten sie vorüber, dann wieder blieben sie stehen und betrachteten die alte Frau und das Mädchen, wie sie gebückt vorbeihasteten. Sie waren alle so fremd geworden, und jederzeit konnte es passieren, dass eine blutige Hand hervor schoss und uns packte.
Ich sitze jetzt hier, habe eine Kerze entzündet, um Licht zu haben für diesen Brief. Die Fenster sind verdunkelt, ich will jegliche Aufmerksamkeit vermeiden. Die Kleine schläft.
Ruth, die Stadt … sie ist anders geworden, wir alle haben uns verändert. Etwas ist von uns genommen, die Menschen benehmen sich wie entfesselt. Und ich kann mir denken, wer oder was Schuld daran trägt.
Ich werde das verfluchte Buch vernichten, das unselige Stück Pergament aus dem Mittelalter. Das die Franzosen aus Unwissenheit oder gar mit purer Absicht bei uns angeschleppt haben. Sie brachten Verderben über uns, es ist dunkel geworden im Ort.
Ich weiß, was ich zu tun habe, Ruth. Noch in dieser Nacht wird es geschehen, und wenn es einen Gott gibt, wird er mir helfen, diese Stadt zu befreien.
Mit dem letzten Punkt auf dem Papier werde ich loseilen, auf dem Weg zum Museum dann den Brief einwerfen; vielleicht ist dies die letzte Nachricht, die du von mir erhältst.
In Liebe,
Elsbeth.
Gott steh mir bei!

Wir sind verloren, für immer dazu verdammt, als das über Erden zu wanden, was wir wirklich sind: egoistische, mordlüsterne Kreaturen, deren Kopf nur eines ausfüllt: das eigene Überleben. Es wird immer schlimmer.
Meine liebe Ruth,
ich war im Museum, der Weg dorthin war nicht leicht. Ich ließ das Kind zurück und meinen Kastor ebenfalls. Unterwegs begegnete ich niemandem, und doch war es mir so, als würde ich von allen Seiten beobachtet.
Ich habe Zutritt zum Museum, auch als Ehrenamtliche, so fiel es mir leicht, hineinzugelangen. Ich schlich durch das leere Gebäude, auch hier stets das Gefühl, viele Augen folgten mir.
Das Buch lag auf dem Pult im Zentrum des Raumes, als seien alle Dinge von ihm abgerückt. Ich schaltete das Licht ein und es kam mir vor wie ein Herrscher, ein kalter, abgehobener Diktator.
Ich hatte vor, das Buch zu verbrennen, so schnell es ging wollte ich es aus dieser Welt schaffen. Doch auch wenn mein praktisches Wissen bescheiden ist, war mir doch klar, dass ich das Buch nicht im Haus verbrennen konnte. Also musste ich es hinausschaffen und unter freiem Himmel vernichten.
Was danach geschehen würde, wusste niemand.
Die Sicherungsanlagen im Haus sind nicht sehr weitreichend, die wenigen Anlagen kenne ich. So dass ich ohne große Verzögerung hinausgelangte.
Das Buch war schwer, zumindest für eine alte Frau wie mich. Doch ich war verzweifelt und gleichzeitig voller Hoffnung, das Richtige zu tun.
Ich schleppte es durch einen Nebeneingang hinaus bis vor die Tür zu einem Geräteraum. Dort ließ ich das unselige Ding auf den Rasen fallen und fand sofort, wonach ich suchte.
Ich war völlig außer Atem als ich den Kanister zu dem Buch geschleppt hatte, ich schaffte es noch, den Großteil der Flüssigkeit über dem Papier zu verteilen. Streichhölzer hatte ich mitgebracht und als ich eines davon anriss, breitete sich ganz plötzlich eine große Ruhe in mir aus. Ich wusste, es war das Richtige, was ich tat.
Etwas knurrte hinter mir, das war Quandt, der mich die ganze Zeit beobachtet hatte. Natürlich.
Er sah furchtbar aus, getrocknetes Blut überzog sein Gesicht wie ein Flussdelta. Beide Augen fast zugeschwollen, konnte ich doch seinen hasserfüllten Blick erkennen.
Er stand nur da, das Knurren kam tief aus seinem Körper.
Das Zündholz in meiner Hand erlosch schmerzhaft; die Laterne schien nun in Quandts Rücken, so dass sein Gesicht schattenzerfurcht und unheimlich entschlossen aussah.
Als ich das nächste Streichholz anriss, es mühsam zwischen den zitternden Fingern hielt, da gerieten seine Gesichtszüge in hektische Bewegung.
„Ich muss es tun“, rief ich, nur um die Stille zu vertreiben. Er trat auf mich zu.
„Bleiben Sie“, stieß ich aus, doch es war zu spät. Er packte meine Hand, entriss mir das Hölzchen. Die kleine Flamme strich über seine Finger, doch er schien nichts zu spüren.
Er sah mich an, hielt das Holz hoch und warf es dann auf das Pergament.
Es war, als übergösse er das Buch mit Flammen. Die Seiten bäumten sich unter der Hitze, es gab ein Zischen.
Verwundert sah ich zu Quandt, doch der hatte sich schon umgedreht und humpelte davon.
Die Farben der prunkvollen Illustrationen zerliefen im Feuerschein, es schien als weinten die Figuren, als wollten sie fortrennen, sich retten aus den Flammen.
Als ich nach Hause zurückeilte, war das Gefühl des Beobachtetwerdens fort.
Aber sonst hatte sich nichts geändert. Alles war geblieben, der Muff, die schreckliche Kälte, der Verwesungsgeruch.
Rasenden Herzens, doch noch immer nicht ohne Hoffnung hastete ich durch die Straßen. Wieder wich ich Unrat aus, Abfall.
Eine Gestalt lag ausgestreckt an einem Gartenzaun, ich weiß nicht, ob der bedauernswerte Mensch tot war oder nur erschöpft. Ich lief weiter.
Die Gartenpforte stand offen, ebenso die Haustür. Auf dem Abtreter lag Kastor, mein Hündchen. Zumindest machte das verdrehte blutige Bündel den Eindruck, dass er es war. Ich sah nicht mehr hin, stieg über ihn hinweg und konnte nur hoffen, dass der arme Kerl nicht hatte leiden müssen und dass er nicht versucht hatte, einen Sinn hinter seinem Tod zu suchen.
Meine Gedanken galten dem Kind, der Kleinen, die ich zurückgelassen hatte. Ich stürmte hinein, ohne daran zu denken, dass das Monster sich noch im Haus aufhalten konnte.
Das Bett war leer, ich fand es nicht, doch ich wagte nicht zu rufen. Ich musste ganz still sein, dann konnte ich es leise weinen hören.
Das Mädchen hatte sich im Keller versteckt; erst jetzt schien es begriffen zu haben, worum es ging.

Ich sitze wieder hier an dem kleinen Tisch in der Mansarde, habe den Brief vor mir und ich weiß weniger denn je, ob er dich erreichen wird. Ich grübele im Fast-Dunkel und versuche mir klar zu werden, wie es um uns bestellt ist.
Dass ich das Buch verbrannt habe, hat gar nichts bewirkt. Zwar hatten auch andere diese Idee, aber das Tun war fruchtlos.
Warum dann kam diese Veränderung über unsere Stadt?
Ich war mir bis jetzt sicher, dass irgendetwas den Bewohnern zugefügt worden war; eine Macht hatte uns Hass und Egoismus gegeben.
Doch je länger ich nachdenke, desto klarer wird für mich, dass genau das Gegenteil der Fall ist; dass dem Ganzen der Deckel genommen wurde.

Ich fragte mich, welche Veränderung gab es, bevor alles begann?
Ich bin drauf gekommen, Ruth. Du bist der Schlüssel, deine Abreise hat uns in dieses Unglück gestürzt.

Ich flehe dich an, liebe Ruth, wenn dich dies Schreiben erreicht und wenn dir etwas an unserer Stadt liegt, kehr zurück, Ruth, so schnell es dir möglich ist!

In Liebe,
Elsbeth.

Meine liebe Elsbeth,
nachdem ich deine vielen Briefe erhalten und gelesen habe, ist mir klar, dass es ein Fehler gewesen war, euch solange allein und eurem Schicksal zu überlassen. Ich hatte gemeint, ihr wäret schon weiter.
Der Vergleich mit dem Deckel liegt viel näher an der Wahrheit, als du ahnst.
Um zu verstehen, brauchst du nur drei Dinge zu wissen:

Erstens, ich bin älter als gemeinhin angenommen.
Zweitens, wir sind unserer viele, aber längst nicht genug.
Und drittens, ich bin auf dem Weg zu euch.
Liebe Elsbeth, es wird alles gut, vertrau mir!
Ruth.

 
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Hallo Hanniball

Leider muss ich gestehen, diese Geschichte hat mir diesmal nicht sonderlich gefallen, obwohl es thematisch gute Ansätze drin hätte. Ich habe mir überlegt, warum dem so ist. Es mag sein, dass meine Erwartung an eine Geschichte sich hier nicht erfüllt, nicht rundet, also rein subjektiv ist. Dennoch teile ich dir mal meine Empfindung mit, die ich beim Lesen hatte.

Für die beiden Aushänge konnte ich keinen richtigen Sinn erkennen, er wurde mir zumindest nicht transparent. Auch weshalb der Zweite dann nur noch unvollständig war, gab mir keinen Sinn. Über weite Strecken zieht sich das alltägliche Erleben der alten Frau recht zähflüssig dahin, welches sie in Briefen ihrer Freundin mitteilt. Gegen das Ende eine nebulöse Veränderung, die die Stadt erfasst, ein blutiger Todesfall, der aber wie nebensächlich im Raum hängt. Dem Buch, welches die Protagonistin vermeintlich als Übeltäter verbrannt, konnte ich auch keinen mysteriösen Gehalt abgewinnen. Die Handgreiflichkeit der Männer ein beiläufiger Nebenschauplatz, ebenso wie das kleine Mädchen, dem eigentlich keine Bedeutung zukam. Als der Antwortbrief am Schluss erscheint, hatte ich den Eindruck, nun folge eine tiefschürfende Erklärung, doch selbst der blieb mir nebulös und ohne einen Aha-Effekt. Das Mysterium klärte sich nicht, blieb mir als Leser gänzlich verschlossen.

Einzelne Punkte, die ich noch notierte:

Seit wann haben Künstler (Schriftsteller, Maler) so allgemein Schüler? Die Ankündigung wirkt mir etwas Visionär, ein Wunschtraum deinerseits? Oder einfach, um einen spannenden ersten Satz zu umschiffen? :sconf:

„Man kann ihn riechen und wenn er traurig ist, sieht man getrocknete Tränen darauf.“

Er hat schon seine Poesie, dieser Satz. Nur wäre er mir in der Möglichkeitsform, dass Tränen ihn netzten, plausibler. Ich denke nicht, dass jeder wehmütige Brief seine Verfasserin zu Tränen rührte, so weinerlich sind sie heute nicht mehr, die zartbesaiteten Briefschreiberinnen.

Vor ein paar Wochen hat doch die kleine Hündin von Elisa Gehrke fünf entzückende Babys geworfen.

Hm. Bei einem Wurf Hunden spricht man eher von Jungen.

Wir waren zwei Frauen im Empfangskomitee, Frau Gehrke und ich, die wir zwei seit Jahren das Stadtmuseum mitbetreuen.

Diesen Satz finde ich nicht sehr glücklich formuliert, „die wir zwei seit Jahren“, liess mich stutzen und es zwei, dreimal lesen.

Soweit meine Lesermeinung.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Eiwei, wie unterschiedlich das sein kann.
Ich fand die story total gut. Ja, richtig gut sogar. (Bis auf ein paar Sächelchen und das Ende, aber dazu erstens später mehr und zweitens weiß ich nicht, ob das mit dem Ende nicht einfach nur ganz große Geschmackssache ist).

Ich habs in einem Rutsch gelesen und konnt auch nicht mehr aufhören, ich fand es spannend und ich persönlich habe den langsamen Aufbau auch genossen. Aber vielleicht ist das einfach Geschmackssache.
Eine ganz klassisch erzählte Geschichte, wie ich das sehr gerne mag. Keine Stakkatosätze, keine Getue, einfach nur der Ablauf der Ereignisse in dem kleinen Ort in passenden Worten. Und der Ablauf hats in sich. Der Wahnsinn oder die zunehmende Aggressivität im Ort entfalten sich ganz ganz langsam. Aber mitnichten zu langsam. In diesen Briefen beschreibt ja die alte Frau, wie sich der Schrecken in dem Ort breit macht. Das beobachtet sie an dem Verhalten ihrer Mitmenschen, an sich selbst, an ihrem Verhältnis zu Quandt und Pieper, an dem Verhältnis der beiden zueinnader, und es macht sie unsicher. Besonders klasse fand ich es, als sie einmal im Brief schreibt "die Sau". Da hab ich gespürt, dass sie eigentlich stutzen müsste über sich selbst, weil das überhaupt nicht zu ihr passt, so ein Schimpfwort. Und dass das dann gar nicht weiter kommentiert, sondern so ganz lakonisch da steht, das fand ich sehr gelungen.
Und so ist auch die Veränderung des Aushangs zu verstehen. In dem zweiten zeigt sich die mentale Zerstörung in dem Dorf. Die sind so verwirrt und besessen und misstrauisch voreinander und unterstellen sich das Böse, dass sie schon nicht mehr richtig schreiben können. Die Form allerdings hat mich auch rätseln lassen. Buchform? Jemand hats abgerissen? Zufall?
Ich find das alles ziemlich glaubwürdig und nachvollziehbar.
Ich fand das auch total spannend und genüsslich für mich als eine, die sich selbst am Horrgeschichten schreiben versucht, wie du da verschiedene Fallen für den Leser ausgelegt hast.
Erst der Köter, da dachte ich aha, Hundegeschichte, und dann knurrte der Pudel-Shi-Tzu auch noch gleich den Quandt an. Ich dachte, der Hund wird sich zum Monster entwickeln, sind nicht diese Shi-Tzu eh so eklige nackerte Hunde? Also ich finde, die könnten supergut Monster sein.
Dann hast du die nächste Fährte gelegt mit dem Buch, auch das schön gemacht, wie du es ein bisschen geheimnisvoll machst.
Und dann kommen gleich zwei Leute aus em Ort auf die Idee, dass mit dem Buch was nicht stimmt und zerstören es. Und dass es dann die ganz ganz andere Auflösung gibt, das fand ich vom Prinzip her gut.

Und jetzt meine Bedenklichkeiten und vielleicht würden damit auch Anakreons kritische Anmerkungen so ein bisschen Berücksichtigung finden:

1. Das ist ja ein ganz normaler Ort. Ich habe mich gefragt, warum gleich zwei Bewohner auf die doch recht abergläubische Idee kommen, das Buch zu zerstören. So denken Leute doch normalerweise nicht. Vielleicht hätte man die Wirkungskraft des Buches noch erhöhen sollen? Du hast es schon gemacht, da gab es viele Stellen drin, dass die Leute alle hinfahren und es dauernd begucken wollen, dass sie selbst so fasziniert davon ist, aber vielleicht sind die Hinweise noch nicht stark genug? Kannst ja mal überlegen.
Für mich würde die falsche Spur noch eindrucksvoller werden, wenn die normalen menschlichen Verhaltensweisen sich auflösen mit dem Buch als vermeintlichem Grund. Beispielsweise so, dass jemand über das Buch lästert und dann getötet wird. Dass die normalen Gegensätze eskalieren find ich schon richtig, du willst ja das Wegfallen der Moral zeigen, aber vielleicht ein bisschen mehr mixen mit Bezügen auf das Buch.

2. Was ich am Schluss komisch fand, das waren dann ein paar Sachen. Zum einen hat mich gestört, dass unklar blieb, wer Frau Gehrke getötet hat, wo das kleine Mädchen abgeblieben ist und wer den Pudel gemeuchelt hat. Auch warum sich Pieper (oder wars der andere) dieses F auf dieHand geschnitzt hat. Das müsste man doch ein bisschen mehr auflösen.
Mir hat das alles einerseits gefallen, wie du das aufgebaut hast, weil ich momentan ein diebisches Vergnügen an dem Legen dieser Spuren habe und an dem Streuen von Verdachtsmomenten. Ich lese zur Zeit gerade uralte Horrorstories und freu mich mächtig darüber, wie die das gemacht haben. Ich bin also gerade absolut drin in diesem Spuren legen und so, von daher genieße ich das wohl. Anakreons Bedenken nehme ich aber auch sehr ernst, eben so, dass du das wohl alles deutlicher machen solltest und eben auflösender.
Also das Buch als vermeintlichen Hauptverursacher für die Spannung und Gewalt im Ort. Und diese vielen losen Enden, die halt gar nicht sich im Nachhinein erklären.
Und: Wenn man diese Todesfälle ernst nimmt, dann müsste da ja bereits eine marodierende Bande durch den Ort streifen. Ansatzweise beschreibst du das ja auch. Wäre da nicht vorher mal was mit Polizei? Und wie schickt sie denn den letzten Brief überhaupt noch ab, wenn sie sich kaum mehr auf die Straße traut? Davon hört man bei dir gar nichts. Würde Elsbeth sich denn nicht sehr schnell an die Polizei wenden? Oder das zumindest mal in ihrem Brief erwähnen? Warum verhält sie sich da so unnormal? Man fragt sich auch, wer Frau Gehrke getötet hat und dann das Hündchen. war es jemand, der sie kannte? Ein Fremder? Wo ist der dann abgeblieben ist, was ist mit dem kleinen Mädchen? Oder ob es vielleicht das kleine Mädchen selbst war, das alle umgenietet hat?
Aber das will man irgendwie schon wissen als Leser, auch wenn die Auflösung dann eine ganz andere ist.

Und 3. Das ist jetzt, glaub ich nur mein Geschmack, mir gefällt es, dass du die Ereignisse mit dem Wegfahren der Freundin kombiniert hast, das ist einfach spannend, wenns dann einfach ganz anders ausgeht.
Aber nun ja, ich find es halt noch nicht mal in einer Horrorgeschichte so furchtbar logisch, wenn die handfesten Scharmützel, die aus den Gegensätzen zwischen Lohn und Arbeit oder zwischen Besitzern von Eigentum oder gar den Kriegsparteien im Irak als das Walten der eigentlich bösen Menschennatur bestimmt werden. Das sind gegensätzliche Verhältnisse. Und wenn dann so ein Engel-Moralkommando, wie das, dem die Freundin da angehört, dann auf einmal diese Verhältnisse erzeugt durh ihr Wegfahren, dann sage ich mir immer, dass die 1. einen echt schlechten Job machen und 2. zur Verstärkung denke ich, dass dieses Gutwesen ja schon ziemlich blind sein muss, dass sie nicht die Veränderungen liest und bemerkt, die ihre Freundim da doch minutiös aufschreibt. 3. frage ich immer, ob diese Engel alle kleine Obama-Aufkleber haben, noch dazu, wenn der Engelstrupp (ärger dich nicht, wie ich sie sonst nennen soll, ich weiß, ist ein bisschen flappsig). Das Gute halt die Guten oder die Verkörperung des Guten, das ist ein bisschen lang.
Du siehst also und sieh es mir nach, ich kann mit den Engelende nicht so viel anfangen aus ganz persönlichen Gründen, für die du und dein Ende nichts können. Spannend find ich es allmal.
Aber um es auf den Punkt zu bringen. Die Geschichte hätte für mich genauso, wenn nicht noch besser, funktioniert, wenn der Antwortbrief nicht gekommen wäre oder wenn er knapper, geheimnisvoller ausgefallen wäre.

Hier noch ein paar Kleinigkeiten:

Allerdings wird wohl kaum hierher nach Bad Walsen dringen, was du erzählst, wo du jetzt bist.
Irgendiwe fehlt mir da ein dort vor dem wo du jetzt bist.
Ist zwar die Schreibe deiner Erzählerin, aber ich finde es vom Rhythmus her nicht so gut mit den beiden Fragesätzen, die jeweil mit dem Fragepronomen eingeleitet werden.

War das der Vordere Orient, der Hintere, wo es dich hingezogen hat? Ich war noch nie gut in Stadt-Land-Fluss.
Schön.

„Einen Brief kann man anfassen“, sagte ich da zu ihm. „Man kann ihn riechen und wenn er traurig ist, sieht man getrocknete Tränen darauf.“
Auch schön und ältere Damn reden genau so, wenn sie lieber Briefe schreiben.

Ist schon komisch, so ein Tier zu kriegen, von dem man weiß, dass es einen wahrscheinlich überleben wird. Ich erziehe hier meinen Erben.
Auch total schön

Er kam heute Vormittag zu mir und hat sich schüchtern dafür entschuldigt, dass er gestern und vorgestern nicht da war, er hätte krank daniedergelegen.
R vergessen

Es war so dämmrig, dass wenigstens die Straßenlaternen angegangen waren;
Wieso wenigstens? Kommt mir hier überflüssig vor.

Als ich das Rad an einen Baum gelehnt hatte und ein wenig verschnaufte, um mich zu beruhigen, lief ein abendlicher Jogger auf dem Bürgersteig an mir vorüber.
Man weiß doch schon, dass es am Abend ist.

Trotzdem habe ich ein unschönes Gefühl, wenn ich durch die Stadt gehe. Die Menschen sind emsig, sie richten die Beete her, mähen Rasen, pflanzen. Jeder in seinem eigenen Reich. Jeder für sich.
Das war doch bestimmt vorher auch nicht anders. Also irgendwas an dem Jeder für sich muss da gefährlicher oder ungewöhnlicher sein.

Dann war er am dritten Tag plötzlich hier, als wenn nichts gewesen wäre, und machte seine Arbeit nicht richtig, die Sau.
Das ist die Stelle, das fand ich richtig super. Das kommt wie aus dem Nicht gedämmelt, zeigt, dass auch sie von den Veränderungen betroffen ist.

Ich nahm die Harke selbst zur Hand, ich alte Frau, und machte den Ecken sauber.
den Ecken?

Er hob die Hand und schlug ihr mit vollster Wucht ins Gesicht.
Einen Superlativ oder Komparativ zu voll gibt es nicht. Also mit voller Wucht

Es geht eine gewisse Faszination von den Pergamentseiten aus, im kreischenden Neonlicht scheinen die üppigen Illustrationen zu atmen, zu pulsieren.
Schön geschrieben, nur das kreischende gefällt mit nicht. Ist zu akustisch und will für mich daher nicht zu Lich passen.

Die ganzen Bittbriefe an die Schutzheiligen, man glaubt, die Gebete zu hören, die wispernden Stimmchen, das Flüstern, das von den Wänden zurückhallt.
die ganzen Bittbriefe, das geht nicht. Das Passende dazu wären die hanleben Bittbriefe. Ich würde das Wort weglassen oder ein Synonym suchen, z. B. all die
Und Stimmchen finde ich passt auch nicht. Lieber Stimmen. Grund: Zieht hier die Bittbriefe und die Stimmen in eine ulkige Richtung.

Der wiederum machte sich recht groß, dass er Herr Pieper wohl um einen Kopf überragte.
Herrn

Ich sah die Augen von Quandt, das Weiße war kaum noch weiß, als wären sie mit Blut gefüllt.
Irgndwie schmekt mir die Formulierung nicht. Also nicht nur geschmacksmäßig, ich denke immer, hier wäre ein falscher Bezug. Ich kann es aber leider nicht benennen, woran es liegt. Kannst ja mal gucken, ob noch jemand diese Stelle moniert.

Die Spannung, die sich löste, zog die Beherrschung mit aus meinem Körper, ich musste weinen.
Gleiches hier.

Ich ergriff die Gelegenheit, nahm das Gerät und schlüpfte zu ihnen hinaus. Ich zog beiden mit der Hacke eins über –
Das ist komisch. Warum so verzwirbelt? So fragt man sich ja, welches Gerät. Schreib doch zuerst Hacke, dann weiß man es gleich und dann kannst du schreiben mit der scharfen Seite eins über. Dann wird sie gleich noch ein bisschen gewalttätiger.

Die Tür war nur zugeworfen gewesen, diese Tatsache machte mich noch ängstlicher.
gewesen hier zu umständlich, würde ich weglassen.

Ich zog dir Tür wieder zu und lauschte.
die Tür

Es machte den frischen Eindruck eines Frauen-Haushaltes.
Schön, dass du so denkst ... äh ich mein natürlich Elsbeth

Und wenn ich diesen Gedanken zu fassen bekomme, der da in meinen Eingeweiden umherschwirrt, dann weiß ich, was zu tun ist.
Wahrlich archaische Denk-Orte! Kopf fände ich trotzdem besser

Obwohl die Situation meine vollste Aufmerksamkeit erforderte, konnte ich nicht verhindern, über unsere Lage nachzudenken.
Hier fand ichs zwar nicht so schlimm, aber richtig ists trotzdem nicht.

Mal schwankten sie vorüber, dann wieder blieben sie stehen und betrachteten die alte Frau und das Mädchen, wie sie gebückt vorbeihasteten.
Würde sie denn in einem Brief an ihre Freundin von sih selbst in der 3. Person schreiben? ch sags nur, weil ich kurz gestolpert bin und mich gefrat habe, welche alte Frau da noch unterwegs ist.

Mit dem letzten Punkt auf dem Papier werde ich loseilen, auf dem Weg zum Museum KOMMA dann den Brief einwerfen; vielleicht ist dies die letzte Nachricht, die du von mir erhältst.

Ich hatte vor, das Buch zu verbrennen, so schnell es ging KOMMA wollte ich es aus dieser Welt schaffen.

Ich war völlig außer Atem KOMMA als ich den Kanister zu dem Buch geschleppt hatte, ich schaffte es noch, den Großteil der Flüssigkeit über dem Papier zu verteilen.

Trotz all der Nörgelei, ich fand es sehr unterhaltsam und spannend.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo Hanniball

Wir sind verloren, für immer dazu verdammt, als das über Erden zu wanden, was wir wirklich sind: egoistische, mordlüsterne Kreaturen, deren Kopf nur eines ausfüllt: das eigene Überleben.

(wandeln oder wandern)

Das ist ein Thema, das ja durchaus häufiger behandelt wird: Wie verhalten sich Menschen, wenn die gesellschaftliche Struktur aufgebrochen wird, wenn sie nicht mehr Regeln und Normen folgen, sondern ihren Instinkten?

Ich finde das Thema interessant, habe aber das Gefühl, der Satz steht ein wenig in der Luft, denn eine eigentliche Abhandlung damit fehlt mir in der Geschichte.

Nehmen wir dieses Beispiel:

„Ich brauch mehr Geld“, sagte er. Er war unrasiert; eigentlich habe ich ihn niemals unrasiert gesehen.

Hier macht Herr Quandt ja einen verlotterten Eindruck, ist nicht mehr rasiert, unfreundlich, verhält sich einfach anders als sonst. Aber er fällt nicht über Elsbeth her, um seinen sexuellen Trieb zu befriedigen, er jagt sie nicht aus Vergnügen oder bestiehlt sie, um etwas zu essen zu bekommen: Er verlangt mehr Geld. Das passt für mich nicht. Geld ist ja nur etwas, das in einer intakten Gesellschaft einen Wert hat - wenn aus Menschen "mordlüsterne" Kreaturen werden (was gemäss Elsbeth die eigentliche Natur der Menschen ist), dann spielt Geld für sie überhaupt keine Rolle mehr. Da gehts um Triebbefriedigung, und Geld befriedigt keine Triebe (vielleicht abgesehen von solchen den sozialen Status betreffend, aber von dem reden wir auf dieser Stufe nicht mehr). Also für mich stellt sich die Frage, was wird denn eigentlich aus diesen Bewohnern? Zu was verändern sie sich denn? Und warum geschieht das so schnell? Müsste das nicht eher ein schleichender Prozess sein - die Geschichte gibt hier zu wenig Auskunft, was zwischen den einzelnen Briefen geschieht.

Das ist eigentlich auch mein Hauptkritikpunkt: Die Briefform. Du läufst hier in ein Problem, das viele Ich-Erzähler in ausweglosen Situationen gemein ist: Warum schreiben die das auf? Immerhin, bis zu einem gewissen Grad erklärst du es und es ist auch nachvollziehbar - aber es wird vor allem am Ende absurd.
Als Beispiel der Brief vom 10. Mai. Da kommt Elsbeth gerade aus dem Haus von Fr. Gehrke, hat ihren grausam entstellten Leichnam gesehen, hat das Kind gerettet und festgestellt, dass die ganze Stadt vor die Hunde geht. Und dann schreibt sie bei Kerzenschein einen Brief, in dem noch solche Sätze stehen:

Es schien wie immer, alles war aufgeräumt und sauber, freundlich und gut durchgelüftet. Es machte den frischen Eindruck eines Frauen-Haushaltes.

Das passt für mich dann einfach nicht zusammen.

Versteh mich nicht falsch: Ich finde die Idee der Geschichte gut und auch lobenswert, dass du dich an ein für eine KG relativ umfangreiches Thema heranwagst - ich lese sowas gern. Aber wenn du den Zerfall einer Stadt beschreiben willst, frage ich mich einfach, ob die Perspektive von Elsbeth dazu ausreicht.

Sie wirkt oft so distanziert, nicht als Betroffene, sondern als Aussenstehende. Wie abgewogen ihre Worte oft sind, auch sehr geradlinig, da gibt es kaum Änderungen in Sprache und Ausdruck zwischen den ersten und den letzten Briefen - obwohl die Person, die sie schreibt, eine ganz andere geworden ist. Ich denke, gerade wenn man den Ich-Erzähler aus einer solchen Lage erzählen lässt, muss man sich damit beschäftigen, wie die Erlebnisse auch die Sprache beeinflussen. Gerade ja bei einem solchen Thema: Die Abwesenheit der Freundin, wie wirkt sich das auf Elsbeth selbst aus? Wenn alle Leute durchdrehen, warum nicht auch sie? Wenigstens ein bisschen? (Als Beispiel sehe ich gerade dieses: "Die Sau" - so was meine ich, das solltest du öfter bringen, oder irgendwas, das ihre Angst, ihre Verzweiflung mehr verdeutlicht - kürzere Sätze, vielleicht mal rasche Gedankensprünge, etwas in der Art).

Auf der Gegenseite: Gute Ideen, wie du die zunehmende Distanz zwischen den Bürgern beschreibst: Erst das Nichtbeachten, dann kleinere Gewalttaten (die Ohrfeige bspw.) und dann die Morde.

Gut gefallen haben mir dann auch die "falschen Fährten". Die hast du geschickt gestreut. Ich dachte erst an so ne Art Sixth Sense Abhandlung, als Elsbeth nach der "Begegnung" mit dem Buch plötzlich von niemandem mehr beachtet wird. Und dann hatte ich natürlich das Buch in Verdacht.

Novak hat schon viel Textarbeit geleistet, ich fands auch sehr flüssig zu lesen, manchmal habe ich mich an dem einen oder anderen Wort gestört, aber nichts, was den Lesefluss unterbrochen hätte.

Sie kommen mittlerweile von außerhalb, um an dem Wälzer vorbeidefilieren zu dürfen;

vorbeidefilieren?

Er schrie: „Sie haben die Büsche abgeschnitten, und ihren Müll schmeißen Sie rüber!“

Ihren

ich ängstige mich ein wenig um meine beste Freundin, die mich damals, als ich hierher gezogen bin, so nett aufgenommen hat

Punkt fehlt

Es erzählte von Unsicherheit und Verschlagenheit, von der lauernden Feindseligkeit, niemals waren wir so etwas wie Freunde gewesen.

Das finde ich zu gestelzt.

Pieper stieß ein Knurren aus, er war zwar kleiner, aber ein Gutteil jünger als sein Kontrahent.

Gutteil? Sagt man das so?

So ließ ich die beiden Streithähne liegen und zog mich ins Haus zurück.

Manchmal sind halt auch so Stellen drin, wo man als Leser der Protagonistin nicht richtig folgen kann: Warum geht sie bspw. nie zur Polizei? Warum geht sie hier einfach ins Haus, nachdem sie beide blutig geschlagen hat. Klar, offenbar machen auch die Veränderungen vor ihr nicht halt, aber warum bleibt sie dann doch überwiegend normal? Sie scheint mir noch so klar im Kopf zu sein, dass sie immerhin mit dem Gedanken spielen könnte, mal zur Polizei zu gehen ... ich meine, wir reden hier vielleicht von einem Dorf, aber nicht im Mittelalter, Email gibts ja schon, also wie können diese Ereignisse sich zutragen, ohne dass jemand davon etwas mitbekommt?

Wenn man seine Großmutter so sehr liebt, dass man sich an seinen Bauch schmiegt, wenn man sich ängstigt …

Den Satz kapier ich nicht, auf wen bezieht sich "seinen Bauch"?

ch weiß, was ich zu tun habe, Ruth. Noch in dieser Nacht wird es geschehen, und wenn es einen Gott gibt, wird er mir helfen, diese Stadt zu befreien.

Zu pathetisch. Vor allem in ihrer Lage.

Doch auch wenn mein praktisches Wissen bescheiden ist, war mir doch klar, dass ich das Buch nicht im Haus verbrennen konnte.

Warum nicht?

dass der arme Kerl nicht hatte leiden müssen und dass er nicht versucht hatte, einen Sinn hinter seinem Tod zu suchen.

Über so etwas macht sie sich Gedanken, wenn um sie herum die Hölle losbricht?

Dass ich das Buch verbrannt habe, hat gar nichts bewirkt. Zwar hatten auch andere diese Idee, aber das Tun war fruchtlos.

Ich hab nicht so richtig verstanden, was sie sich erhofft hat: Dass alles wieder normal wird? So ganz plötzlich?

Also, zusammenfassend, das Thema gefällt mir, finde es cool dass du sowas angepackt hast, aber mit der Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird, kann ich mich nicht anfreunden. Ich verstehe nicht, warum Elsbeth die ganze Zeit diese Briefe schreibt, ihre Wortwahl / ihr Stil passt nicht zu den Schilderungen. Auch finde ich das Verhalten der Bewohner nicht ganz konsequent: Warum bringen die sich auf einmal gegenseitig um? Der Wegfall von gesellschaftlichen Strukturen ist mir da zu wenig, das allein macht die Menschen noch nicht zu mordenden Ungeheuern. Novak hat auch einige andere Löcher in der Handlung erwähnt, ich stimme ihr da zu, mir fehlen eben auch ein paar Dinge.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Ja, na dann mal!
Hallo Anakreon!

Eigentlich schade, dass du mit dem Stück nichts anfangen konntest, wenn ich hätte wetten müssen, hätte ich gerade bei dem Text auf dich gesetzt. So ist es nun anders.

Es mag sein, dass meine Erwartung an eine Geschichte sich hier nicht erfüllt, nicht rundet, also rein subjektiv ist.

In der Tat, finde ich die Erwartungshaltung des Lesers die schwierigste Hürde für eine Geschichte, das zu erreichen, was sie soll. Man kann mit verschiedensten Mitteln diese Erwartungshaltung manipulieren. Das Vorherbestimmen des Genres natürlich (ich glaube, mit Horror habe ich dem Stück keinen besonders guten Gefallen getan), der Titel, etc. Das hier ist natürlich keine quietschbunte, beinahe sinnfreie Story wie die Zombiegeschichte damals.

Für die beiden Aushänge konnte ich keinen richtigen Sinn erkennen

Auch in dieser Story hat eigentlich jedes Wort seinen Sinn, zumindest ist es so von mir gedacht. Die beiden Aushänge, sie waren schon draußen, dann hab ich sie wieder reingenommen, dann wieder raus, schließlich habe ich es doch gewagt. Nun ja, zumindest gelernt habe ich aus diesem Experiment.
Natürlich sollten sie dokumentieren, welch eine Atmosphäre in der Stadt herrscht, das Klima der Bildung und Interessiertheit dokumentieren. Der zweite ist ja unvollständig, soll eigentlich zeigen, dass er zur Hälfte abgerissen ist, der Verfall, niemand kümmert sich um den Frühjahrsputz im Park.

Über weite Strecken zieht sich das alltägliche Erleben der alten Frau recht zähflüssig dahin

Das geht natürlich völlig auf meine Kappe, schlimmste Sünde des Autors: Langeweile.

Gegen das Ende eine nebulöse Veränderung, die die Stadt erfasst,

Auch wieder zu meinen Lasten, habe ich es nicht verstanden, die Veränderungen in der Stadt glaubhaft rüberzubringen.

ein blutiger Todesfall, der aber wie nebensächlich im Raum hängt.

Auch so eine Überlegung von mir: Die Perspektive der Elsbeth. Ich kann mich natürlich nicht vollständig lösen von ihr. So habe ich minimal auch versucht, die Veränderung bei ihr darzustellen. Wenn sie über den Todesfall wirklich erschrocken wäre, hätte sie keine Veränderung durchgemacht, sie wäre die gute alte Dame von früher. Sie bezeichnet aber Quandt irgendwo als "Sau", das ist ja auch nicht normal für sie.
Ich gebe zu, dass dies keine Story zum Wohlfühlen, zum Spannung-Genießen ist. Es war - wieder einmal - eher ein Experiment und ich freue mich über jede Reaktion.

Dem Buch, welches die Protagonistin vermeintlich als Übeltäter verbrannt, konnte ich auch keinen mysteriösen Gehalt abgewinnen.

Auch der Inhalt des Buches steht in direktem Zusammenhang zum Geschehen in der Stadt, ich habe auch das im Laufe der Arbeit an dem Stück geändert. So hängt eigentlich vieles miteinander zusammen hier, ich gebe allerdings zu, dass vieles davon nicht sehr offensichtlich ist.

Die Handgreiflichkeit der Männer ein beiläufiger Nebenschauplatz, ebenso wie das kleine Mädchen, dem eigentlich keine Bedeutung zukam.

Ja, du hast Recht. Hier ist es natürlich wieder von Relevanz, was man von dem Stück erwartet. Im Prinzip hatte ich keine Lust, irgendwelche Gewalttätigkeiten auszubreiten, auch das Kind - da hast du Recht - hat sich mehr eingeschlichen (obwohl es mir gefiel, als Zeichen der Unschuld [es kommt ja von außerhalb]). Es läuft alles, wirklich alles in dem Stück auf den letzten Brief hinaus.

Als der Antwortbrief am Schluss erscheint, hatte ich den Eindruck, nun folge eine tiefschürfende Erklärung, doch selbst der blieb mir nebulös und ohne einen Aha-Effekt.

Ich bin auch jetzt noch der Meinung, dass es sich bei der Antwort um einen Knaller handelt, wieder mal nicht gut rüber gebracht. Vielleicht kannst du mir mal mitteilen, was du rausgelesen hast, dann wüsste ich, was falsch gelaufen ist.


„Man kann ihn riechen und wenn er traurig ist, sieht man getrocknete Tränen darauf.“

Er hat schon seine Poesie, dieser Satz. Nur wäre er mir in der Möglichkeitsform, dass Tränen ihn netzten, plausibler. Ich denke nicht, dass jeder wehmütige Brief seine Verfasserin zu Tränen rührte, so weinerlich sind sie heute nicht mehr, die zartbesaiteten Briefschreiberinnen.

Ich war immer in der Zwickmühle, dass ich mich mit dem Stil meiner Protagonistin annähern musste, was heißt, dass ich halbwegs bodenständig schreiben musste. Die Frau schreibt Briefe, keine Gedichte. (Obwohl du im Prinzip schon Recht hast)

Hm. Bei einem Wurf Hunden spricht man eher von Jungen.

Eindeutig, kommt mir jetzt im Nachgang auch zu kitschig vor. Änder ich gleich.


Wir waren zwei Frauen im Empfangskomitee, Frau Gehrke und ich, die wir zwei seit Jahren das Stadtmuseum mitbetreuen.

Diesen Satz finde ich nicht sehr glücklich formuliert, „die wir zwei seit Jahren“, liess mich stutzen und es zwei, dreimal lesen.

Hi-hi, dabei bist du doch eigentlich ein Anhänger von verzwirbelten Formulierungen. Aber stimmt schon, ich werde das auch ändern.

Mein Bester, es ist schade, dass ich es nicht verstanden habe, meine Gedanken klar zu formulieren. Vielleicht erhellen ja meine vorstehenden Ausführungen etwas den Sinn, den ich ins Stück versucht habe hineinzulegen.
Nun, ich danke dir für deine Mühe und deine ehrliche Meinung.


Ich bin ermattet, die Arbeit ruft (die Arbeit neben dem Schreiben).

Liebe Novak, lieber Schwups, ich kehr bald zurück und werde mich euren Kommentaren widmen.

Einstweilen schöne Grüße von hier!

 

Hallo Hanniball

Also ich nochmals.

Ich bin auch jetzt noch der Meinung, dass es sich bei der Antwort um einen Knaller handelt, wieder mal nicht gut rüber gebracht. Vielleicht kannst du mir mal mitteilen, was du rausgelesen hast, dann wüsste ich, was falsch gelaufen ist.

Ich versuche mal zu rekonstruieren, welches meine gestrigen Gedanken beim Lesen des letzten Briefes gewesen waren:
Die einleitenden Sätze brachten mich nicht weiter. Sie konnten für mein Empfinden eine Paraphrase sein, nette Worte, die sie auf die verzweifelten Briefe ihrer Freundin schrieb – oder aber einen versteckten Sinn beinhalten, der sich mir nicht erschloss.
Die drei Dinge, die sie zum Verständnis erwähnte, brachten mich auch nicht weiter.

Erstens, ich bin älter als gemeinhin angenommen.

Im ersten Versuch setzte ich das älter Synonym mit reifer. Der zweite Gedanke war ein pharaonisches Alter, also eine Zombie-Erscheinung, was sich mir im Inhalt der Geschichte jedoch ebenso wenig einfügte.

Zweitens, wir sind unserer viele, aber längst nicht genug.

Da sah ich keine Zuordnung aufgrund des bisherigen Geschehens, es sei denn, sie sei Teil der Aktivitäten. Dafür sah ich keinen konkreten Hinweis.

Und drittens, ich bin auf dem Weg zu euch.

Eine konkrete Aussage. Aber was kann sie bewirken, fragte ich mich.

Mit Verblüffung las ich dann die Deutung von Novak zu diesem Brief, die Ruth als Engel sieht. Unter diesem Vorzeichen betrachtet, könnten die Worte Sinn machen, auch wenn mir die Angelologie der theologischen Dogmatik ziemlich fremd ist.

wenn ich hätte wetten müssen, hätte ich gerade bei dem Text auf dich gesetzt.

Stimmt schon, dass du eigentlich die Voraussetzung geschaffen hast, dass ich mich daran erfreuen müsste. Die Geschichte ist auch, wie bei dir gewohnt, mit Akribie verfasst. Deshalb vermutete ich auch, es müsse an meiner eigenen Subjektivität liegen, dass ich die Dinge zwischen den Zeilen nicht erkenne. Ich werde es zu einem anderen Zeitpunkt dann wieder mal lesen, vielleicht erschliessen sich die mir fehlenden Puzzleteile dann auf Anhieb. Einen Meinungsumschwung würde ich dir dann natürlich auch dokumentieren.
Also lass dich durch meine unprofessionelle Sichtweise im Genre Horror nur nicht irritieren.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, ich noch mal, müssen keine Engel sein, könnten auch die Schutzheiligen aus dem Buch sein oder die Macht des Guten per se. Jedenfalls, dass es eine dem Bösen und der Gewalt entgenwirkende Kraft ist. So meinte ich das.
Liebe Grüße
Novak

 

Hallo Novak!

Freu mich natürlich, dass dir die Story gefallen hat, noch mehr freut es mich, dass sie beinahe so angekommen ist, wie ich sie meinte. Das mit dem Ende, ja, wie soll ich sagen, das ist schon ein Thema, das mich sehr stark antreibt, herauszufinden, was einen Menschen davon abhält, den anderen nur um des Vorteils Willen eins überzubraten. Da gibt es auch einige Geschichten zu dem Thema von mir. Im Grunde ist das hier eine Weiterführung, vielleicht eine Betrachtung aus einem anderen Blickwinkel von meiner "Ablösung". Kann sein, dass ich da viel mehr vorausgesetzt habe, als es eigentlich sinnvoll wäre.

Die Sau, dabei hat es mich jedesmal selbst ein wenig erschauert, wenn ich drüber gelesen habe. Ich finde, es hat was von an die Oberfläche brechen, ganz kurz nur.

Der Zettel, ja, hab ich ja jetzt schon gesagt, hast Recht, eigentlich schwebte mir vor, ihn darzustellen, als sei er durchgerissen und teilweise entfernt worden, bloß die Formatierung hier, na ja, ich hätte 'ne ganze Weile gebraucht, bis es was getaugt hätte.

sind nicht diese Shi-Tzu eh so eklige nackerte Hunde? Also ich finde, die könnten supergut Monster sein.

Oh, oh. Shi-Tzu sind totaaaaal süüüüß! Wir haben so 'ne Mischung, das ist Muttis Bester. Der kann nix, wirklich. Nur doof gucken.

Das ist ja ein ganz normaler Ort. Ich habe mich gefragt, warum gleich zwei Bewohner auf die doch recht abergläubische Idee kommen, das Buch zu zerstören.

Wirklich abergläubisch? Das ist 'ne Horrorstory. Ist auch die einzige Veränderung, auf die die Wandlungen im Ort zurückzuführen sind. Außerdem war der Ausgang der Szene mit Quandt die einzige Möglichkeit, aus dem Klischee rauszukommen.
Ich weiß nicht, ob das ungewöhnlich ist, du hast natürlich den besseren Blick, vielleicht sollte man noch offensichtlichere Spuren legen, damit das schlüssig ist.
Geht aber auch wieder nicht, der Leser soll sich ja auch schlau vorkommen, wenn er die Schlussfolgerung zieht, halt, das Buch ist Schuld. Der wahre Twist wirkt dann umso besser. (Wobei mir jetzt auffällt, dass der ja nun überhaupt nicht gewirkt hat)

Zum einen hat mich gestört, dass unklar blieb, wer Frau Gehrke getötet hat

Hm, Pieper stößt im Garten die Drohung aus, sie umbringen zu wollen.

wo das kleine Mädchen abgeblieben ist

Elsbeth hat sie bei sich zu Hause, sie erwähnt, dass die Kleine schläft.

wer den Pudel gemeuchelt hat

Zu Anfang wird erwähnt, dass Quandt den Hund nicht leiden kann.

Auch warum sich Pieper (oder wars der andere) dieses F auf dieHand geschnitzt hat.

Weiß ich nicht. Das ist wirklich das einzige Ding, das ich unüberlegt reingenommen habe. Ich habe mich - eigentlich gleich nachdem ich's eingefügt habe - geärgert, dass es da steht. Es war so schön geheimnisvoll und archaisch. Werd's wohl rausnehmen.

Ja, mit den Reaktionen auf diese Gewalt habt ihr beide - Novak, Schwups - natürlich Recht. Die Polizei alarmieren, die Nachbarn usw. Die behördlichen Strukturen scheinen zusammenzubrechen, aber die Post wird befördert.
Das sind Widersprüche, die habe ich schon gesehen, aber ich hatte gehofft, sie fallen nicht so ins Gewicht.

dass du die Ereignisse mit dem Wegfahren der Freundin kombiniert hast
,

Zwickmühle, glaube ich. Einerseits funktioniert die ganze Story nicht (mit dem Abschlussdreh, der eigentlich der Ausgangspunkt war), wenn ich die Form der Brieferzählung nicht gewählt hätte. Aber gerade diese Form ist es, die mich zwingt, ein Korsett anzulegen, das ich nicht mehr ablegen kann.

der eigentlich bösen Menschennatur bestimmt werden.

Warum nicht? Das Ganze ist ja weniger eine Horrorstory, als - was weiß ich - eine Zustandsbeschreibung. So ist das, Freunde. Kann nicht anders.
Ersetz die Engel, die du gesehen hast (kann man ja auch so nennen) durch Zivilisation, durch das Über-Ich vielleicht, Gewissen. Dann, finde ich, kann man das so durchgehen lassen.

zur Verstärkung denke ich, dass dieses Gutwesen ja schon ziemlich blind sein muss, dass sie nicht die Veränderungen liest

Ja, gut. Da hätte ich wahrscheinlich direkt darauf hinweisen sollen, dass Ruth die Briefe erst alle zusammen erhält. Das hätte dann aber den Charakter des letzten Briefes zerstört.

frage ich immer, ob diese Engel alle kleine Obama-Aufkleber haben

Ja, ja. Spotte nur!

Es war so dämmrig, dass wenigstens die Straßenlaternen angegangen waren;

Wieso wenigstens? Kommt mir hier überflüssig vor.

Das, zum Beispiel, war früher ein viel längerer Satz und dieses vermaledeite wenigstens hat sich tatsächlich rüberretten können.

Ich nahm die Harke selbst zur Hand, ich alte Frau, und machte den Ecken sauber.

den Ecken?

Kennst du das nicht? Der Ecken. Kann gut möglich sein, dass das mal wieder Vulgär-Deutsch ist. Muss mal gucken.

Er hob die Hand und schlug ihr mit vollster Wucht ins Gesicht.

Einen Superlativ oder Komparativ zu voll gibt es nicht. Also mit voller Wucht

Genau. Jedem anderen hätte ich das selbst mit vollster Wucht vor die Füße geworfen.


Es geht eine gewisse Faszination von den Pergamentseiten aus, im kreischenden Neonlicht scheinen die üppigen Illustrationen zu atmen, zu pulsieren.

Schön geschrieben, nur das kreischende gefällt mit nicht. Ist zu akustisch und will für mich daher nicht zu Lich passen.

Ich find das kreischend gerade passend, das Neonlicht ist doch so ... kreischend hell, oder?

Die ganzen Bittbriefe an die Schutzheiligen, man glaubt, die Gebete zu hören, die wispernden Stimmchen, das Flüstern, das von den Wänden zurückhallt.

die ganzen Bittbriefe, das geht nicht. Das Passende dazu wären die hanleben Bittbriefe. Ich würde das Wort weglassen oder ein Synonym suchen, z. B. all die

Ich kenn das Wort nicht, ich hab's sogar gegoogelt. Tippfehler?


Gut, Novak, wieder mal habe ich den Eindruck, längst nicht alles mitgeteilt zu haben, was ich sagen wollte. Aber schon wieder die Zeit, da ist sie - in meinem Nacken!

Ich danke dir für die anregenden, für die teilweise warmen Worte!

Schwups, du bist auch bald dran.

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hi hannibal,

Ein richtig gutes Stück, deine Geschichte, hat mich umgehauen. Meine ich ernst. Finde das eini richtiges Kunststück, wie du d3n Horror so allmählich aufbaust, erst zart andeutest und dann fast in ein Steven King-Szenario eintauchst.
Das alles in der Briefform, Hut ab, das stelle ich mir sehr schwer vor, weil die Sicht ja arg begrenzt ist und auch die unittelbare Handlung unterliegt hier ja anderen Gesetzen. Das hast du meisterlich hinbekommen, wenn jemand sowas (also briefgeschichte) das nächste mal hier versucht, würde ich deine Geschichte als positives Beispiel verlinken.
Auch die fährten, die du nhier legst, sind großartig angelegt. Also zum einen natürlich das Personal - alle ein bisschen wunderlich. Vor allem aber der Hund und natürlich das Buch ( gerade hier sind die Andeutungen genial), von dem ma ausgehen muss.
Das Ende dann hat michnüberrascht. Finde es sehr mutig, ein weniger versierter Autor hätte das jetzt in den Kitsch gestoßen, in deinen Worten aber klingt das richtig groß. Bricht mit den Erwartungen, kurz und knapp gehakten, hallt aber nach.
Habe nur drei Winzigkeiten gefunden, die michnrausgeworfen haben:

"Ich stürzte, konnte mich eben noch fangen und stolperte an die Straßenseite. Der Flegel fuhr ungerührt weiter, ich bin sicher, er hatte mitbekommen"
Das geht nicht. Also wenn man stürzt, stürzt man. Komme da mit dem Bild nicht zurecht

"Frau, und machte den Ecken sauber."
Die Ecken

"kreischenden Neonlicht scheinen die üppigen Illustrationen zu atmen, zu pulsieren.*"
Finde das kreischen a) aus dem Ton fallend b) abgedroschen jnd c) mit dem folgenden üppig too much

"Pilawa"
Bis zu diesem Einwurf hast du eine schöne zeitliche und örtliche Neutralität gewahrt. Aus der brichst du unangenehm aus. Entweder mehr Kolorit, oder eben weglassen

Äußerst gern gelesen
Grüßlichst
Weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, lieber Hanniball,
ich bin es noch mal, ich hatte das Gefühl, dass du meine Kritik schlimmer genommen hast als sie von mir gemeint war. Ich war richtig froh, dass weltenläufer so einen positiven Kommentar geschrieben hat. Das ist sehr gut, damit du nicht vollends denkst, die Geschichte wäre irgendwie schief gegangen. Das ist sie nicht. Und das hat die Geschichte auch verdient, dass man sie lobt.

Ich habe das aus den beiden Zitaten hier herausgelesen:

dass sie beinahe so angekommen ist, wie ich sie meinte.
und
Kann sein, dass ich da viel mehr vorausgesetzt habe, als es eigentlich sinnvoll wäre.
Sie ist so angekommen wie du sie gemeint hast, nicht nur beinahe. Das Ende kommt völlig unerwartet, das ist eine sehr positive Sache. Und das Ende hat auch eine interne Logik, die funktioniert. Das einzige, was uns da trennt, das ist der Geschmack zu diesem Gut-Böse-Gegensatz. Da bin ich vielleicht überkritisch und übernörgelig und wollte dir meine Eindrücke auch schildern, damit du verstehen kannst, warum ich nicht vorbehaltlos auf das Ende abfahre. Auf die Wendung fahre ich total ab, das hat Spaß gemacht, ich wollte es nur ein bisschen geheimnisvoller haben, aber das ist wie gesagt wohl echt Geschmackssache. Also lass das unbedingt so, wie du das gemacht hast, nicht nur, dass du ohnehin der Chef bist, ich fände es einfach schade, wenn du wegen einer Geschmäcklerei meinerseits an deiner Geschichte zweifelst.

Oh, oh. Shi-Tzu sind totaaaaal süüüüß!
Ich werde nie wieder etwas gegen diese Hündchen sagen! Ich schwör!

Wirklich abergläubisch? Das ist 'ne Horrorstory. Ist auch die einzige Veränderung, auf die die Wandlungen im Ort zurückzuführen sind. Außerdem war der Ausgang der Szene mit Quandt die einzige Möglichkeit, aus dem Klischee rauszukommen.
vielleicht sollte man noch offensichtlichere Spuren legen, damit das schlüssig ist.
Auch hier habe ich es anders gemeint, die Szene mit Quandt ist ausgezeichnet. Das mit dem Aberglauben war eigentlich nur ein Argument, um die Idee zu stützen, dass man die Buchidee noch ein kleines bisschen betonen könnte. Das muss man aber nicht unbedingt. Es war eine Idee für den Fall, dass es mehr Leuten so geht, dass sie die Hinweise nur teilweise verstehen. Das ist ohnehin immer eine schwierige Sache mit den Hinweisen. Ich habe meine "Celebrate Yourself" story mal Leuten vorgelesen, die sonst nicht Horror lesen, aber schon auch ein bisschen was Mysthisches. Die haben das nicht verstanden. Das mit den Hinweisen ist wohl eine Frage des Maßstabs. Man kann darüber diskutieren, vielleicht auch gucken, wie die Mehrheit das so sieht, darf dabei aber auch nicht vergessen, dass hier recht versierte Leser anzutreffen sind.

der Leser soll sich ja auch schlau vorkommen, wenn er die Schlussfolgerung zieht, halt, das Buch ist Schuld. Der wahre Twist wirkt dann umso besser. (Wobei mir jetzt auffällt, dass der ja nun überhaupt nicht gewirkt hat)
Doch der Twist hat, s.o.

Die Aufklärungen für die Morde hast du "nachgeliefert", da hab ich wohl unaufmerksam gelesen, es steht wirklich wortwörtlich da. Sorry.

Übrigens hab ich mit dem Briefromanform kein Problem gehabt, ich mag das. Das war Schwups, der das nicht mochte. Der Punkt (also Polizei, Postbeförderung, dass sie sich hinsetzt und schreibt) für mich waren die anderen Einwände, aber an denen lässt sich ja was machen, wenn man will, außerdem sehen andere es ja gar nicht so akribisch wie Schwups und ich.

Ich kenn das Wort nicht, ich hab's sogar gegoogelt. Tippfehler?
Es ging um diesen Satz:
Die ganzen Bittbriefe an die Schutzheiligen, man glaubt, die Gebete zu hören, die wispernden Stimmchen, das Flüstern, das von den Wänden zurückhallt.
die ganzen Bittbriefe, das klingt mir zu umgangssprachlich. Ich muss dann immer an halbe Bittbriefe denken. hanleben sollte halben heißen. Auweia, ich muss mein Geschreibsel doch ein bisschen besser prüfen.

Mit vollstem ganzen und auf keinen Fall hanleben Herzen wünsch ich dir einen schönen Abend

 
Zuletzt bearbeitet:

Grüß dich, Hanniball,

im Prinzip hat's mir gefallen, ich mag so Szenarien, in denen die gesellschaftliche Ordnung irgendwie zusammenbricht. Den Plottwist am Ende fand ich überraschend, hatte ich nicht mit gerechnet.
Was ich etwas problematisch finde, ist die Brief-Perspektive. Anfangs fand ich diesen schwafeligen Ältere-Frau-Stil ganz lustig (ist gut gelungen), später hab ich dann eher versucht, ihn auszublenden und mich auf das Wichtige zu konzentrieren. Was dabei gut war, war, dass man der Erzählerin sozusagen blind vertrauen musste, und das war schon unheimlich, als die dann selbst durchgedreht ist, anscheinend, ohne das selbst richtig zu realisieren (z.B. die Szene mit der Hacke). Aber man ist halt auch sehr eingeschränkt, manchmal hätte ich gerne noch mehr von "außen" gesehen.
Manche Schlüsse konnte ich dann nicht recht nachvollziehen - wie kommt z.B. die Elsbeth darauf, dass das Buch an allem Schuld ist? (Klar, du kannst es nicht 100%ig schlüssig erklären, weil's nicht so ist, aber ich konnte nicht recht nachvollziehen, wieso sie davon plötzlich so überzeugt war.) Und noch krasser: Wie kommt sie darauf, dass Ruth so eine große Rolle spielt? Wer ist Ruth überhaupt? Über sie erfährt man gar nichts ... Und warum antwortet Ruth die ganze Zeit nicht, aber dann, wo alles eskaliert? Das sind so Ungereimtheiten, die mir so ein bisschen den Spaß genommen haben.
In meinen Augen ein origineller TdS-Beitrag mit kleineren Schwächen.
Noch ein bisschen Textkram:

und mäht den Rasen oder was sonst anfällt.
Er mäht, was sonst so anfällt? (tut)

Allerdings wird wohl kaum hierher nach Bad Walsen dringen, was du erzählst, wo du jetzt bist.
umständlich

dass alles seinen gewohnten Gang geht, das stimmt so nicht.
Hier würde ich einen Gedankenstrich setzen, um den Bruch zu betonen.

ich dachte immer, schlaue Knopfaugen bei Hunden, wären Klischees
zweites Komma weg

er weiß genau was er will und
genau, was

er hätte krank daniedergelegen.
darniedergelegen (Duden)

Es stammt aus dem 17.Jahrhundert
17.[_]Jahrhundert

„Ich habe lediglich…“
lediglich [_]...

für immer dazu verdammt, als das über Erden zu wanden
wandern? wandeln?

Ich war völlig außer Atem als ich den Kanister
Atem, als

Rasenden Herzens, doch noch immer nicht ohne Hoffnung hastete ich durch die Straßen.
Hoffnung, hastete

wir sind unserer viele
umständlich

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Schwups!

Wie verhalten sich Menschen, wenn die gesellschaftliche Struktur aufgebrochen wird, wenn sie nicht mehr Regeln und Normen folgen, sondern ihren Instinkten?

Das ist ein sehr interessantes Thema, stimmt. Aber ich hatte mehr das Warum im Sinn. Wann entwickeln die Menschen diese Verhaltensweisen.

Er verlangt mehr Geld. Das passt für mich nicht.

Vielleicht hast du da Recht, allerdings war ich der Meinung, dass Quandt ohnehin schon sehr schweigsam ist und ein eher bescheidener Denker. Vielleicht als solcher hat er nicht viele Forderungen, die er stellen könnte und das was ihm immer schon innerlich vorschwebte, kommt ihm jetzt als erstes in den Sinn. Natürlich ist das keine exakte Charakterstudie. Aber ich denke schon, dass Geld auch in diesem Stadium eine Rolle spielt, immerhin sind sie ja beileibe keine Zombies.

Zu was verändern sie sich denn?

Man merkt schon, dass du hier anders herangehst als andere. Analytischer vielleicht? Das ist wohl ein interessanter Aspekt, aber irgendwie nicht Teil der Geschichte. Wie gesagt, es reicht mir vollkommen zu sagen, das und das ist passiert und der Mensch verändert sich zum Schlechten.


Das ist eigentlich auch mein Hauptkritikpunkt: Die Briefform.

Ja, die Briefform. Ich glaub, anders wäre diese spezielle Geschichte nichts geworden, zumindest nicht das, worauf ich Wert gelegt habe.

Warum schreiben die das auf?

Ja, natürlich, das ist klar. Das ist nicht glücklich gewählt. Ich hatte komischerweise aber von Anfang an diese Form im Kopf und habe das Stück dann auch (siehe oben) danach entwickelt. Weiß wirklich nicht, ob es anders funktionieren würde. Frage mich das jetzt tatsächlich schon eine ganze Zeit, mit diesen Einwänden habt Ihr mich ziemlich ins Wanken gebracht.
Wobei die Briefform, ja die Ich-Form generell ja, ziemlich zweischneidig ist, stimmt. man muss sich immer irgendwie einschränken, es sei denn, man hat richtig viel Zeit, man kann den Leser an den Stil heranführen.
Ach herrjeh, ich bin schon wieder drauf und dran, das Stück rauszunehmen. Offensichtlich funktioniert es nicht so, wie es soll.

Und dann schreibt sie bei Kerzenschein einen Brief, in dem noch solche Sätze steh en:


Zitat:

Es schien wie immer, alles war aufgeräumt und sauber, freundlich und gut durchgelüftet. Es machte den frischen Eindruck eines Frauen-Haushaltes.


Wobei ich mir des Problems schon bewusst war, ich hatte, wie gesagt, nur gehofft, es fällt nicht so sehr ins Gewicht.

Ich finde die Idee der Geschichte ... lobenswert

Ach, herrjeh. Er war stets bemüht. :D

(Als Beispiel sehe ich gerade dieses: "Die Sau" - so was meine ich, das solltest du öfter bringen, oder irgendwas, das ihre Angst, ihre Verzweiflung mehr verdeutlicht - kürzere Sätze, vielleicht mal rasche Gedankensprünge, etwas in der Art

Ja, aber dann bin ich nicht mehr gut dabei, das Geschehene zu dokumentieren. Spannung reinzubringen, obwohl der Erzähler selbst dabei ist, außerdem Anteil zeigen muss, das ist schwer, vielleicht kaum möglich.


Sie kommen mittlerweile von außerhalb, um an dem Wälzer vorbeidefilieren zu dürfen;

vorbeidefilieren?

ja, vorbeimarschieren, in geordneter Formation.


Es erzählte von Unsicherheit und Verschlagenheit, von der lauernden Feindseligkeit, niemals waren wir so etwas wie Freunde gewesen.

Das finde ich zu gestelzt.

Ja, du hast Recht, ich auch. Aber nicht die Form, das Beschreiben des Indirekten hat mir gefallen, die umsetzung hapert ein bisschen.

Manchmal sind halt auch so Stellen drin, wo man als Leser der Protagonistin nicht richtig folgen kann: Warum geht sie bspw. nie zur Polizei?

siehe oben.


Wenn man seine Großmutter so sehr liebt, dass man sich an seinen Bauch schmiegt, wenn man sich ängstigt …

Den Satz kapier ich nicht, auf wen bezieht sich "seinen Bauch"?

Na auf den Bauch der Großmutter. Den blutigen.


Doch auch wenn mein praktisches Wissen bescheiden ist, war mir doch klar, dass ich das Buch nicht im Haus verbrennen konnte.

Warum nicht?

Sprinkler-Anlage.


dass der arme Kerl nicht hatte leiden müssen und dass er nicht versucht hatte, einen Sinn hinter seinem Tod zu suchen.

Über so etwas macht sie sich Gedanken, wenn um sie herum die Hölle losbricht?

Das war dem Leser geschuldet. Ich weiß, die Form.


Dass ich das Buch verbrannt habe, hat gar nichts bewirkt. Zwar hatten auch andere diese Idee, aber das Tun war fruchtlos.

Ich hab nicht so richtig verstanden, was sie sich erhofft hat: Dass alles wieder normal wird? So ganz plötzlich?

Die Atmosphäre im Ort, dieser faulige Geruch, außerdem, weiß nicht, hat man nicht so ein Gespür dafür, ob ein Ort krank ist?


Dein abschließendes Urteil spricht wahrscheinlich viel von dem aus, was ich insgeheim befürchtet hatte.

Schwups, ich danke dir!


Hallo weltenläufer!

Wobei mich deine Kritik ja dann mal gefreut hat. Da sieht man doch, dass die Sicht hier immer noch sehr verschieden ist.

Finde es sehr mutig, ein weniger versierter Autor hätte das jetzt in den Kitsch gestoßen

Das ist wieder ein Punkt, da bin ich froh, dass du den ansprichst, denn natürlich hätte ich wirklich lange Erklärungen liefern können (um ehrlich zu sein, ich hatte damit geliebäugelt, es ist ja immer die Frage, ob man genug enthüllt, damit der Leser versteht), aber dass es für dich so gut funktioniert hat, siehste, bin ich froh!

"Pilawa"
Bis zu diesem Einwurf hast du eine schöne zeitliche und örtliche Neutralität gewahrt. Aus der brichst du unangenehm aus. Entweder mehr Kolorit, oder eben weglassen

Das ist mit bis zu deinem Einwurf gar nicht aufgefallen, aber du hast Recht. Das scheint aber eine tendenz bei mir zu sein, ich weiß nicht, ich arbeite immer darauf hin, die Storys halbwegs "zeitlos" zu halten.
Danke für den Hinweis!


Äußerst gern gelesen

Dankeschön, weltenläufer!

Meine liebe Novak, nochmal!

Sie ist so angekommen wie du sie gemeint hast, nicht nur beinahe.

Ich weiß, wie schwer es ist, sein Eindruck wirklich wiederzugeben. Meistens geht es mir dann auch so, dass ich einen Teil der von mir gemachten Aussagen überprüfen müsste. Ist wohl auch immer ein wenig Stimmungsabhängig. Das muss man wahrscheinlich auch beachten, wenn man Kritiken zu seinen eigenen Geschichten liest.

...um die Idee zu stützen, dass man die Buchidee noch ein kleines bisschen betonen könnte.

Ja, es gibt immer wieder Sachen, die einem einfallen. Kaum dass man das Stück abgeschlossen hat. Ich hab immer die Leute bewundert, die dann nochmal den Text aufmachten und ihn änderten. Ist schon sehr schwer, wenn man das hier nicht gerade hauptberuflich tut.

hanleben sollte halben heißen

Aber du musst zugeben, es gehört schon ein klein wenig Assoziationsarbeit dazu, von einem zum anderen zu gelangen.:D


Maeuser, mein Lieber!

Was ich etwas problematisch finde, ist die Brief-Perspektive.

Da hamwers wieder! Vielleicht muss man sich drauf einlassen, weiß nicht. Allerdings liegt dann immer noch bei mir als Autor der Hund begraben, weil ich dich ja dazu bringen muss, dich drauf einzulassen. Aber wie macht man das. Das ist das Problem. :D

später hab ich dann eher versucht, ihn auszublenden und mich auf das Wichtige zu konzentrieren.

Dann wird das penetrant, denke ich mal. Na ja, muss man mögen, halt.

dass man der Erzählerin sozusagen blind vertrauen musste, und das war schon unheimlich,

Das ist schön, gefällt mir und so hab ichs noch nicht gesehen. Gefällt mir wirklich, der Ansatz.

wie kommt z.B. die Elsbeth darauf, dass das Buch an allem Schuld ist?

Na ja, ich dachte, dass man diese Kröte noch halbwegs widerstandslos schlucken würde. Immerhin fällt ja die Ankunft des Buches und der Beginn der Veränderungen in einen Zeitrahmen. Dass der Weggang Ruths dann auch noch als ursache zu schlucken ist, das fand ich noch kniffliger.

Und noch krasser: Wie kommt sie darauf, dass Ruth so eine große Rolle spielt?

Da, ich habs doch gesagt!

Das sind so Ungereimtheiten, die mir so ein bisschen den Spaß genommen haben.

Besser konnte man es nicht ausdrücken. Ich kenne das auch, und ich verspreche, sobald ich dazu komme (hab momentan ziemlich viel um die Ohren), werde ich mich dran machen und das Teil - auch dahingehend - verändern.


Danke dir auch für den Textkram und dafür, dass du mir die Augen noch wieder ein Stückele weiter geöffnet hast!


Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hannibal

Ich bin leider auch etwas zwiegespalten, einerseits las ich gespannt weiter, ob sich der grausame Zerfall der Stadt weiter manifestieren würde. Leider verläuft das Ganze, nachdem du die Unschuld des Buches offenbarst, für mich etwas gar nebulös in Mutmassungen, wer oder was nun für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist.

Nun gut, viele Dinge wurden bereits gesagt und du hast ja bereits mit Überarbeitung gedroht. ;)
Deshalb hier nur die Punkte, die ich mir während dem Lesen notiert habe, so als weiteres Puzzleteil.

Ist auch nicht mehr der Jüngste, Herr Pieper.
, der Herr Pieper.

Er ist immer schüchtern gewesen, redet nicht viel, aber ein böses Wort kam nie über seine Lippen.
Bin nicht sicher, stimmt hier die Zeitform (er ist es ja immer noch)?

Es war so dämmrig, dass wenigstens die Straßenlaternen angegangen waren
Wieso wenigstens? Würde ich weglassen.

Meine Fahrradbeleuchtung funktioniert ...
funktionierte

Frau Gehrke versuchte sich aufzurappeln, während sie sich das Gesicht hielt.
„Er hat mir eine Backpfeife gegeben“, murmelte sie fassungslos.
Ich versuchte ihr aufzuhelfen, doch sie blieb sitzen und schaute mich an.
"aufrappeln" beisst sich mMn mit dem nachfolgenden "sitzen bleiben"

Die Kleine musste ihren Kopf direkt in die Blutlache hineingelegt haben.
Besser: in eine Blutlache, denn Elsbeth konnte das zu dem Zeitpunkt nur ahnen, dass da irgendwo Blut "rumliegt".

Wenn man seine Großmutter so sehr liebt, dass man sich an seinen Bauch schmiegt, wenn man sich ängstigt …
ihren

, immer ein Auge im Rücken.
Klingt komisch, vielleicht "immer einen Blick zurück"?

Die Sicherungsanlagen im Haus sind nicht sehr weitreichend, die wenigen Anlagen kenne ich. So dass ich ohne große Verzögerung hinausgelangte.
- Holpriger Textstil, ist das Absicht? Weil, es ist ja Elsbeths direkte Rede.

Etwas knurrte hinter mir, das war Quandt, der mich die ganze Zeit beobachtet hatte. Natürlich.
Auch wenn das wiederum Elsbeths Briefstil ist, mir würde besser gefallen:
Etwas knurrte hinter mir. Quandt! Natürlich, hatte mich wohl die ganze Zeit beobachtet.

Bis auf die etwas neblige Auflösung nicht ungern gelesen.
Gruss dot.

 

Hallo Hanniball,

ich habe die Story schon vor einiher Zeit gelesen, in der Bahn, zweimal das Ganze. Gerne gelesen. Erinnert mich formalistisch irgendwie an älteren Horror, den ich sehr schätze. Das Format ist dir hier übrigens gut gelungen, Briefe ist so eine Sache für sich, das hast du sehr gut rübergebracht, diesen persönlichen Ton, auch die Reduktion auf die Sichtweise der einen Protagonistin. Mir hat das gefallen. Gut finde ich auch, dass du hier eben die drohende Anomie zeigst - so sind Menschen eben, nimm die Neuzeitbibeln weg (oder hier: leg eine dazu) und schon passieren die unglaublichsten Dinge. Das Buch muss ja an sich keinerlei Bedeutung haben - die Menschen erfinden eben eine, meistens keine gute. Dieser Verlauf wird gut dargestellt, dieser auch innere Konflikt.

Einzig mit dem Ende tue ich mich schwer. Das wirkt irgendwie so direkt, so schroff. Du hast die Stimmung so gnadenlos aufgebaut, und dann ist sie, ich habe das ähnlich wie Novak empfunden, ein Engel, der über die Menschen wacht. Ich hätte hier voll draufgehalten, alles in einer angedeuteten Apopkalypse enden lassen, möglichst offen. Das ist nur meine subjektive Meinung, natürlich.

Gruss, Jimmy.

 

Hallo Hanniball,
Der Text zog sich bei mir etwas.
Ich denke da ist einmal das Dilemma der Briefform: Das erfordert sehr viel Konzentration vom Autor, um Atmosphäre und Geschehnisse richtig hinzubekommen. Sie gehen hier meiner Meinung nach verloren. Ich habe immer den Eindruck, dass die Gefahren recht diffus sind. Zu oft wird unspezifisch beschrieben:

Wir standen beide in der zweiten Reihe, ich fürchte, wir waren nicht zu sehen. Die Vertreter aus Morlaix müssen einen schönen Eindruck von uns bekommen haben.
hier passiert über weite Strecken nicht viel. Spannung baut sich nicht auf und ich fürchte, dass wird dich den einen oder anderen Leser kosten.
Während ich heute Nachmittag in seinem Geschäft einkaufte, hat er die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ohne großartig Luft zu holen, sprach er in einer Tour. Davon, wie gut das Buch doch unserer Stadt tue, wie toll es doch sei, und was es Großes beinhalte.
auch hier geht es recht unspezifisch zur Sache.

Dort, wo der Horror sichtbar wird schaffst du auch aus der brieflichen Ezrählweise auszubrechen:

„Ich will mehr Geld.“
Das war es, was er sagte: „Ich will mehr Geld!“ Nichts anderes, aber sein Gesicht sprach viel mehr.
Es erzählte von Unsicherheit und Verschlagenheit, von der lauernden Feindseligkeit, niemals waren wir so etwas wie Freunde gewesen.
„Lassen Sie mich bitte vorbei, Herr Quandt.“
Ich will keine Diskussion anzetteln, was in einen Brief passt: Nur mein Eindruck ist: oben passt es, doch es gibt viele andere Sätze, die herausfallen und dem ganzen dann einen Schuss glaubwürdigkeit nehmen: Fazit: In der dritten Person wäre das viel leichter gegangen.

Das Blut war ihr aus allen Körperöffnungen getreten und es sah nur so aus, als ob sie grinste.
Mich überkam Eiseskälte. Ich wusste nicht, wer das hier getan hatte, noch warum. Aber ich ahnte die Ursache des Ganzen, den Ursprung.
Und wenn ich diesen Gedanken zu fassen bekomme, der da in meinen Eingeweiden umherschwirrt, dann weiß ich, was zu tun ist.
Dieser Absatz könnte viel aus der ersten Person erzählt gewinnen, aber für mich bleibt die Erzählerin hier ohne Emotion
Der Gute hat mir, wie immer, beim Einkauf geholfen – eine Tüte Zucker, einen Salat, ein paar Mohrrüben und Knäcke.
finde ich etwas übertrieben, dass sie im Brief so detailiert ihre Einkaufsliste angibt
. Es machte den frischen Eindruck eines Frauen-Haushaltes.
auch das hier finde ich zu detailiert für einen Brief.

Das Setting und die Idee finde ich insgesamt gut gewählt und hat mir gefallen
Wenn ich dir einen Tip geben dann schlage ich vor, dass du Anfangs schneller ins Geschehen eingreifst und dich mehr auf Szenen konzentrierst, so wie die Prügelei zwischen Piepers und Quandt und insgesamt weniger Briefe stehen lässt.

lg
Bernhard
Bernhard

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lieber Hanniball,
ich habe mich sehr gefreut, mal wieder eine Geschichte von dir zu lesen - wobei sich das "mal wieder" mehr auf meine seltene Anwesenheit (oder besser gesagt: stetige Abwesenheit) bezieht, als auf dein Produktivität.

Die Briefform in Geschichten hat mir schon immer gut gefallen, sie haben etwas so schön "altmodisches", was vermutlich auch daran liegt, dass die Protagonisten in Geschichten in "Briefform" fast immer älter und auch altmodisch sind (wer in jüngeren Jahren schreibt denn noch echte Briefe?).

Du hältst auch die Tonlage gut durch, nur hin und wieder würden mehr emotionale Aussagen und dümmliches Geschwätz mMn der Geschichte gut tun.

Öfter mal ein "meine Güte", oder "du wirst es nicht glauben"

Beispiel:

Es erzählte von Unsicherheit und Verschlagenheit, von der lauernden Feindseligkeit, niemals waren wir so etwas wie Freunde gewesen.
Ein "und mir wurde klar, dass wir niemals so etwas wie Freunde gewesen waren" würden mMn das Persönliche der Briefform verstärken.

Hier wiederrum sind mir die Schimpfwörter zu extrem für eine alte Lady.
Das hier

Dann war er am dritten Tag plötzlich hier, als wenn nichts gewesen wäre, und machte seine Arbeit nicht richtig, die Sau.
finde ich viel zu krass, ein viel zu starker Umschwung. Der Dummkopf oder der faule Trottel oder so fände ich viel passender.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie sich später ja gleich entschuldigt.

Pieper ist ein Arschloch
Auch hier finde ich den Ton wieder etwas zu extrem (das Alter der Dame bedenkend, ich kann mir vorstellen, dass ein alter, allein lebender Herr Arschloch oder Sau sagt, bei einem Frauchen fühlt sich das einfach falsch an.)

Allgemein hat mir die Geschichte gut gefallen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich das Ende ganz durchschaut habe. Soll Ruth eine Schutzheilige sein? Dieses "wir sind unserer viele" soll sicher etwas bedeuten (ein Zitat vielleicht?), nur kann ich es nicht ganz entschlüsseln.

Gut unterhalten hat mich die Geschichte jedoch allemal - an so einem Sonntag Abend.
Und ich frage mich, was in meiner Nachbarschaft vorgeht ...

LG
Tamira

Edit:
Ich sehe, ich habe teilweise wiederholt, was User vor mir schon erwähnten.
Da du es dann wahrscheinlich nicht ändern möchtest, ignoriere es einfach. :)

Ein paar Kleinigkeiten, die mir aufgefallen, die aber nicht wichtig sind:

(Es wird um Voranmeldungen gebeten, da das Interesse, wie bei den vorangegangenen Veranstaltungen wieder sehr rege sein wird)
Ich denke, nach Veranstaltungen fehlt ein Komma.

Hier rutscht du meiner Meinung nach zu sehr in das "Erzählen einer Geschichte", nicht in das "Erzählen des Passierten", ab.

Ihre Enkelin ist für ein paar Tage zu Besuch. Die dreijährige Dorothea saß zu unseren Füßen auf dem Rasen und spielte mit ihren Puppen.
Besser fände ich hier zum Beispiel ein Zusammenfügen zu einem Satz, z.B.: Ihre Enkelin Dorothea, ein süßes Ding von drei Jahren, ...

ich ängstige mich ein wenig um meine beste Freundin, die mich damals, als ich hierher gezogen bin, so nett aufgenommen hat Du bist nun seit über einem Monat fort
Punkt fehlt

Hier läuft alles seine Bahnen, es scheint so, als sei alles ein wenig hektischer und aggressiver geworden.
Passt der erste Satz, wenn sich doch alles geändert hat?
Ansonsten gefällt mir dieser kurze Absatz gut, man kann fühlen, dass die alte Elsbeth sich verändert hat. Sie wirkt ängstlich und kurz angebunden.

Er starrte mich an, dann lachte er, auf diese dreckige, unbeholfene Weise, wie sie Betrunkenen und gewalttätigen Kindern eigen ist. In letzter Zeit scheint jeder in unserer Stadt etwas zu lachen zu haben.
Wenn ich im Museum bin, muss ich immer einen Blick auf das Buch werfen, Pieper hat schon Recht. Es geht eine gewisse Faszination von den Pergamentseiten aus, im kreischenden Neonlicht scheinen die üppigen Illustrationen zu atmen, zu pulsieren.
Hier ist wieder der Umschwung zwischen "blöder Pieper" und "er hat Recht" zu schnell. Da fehlen ein paar Worte, vielleicht: Aber obwohl es mir wirklich missfällt, muss ich Pieper schon Recht geben ...

Das Blut war ihr aus allen Körperöffnungen getreten
Getreten ist ein so schwaches Wort, wenn man aus allen Körperöffnungen bedenkt. Vielleicht gespritzt, gelaufen oder ähnliches?

 

Hallo Hanniball

Da bin ich wieder. Wie beim letzten Komm. angkündigt, habe ich die Geschichte nun mit grösserer Distanz nochmals gelesen.

Die Differenz zu damals ist sicherlich, dass ich jetzt weiss, um was es hier geht und wie es sich aufbaut. Das Entscheidende scheint mir heute jedoch meine Herangehensweise, es einfach aufzunehmen, wie es sich darbietet. Die Erzählweise der Briefe dünkt mich flüssig, unaufgeregt aber unterhaltsam. Dabei wurde mir die Gegensätzlichkeit zum erstmaligen Lesen bewusst, es war die Erwartungshaltung, die ich damals reinsetzte, gleich müsste einem das Erschrecken kannibalisch packen.

Die Veränderungen treten subtil auf, für mich als Fremder in dieser Stadt eher bemerkbar, wenn ich die Gedanken der Protagonistin intensiv beachte. Die Situation, als sie mit dem Fahrrad strauchelte, Herr Pieper achtlos vorbeirennt, das sind Indizien. Doch da für mich als Leser noch keine sonderbaren Entwicklungen wahrnehmbar waren, hatte ich dem erstmals keine vertiefte Bedeutung beigemessen. Wäre der Bruch in der Gesellschaft mir da bereits sichtbar, bekäme es eine andere Gewichtung. Ihr Entsetzen über dieses Verhalten steht geschrieben, doch mir greifbar ist es in dem Moment noch nicht.

Der Bruch kam dann im nächsten Brief. Doch es ist nicht die Gesellschaft dies es offenbart, sondern Elisabeth, als sie in ihrem Brief Herrn Quandt als Sau bezeichnet. Ein erheblicher Ausrutscher in ihrem Sprachgebrauch. Sie bemerkt ihre Verhaltensänderung selbst, wie sie in ihrem nächsten Brief festhält. Wenn ich es als Leser unbefangen betrachtete, stellte sich mir hier die Frage, ist es wirklich die Gesellschaft die sich verändert oder nicht einfach Elisabeth?

Der Disput von Herrn Pieper mit Frau Gehrke scheint anfänglich banal, alltäglicher Nachbarschaftsstreit, bis er sie schlägt. Eine doch massive Grenzüberschreitung von gesitteten Verhalten. Frau Gehrke verharmlost dies für mein Empfinden allerdings, wenn sie nur von einer Backpfeife spricht. Hier schienen mir Entrüstung und Zorn durchaus angezeigt, und wenn es eine aussergewöhnliche Verhaltensänderung bei Herrn Pieper war, noch zumindest einen klaren Hinweis darauf.

Ungewöhnlich ist auch die Gewalt, welche Elisabeth den Streithähnen Quandt und Pieper gegenüber aufbringt. Für die Situation beinah überzeichnet, die hätten sich doch selbst gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen können.

Die Veränderung der Stadt, wie sie sich nach dem Tod von Frau Gehrke darstellt, dünkt mich diesmal augenfälliger. Dabei hast du hierbei vielleicht gar nichts geändert? Da ich es natürlich nur mit den Augen der Protagonistin erlebe, ist es mir ebenso wie ihr abrupt.
Dass dem alten Buch eine mystische Bedeutung zukommt, vermutete man von Anfang an, auch wenn es sich dann nicht als so erweist. Doch scheint mir hier versteckt auch ein alter Zwist zwischen den Franzosen und den Deutschen angedeutet zu sein, der sich letztlich in der Geschichte nicht klärt.

Ich habe es diesmal stimmungsvoller gelesen, mehr offen dem Geschehen, so dass ich die Ruhe, die es ausstrahlt, einfangen konnte. Nur das Ende dünkt mich etwas zu mystisch verklärt. Nun ja, ein mir eher ungewöhnlich besinnlich wirkender Hanniball. Doch es machte mir Vergnügen, es mit Bedacht nochmals vorzunehmen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, Freunde!
War nun knapp vier Monate (teils gewollt, teils gemusst) nicht auf dieser Site, im Leben gibts leider noch andere Sachen, als Schreiben. Leider.
Dass ich also erst jetzt antworte, hat nichts mit den Kommentatoren, einzig mit mir und der fehlenden Gelegenheit zu tun.

dotslash!

Zwiegespalten, das zieht sich tatsächlich durch fast alle Kommentare. Die Auflösung scheint ein allgemeines Problem zu sein, nun, wenn ich es weniger nebulös veranstaltet hätte, wäre es wahrscheinlich allzu plakativ geraten. Wahrscheinlich (ich hatte immer meine "Ablösung" im Kopf) nahm ich zuviel an, keiner kennt die Story, keiner das Thema. Eigentlich ist es so, dass es mich schon - in den unterschiedlichsten Varianten - das halbe Leben verfolgt.

du hast ja bereits mit Überarbeitung gedroht.
#

Ja, ja. Ich bin mir schon bewusst, dass das mein Baby ist. Und, wer die ganz alten Storys von mir durchguckt, wird sehen, dass ich nach Jahren noch geändert habe, dann wenn es Zeit ist. Dann sind die Kommentare und Kritiken sehr willkommen! Es wird geschehen, mein Junge, aber es braucht Zeit.:D


Zitat:

Meine Fahrradbeleuchtung funktioniert ...


funktionierte

Ne, ich denke, das ist schon richtig so. Sie funktioniert ja immer noch. Also Präsens, denke ich.

Nichtsdestotrotz hast du natürlich mit den meisten Anmerkungen Recht, diese werden dann auch gebührend angenommen.

Bis auf die etwas neblige Auflösung nicht ungern gelesen.

Das hört sich ein wenig so an, wie wenn man auf einer Party gefragt wird, wie einem die Biskuit-Röllchen schmecken, und man antwortet: Der Geschmack ist interessant. :D

Ich nehms als Halb-Kompliment.
Danke dir!

jimmysalaryman!

Erinnert mich formalistisch irgendwie an älteren Horror

Ja, hast Recht. Bin eigentlich ein Freund von sowas. Und irgendwie hatte ich immer Conan Doyles Brief-Roman "Lost World" im Hinterkopf.

Das Format ist dir hier übrigens gut gelungen

Freut mich, dass du das so siehst. Alles, was ich bisher geschrieben habe, waren in gewisser Form Experimente. Immer ein wenig geübt dabei, was kommt wohl raus.
Und die Brief-, die Tagebuch-Form hat immer den Nachteil, dass du dann und wann ausbrechen musst, weil du ja spannend erzählen willst. Das ist immer eine Gratwanderung.

dass du hier eben die drohende Anomie zeigst

He-he, ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich das Wort nachschlagen musste. (Nachschlagen, übrigens, für unsere jungen Leser, ist ungefähr daselbe wie googlen, nur analog). Kannt ich nicht, aber trifft die Sache ziemlich gut.

Einzig mit dem Ende tue ich mich schwer. Das wirkt irgendwie so direkt, so schroff.

Tja, was sollt ich machen? Irgendwann hatte ich das Gefühl, nu is aber ma gut.

Wobei sich dein Vorschlag mit der

angedeuteten Apopkalypse
natürlich nicht schlecht anhört. Wobei, kennt man auch schon, nicht?

Danke auch dir für deine Meinung!

Bernhard, mein Lieber!

Der Text zog sich bei mir etwas.

So unterschiedlich ist das.

hier passiert über weite Strecken nicht viel. Spannung baut sich nicht auf und ich fürchte, dass wird dich den einen oder anderen Leser kosten.

Ja, ich glaube, ich hatte das oben schon mal kurz angerissen. Man muss den Leser natürlich bei der Stange halten. Figuren einführen, Beziehungen andeuten. All das Programm, aber eben stimmig, damit man reingezogen wird ins Geschehen, obwohl formal nicht viel passiert.
Ist mir offensichtlich nicht gut gelungen.

auch hier geht es recht unspezifisch zur Sache.

Du sprichst eine ziemlich wichtige Sache an, das Spezifische, das Zeigen, nicht erzählen. Man mag es kaum wiederholen: Show, don't tell. Das ist wahr, man braucht Konzentration dazu, man muss sich anstrengen. Und hin und wieder gelingt es einem nicht und man merkt es nicht.

Dort, wo der Horror sichtbar wird schaffst du auch aus der brieflichen Ezrählweise auszubrechen:

Ja, das ist aber nun eine Fessel, die ich mir selbst anlegte. Und die auch zweifelsfrei ihre Vorteile hat.

Ich will keine Diskussion anzetteln, was in einen Brief passt: Nur mein Eindruck ist: oben passt es, doch es gibt viele andere Sätze, die herausfallen und dem ganzen dann einen Schuss glaubwürdigkeit nehmen:

Ich muss sagen, da verstehe ich dich nicht. Weiter oben hast du das Gegenteil verlangt.

Wenn ich dir einen Tip geben dann schlage ich vor, dass du Anfangs schneller ins Geschehen eingreifst

Die Schwierigkeit ist nur, dass ich zunächst erstmal die Normalität beschreiben muss, wenn ich den Einfall des Abnormen zeigen will. Wie willst du als Leser sehen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn du nicht den Alltag kennst?
Ich versteh schon, was du sagen willst, aber wie kann ich es umsetzen?

Auch dir, natürlich, herzlichen Dank für die offenen Worte!

Tamira, Mylady!
Dass wir uns hier treffen, ich freu mich!
Aber das weißt du ja.

Du hältst auch die Tonlage gut durch, nur hin und wieder würden mehr emotionale Aussagen und dümmliches Geschwätz mMn der Geschichte gut tun.

Ja, sicher. Ich habe in dieser Hinsicht aber eine Menge gekürzt, weil ich weiß, dass mir diese Sachen auf der anderen Seite um die Ohren gehauen würden. Ich weiß nicht, wo der Mittelweg ist.

Ein "und mir wurde klar, dass wir niemals so etwas wie Freunde gewesen waren" würden mMn das Persönliche der Briefform verstärken.

Ja, du hast wohl Recht. Aber, ich kann mich erinnern, dass ich dir damals den Wolf Schneider empfohlen habe und dass du ihn auch gelesen hast (trügt mich meine Erinnerung? Ich glaube nicht. Im Übrigen habe ich den guten Sprachpapst gerade selber wieder vor), und der sagt eindeutig, was du kurz sagen kannst, das sage kurz.
Man muss, wie gesagt, den Mittelweg finden. Die Briefform beibehalten und andererseits den Leser bei der Stange halten.

Hier wiederrum sind mir die Schimpfwörter zu extrem für eine alte Lady.

Auch das als Stilmittel, um die Sache kippen zu lassen. Und um zu zeigen, dass die Dame ebenfalls infiziert ist.


Zitat:

Pieper ist ein Arschloch


Auch hier finde ich den Ton wieder etwas zu extrem (das Alter der Dame bedenkend, ich kann mir vorstellen, dass ein alter, allein lebender Herr Arschloch oder Sau sagt, bei einem Frauchen fühlt sich das einfach falsch an.)

Das soll es auch. Es soll schon frappieren, man soll nach Luft schnappen und einen Schreck bekommen.

Allgemein hat mir die Geschichte gut gefallen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich das Ende ganz durchschaut habe.

Au weh, aber du kennst sie doch eigentlich, die "Ablösung"? Oder? Ist eigentlich dieselbe Geschichte.

Da du es dann wahrscheinlich nicht ändern möchtest, ignoriere es einfach.

Doch, :) aber du kennst mich ja, gut Ding will Weile haben.

Auch deine Anmerkungen werden eingebaut, wenn nicht heute, morgen sicher.
Danke dir dafür, auch dafür, dass du dir die Zeit genommen hast. Und nimm dir doch mal Zeit dafür, uns mal wieder zu zeigen, was du drauf hast!

Anakreon!

Ich bin immer wieder fasziniert von Menschen, die sich wirklich mit einer Geschichte beschäftigen und immer und immer wieder zu ihr zurückkehren. Das ist eine wirklich gute Eigenschaft und als Geschichte sollte man geehrt sein, von diesen Menschen besucht zu werden.

Das Entscheidende scheint mir heute jedoch meine Herangehensweise,

Eine ganz entscheidende Sache, in der Tat. Was ich erwarte, was ich dann bekomme. Wenn ich ein Buch nehme mit Zombie-Geschichten, habe ich eine bestimmte Erwartungshaltung. Wird diese konterkariert, hat der Autor es ziemlich schwer.
Insofern stand unser beider Treffen an diesem Ort unter keinem günstigen Stern, scheint mir.

die ich damals reinsetzte, gleich müsste einem das Erschrecken kannibalisch packen

:D
Ich kann mir vorstellen, wie du dich gefühlt haben musst.

Wäre der Bruch in der Gesellschaft mir da bereits sichtbar, bekäme es eine andere Gewichtung.

Der Bruch an sich sollte als solcher ja nicht erkennbar sein, übergangslos sollte sich das Entsetzen einschleichen. Aber da kommen wir wieder zu Bernhards Einwand, irgendwie muss man den Leser packen.

Wenn ich es als Leser unbefangen betrachtete, stellte sich mir hier die Frage, ist es wirklich die Gesellschaft die sich verändert oder nicht einfach Elisabeth?

Das ist in der Tat ein sehr interessanter Aspekt, der dem Ganzen eine völlig andere Richtung gibt. Aber die folgenden Briefe sollten klar machen, dass durch die ganze Stadt das Rütteln geht.

Frau Gehrke verharmlost dies für mein Empfinden allerdings, wenn sie nur von einer Backpfeife spricht. Hier schienen mir Entrüstung und Zorn durchaus angezeigt,

Ich glaube, ja. Das wird ein Teil sein, den ich ändern müsste.


Da ich es natürlich nur mit den Augen der Protagonistin erlebe, ist es mir ebenso wie ihr abrupt.

Auch eine Frage, die ich mir selbst schon stellte. Ist der Verfall der Individuen hin zum Verfall der Gemeinschaft nicht etwas krass, übergangslos.
Briefform? Weiß nicht, wenn ich mehr geschrieben hätte, wäre wahrscheinlich Langeweile eingekehrt (sofern sie nicht bei dem einen oder andern schon anwesend war).

Nur das Ende dünkt mich etwas zu mystisch verklärt.

:D
Vielleicht kann ich dich animieren, einfach mal reinzulesen in die "Ablösung", vielleicht wird dann einiges klarer.

Nun ja, ein mir eher ungewöhnlich besinnlich wirkender Hanniball

Verwechselst du mich mit jemandem? Ich bin nicht Salem!:dozey:

Doch es machte mir Vergnügen, es mit Bedacht nochmals vorzunehmen.

Das ist schön, und Respekt für die Mühe, die du dir gemacht hast.
Und Danke natürlich!

Ich hoffe, ich finde ab jetzt Zeit, wieder öfter vorbeizuschauen. An Interesse soll es nicht mangeln.


Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hannibal,

ich wollte dir schon lange einen Kommentar zu der Geschichte schreiben, aber bin bisher noch nicht dazu gekommen, denn bei längeren und besonders interessanten Texten sammelt sich meistens eine Menge Zeug an, was man dazu sagen will, und dann braucht man Zeit und Muße, um die Gedanken alle zu sortieren. Es ist also schon ein Weilchen her, dass ich die anderen Kommentare gelesen habe und gut möglich, dass ich etwas wiederholt.

Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ich mag Geschichten in Briefform, das ist so schön old school - gleichzeitig ist es aber auch eine besondere Herausforderung für den Autor, glaube ich, weil man sich ja ein bisschen daran halten muss, was Leute wirklich in einen Brief schreiben würden, und es trotzdem hinkriegen muss, dass nebenbei eine Geschichte dabei heraus kommt. Ich selbst habe mit der Form jedenfalls noch keinen richtigen Erfolg gehabt, deshalb habe ich großen Respekt davor, dass es hier so gut gelungen ist.

Die beiden Aushänge dazwischen sind Geschmackssache. Der erste dient ein bisschen dazu, die kleine Stadt einzuführen, ist aber kein besonders spannender Einstieg. Der zweite hat mich anfangs verwirrt, weil der Text nicht vollständig ist. Die Idee dahinter, dass der Zettel zerrupft wurde, weil sich niemand mehr um die Verschönerung des Stadtparks schert, ist gut - wäre die Geschichte ein Videospiel, und man würde den Zettel finden, dann wäre das richtig cool und würde viel zur Atmosphäre beitragen. Aber wenn man es mitten in der Geschichte liest, ist es tendenziell doch eher verwirrend, finde ich.

Die Charakterisierung der Figuren ist ein weiterer großer Pluspunkt der Geschichte, insbesondere Elsbeth gefällt mir sehr. So resolute alte Damen sollten öfter Protagonistinnen sein in Horrorgeschichten. :)
Der Tonfall der Briefe passt auch wirklich gut zu der Figur. Ich fand die sehr sympathisch. Und an den Stellen, wo das, was in der Stadt passiert, auf sie wirkt - also wenn sie da plötzlich Worte in den Mund nimmt wie Sau und Arschloch - dann ist das richtig schockierend, so wie es sein soll.
Auch wie sie die anderen Leute in ihrem Leben beschreibt, ist toll - sehr fein beobachtet, aber ohne so einen bösartigen Klatschtrieb, den manche ältere Leute haben. Sie erinnert mich total an meine Oma, die hat auch so von anderen Leuten erzählt.

Also Form und Figurenzeichnung kriegen ein dickes Lob, der Schwachpunkt war für mich der Plot - den habe zunächst nicht wirklich verstanden. Beim ersten Mal lesen dachte ich immer noch, das Buch aus Frankreich wäre ganz zentral, und war ziemlich verwirrt über den Schluss. Beim zweiten Mal ist mir dann aufgegangen, dass das Buch quasi eine Ablenkung ist - für die Stadtbewohner genauso wie für die Leser - und dass Ruths Abreise der Auslöser für die ganze Misere ist. Ich weiß nicht ob das an mir liegt (wahrscheinlich schon, zumal das ja eigentlich am Schluss fast wörtlich so gesagt wird), oder ob man da noch etwas am Text machen kann, damit man das leichter versteht, jedenfalls habe ich keine konkrete Idee dafür.

Vielleicht wollte das Konzept auch nicht so richtig in meinen Kopf rein, dass die Menschen da ohne übernatürliche Aufsicht sofort in einen Zustand von Gewalttätigkeit und Bosheit verfallen, weil ich das so furchtbar pessimistisch finde. Und es scheint ja auch nicht so zu sein, dass es auf alle Menschen gleich wirkt - Elsbeth wird zwar ziemlich übellaunig, aber es fällt ihr selbst auf, und sie entschuldigt sich. Vielleicht hat Ruth deshalb angenommen, die Leute in der Stadt würden auch mal ohne sie zurecht kommen, weil ihre Freundschaft mit Elsbeth sie hat glauben lassen, alle Menschen wären so nett wie ihre beste Freundin ... oder Elsbeth ist resistenter gegen diese dunklen Anwandlungen, eben weil sie Ruth näher gestanden hat als alle anderen?

Ehrlich gesagt fand ich am Ende Elsbeth viel sympathischer als Ruth. Das kann damit zu tun haben, dass man sie im Laufe der Geschichte natürlich viel besser kennen lernt. Aber dieser Antwortbrief am Schluss, der ist schon ziemlich kühl und schroff, und in dem "ich hatte gedacht, ihr wärt schon weiter" schwingt schon eine ganz schöne Verachtung mit, zumindest kommt es bei mir so an. Sie sagt ja nicht mal: Tut mir leid, dass du das alles durchgemacht hast. Wenn die schon auf ihre beste Freundin so reagiert, möchte ich ja nicht wissen, was die den anderen Menschen in der Stadt zu sagen hat. Ich sage dir bloß, wie das auf mich wirkt, für den Fall, dass die Ruth "engelhafter" gedacht war. Vielleicht ist das ja genau deine Absicht, dass sie so kalt wirkt. Wenn die schon so lange auf der Erde ist, hat sie sicher eine Menge furchtbare Dinge gesehen, also ist ihre Einstellung vielleicht nur logisch.

Na ja, wie du siehst, regt die Geschichte mich zum Nachdenken an, und ich hab sie sehr gern gelesen :).

Grüße von Perdita

 

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