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Meine lesbische Gitarre
»Dann ist es möglich?«
Der Schamane, der mir gegenüber sitzt, kneift seine dunklen Augen zusammen und nickt rhythmisch mit dem Kopf.
»Alles möglich sein, wenn wahre Liebe ganz groß!« Er radebrecht wie Yoda. Sieht auch fast genauso aus. Seine Hütte: letzte Station auf einer langen Reise. Ich hab inzwischen hunderte ähnlicher Hütten gesehen: Schrumpfköpfe, Bastmatten, Holzschalen mit Yak-Wurzel-Tee und anderer bewusstseinserweiternder Schnickschnack - alles Reinfälle. Okay, mein Anliegen ist vielleicht etwas speziell, aber dafür ist Magie ja schließlich da, oder? Für die besonderen Fälle.
Ich war schon kurz davor, aufzugeben, als der alte Fender-Man mir den Tipp gab: »Krakatau, und dann rechts halten. Die erste Hütte direkt am Strand. Und bring das Boot gefälligst vollgetankt zurück, klar?« Netter alter Kerl.
Und sein Tipp scheint gut zu sein. Diese Hütte hat einen Schäbigkeitsfaktor, der sofort klar macht: Wenn es passieren kann, dann hier! Der Schamane ist ganz besonders alt und hutzelig, sein Opiumpfeifchen extrem lang und knorrig. Die Schrumpfköpfe haben allesamt höchst ausgefallene Frisuren. Könnten die Wandbehänge sprechen, wären sie wahrscheinlich auch intelligent genug, sich ein saubereres Plätzchen zu suchen. Die Hütte hat einen ganz speziellen Charakter, düster, verschroben und subtil gefährlich, wie ein bösartiges Geschwür, das ein bisschen an seiner Persönlichkeit gearbeitet hat.
»Heisst das, du kannst sie ins Leben holen?«
»Ich hutzeliger Schamane in schäbiger Hütte an Ende von Welt. Ich alles können, wenn Wille groß und Bezahlung gut.«
»Na dann.«
Geld ist kein Thema. Ich zähle ihm fünf verschwitzte Hundert-Dollar-Scheine hin. Die Geschwindigkeit, mit der sie verschwinden, bestärkt meinen Glauben, dass dieser Typ sich wirklich auf Zauberei versteht.
»Wo sein?«
Ich lege Lucy vorsichtig vor ihm auf den Boden. »Das ist sie.«
Der Schamane begutachtet sie sorgfältig, lässt seinen Blick an ihren Kurven und feinen Linien entlang gleiten. »Sehr schön«, bemerkt er. Dann beginnt er zu summen. Der fliegenähnliche Ton beschwört eine Gestalt herbei, zumindest scheint es so. In Wahrheit ist das Mädchen natürlich nur durch den gut verhängten Seiteneingang hereingeschlüpft. Jetzt kniet sie neben ihm, grazil, unwirklich, ihre grünen Augen zwei winzige Smaragde im allgemeinen Zwielicht aus Hokuspokus. Sie reicht dem Alten eine zappelnde Eidechse, ein Steindolch zuckt, Blut spritzt. Auf den Boden, auf Lucy, auf meine durchgelatschten Schuhe. Dort, wo es Lucy berührt, steigen Rauchschwaden auf.
»Hmmmm ... Magie gut«, brummt der Alte und macht eine knappe Handbewegung. Das Mädchen steht auf, kommt auf mich zu. Teufel, sieht die gut aus! Könnte man für nen Moment glatt vergessen, warum ich hier bin ...
Sie nimmt einen tiefen Zug aus einer Pfeife, die der Alte ihr hinhält, ihre Lippen nähern sich wie zu einem Kuß. Es wird einer. Und was für einer. Fast zärtlich bläst sie mir den Rauch in den Mund, und plötzlich fühle ich mich wie ein Stück Butter, das man auf heißes Popcorn geworfen hat. Ich merke kaum noch, wie der Steindolch meine Haut ritzt ...
Ich wabere durch meine eigenen Erinnerungen: Zwanzig Jahre, in denen Lucy und ich uns immer näher kamen. Intime Momente von Schmerz und Triumph am Ende eines komplizierten Legato-Licks. Daran, wie sie immer den richtigen Ton fand, selbst dann, wenn ich selbst mir nicht sicher war. Wie sie sich anschmiegte, an meinen Körper, in meine Hände, meine Gedanken. Wie wir im Laufe der Jahre zusammenwuchsen und eins wurden.
Mit Frauen hab ich mich nie so wirklich verstanden. Die meisten sind sowieso bloß verlogen und scharf auf mein Geld. Oder wollen unbedingt mal mit einem Rockstar ins Bett. Und selbst, wenn sie nett sind, wollen sie immer im falschen Moment ins Kino oder was Nettes hören oder mitten in der Tournee heiraten oder was auch immer. Entweder Zicken oder Hausmütterchen. Aber ich bin nun mal nicht zum Kartoffelbreiesser geboren, verdammt.
Lucy war von Anfang an ganz anders. Für sie standen meine Bedürfnisse immer im Mittelpunkt. Ein Geben und Nehmen ohne große Worte. Sie hat mich immer glücklich gemacht, und irgendwann sogar reich. Und sie blieb mir treu. Was will man mehr?
Liebe durchströmt mich, schlicht und gewaltig, wie ein Deep-Purple-Riff. Und jetzt spüre ich die Magie des Schamanen. Wie er Lebenskraft aus mir rauszieht, sie zu feinen Fäden spinnt und Lucy damit einhüllt. Wie er all dem Holz und Stahl, dem Körper, den ich fast mehr liebe als mich selbst, ganz langsam Leben einhaucht. Und dann, irgendwann, als ich gerade am Ende eines langen Tunnels aus grellem Licht die Silhouette von Elvis einen Einkaufswagen schieben sehe, höre ich eine Stimme, die mir, obwohl ich sie gerade zum ersten Mal höre, fast so vertraut ist wie meine eigene. Sie haucht: »Hallo, Baby ...«
»Das kann doch nicht wahr sein ...« Ich sage es ungefähr zum tausendsten Mal. Was natürlich rein gar nichts daran ändert, dass es trotzdem wahr und zudem unglaublich frustrierend ist.
Lucy – eine drahtige Schönheit mit ebenholzfarbener Haut und grauen Augen – steht mir gegenüber. Ihre Hand streichelt gedankenverloren den Schenkel von Jamaha, dem Eidechsenmädchen.
»Ich meine, ich hab nie was gemerkt in all den Jahren. Wir waren uns doch so nahe ...«
»Hör zu, Baby. Wenn ich es dir gesagt hätte, dann hättest du das doch wohl nicht getan, oder? Dann wäre ich jetzt immer noch Holz und Stahl, dass sich jeden Tag von deinen schwitzigen Pranken betatschen lassen muss. Körperhygiene ist keine Hexerei, weißt du?«
»Aber ...«
»Jamaha ist hübsch. Zärtlich. Duscht viel. Und sie versteht, was ich will.« Wie auf Kommando lässt Jamaha ihre kleine rosa Zunge in Lucys Ohr gleiten, während ihre Hände an Stellen wandern, die früher mal für einen runden, vollen Sound verantwortlich waren. »Sie weiß wirklich, wie man mich spielen muss ...« Sie schnurrt leise, als Jamahas Zunge ihr Schlüsselbein erreicht, räkelt sich genüsslich in dem neuen Körper, den ich ihr verschafft habe.
»Dann hast du mir also all die Jahre was vorgemacht?«
»Naja, so würde ich es nicht nennen. Wir hatten schon schöne Momente zusammen. Ich bereue nichts. Und du bist schon irgendwie ein echt netter Kerl. Von mir aus können wir gerne gute Freunde bleiben.«
»Ja klar ...« Ich bin wie betäubt. Ausgelaugt. Völlig leer. Lucy streckt eine Hand aus, als wolle sie meine Wange streicheln, aber ich lass es nicht zu. Ich wende mich einfach von ihr ab und gehe.
Auf dem Weg den Strand runter lasse ich meinen Tränen freien Lauf. So ein Miststück! Zwanzig Jahre! Fünf davon auf der Suche nach dem richtigen Schamanen! Zehntausende von Dollar und ein gutes Dutzend skeptischer oder hysterischer Berichte im Rolling Stone Magazine über meine Besessenheit vom Okkulten. Mein Vermögen, meine Karriere, beinahe alles futsch - und die blöde Kuh hält es in all der Zeit nicht für nötig, mir zu sagen, dass sie auf Frauen steht!
Der Sand knirscht unter meinen nackten Füßen. Palmen wiegen sich im Wind. Wellen plätschern an den Strand. Es beruhigt mich nicht. Nichts wird jemals wieder gut sein.
Aber es hilft alles nichts. Ich muss dem Fender-Man sein verdammtes Boot zurückbringen. Vollgetankt. Mit einer Scheißatombombe in der Kombüse, wenn es nach mir geht. Jetzt ist sowieso alles egal. Ich kann nie wieder eine Gitarre anfassen. Nicht nach dieser Nummer.
Aber ein Leben ohne Rock 'n' Roll? Auch nicht das Wahre. Vielleicht sollte ich auf meine alten Tage Klavier lernen? Dabei gibt es deutlich weniger Körperkontakt und so...