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Meine Hände schmelzen
Meine Hände schmelzen und niemand will mir helfen. Kein Arzt, kein Heilpraktiker, nicht Mal ein Scharlatan wollte mir helfen. Jedes mal, wenn mein Körper das Haus verlässt, beginnt es. Jedes Mal beginne ich zu denken, dass alles gut sei. Wenn ich dann den ersten Tropfen fallen höre, kommt die Wut in mir hoch. So handle ich mit Gott und bitte ihn, mir nicht die ganze Hand zu nehmen. Doch nach jedem Handel, nach jedem Gebet, tropft es nur schneller und nach jedem Handel merke ich die Sinnlosigkeit davon. Wenn der erste Finger abfällt, überkommt mich großes Trauern. Ich trauere, dass ich keine Türen öffnen kann, ich kann niemanden begrüßen und ich kann keine kleinen Katzen streicheln. Ich kann mich aber auch nicht verletzen und ich kann mir auch nicht die Finger verbrennen. Am Ende, akzeptierend meines Schicksals, kehre ich zu meinem Haus zurück und wundere mich beim Anblick meiner zurückgekehrten Hand.
Alles begann am Morgen, an dem er die Zeitung las. Es war nichts Neues oder seltenes für ihn, ein Mann liest halt die Zeitung. Und die Zeitung war perfekt. Es gab keine neuen Todesanzeigen, keine besonderen Schwierigkeiten in der Wirtschaft und die Kreuzworträtsel stellten für ihn auch kein Problem dar. Er las "(...) unsere schöne Stadt wurde zur besten Stadt des Landes gewählt. Seit ihrer Gründung gab es keinen Diebstahl, es gab keine Straftaten und auch keine Morde". Ab da wurde es für ihn anders. Er war Teil der Stadt und Teil der Struktur, die diese Stadt am Leben hielt. Er arbeitete, zahlte Steuern und kaufte ein. Er parkte ordentlich und jedes Parkticket wurde gerne bezahlt. Nun konnte er nicht arbeiten, keine Steuern zahlen und auch keine Parktickets konnten mit einem Lächeln gekauft werden. Ohne Hände ist das Alles nicht möglich.
In meinem Raum eingesperrt fehlt mir die Lust. Ich las gerne nach der Arbeit Bücher oder schaute Filme, aber besonders Bücher waren mir wohl. Nachdem meine Hände angefangen haben zu schmelzen, kann ich es nichtmehr. Ich könnte es, da meine Hände im Raum noch vollständig da sind, aber ich kann es nicht. Jedes mal, wenn ich rausschaue bekomme ich Herzrasen. Ich fühle mich eingeengt, aber nicht durch meine Wände, sondern durch die Wand, die nur aus dem Fenster gesehen werden kann. Meine Wände haben Risse, Dellen und Verfärbungen. Die Wand draußen hat es nicht. Sie hat eine Struktur, eine Glätte und eine Farbe. Ich kriege Angst und ich muss mich verstecken, wenn ich zu lange drauf schaue.
Aus seinem Zimmer sieht er allerdings wenig Wände. Die Tatsache ist, dass aus seinem Fenster der Wald mit seinen wenigen Waldhäuschen gesehen werden kann, welche am Rande der Stadt liegen.
Ich entkomme dem Fenster. Es ist eigentlich ganz einfach, es verfolgt mich ja nicht. Ich gehe einfach weg, lege mich in mein Bett und strecke die Decke über meinen Kopf. Manche Sachen kann ich nicht entkommen, mich zum Beispiel. Jedes mal, wenn ich meine Augen schließe und die warme Dunkelheit meine Welt verdeckt, kommt es zu mir. Erst leise, dann laut. Erst undeutlich, dann deutlich. Ein Satz, der mir die Wärme nimmt und mich mit Kälte zurücklässt. Was würde ohne Ungerechtigkeit, der Name der Gerechtigkeit bedeuten?
Unscheinbar scheint dieser kleine Satz zu sein, der in mir die schlimmsten Dinge bewirkt. Flach scheint das Wasser, aber tief ist es eigentlich. Ich lebe mit etwas, was nicht sein kann und die einzige Lösung für Alles kann ich nicht tun. Ich verfluche den Gott, der mir dieses Schicksal gab, ich verfluche Ihn. Erhör mich, nimm mir mein Los. Gib es jemandem der stark genug dafür ist, oder jemand Krankem, der es vielleicht sogar genießt. Ich bin das Gute und nicht das Kranke, ich will nicht das Kranke sein. Ich will nicht der Grund sein, dass aus der Wand wieder der Wald wird. Doch das Schicksal quält mich. Es machte mich zu einem Jäger und somit zum Einzigen, der es erfüllen kann. Die alte Göttin verlangt ihr Opfer und kein Mantra kann Sie kühlen. Alt bin ich, doch Tot bin ich nicht. Der Tot wartet, bis sich meine griechische Tragödie entfaltet. Gott nimmt seine Unterschrift nicht zurück, auch wenn er keine Hände hat. Das Kranke und das Gute sind eines und die alte Prophezeiung verlangt ihre Trennung. Mein Ende ist der Anfang.
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Seine Pflicht ist getan und seine Hände schmelzen nicht mehr. Der Weg nach Oben wurde wieder der Weg nach Unten, sodass der Weg wieder nach Oben gegangen werden kann. Die Wand ist weg, doch die Stadt verlor wohl ihren guten Ruf.