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Manchmal müssen erst die Altlasten schwinden …
… damit aus der »Alten Erde« eine neue Welt werden kann. Sven Heucherts zweiter Roman »Alte Erde« richtet die Perspektive auf Menschen, die irgendwo bei Siegburg ihr Leben fristen, in der Vergangenheit verharren und mit fast erdrückender Ignoranz der Zukunft entgegensehen, die ihre alte Erde verändern wird, vielleicht in der Ahnung, dass ihre Zeit längst abgelaufen ist. »Es war ein Ort, an dem man seine Seele verlieren konnte. Nah am Leben. Näher am Tod.«
Der Leser folgt den Charakteren, die abwechselnd erzählen und über die abwechselnd erzählt wird. Da gibt es einen Jäger und seine Frau samt Hund, die in der Region tief verwurzelt sind und um den Tod des einzigen Sohnes trauern. Zwei Brüder und eine Frau samt einer Beute, die Blut und Eifersucht verbindet. Manchmal ist man in den Figuren drin, manchmal steht man neben ihnen. Es dauert daher seine Zeit, bis das Puzzle sich zusammensetzt. Auf der »Alten Erde« wird gejagt, geschlachtet und gegessen wie schon immer. »Die Spezialität des Hauses waren gewässerte Schweinenieren, in Würfel geschnitten, dazu gedünstete Zwiebeln, Kartoffelpüree und braune Soße. Über allem hing der Geruch von Wacholder, Lorbeerblättern und Zinn 40.«
Die Zeit auf dem Land erscheint eingefroren, wenn die Protagonisten »stoppeln« und die Geldbündel in ihren Händen »glosen«; es bisweilen nach »Zigarettenrauch, verbranntem Plastik und Maggi« riecht. Und auch die »El Rey del Mundo« und der »Es-ist-erreicht-Bart« dürfen nicht fehlen.
Wie schon in seinen Kurzgeschichten zeigt Sven Heuchert damit ein hervorragendes Gespür für die Details, die beim Leser vertraute Assoziationen erwecken. Mit diesen Bildern lässt er uns Lesende in diese triste Welt versinken, die teils düster und archaisch daherkommt. Es ist diese Stimmung, die den Leser ahnen lässt, dass das alles kein gutes Ende nehmen kann. Auch, wenn da durchaus auch Sympathisches in den Figuren ist, die teils abschreckend, teils bemitleidenswert wirken. »Doch jetzt, in diesem Moment, wünsche ich mir so sehr, dass ich mehr darüber wüsste. Mehr über Gipfel. Mehr über Marius, meinen eigenen Sohn.«
Eigentlich könnte diese Tristesse so bleiben, wäre da nicht ein Bauprojekt, das die Region in die Moderne katapultieren soll und so nimmt alles seinen Lauf. Die Charaktere schaffen es nicht, sich der neuen Welt zu stellen, und reagieren, wie sie es gelernt haben: Mit Trauer, Wut und Gewalt. Am Ende bleibt den Protagonisten nichts, nur eine Erinnerung an die »Alte Erde«: »In der Mitte der Matratze hat sich eine Kuhle gebildet, darin verwehter Sand und trockene Laubblätter. Der Abdruck eines Körpers in den Decken. Sie kriecht auf allen vieren, streckt sich aus, vergräbt die Nase zwischen den Kissen. Tief saugt sie den Geruch ein. So riecht der Körper eines Mannes: nach Schweiß. Nach Alkohol. Nach verletztem Stolz. Seine Seele ist aus den Poren getreten und durch die Laken getropft. Ein Destillat der Erde und des Fleisches.«
Fazit: Lesenswerte Lektüre für trübe Herbsttage und kalte Winterabende. Erschienen im Ullstein-Verlag.