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Mai

Wortkrieger-Team
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31.01.2016
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Mai

Seit siebenunddreißig Jahren arbeite ich in diesem Büro und bemühe mich gewissenhaft und zuverlässig, Texte zu bearbeiten.
Meine Haare sind mit der Zeit ergraut und am Ende des Jahres wird mein letzter Arbeitstag sein. Dann folgt die "goldene Zeit" und ich könnte den Garten im Hof kultivieren oder schon morgens am Meer spazieren gehen. Ich könnte zeichnen lernen, oder meine Mutter öfter besuchen.

"Guten Morgen, Mai. Wie geht's dir?" Die junge Kollegin, die meine Stelle übernehmen wird, ist sehr aufmerksam. Manchmal bringt sie mir eine Tasse Tee oder Selbstgebackenes an meinen Platz, fragt mich um Rat oder lädt mich nach der Arbeit in die Bar gegenüber des Büros ein. Bisher habe ich es umgehen können.
Ich gehe lieber gleich nach Hause, koche mir eine Kleinigkeit zum Abendessen und sitze jetzt im Frühling noch einige Zeit auf dem Balkon. Er steht voll mit Tontöpfen. In jedem ein anderes Kraut, das ich zum Kochen verwende. Ich höre gerne den Kindern auf der Straße zu, wie sie lachen und rufen beim Spielen und auch dem Lärm der Fahrzeuge, am liebsten aber den Geräuschen, die die Natur mit sich bringt, etwa dem Rauschen der Blätter in der Buche, die ich vom Balkon aus mit den Händen erreichen könnte, wenn der Wind einige Zweige herüber wehte. Ich amüsiere mich über die aufgebrachten Brillenvögel, die im Hof am Teich herumflattern, wenn sie etwas Abkühlung benötigen. Am späten Abend, wenn es ruhiger wird, lausche ich dem Plätschern vom Wasserspiel. Ich bemerke den Frosch, der um eine Partnerin wirbt und freue mich über die kleinen Glöckchen an der Schnur, die ich im Herbst neben den Bambusstrauch aufgehängt habe und die leise im Wind klimpern. Oder ich höre auf den starken Regen, der manchmal unvermittelt einsetzt und laut auf das Schuppendach prasselt. Dann wird es umgehend kühler und ich gehe in meine kleine Wohnung.
Es kommt auch vor, dass ich nach der Mahlzeit den alten Fernseher einschalte, den mein Mann gekauft hatte. Er sah sich sehr gerne Sportveranstaltungen im Fernsehen an oder Dokumentationen über verschiedene ferne Länder, die wir beide nie besucht haben. Wir hatten es uns aber auch nicht vorgenommen.

Vor der Wohnungstür steht heute eine Styroporkiste von einem Lieferservice. Ich habe sie schon im Laubengang vor anderen Eingängen liegen sehen. Er beliefert immer öfter alte Menschen oder auch berufstätige. Wenn man alles aufgegessen hat, stellt man die Schachtel einfach wieder vor die Tür, die dann abgeholt wird. Man zahlt einen Pauschalpreis im Monat. Ich ziehe es aber vor, weiterhin für mich selbst zu kochen. Es entspannt mich nach der Arbeit im Büro und ich liebe es, Gemüse zu verarbeiten, es je nach Garzeit in verschieden große Teile zu schneiden, bevor ich sie in einer großen Pfanne kurz brate. Früher bereitete ich mehrmals in der Woche Fisch zu. Mein Mann liebte Aal oder Petersfisch. Vielleicht gehe ich am Ende der Woche mal wieder auf den Fischmarkt unten am Hafen. Jetzt nehme ich erst einmal die Kiste mit in die Wohnung.

"Mai!" Die Nachbarin ruft. Sie wohnt über mir und verlässt das Haus nicht.
"Ich bin da", rufe ich zurück, "brauchst du etwas?" Wir wohnen unser halbes Leben in diesem Haus. Sie kümmert sich um ihren bettlägerigen Mann, so gut es geht. Ich bringe ihr hin und wieder etwas mit. Windeln zum Beispiel oder Zigaretten.
"Nein. Ich habe alles. Meine Tochter war heute hier. Ich habe gebacken. Hier. Nimm es dir raus", ruft sie und lässt einen Korb an einer Schnur am Balkon herab. Es ist ihr lieber so. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Ich nehme das Gebäck heraus.
"Das sieht gut aus. Danke dir, Mimi. Heute habe ich eine Essenslieferung bekommen. Weißt du, was das bedeutet? Hast du auch eine bekommen?"
"Nein", schreit sie von oben. Sie ist schon etwas taub. Immerhin ist sie zwanzig Jahre älter als ich.
"Kochst du nicht mehr selbst?"
"Doch. Doch", rufe ich, "das ist eine Verwechslung", sage ich mehr zu mir selbst.

Nachdem ich die Schachtel geöffnet habe, bin ich überrascht, wie heiß die Speisen sind. Es sind fünf Schalen mit fünf unterschiedlich zubereiteten Gerichten. Ich halte meine Nase nacheinander über jedes der Schälchen. Die Speisen sind einfach, duften köstlich. Ein Spargel-Lachs-Salat, eines mit gefüllter Eierrolle, es könnten Spinat und Pilze sein, frittierter Tofu, Hühnerspiesse und kalte Nudeln.
Ich esse langsam und genüsslich. Lange habe ich nicht mehr ein derart gutes Abendessen gehabt. Ich fühle mich regelrecht beschwingt und unternehmungslustig, als hätte ich ein Glas Bier getrunken und entschließe mich noch zu einem kleinen Spaziergang vor dem Schlafengehen.

Als ich erfrischt zurückkehre, schreibe ich auf einen kleinen Zettel: 'Haben Sie vielen Dank für die Lieferung. Ich habe schon sehr lange nicht mehr so gutes Essen zu mir genommen, aber leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich keine Kundin bin und versehentlich beliefert wurde. Bitte klären Sie diese Verwechslung. Freundliche Grüße, Mai'
Ich verstaue das Papier in einer ausgespülten Schale und gehe schlafen.

Am nächsten Abend steht vor meiner Wohnungstür erneut eine Schachtel des Lieferdienstes. Im ersten Augenblick denke ich daran, sie stehen zu lassen, dann entschließe ich mich aber, sie mit hineinzutragen, wo sie nun schon einmal da ist.
Außerdem bemerke ich eine kleine Freude tief in mir, wenn ich daran denke, welche Köstlichkeit mich heute erwarten wird. Ich bin geradezu ungeduldig und neugierig. Dann besinne ich mich, decke erst einmal den Tisch und rufe meiner Nachbarin zu:
"Hallo! Ich bin zu Hause. Ist alles gut bei dir?" Als keine Erwiderung folgt, gehe ich auf den Balkon und rufe erneut:"Mimi! Ist alles in Ordnung?"
"Ja doch. Alles bestens. Ich habe zu tun. Wir reden später." Ich muss lächeln. Die Alte ist trotz aller Umstände recht fidel und resolut.
Ich begebe mich zu Tisch und öffne langsam und mit allen Sinnen eine Schale nach der anderen. Im Gegensatz zu gestern fülle ich die einzelnen Speisen in meine eigenen Porzellanschalen, auf denen Kraniche getuscht sind, die wir zur Hochzeit von meinen Eltern bekommen haben. Seit ich allein lebe, habe ich sie nicht mehr benutzt. Mir genügen sonst die Keramikschüsselchen aus dem Supermarkt.
Zu meiner Verwunderung gibt es heute andere Speisen. Keine einzige ist wie gestern. Sogar mein Lieblingsgericht ist darunter: Hähnchen mit Lotuswurzel. Außerdem ein Gemüsesalat mit Sesamdressing, etwas Reis mit gegrilltem Thunfisch und Honigmelone in Kugeln gestochen. Die sind herrlich im Mund. Kühl und glatt, süß und saftig. Ich lache auf und erinnere mich für einen kurzen Augenblick an die junge Frau, die ich einmal gewesen bin. Dann bemerke ich einen Zettel.
"Mai! Mahai", Mimis Stimme überschlägt sich beinahe. "Gibt es was Neues?"
Eigentlich möchte ich den Zettel lesen, aber dann antworte ich doch zuerst:
"Nein, alles wie immer. Ich habe sogar wieder Essen bekommen. Sie haben den Fehler noch nicht bemerkt. Irgendjemand wird seit zwei Tagen nicht versorgt. "
"Dann wirst du wohl mal anrufen müssen, bevor noch ein Unglück geschieht."
"Ja. Das sollte ich. Du hast recht."
"Hast du alles aufgegessen?"
Augenblicklich überfällt mich ein schlechtes Gewissen. Wie egoistisch ich bin. Vor Ärger kneife ich die Augen zusammen und stampfe mit einem Fuß auf den Holzboden. Gefühlsausbrüche entsprechen eigentlich nicht meiner Natur, denke ich noch währenddessen.
"Nein. Lass' deinen Korb herunter. Ich fülle dir den Rest ein."
Ich lege etwas Gemüsesalat und zwei Melonenkugeln in den Korb und Mimi zieht ihn nach oben. Nachdem alles aufgeräumt ist, setze ich mich auf meinen Balkon und falte das Papier auseinander.

'Es freut mich sehr, dass Ihnen mein Essen geschmeckt hat. Ehrlich gesagt bekomme ich niemals ein Lob oder überhaupt eine Mitteilung, nicht mal eine Beschwerde. Es ist das erste Mal, dass jemand Kontakt aufnimmt. Also lassen Sie es sich weiter gut schmecken. Freundlicher Gruß, Kai'

Ich bin irritiert, weiß gar nicht, woran ich zuerst denken soll. Mein Herz schlägt schnell und stark, meine Wangen sind heiß, sicher auch rot. Als ich vom Sitz aufgesprungen bin, habe dabei die Teetasse umgestoßen. Sofort ruft Mimi: "Hej, was machst du denn für einen Lärm. Wieso zerschlägst du dein Geschirr?"
"Ein Versehen, Mimi. Beunruhige dich nicht."
Ich lese die Zeilen immer wieder. Die Aufregung legt sich und erneut beschleicht mich ein Gefühl, das sich am ehesten mit Freude bezeichnen ließe. Mein Herz wird groß und lebhaft. Ich fühle mich leicht und leer, wie ein zu füllendes, schönes Porzellangefäß. Ich kann meine Gedanken nicht sortieren, gehe in dem kleinen Zimmer hin und her. Und da ist es wieder, das junge Mädchen, vergraben im Körper einer reifen Frau.
"Hast du den Lieferservice angerufen?", schreit Mimi und bringt mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
"Nein. Ich ... "
"Wie bitte? Ich kann dich nicht verstehen. Schrei' mal lauter!"
"Ich erledige das gleich."
"Meinetwegen nicht. Mir hat's geschmeckt!" Ich höre Mimi in die Wohnung zurückschlurfen und dabei hinterlässt sie einen Duft aus Lotusblütenseife und Zigarettenrauch, der mit einem Lüftchen zu mir herunterweht.

'Werter Kai, Sie haben mich leider missverstanden. Ich habe Ihnen lediglich mitteilen wollen, dass ich zu unrecht ihr köstliches Essen geliefert bekomme. Ich erhalte es vermutlich anstelle eines anderen. Bitte veranlassen Sie doch das Nötige, damit alles wieder rechtens ist.
Im übrigen bin ich überwältigt von dem Lotuswurzelgemüse.
Lieber Gruß, Mai.'

'Liebe Mai, ich habe alle Kunden geprüft und jeder einzelne wird beliefert. Alles hat seine Richtigkeit. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie machen mich sehr glücklich mit Ihren Nachrichten. Manchmal denke ich, es macht keinen Sinn, hier zu kochen. Aber im Augenblick habe ich keine Wahl. Es gibt nicht viele Jobangebote für mich. Teilen Sie mir ruhig mit, mit welchem Essen ich Ihnen eine Freude bereiten könnte.
Und schön, dass sich unsere Namen ähneln. Lieber Gruß, Kai'

Ich habe das Gefühl, nur noch für sein Essen zu leben. Kai lässt sich nicht davon abbringen, mir die täglichen Mahlzeiten zukommen zu lassen. Und schon beim Aufstehen kann ich an nichts anderes mehr denken, als an den Moment, in dem ich die Schachteln öffne, den köstlich zubereiteten Inhalt verspeise und seine Zettel lese. Seit zwei Wochen erhalte ich jeden Abend das Essen und immer ist ein Brief von Kai darunter. Er ist geschieden und lebt noch nicht lange hier in der Stadt. Ich erwidere diese Briefe und habe ihm erzählt, dass ich auch verheiratet war und in einer Agentur arbeite.
Im Büro redet man über mich. "Was geht nur mit dir vor?", fragt eine Kollegin unvermittelt nach Büroschluss. "Du bist verändert.
Man könnte meinen, du hättest einen Jungbrunnen entdeckt." Ich merke, wie ich erröte, winke nur ab und laufe schnell zur Bahn.

"Liebe Mai, es mag seltsam klingen, aber ich möchte Sie unbedingt sehen, möchte wissen, wer Sie sind, die meine Speisen zu schätzen weiß. Ich habe übermorgen um neunzehn Uhr Feierabend und warte dann in der Bar am Hafen auf Sie.
In freudiger Erwartung, Kai'

"Wieso bist du nicht auf der Arbeit? Bist du krank?" Mimi klingt gereizt.
"Ich habe mir ein paar Tage frei genommen. Ich gehe aber gleich aus dem Haus. Brauchst du etwas?"
"Ja. Bring' doch bitte Zigaretten mit. Wo willst du denn hin?"
"Ich gehe zum Friseur und kaufe mir eine neue Bluse", rufe ich nach oben. "Ich weiß gar nicht, wann ich das zuletzt getan habe", füge ich etwas leiser hinzu.
"Jaja, mach das mal. Und erzähle mir dann von dem Mann, den du triffst. Vergiss die Zigaretten nicht."
Ich habe das Gefühl zu schweben seitdem ich den letzten Brief erhalten habe. Es fehlt mir buchstäblich Bodenhaftung und das flatterhafte Ding in meiner Brust ist kaum zu bändigen. Ich kleide mich sehr sorgfältig. Zur neuen Bluse in Weiß habe ich mich noch für einen dunkelroten Rock entschieden, der knapp meine Knie bedeckt. Die flachen schwarzen Schuhe glänzen und stehen an der Tür bereit für meine Verabredung.
Vorher gehe ich ein weiteres Mal ins Bad, um mein Aussehen zu prüfen. Ich trage das frisch geschnittene Haar offen, meine Haut ist klar, der Körper schmal. Durch das offene Fenster weht der Geruch einer Zigarette und als ich mir noch einmal die Hände mit der Lotusblütenseife wasche, schrumpft mein Herz plötzlich zusammen.

Es ist voll in der Bar am Hafen. Ich finde aber noch einen freien Platz an einem Tisch mit zwei nicht besetzten Stühlen. Es ist erst halb sieben. Ich wollte vor ihm dort sein. Geduldig sitze ich vor einem Glas Wasser und niemand beachtet mich. Alle Leute unterhalten sich angeregt, essen eine Kleinigkeit und trinken Bier. Ich sitze sehr aufrecht, weil ich ziemlich angespannt bin und bemerke ihn sofort, als er den Raum betritt. Er ist jünger, als ich vermutete. Ich schätze ihn auf Ende vierzig. Was ist nur in mich gefahren? Er setzt sich an den Tresen und hält Ausschau. Ununterbrochen reckt er den Hals und schaut sich um. Er trägt Jeans und ein weißes Hemd. Seine Haare sind ziemlich lang und er ist rasiert. Ich stehe auf, lasse etwas Kleingeld auf dem Tisch liegen und verlasse die Bar, ohne ihn anzusehen.

'Lieber Kai, Sie haben hoffentlich nicht allzu lange in der Bar am Tresen gesessen und auf mich gewartet. Ich saß an einem Tisch und habe sie beobachtet. Verzeihen Sie mir. Sie sahen so erwartungsfroh und lebendig aus, so frisch und voller Zuversicht.
Als ich mich für unsere Verabredung im Bad zurecht machte, nahm ich den Geruch von Seife und Zigarettenrauch wahr. Meine Nachbarin umgibt stets dieses Duftgemisch. Sie heißt Mimi und ist achtundsiebzig Jahre alt. Sie wohnt mit ihrem kranken Mann über mir. Dieser Geruch weckte zusätzlich die Erinnerung an meine Großmutter, die sehr alt wurde.
Ich war erst fünfundvierzig Jahre alt als mein Mann starb. Noch relativ jung.
Und als ich mich heute kurz vor unserem Treffen im Spiegel betrachtete, bin ich mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich alt geworden bin in der ganzen Zeit allein in meiner Wohnung.
Ich wünsche Ihnen eine Zukunft voller Liebe und Zuversicht.
Bitte schicken Sie mir keine Mahlzeiten mehr.
Herzlichst, Mai '

Es sind seither einige Tage vergangen und jeden Abend, wenn ich von der Arbeit zurückkomme und vor meiner Wohnungstür stehe, fühle ich mich schwer. Natürlich erwarte ich nicht, dass die Kunststoffbox mit dem Abendessen dort wieder stehen wird, aber da sie nun tatsächlich nicht mehr dort steht, versetzt es meinem Inneren jedes Mal einen kleinen Stich. Es kommt keine Nachricht mehr von Kai.
Die Luft im Raum ist abgestanden und ich öffne die Tür zum Balkon. Mit einer frischen Brise vom Meer weht auch der Duft vom nahenden Sommer herein. Ich bleibe stehen und nehme einen tiefen Atemzug. Ich habe keinen Appetit, auch nicht das Bedürfnis, Mimi zu sprechen. Ich empfinde eine neue Leere, eine, die nicht zu füllen ist und alles, was mich bisher zufrieden stimmte in meinem Leben, hat keine Bedeutung mehr.
Ich schalte den Fernsehapparat ein und blicke daran vorbei, als es an der Tür klingelt. Mechanisch, ohne zu denken, gehe ich und öffne sie.
Es ist Mimi. Beinahe hätte ich sie nicht erkannt. Es ist einige Zeit her, seit wir uns gesehen haben.
Ich hatte sie nicht so groß und kräftig in Erinnerung.
"Was guckst du so verdattert? Ich bin's doch. Meine Güte, erkennst du mich etwa nicht?" Ich greife nach Mimis Händen. Sie fühlen sich knochig und zart an.
"Sie haben ihn heute früh abgeholt. Du warst gerade aus dem Haus. Er ist kurz darauf im Krankenhaus gestorben."
Wir gehen in die Wohnung und setzen uns gemeinsam auf den Balkon, nachdem ich noch einen Hocker dazugestellt habe.
Wir schweigen und rauchen gemeinsam jede eine Zigarette.
"Mai!" Jemand ruft vom Hof aus.
Mimi und ich sehen einander an.
"Mai. Bitte. Ich stehe hier unten!"
"Na, nun schau' schon nach oder soll der arme Kerl sich komplett lächerlich machen", schimpft Mimi, steht selbst auf und sieht hinunter in den Hof.
"Was schreist du hier herum? Hast du keine Manieren? Was willst du?"
"Sind Sie Mai?", fragt der arme Tropf kleinlaut und erschrocken.
"Iwo. Die sitzt hier. Neben mir", antwortet Mimi und sieht mich an, "nun steh' schon auf!", mault Mimi und zieht mich am Arm.
Ich erhebe mich nur langsam und blicke über das Balkongeländer. Dort steht Kai.
Er lächelt verhalten und hebt den Arm, in der Hand eine Tüte.
"Ich habe gekocht. Wollen wir gemeinsam essen?"
"Falls was übrig bleibt, leg' s in meinen Korb", sagt Mimi und geht mit mir zur Wohnungstür.
Als ich sie öffne, steht Kai schon schüchtern lächelnd davor.
Ich habe mich geirrt. Er ist viel älter, als ich annahm.

 

He Kanji

ich schreib dir noch mal, vielleicht habe ich mich zu kryptisch ausgedrückt: ich finde die Geschichte richtig gut, da steckt viel drin, du versteckst manches oder setzt Schwerpunkte, die mich vom Eigentlichen ablenken, von dem, was da transportiert wird.

Dafür braucht es etwas Länge, weniger wäre dennoch mehr gewesen für meinen Geschmack.
Wie habe ich mir das praktisch vorzustellen? Wovon mehr, wovon weniger?
ich finde du zählst zu viele Speisen auf, die Beziehung zu Mimi ließe sich ausbauen, ein Gespräch oder dergleichen... und ich kapier echt nicht, wo die wohnt, kommt mir vor wie mitten im Grünen, dann wieder wie ein Hochhaus...

hier gibst du gleich am Anfang Info, verortest den Charakter,
Ist das jetzt okay oder geht's so nicht?
das ist sehr gut, gefällt mir :thumbsup:

Ausserdem kommen jetzt beide ungeduscht zur Verabredung.
:D

Und iwo, Isegrims, Kai ist kein Arsch. Der wurde versetzt, weiß jetzt ja auch, was das alles bedeuten soll. Der denkt halt ein bisschen länger.
well, yea, stimmt eigentlich :Pfeif:

Ich habe mich geirrt. Er ist viel älter, als ich annahm.
und er kocht viel besser, nee.., auch nicht
und sie ist viel jünger ... nee
und erheißt gar nicht Kai :)
vielleicht fällt dich was ein

liebe Grüße
Isegrims

 
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Liebe Kanji,

diese Geschichte hat mich an einen Film erinnert, den ich gar nicht gesehen habe, nur den Trailer. "Kirschblüten und rote Bohnen". Außerdem hast du sie an meinem Geburtstag veröffentlicht und nicht zuletzt heißt die Geschichte und die Protagonistin Mai, mein Lieblingsmonat, zumindest wenn er überwiegend gutes Wetter mitbringt.

Deine Geschichte hat mir großen Lesegenuss bereitet. Mir gefällt die Achtsamkeit, die aus jedem Satz, aus jedem der sorgsam gewählten Worte strahlt. Und der Inhalt ist schon sehr romantisch, verliert aber nicht an Bodenständigkeit und lässt manchmal auch ein Quentchen Humor durchlugen, wenn ich mir das nicht bloß einbilde.

An manchen Stellen wirkt mir das Schöne aber fast zu dick aufgetragen. Weiter unten gehe ich darauf ein. Zen dürfte dir ein Begriff sein. Unser im Geiste ganz ähnliches Sprichwort "Weniger ist mehr" kennst du auch und ich bin mir sicher, das hast du – meist – berücksichtigt.

Ein bisschen Textarbeit
Wie immer – alles nur Vorschläge. Übernimm, was du magst, und lass den Rest für die Kraniche da.

  1. Manchmal bringt sie mir eine Tasse Tee oder Selbstgebackenes an meinen Platz, fragt mich um Rat oder lädt mich nach Büroschluss in die Bar gegenüber des Büros ein.
    • Wortwiederholung Büro >> lädt mich nach Büroschluss in die Bar gegenüber ein.
  2. Ich bemerke den Frosch, der seine Liebste ruft
    • Das Balzritual von Tieren, wie das Quaken eines Frosches, ist meines Wissens auf zukünftige Partner gerichtet. Keine Ahnung, ob es extreme Fälle von Vergesslichkeit gibt, aber meist kann von "seiner Liebsten" keine Rede sein, denn wenn er quakt, gibt es sie ja noch nicht.
  3. Mir bleibt es dann aber erspart, die vielen Kräutertöpfe zu gießen.
    • Das "aber" ist hier ein unnötiges Füllwort, das zudem auch vom Sinn her nicht recht passt.
  4. Mit allen Sinnen begebe ich mich zu Tisch und öffne langsam eine Schale nach der anderen. Im Gegensatz zu gestern fülle ich die einzelnen Speisen in meine eigenen Porzellanschalen. Die, auf denen Kraniche getuscht sind, die wir zur Hochzeit von meinen Eltern bekommen haben. Seit ich allein lebe, habe ich sie nicht mehr benutzt. Mir genügen sonst die Keramikschüsselchen aus dem Supermarkt.
    • Nicht falsch, aber ich würde das "mit allen Sinnen" vor das Öffnen der Schale platzieren.
    • Zur Hochzeit haben die Eltern Kraniche geschenkt? >> ... fülle ich die Speisen in meine eigenen Porzellanschalen mit getuschten Kranichen, einst Hochzeitsgeschenk meiner Eltern.
  5. Ich bin irritiert, weiß gar nicht, woran ich zuerst denken soll. Derart durcheinander war ich lange nicht. Mein Herz schlägt schnell und stark, die Wangen sind heiß, sicher auch rot und vom Sitz aufgesprungen bin ich auch und habe dabei die Teetasse umgestoßen. Sofort ruft Mimi: "Hej, was machst du denn für einen Lärm. Wieso zerschlägst du dein Geschirr?"
    • In meinen Augen wirkt das einen Tick manieriert, ich kann es aber nirgendwo festmachen, ist nur so ein GeGefühl.
  6. Ich habe das Gefühl, nur noch für sein Essen zu leben. Kai lässt sich nicht davon abbringen, mir die täglichen Mahlzeiten zukommen zu lassen. Und schon beim Aufstehen kann ich an nichts anderes mehr denken, als an den Moment, indem ich die Schachteln öffne, die köstlich zubereiteten Lebensmittel verspeise und seine Zettel lese.
    • was Flüchtiges >> Moment, in dem
    • Lebensmittel, das Wort klingt so furchtbar deutsch-bürokratisch. Vorschlag >> Inhalt
  7. Ich schwebe, seitdem ich den letzten Brief erhalten habe, ein Stück über dem Boden. Es fehlt mir buchstäblich Bodenhaftung und das flatterhafte Ding in meiner Brust ist kaum zu bändigen.
    • Unnötige Sinnwiederholung "über dem Boden schweben" / Bodenhaftung fehlt.
  8. Durch das offene Fenster weht der Geruch einer Zigarette und als ich mir noch einmal die Hände mit der Lotusblütenseife wasche, schrumpft mein Herz plötzlich zusammen.
    • Wieder der leichte Hang zu Manieriertheit, auf dem Weg zum Kitsch. Die unwichtigsten atmosphärischen Details könntest du weglassen, dadurch würde die Geschichte gewinnen.
  9. Seine Haare sind ziemlich lang und er ist und rasiert. Ich stehe auf und verlasse die Bar, ohne ihn anzusehen.
    • Ein "und" ist wohl von Satzumstellungen übrig geblieben.
    • "Herr Wirt", ruft Kai, "die Dame da prellt Sie um die Zeche. Ich laufe ihr nach, halte sie – um ihre Hand an." :lol: ;)
  10. Ich war eine junge Witwe.
    • Eine Witwe ist sie ja immer noch, nur nicht mehr jung >> Ich wurde Witwe / Mein Mann starb, als ich fünfundvierzig Jahre jung war.

Jetzt aber Schluss mit der Meckerei. Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen. Auch, weil die Geschichte mal die Erotik ganz ausklammert. Das finde ich ja eher nicht oft, was aber auch daran liegen könnte, dass ich eh nicht diese Sorte von Geschichten bevorzuge.


-- floritiv

 
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Hej floritiv,

wie schön, dass die Geschichte so positiv auf dich gewirkt hat, sogar "großen Lesegenuss" :shy: Das freut mich sehr. Den erwähnten Film kenne ich leider nicht. Ich hatte tatsächlich viel Freude daran, den Text achtsam anzugehen und dabei ist wohl das "Tempo" entstanden und auch die zum Teil etwas "entrückte" Sprache - denke ich, die man wohl auch manieriert nennen kann oder "dick aufgetragen". :shy:

Deine Vorschläge habe ich größtenteils korrigiert, weil sie mir logisch und nötig erscheinen. Von dem atmosphärischen Details konnte ich mich nicht trennen, lösten die Gerüche doch Zweifel in ihr aus.

Ich habe keine "Meckerei" empfunden, deine Hinweise waren sehr hilfreich und ich danke dir dafür.

Herzlicher Gruß, Kanji


Hej Isegrims,

bei dieser Gelegenheit möchte ich gerne noch einmal auf dich zurückkommen, denn "kryptisch" empfinde ich deine Bemerkungen sicher nicht, im Gegenteil, ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, eine weitere Ebene, zu entwickeln, in der Mimi mehr zum Tragen kommt, aber leider ist es mir nicht gelungen. Zu einem erweiterten Ende konnte ich mich auch nicht durchringen, zweifle jetzt aber auch. Mist. :hmm:

Vielen Dank nochmal für deinen Kommentar, Kanji

 

Salü Kanji

Schön, schön, schön! Habe schon einmal eine Geschichte von dir gelesen, war davon aber nicht so begeistert. Das war die Geschichte von den Löchern, in die Frauen fallen. Die hier freilich, die gefällt mir.

Der Verlauf ist fesselnd. Zuerst lässt die Geschichte wenig ermutigendes erhoffen. Eine Frau wird pensioniert. Das könnte auf eine Krise deuten. Aber stattdessen erlebt sie, was sie die goldene Zeit des Lebens nennt. Dass es sich dabei nicht allein um Friede und Freude, Lust und Genuss handelt, zeigt sich auch, wodurch die Geschichte kontrastreich und spannend wird. Dann die Sache mit Kai, die ihrem Leben eine bestimmt Richtung gibt und den Fortgang der Geschichte besonders spannend macht. Was mir daran gefiel, war, dass es vor dem glücklichen Ende noch eine Strecke gab, während der man um das Glück der Heldin bangen muss. Ohne diesen Teil, der so etwas wie Angst vor der Liebe zeigt, wäre die Geschichte ein einfaches Rührstück. Sie ginge eher langweilig einfach gerade auf ihr Ziel hin, das dann auch noch rundum befriedigend wäre, was wohl für den Leser nicht sehr anspruchsvoll wäre. Mit der Möglichkeit des Scheiterns, die sich am Schluss zeigt, wird die Sache aber um einiges besser und eben fesselnd.
Als Fazit könnte man sagen: Mir gefallen die Gegensätze, die sich in deiner Geschichte auftun, mir gefällt, dass du ausführlich erzählst, schilderst und beschreibst, und mir gefällt, dass am Schluss der Lebensmut siegt.

Irgendwo habe ich ein Wort gefunden, das du beim Überarbeiten wahrscheinlich vergessen hast zu streichen. Das zu suchen lohnt sich jetzt aber nicht. Wenn ich beim ersten Lesen allein ein einziges Wort finde, das vielleicht übersehen wurde, sonst aber nicht ein Fehler auffällt, dann ist es gut.

Gruß teoma

 

Hej teoma,

wenn ich nicht versuchen würde, Störgefühle, wie Stolz, zu vermeiden, würde ich ihn jetzt wohl empfinden. Dass du deinen Kommentar mit einem dreifachen 'schön' beginnst, motiviert mich zumindest. :shy:
Diese Texte hier im Forum sind meine ersten und ich probiere mich aus (wie die meisten wohl hier).
Ich habe diese Geschichte sehr gerne geschrieben und freue mich, dass du sie gerne gelesen hast.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hej, lieber ThomasQu,

das 's ja nett, dass du mal vorbeischaust!
Und dann hast du die Geschichte auch noch so sorgsam gelesen, dass dir die Fehler aufgefallen sind. ;)

Es gefällt mir, mir vorzustellen, wie wohl du dich beim Lesen gefühlt haben könntest und das, obwohl ich weiß, wie abgefahren deine eigenen Geschichten so sind.

"Gut gegen Nordwind" habe ich grad mal nachgesehen. Damit erweitere gleich mal meine Leseliste. Virtuell geht das natürlich auch. Wäre dann nicht so 'strange'.

Danke und lieben Gruß, Kanji

 

Liebe Kanji,

Rotmeise meinte ich müsse mal "Mai" lesen und es hat sich tatsächlich gelohnt. Nach "Löcher in die Frauen fallen" ist das die zweite Geschichte, die ich von dir gelesen habe. Und diese gefällt mir noch viel besser. Ich mag Mai und wie sie ihre Umgebung wahrnimmt. Sie erfreut sich an kleinen Dingen, doch diese sind meist die Schönsten. Und sie vermisst ihren Mann. Auch die Freundschaft zu Mimi bewegt mich, die zwei haben kein einfaches Leben aber meistern es doch vorbildlich, und dass es am Ende noch ein Happy End für Mai gibt. Super.

Nur eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:

Als ich vom Sitz aufgesprungen bin, habe ich dabei die Teetasse umgestoßen.

Danke für diese berührende Story von Mai.

Lg, chico

 

Hej ThomasQu,

glaub' mir, ich habe die ganze Zeit über deinen Vorschlag nachgedacht. Er wäre echt eine Option, aber so wie du Mai siehst, sehe ich sie nicht. Sie ist sehr zurückhaltend und in der vollen Bar mit hohem Geräuschpegel und vielen Paaren wagt sie es nicht, direkt zu blicken. Zum anderen ist sie mehr über sich selbst erschrocken, weil sie in den vergangenen Jahren nicht bemerkte, dass sie alt wurde.
Dir sieht diese Wendung allerdings ähnlich ;)

Übrigens, die Nachbarin Mimi finde ich stark beschrieben!

Das 's superklasse und freut mich am allermeisten: einen Nebencharakter mit markanter Wirkung! Guter Hinweis für andere Geschichten!

Danke für all deine Gedanken und Zeit für mich, Kanji

Hej Chico1989,

na die Rotmeise ist schon eine aktive Wortkriegerin! ;) So reizend von ihr! :shy:

Schön, dass du dir die Zeit genommen hast und noch viel schöner, dass du die Geschichte gern gelesen hast! Ich denke, ich sollte weiter üben, mich auch die kleinen Dinge in Geschichten zu konzentrieren. Das scheint einigen gutzutun und ich habe es wirklich sehr gerne geschrieben.

Um die kleine "Auffälligkeit" kümmere ich mich.

Bis bald, Kanji

 

Liebe Kanji,

nachdem hier nun mein Name bereits gefallen ist, ohne dass ich überhaupt einen Kommentar geschrieben habe, sollte ich das aber nun wirklich endlich mal nachholen. :lol:
Dass mir deine Geschichte sehr gefallen hat, zeigt bereits meine Weiterempfehlung. Deine leise Erzählweise und Liebe zum Detail (die hier deutlich besser zum Vorschein kommen als bei „der Weg“) und nicht zuletzt natürlich auch die asiatischen Elemente ;) sprechen mich sehr an.

Vielleicht könntest du Mais erster Zettelbotschaft ebenfalls einen eigenen Absatz gönnen und die „Mai“ noch hinzufügen.

den köstlichen zubereiteten Inhalt
Was Aufzählungen angeht, bin ich nun wirklich kein Experte, aber rein gefühlsmäßig klingt „den köstlich zubereiteten Inhalt“ besser.

"Was schreist du hier herum? Hast du keine Manieren? Was willst du?"
"Sind Sie Mai?", fragt der arme Tropf kleinlaut und erschrocken.
Dass Mimi den fremden Mann duzt, passt zu ihr, sie ist großartig.

Dass Kai vom Hof aus nach Mai ruft, finde ich etwas dramatisch, denn er weiß ja, hinter welcher Tür er sie findet. Aber manchmal muss das bei Liebesgeschichten ja auch so sein, oder? ;)

Liebe Grüße,
Rotmeise

 

Liebe Rotmeise,

schnell eine Reaktion auf deinen hilfreichen Kommentar, bevor ich die Geschichte später von unten wieder heraufhole.:shy:

Es ist wirklich erstaunlich, wie lange man mithilfe anderer Geschichtenschreiber an einem Text arbeiten und ihn verbessern kann. Darüber freue ich mich unbändig.

Ich habe deine feinen Verbesserungen genutzt und du hast Recht. Manchmal sind es die Feinheiten.

Zu Kais Verteidigung: er ist der Koch, nicht der Lieferant und kennt somit nur durch Recherche ihre Adresse, nicht den Eingang. Aber dennoch wäre dieser kleine Effekt auch auch so tragbar.

Danke für deine Zeit und Freundlichkeit, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Kanji,

deine Geschichte berührt mich sehr, nicht zuletzt, weil ich selber Köchin bin und deinen Kai gut verstehen kann. Wie sehr würde ich mich über einen Zettel mit Rückmeldung freuen;)
Aber auch die ganze Atmosphäre gefällt mir. Ist alles irgendwie so harmonisch. Die gute Mai scheint ein zufriedenes Leben zu führen. Das gefällt mir.

Ich zerpflück mal: Was mir gut gefallen hat ist das hier:

Er sah sich sehr gerne Sportveranstaltungen im Fernsehen an oder Dokumentationen über verschiedene ferne Länder, die wir beide nie besucht haben. Wir hatten es uns aber auch nicht vorgenommen.
Nicht gemacht, nicht bereut, alles gut.

Vor der Wohnungstür liegt heute eine Styroporkiste von einem Lieferservice. Ich habe sie schon im Laubengang vor anderen Eingängen liegen sehen.
...liegt eine Kiste? Steht die nicht eher? Na, nicht so wichtig.

Er beliefert immer öfter alte Menschen oder auch berufstätige.
Berufstätige

Windeln zum Beispiel oder Zigaretten.
Die Stelle mag ich auch sehr. Zeigt in drei Worten ganz viel von dem Leben, das Mimi führt...

Auch ne tolle Stelle:

Außerdem ein Gemüsesalat mit Sesamdressing, etwas Reis mit gegrilltem Thunfisch und Honigmelone in Kugeln gestochen. Die sind herrlich im Mund. Kühl und glatt, süß und saftig. Ich lache auf und erinnere mich für einen kurzen Augenblick an die junge Frau, die ich einmal gewesen bin. Dann bemerke ich einen Zettel.

Da rieche ich das Essen geradezu und spüre die Melone im Mund. Und dann der Bezug zum Alter. Süß und saftig ist die Jugend. Sehr schön:)

Gestolpert bin ich bei

"Ein Versehen, Mimi. Beunruhige dich nicht."
Da hab ich bei allen drei Durchgängen zuerst "Beruhige dich nicht" gelesen und war kurz raus...
Aber "Beruhige dich" würde auch irgendwie doof klingen...

Insgesamt finde ich deine Geschichte richtig gut. Der ganze Aufbau allein schon. Als wär man dabei. Und dann immer diese Gerüche und Geräusche und Geschmäcker. Ich hab das Gefühl, hier riecht´s nach chinesischem Restaurant oder auch nach Lotusblütenseife. Oder Mimis Zigarettenrauch.

Und dann ein happy end ohne kitschig zu sein. Das schafft diese Geschichte eben so gut. Sie ist schön, harmonisch, alles, was passiert, ist kein Drama, selbst als Mimis Mann stirbt, wird das mit dieser fernöstlichen Gelassenheit hingenommen. Sie ist in Pastellfarben gemalt aber doch kein bißchen kitschig.
Respekt, und danke für´s Lesevergnügen.
Liebe Grüße
Wildente

 

Hej Wildente,

Schön, dass du die Geschichte gefunden, gelesen und kommentiert hast. Danke.
Zu kochen ist eine elementare Tätigkeit, die man nicht genug schätzen kann und wenn man sie noch professionell betreibt, für andere Menschen, Lebensmittel zu verarbeiten, ist das mindestens eine Notiz wert. Ich habe das natürlich auch noch nie gemacht. Obwohl in einigen Restaurants 'holt' der Koch sich sein Kompliment ja direkt vom Tisch ab. :hmm:, was mich dann immer etwas einschüchtert.

Wie sehr würde ich mich über einen Zettel mit Rückmeldung freuen

liegt eine Kiste? Steht die nicht eher? Na, nicht so wichtig.

Da hast du recht. Sie steht natürlich vor der Tür.

Berufstätige

Alte und berufstätige Menschen.

Da rieche ich das Essen geradezu und spüre die Melone im Mund. Und dann der Bezug zum Alter. Süß und saftig ist die Jugend.

Schön, dass es bei dir funktioniert hat.

Und dann immer diese Gerüche und Geräusche und Geschmäcker. Ich hab das Gefühl, hier riecht´s nach chinesischem Restaurant oder auch nach Lotusblütenseife. Oder Mimis Zigarettenrauch.

Hier habe ich kurz gelacht und musste an eine Textstelle von "Die Ärzte" denken "... und immer deine Freunde, ihr nehmt doch alle Drogen ..."

Ich freue mich so sehr, dass es bei dir geklappt hat. Ich selbst hab mir beim Schreiben auch schon eingebildet, es würde im Zimmer nach Zigaretten riechen. Niemand raucht bei mir.

Sie ist schön, harmonisch, alles, was passiert, ist kein Drama, selbst als Mimis Mann stirbt, wird das mit dieser fernöstlichen Gelassenheit hingenommen. Sie ist in Pastellfarben gemalt aber doch kein bißchen kitschig.
Respekt, und danke für´s Lesevergnügen.

Wenn man genau hinsieht, dann ist diese Gelassenheit mit Dingen, die passieren und nicht zu ändern sind, nicht nur eine asiatische Tugend. Sehr alte Menschen haben sie auch. Sie sind manchmal eher in der Lage nicht gegen etwas anzukämpfen, was sie nicht ändern können.
Vor Kitsch hatte ich zum Glück beim Schreiben gar keine Angst. Wer weiß, vielleicht wäre der Text sonst vielleicht so geworden.

Herzlichen Dank für deinen schönen Kommentar.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,

eine "uralte" Geschichte taucht wieder auf - da wurde ich neugierig und habe Deine Antwort auf die letzte Kritik gelesen. Danach musste ich Deine Geschichte einfach lesen.

meine Mutter öfter besuchen
Da überkommt mich leichte Besorgnis. Sie geht auf die Rente zu und ihre Mutter müsste dann schon recht alt sein. Da kann ich nur sagen: Sei froh, dass du noch eine Mutter hast und nutze das aus, bevor es zu spät ist ...

Brillenvögel
also in Europa oder den USA spielt die Geschichte nicht. Das finde ich erfrischend - mal ein ganz anderer Spielort.

Wir hatten es uns aber auch nicht vorgenommen.
Das deutet auf eine Bodenständigkeit (wie die Kräutertöpfe) und Gelassenheit.
Als ich vom Sitz aufgesprungen bin, habe ich dabei die Teetasse umgestoßen. Sofort ruft Mimi: "Hej, was machst du denn für einen Lärm. Wieso zerschlägst du dein Geschirr?"
Das scheinen ja sehr hellhörige Wohnungen zu sein. Denn wirklich still ist es nach dem Beginn des Textes ja auch nicht.

Ich habe mich geirrt. Er ist viel älter, als ich annahm.
Ein wunderschöner Schluss.

Eine Geschichte der leisen Töne und zögernden Begegnungen, Habe ich sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hej jobär,

sehr freundlich, den 'alten' Text zu lesen und so reizend zu kommentieren. Mithilfe der Wortkrieger ist daraus ein lesefreundliche Geschichte geworden, die man ohne anzustoßen flockig lesen kann und sich ganz auf den Inhalt konzentrieren.

Da überkommt mich leichte Besorgnis. Sie geht auf die Rente zu und ihre Mutter müsste dann schon recht alt sein. Da kann ich nur sagen: Sei froh, dass du noch eine Mutter hast und nutze das aus, bevor es zu spät ist ...

Oja, viele Japaner werden sehr alt. Auf einigen Inseln ist man 80 noch jung. :D Mai ist sicher dankbar, noch eine Mutter an ihrer Seite zu haben.

Brillenvögel
also in Europa oder den USA spielt die Geschichte nicht. Das finde ich erfrischend - mal ein ganz anderer Spielort.

An deinem Kommentar kann ich sehen, worauf ein gewissenhafter Leser so achtet, und dass man wirklich aufpassen muss. Auf jedes einzelne Wort. Vorzugsweise.

Wir hatten es uns aber auch nicht vorgenommen.
Das deutet auf eine Bodenständigkeit (wie die Kräutertöpfe) und Gelassenheit. [/QUOTE

Auch ein scheinbar unbedeutender Satz. Das freut mich sehr und motiviert mich, achtsamer zu sein.

Als ich vom Sitz aufgesprungen bin, habe ich dabei die Teetasse umgestoßen. Sofort ruft Mimi: "Hej, was machst du denn für einen Lärm. Wieso zerschlägst du dein Geschirr?"
Das scheinen ja sehr hellhörige Wohnungen zu sein. Denn wirklich still ist es nach dem Beginn des Textes ja auch nicht.

Mai sitzt auf dem Balkon und überall sind alle Fenster und Türen geöffnet. Die Wohnanlage ist auch eher klein.

Danke für deine freundlichen Worte und noch einen schönen Sommerabend, Kanji

 

Hallo Kanji,
dein wunderschöner Text wurde bereits ausführlich kommentiert. Dennoch möchte auch ich mein Kompliment hinzufügen: eine einfühlsame und stimmungsvolle Beschreibung der kleinen Welt Mais und ihrer einsamen Freuden. Du konstruierst geschickt einen Spannungsbogen durch das Rätsel "Wer steckt dahinter". Mir hat auch dein indirekter Hinweis darauf gefallen, welche Folgen ein ehrliches Lob haben kann. Man wünscht deiner Mai so sehr ein Happy End. Schön, dass du ihr und mir diesen Wunsch erfüllt hast.
Herzliche Grüße
Thoni

 

Hej Thoni,

es ist wirklich sehr freundlich (und etwas beschämend) die Geschichte nur wegen eines Kompliments zu kommentieren.
Aber mittlerweile ist das, neben der wunderbaren Tatsache mithilfe engagierter "Wortkrieger", eine gute Geschichte zu entwickeln, ein wunderschöner Nebeneffekt, wenn am Ende ein Leser einfach nur auf einer emotionalen Ebene davon profitiert und sie gerne gelesen hat.
Mehr kann ich mir nicht wünschen.

Dir wünsche ich noch einen schönen Sonntag, Kanji

 

Hallo Kanji,

das ist eine wirklich schöne und gut erzählte Geschichte. Gerade die Figuren, wie du sie beschreibst und ihnen Eigenheit und Leben gibst, das hat mir sehr gut gefallen und finde ich auch viel schöner, als in dem anderen Text, den ich von dir gelesen (und genau das angekreidet) habe. Also wirklich gut, und ich habe es sehr gerne gelesen. Mai beschreibst du sehr schön, auch bekommt der Konflikt zwischen Kai und ihr eine schöne Tiefe bzw. spürt man da unter der Oberfläche etwas brodeln, eine Atmosphäre, die auch sehr schön durch die ältere Frau über ihr mit ihrem kranken Mann symbolisiert wird. Ich finde, der kranke Mann symbolisiert schön etwas Krankes, das in Mai seit dem Tod ihres Mannes gelebt hat, und das mit dem Erscheinen von Kai verschwindet. Wirklich, sehr schön. Ich bin noch sehr weit von diesem Alter und auch vom Konflikt des Alterns und "Altseins" entfernt, aber gerade, weil mir deine Geschichte das glaubhaft und fühlbar rübergebracht hat, finde ich sie sehr gelungen. Kritische Punkte oder Stellen fallen mir jetzt nach dem Lesen tatsächlich keine ein/auf. Du hast sehr viel richtig gemacht. Auch die Idee mit den Zetteln fand ich hübsch, hat mich ein wenig an Tintenfischs Nur ein paar Zettel erinnert, aber doch auf deine ganz eigene Art und Weise.

Also, super, und weiter so.

Gruß
zigga

 

Hej Bas,

da hast du also Mai einen Besuch beschert.

Ich bin einfach - wie auch bei Kawabata - verwundert, dass diese Thematik, die in ihren Grundzügen so wenig mit meinem Leben gemeinsam hat und eher unaufregend daherkommt, mich so berührt.

Und das berührt mich ebenso.

Schreib mir die Handlung hinten auf einen Buchdeckel oder erzähl mir von einem Film, in dem die von Selbstzweifeln geplagte Büroangstellte Mai, die eigentlich nur Kontakt zu ihrer alten Nachbarin pflegt und sich dann Hals über Kopf in einen geheimnisvollen Liebhaber verguckt - ich würde wahrscheinlich weder das Buch noch den Film freiwillig anrühren.

Stimmt, klingt jetzt echt nicht wie ein Kassenschlager. :shy: Aber vielleicht, wenn man sich wirklich einlässt und tragen und einfangen lässt für die kleinen Dinge, gewinnt man etwas wie Ruhe oder Wohlbehagen, etwas in der Art.

Dass Mai, die sich schon viel zu lange in ihren schützenden Panzer zurückgezogen hat, diese Schutzmechanismen am Ende aber abzulegen scheint und sich auf ein neues Abenteuer einlässt, ist ein wirklich schöner Rahmen, der für meinen Geschmack eher einen impressionistischen Anstrich hat, während ich den Expressionismus bevorzuge.

Ach, ich fürchte, die Zeit vergeht schneller als man meint und Mai handelte zu wenig und schwups, Rentenalter.
Dass du an den Impressionismus denkst, freut mich, denn ich dachte während des Schreibens gerne an entsprechende Bilder, die auf mich beruhigend wirken.

Die Gänsehautstatistik steht jetzt übrigens bei drei von drei. Hier hattest du mich:

Und als ich mich heute kurz vor unserem Treffen im Spiegel betrachtete, bin ich mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich alt geworden bin in der ganzen Zeit allein in meiner Wohnung.


Du bist schon einer ... ;)

Herzlichen Dank für die Schilderung deiner Empfindungen zur Geschichte, Kanji

Hej zigga,

es ist echt hilfreich, dass du zeitnah zu meiner letzten Geschichte, diese zum Anlass nimmst, noch einmal zu verdeutlichen, was gut und was unklar ist. Ich denke, ich habe mehr verstanden.

Ich bin noch sehr weit von diesem Alter und auch vom Konflikt des Alterns und "Altseins" entfernt, aber gerade, weil mir deine Geschichte das glaubhaft und fühlbar rübergebracht hat, finde ich sie sehr gelungen.

Ich verstehe. Vermutlich sollte ich meine Orientierungsphase beenden und mich darauf konzentrieren, wo meine "Stärke" liegt. Auch auf die Gefahr hin, dass alle Geschichten zukünftig ähnlich klingen. :shy:

Wenn ich vielen Leser gute Empfindungen mit Atmosphäre und tieferen Charakteren machen kann, warum nicht?

Kritische Punkte oder Stellen fallen mir jetzt nach dem Lesen tatsächlich keine ein/auf. Du hast sehr viel richtig gemacht.

Na, das liegt daran, dass die Wortkrieger ordentlich gesucht, gefunden und aufgezeigt haben, was weg kann, besser geht, dies das. Du hast einfach Glück, das Resultat lesen zu können. ;)

Auch die Idee mit den Zetteln fand ich hübsch, hat mich ein wenig an Tintenfischs Nur ein paar Zettel erinnert, aber doch auf deine ganz eigene Art und Weise.

Ich glaube Mai hat keine Wahl - sie hat gar kein Mobiltelefon.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Ich freue mich, dass ich selbst jetzt noch davon profitiere.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hola Kanji,

das freut mich sehr, dass ‚Mai’ noch einmal in den Fokus geraten ist. Auch ich bin ein Fan dieser Geschichte – die hat ihren festen Platz in meinen Top Ten.
So leicht dahin könnte man sagen: Schade, dass man so etwas nicht zwölfmal im Jahr produzieren kann, aber dann wär’s ja nicht so einmalig wie ‚Mai’.

Es bleibt bei dem, was ich schon letztes Jahr schrieb:

Mir hat es gefallen und ich recke beide Daumen nach oben.

Beste Grüße!
José

 

Hej, lieber josefelipe,

es ist sehr charmant, mich daran zu erinnern, wie gerne du diese Geschichte gelesen hast. Aber das hättest du gar nicht gebraucht; ich habe es selbstverständlich nicht vergessen. Wie könnte ich?
Und stünde es in meiner Macht, würde ich, nur um dich zu erfreuen, jeden Monat eine solche schreiben.
Ich bleib dran, auch weil es mich glücklich macht. ;)

Top Ten :eek: Wow.

Herzlichen Dank und eine gute Nacht, Kanji

 

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