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Mahagoni
Jemand schlug von außen gegen die Tür, gegen die mahagonifurnierte Spanplattentür, und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und verebbte schließlich im Hinterkopf, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.
„He, Sie! Wollen Sie da drin übernachten, oder was?“
Kein Grund, sich für irgendwas zu rechtfertigen, dachte er, kein Grund, sich zu entschuldigen. Für nichts. Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.
„Was?“
„Verdammt, ich muss echt dringend.“
„Scheiß auf eine Zeitung und schieb’s unter der Tür durch.“
Der Spruch war nicht von ihm, den hatte er irgendwo aufgeschnappt. Aus irgendeinem Film war der, er wusste nicht mehr, aus welchem. Michel Piccoli hatte jedenfalls mitgespielt, daran meinte er sich dunkel zu erinnern.
Immer dieses Erinnern. Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte. Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien. Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war es ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, ihm Halt geben. An dieser Tür, dieser hässlichen, braunen Tür, die aus einer längst vergangenen Zeit stammte, aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch undurchdringlich waren und unermesslich groß. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und billigst verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen. Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!
Aus zwei Zentimetern Entfernung betrachtet, oder drei, sah das gar nicht nach Echtholz aus, genaugenommen. Einfach nur nach irgendeinem Material. Billig, braun, hässlich. Nach Konformität sah das aus und nach elendigem Spießertum. Nach verlogenen Träumen, nach verlorener Jugend. Nach nichts, in Wahrheit. Oh Gott. Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Eines Tages werde er ihm dankbar sein, da könne er drauf wetten, hundertpro, da könne er Gift drauf nehmen, und wenn er mal selber Kinder hätte, werde ihm schon ein Licht aufgehen, da werde er an seine Worte denken, wirst schon sehen und so weiter.
Und Herumgebrülle, dass die Nachbarn zusammenliefen.
Und spätabends dann mit dem Moped weg, zum Walter oder zum Leo, und mit denen zum Brückenwirt oder über die Serpentinen auf den Aschberg rauf ins Florida, Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken. Fast jeden Abend. Leo erwischte es mit siebzehn, Walter ein Jahr später.
Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe, und ihm dann den Autoschlüssel unter der Tür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Spielt das eine Rolle?“