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Müller und Wollenscheidt

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20.01.2012
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Müller und Wollenscheidt

Müller lag in einem bequemen Krankenhausbett und dachte nach. Er hatte Mühe seine Gedanken zu ordnen, zu viel ist in letzter Zeit geschehen.
Es war im Mai vor zwei Jahren. Dass es um die Firma, für die er arbeitete, nicht besonders gut bestellt war, wusste Müller. Deshalb wunderte es ihn auch nicht, dass der Seniorchef die gesamte Belegschaft eines Morgens in die Betriebskantine bat. Es würde wohl Entlassungen geben, munkelte man. Aber Müller war nicht sehr besorgt. Seit dreißig Jahren war er mittlerweile im Betrieb und zählte mit seinen achtundfünfzig Lenzen fast schon zum Inventar. Müller durfte den Seniorchef sogar duzen und auch zum Juniorchef hatte er als „alter Hase“ einen guten Draht. „ Es ist schon schade, wenn jetzt wieder ein paar von den jungen Leuten entlassen werden“, dachte Müller, „wie sollen die sich denn etwas aufbauen, wenn sie ständig arbeitslos sind? Andererseits, früher waren die Zeiten auch manchmal hart“.
Seine anfängliche Gelassenheit wich langsam einer seltsamen Neugier. Auf dem Podium nahmen, neben den beiden Chefs und Klaus Neumann vom Betriebsrat, zwei Herren in feinen Anzügen und passenden Krawatten Platz. Der Seniorchef beendete das Schweigen, „liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es fällt mir nicht leicht, heute zu Ihnen zu sprechen. Wie Sie sicher alle wissen, sind uns allein im letzten Jahr, drei große Aufträge weggebrochen und auch für die nächsten Jahre sieht es düster aus. Es ist meine Pflicht, Sie darüber zu informieren, dass unsere Firma Insolvenz angemeldet hat. Aus eigener Kraft können wir Ihre Löhne und Gehälter nicht mehr zahlen. Herr Dr. Abendroth an meiner linken Seite wurde vom zuständigen Gericht zum Insolvenzverwalter bestellt. Er und sein Mitarbeiter, Herr Schmidt werden versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Herr Dr. Abendroth möchte noch kurz ein paar Worte an sie richten“.
Es folgten einige Ausführungen zum organisatorischen Ablauf der Insolvenz. Das Insolvenzgeld für die nächsten drei Monate sei gesichert, die Gespräche mit der zuständigen Agentur für Arbeit liefen konstruktiv und es werde eine Auffanggesellschaft gegründet, die sich für ein Jahr um die Qualifizierung und Vermittlung der Betriebsangehörigen kümmere. „Alles in allem, keine guten Nachrichten, aber auch kein Grund schwarz zu sehen“, meinte jedenfalls Herr Dr. Abendroth.
Irgendwie war Müller jetzt doch etwas anders zumute. „Aber mit meinen achtundfünfzig Jahren werde ich mich schon irgendwie durchschlagen“, dachte er, „ erst mal ein Jahr in dieser Auffanggesellschaft verbringen, dann schlimmstenfalls zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen und anschließend mit ein paar Euro Abzug in Rente gehen. So schlimm wird es für mich schon nicht werden“, sprach er sich Mut zu.
Seine Frau Gisela war alles andere als begeistert, als sie die Neuigkeiten erfuhr. Sie ließ sich das aber nicht anmerken. „Da haben wir schon ganz andere Zeiten durchgestanden“, tröstete sie ihren Mann, obwohl sie den Zuspruch vielleicht mehr als dieser gebraucht hätte.

Nun ja, die Zeit blieb nicht stehen, der Betrieb konnte sich nicht an die neuen Wettbewerbsbedingungen anpassen, die Konkurrenz aus Asien war einfach zu mächtig. Bei allem guten Willen, Herr Dr. Abendroth war eben kein Magier. Aber er hatte auch für seine Angestellten zu sorgen und wickelte die Firma, mit viel Geschick und Routine, sauber ab.
Müller befand sich nun schon den zehnten Monat in der Auffanggesellschaft. Er übte fleißig das Schreiben von Bewerbungen, lernte Word und Excel und wie man einen Tag auch alternativ über die Runden bringt, er nahm an simulierten Vorstellungsgesprächen teil und wurde älter. Arbeit fand er nicht. Zudem wurde Müller, jedenfalls nach Meinung von Gisela, immer sonderbarer, er fing an gereizt zu reagieren und hatte oft schlechte Laune. Gisela hatte den Eindruck, dass sie ihm kaum noch etwas recht machen konnte. Einmal war ihm das Essen zu kalt, ein anderes Mal fehlte das Salz in der Suppe. Der Staub auf dem Fernsehapparat hatte ihn doch sonst nie gestört. Müller wusste doch, dass sie abends müde von der Arbeit nachhause kam, konnte er nicht selbst einmal zum Staubtuch greifen, zudem er ja kaum ausgelastet ist in seiner Auffanggesellschaft?
Woche um Woche verging. Die letzten zwei Monate der Auffanggesellschaft brachten nichts Nennenswertes für Müller.

Es ging nunmehr nicht anders. Müller meldete sich beim Arbeitsamt. „Die sind ja ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe“, dacht Müller. Den Termin besorgten ihm die Mitarbeiter der Auffanggesellschaft. Müller musste keine Nummer ziehen und kaum, dass er sich im Warteraum niedergelassen hatte, wurde er auch schon persönlich von einem, auf ihn nicht unsympathisch wirkendem Mann, zirka dreißig Jahre alt, in dessen Dienstzimmer begleitet.
„Guten Tag, mein Name ist Wollenscheidt, ich bin Ihr zuständiger Arbeitsvermittler und möchte Ihnen helfen, so schnell wie möglich wieder Arbeit zu finden“. Wollenscheidt befragte Müller zu dessen Lebenslauf, nahm Fähigkeiten und Fertigkeiten auf und suchte in seinem Computer nach passenden Stellen für Müller, schade dass er keine finden konnte. Wollenscheidt verabschiedete sich freundlich, mit dem Hinweis darauf, dass Müller den nächsten Termin zugeschickt bekäme. „War doch gar nicht so schlimm“, dachte Müller und war doch etwas erleichtert. Nicht erleichtert war Wollenscheidt. „Wieder ein Neunundfünfzigjähriger“, dachte der Vermittler. Ihm klang noch die letzte Dienstberatung in den Ohren. Der Geschäftsführer der örtlichen Arbeitsagentur persönlich nahm sich die Arbeitsvermittler zur Brust, „… und vor allem kommt es darauf an, die älteren Arbeitslosen zügig aus unserem Bestand zu bekommen. Diesen Auftrag haben wir schließlich von der Politik erhalten. Das Renteneintrittsalter wird doch nicht ohne Grund auf 67 Jahre erhöht. Auch die älteren Menschen werden am Arbeitsmarkt gebraucht. Wir müssen hierfür jedes Mittel nutzen und ich betone ausdrücklich, für manche wird es Härten geben. Neben unseren Vermittlungsbemühungen müssen wir verstärkt auf die Eigeninitiative der Arbeitslosen bauen“, waren seine Worte. Im Protokoll wurde festgelegt, dass sich jeder Arbeitslose bei mindestens zwanzig Arbeitgebern zu bewerben hat, wohlgemerkt im Monat. Das Alter des Arbeitslosen spiele dabei keine Rolle. Gerade die Älteren mit Ihren Erfahrungen werden in besonderem Maße gebraucht. Das solle auch in einer Zielvereinbarung zwischen Arbeitsagentur und Arbeitslosem dokumentiert werden. Wer dem nicht nachkomme, habe anscheinend kein Interesse Arbeit zu finden und werde aus dem Bestand genommen. So richtig überzeugt war Wollenscheidt nicht, schließlich hat er ja erlebt, wie schwierig es für seinen Vater war, nach der letzten Entlassung wieder Arbeit zu finden. Aber was sollte er machen? Ewig wollte sich der Beamte den Stress mit den Arbeitslosen aber nicht antun. Sein mittelfristiges Ziel hieß „Teamleiter“. Stellvertretener Teamchef war er bereits und wenn er den Auswahltest im Assessment Center der Bundesagentur in Nürnberg gut absolviert, dürfte dem Aufstieg nichts im Wege stehen. Wenn da nicht die verfluchten „Zahlen“ wären, die er, wie jeder Vermittler, zu bringen hatte, Eintritte in Bildungsmaßnahmen, Vermittlungsgutscheine, Trainingsmaßnahmen und vor allem Vermittlungen in Arbeit oder anderweitige Reduzierung des Bestandes an Arbeitslosen. „Aber das schaffe ich schon“, war sich Wollenscheidt sicher.

Zwischen Müller und Gisela kam es immer häufiger zum Streit. „Ihn stört aber auch jede Fliege an der Wand“, fand Gisela. „Ist ja nicht schlecht, dass Du mehr Geld als ich nach Hause bringst, aber musst Du das immer so betonen, Gisela“, waren Müllers Worte.
Mittlerweile musste Müller bereits das fünfte Mal zu Wollenscheidt. Die anfänglichen Sympathien für den jungen Mann sind nach und nach verflogen. Müller hatte sich doch bereits bei dutzenden Firmen in der Region beworben, immer ohne Erfolg. Noch nicht einmal zum Gespräch wurde er eingeladen, obwohl er so reich an Erfahrung war. Auch der Lehrgang, den er auf Wollenscheidts Veranlassung besuchte, war nicht der große Bringer, dümmer wurde er davon jedoch auch nicht. „Herr Müller“, begann Wollenscheidt das Gespräch, „seit sechs Monaten sind sie nun arbeitslos und kein einziges Vorstellungsgespräch kam zu Stande, das ist ja nicht berauschend!“ Müller wusste nicht wie er antworten sollte. „Wir müssen also unsere Bemühungen verstärken“, fuhr Wollenscheidt fort, „ das heißt konkret, ab jetzt stellen Sie sich bundesweit zur Verfügung, kleine Kinder haben sie nicht und in unserer Region finden Sie ja nichts. Zum nächsten Termin weisen Sie mir bitte nach, dass Sie sich mindestens bei zwanzig Arbeitgebern, im gesamten Bundesgebiet, beworben haben“. Müller schluckte. „Der Schnösel, bekommt regelmäßig sein fettes Beamtengehalt vom Staat und will mir etwas von Arbeit erzählen, wo ich hin geschissen habe, hat der noch nicht mal hin gerochen“, dachte er. „Ja, in Ordnung Herr Wollenscheidt“, antwortete Müller.

Wollenscheidt hatte Angst, in drei Monaten sollte er eigentlich das Assessment Center besuchen. Aber da wird wohl nichts draus, wenn seine „Zahlen“ weiter so schlecht sind. Ein paar Mal wurde der Arbeitsvermittler von seinem Bereichsleiter schon gerüffelt. Vor allem habe er viel zu viel ältere Arbeitslose in Betreuung. Da sei zum Beispiel dieser Müller, „mir ist es unerklärlich, weshalb sich hier immer noch nichts tut“, tadelte der Chef. Wollenscheidt versicherte, sich ab jetzt noch intensiver um Müller zu kümmern. Doch wieder vergingen drei Monate. Jedes Mal, wenn Müller in die Agentur bestellt wurde, liefen ihm kalte Schauer über den Rücken. Doch jetzt fasste er Mut. „Ich lasse mich doch von diesem Fatzke nicht terrorisieren“, dachte Müller. Diesmal wollte er es darauf ankommen lassen. Müller brachte demonstrativ keine Bewerbungsnachweise zum Termin mit. Wollenscheidt nahm das erstaunlich gelassen zur Kenntnis. „Na gut Herr Müller, das ist Ihre Entscheidung, das muss ich akzeptieren. Sie wollen also unsere Dienstleistung nicht mehr in Anspruch nehmen, da sie Ihren Teil der Eingliederungsvereinbarung nicht einhalten. Deshalb melde ich Sie heute als Kunden der Agentur für Arbeit ab. Ihre Frau hat ja Arbeit und sicher haben Sie etwas gespart. Da müssen Sie sich den Stress hier nicht mehr antun. Ab heute brauchen Sie sich nicht mehr bei mir zu melden“.
Müller zitterte am ganzen Körper, „aber Herr Wollenscheidt, das können Sie doch nicht machen, soviel verdient meine Frau doch auch nicht, wovon sollen wir denn leben?“ „Das müssen Sie selbst wissen Herr Müller, wenn Sie wirklich bedürftig sind, können Sie ja Arbeitslosengeld zwei beantragen, unser Sozialstaat lässt keinen auf der Straße schlafen“. „Arbeitslosengeld zwei, das ist doch dieses Hartz Vier“, schoss es Müller durch den Kopf, „bei dem man alle Ersparnisse auf den Tisch legen muss“. Wie im Trance verließ er Wollenscheidts Büro. Bevor Müller nach Hause ging, trank er am Bahnhof noch schnell ein Bier.
Wollenscheidt war sich seiner Gefühle nicht so recht sicher, einerseits tat ihm dieser Müller schon etwas leid, andererseits muss sich jeder irgendwie an die Regeln halten. Es war schließlich Müllers Schuld, warum hat er sich auch nicht beworben? „Ich muss auch an meinen Aufstieg denken“, und widmete sich wieder den Vorbereitungen auf die Prüfung im Assessment Center. Seine „Zahlen“ waren ja jetzt nicht mehr so schlecht.
Als Müller vom Bahnhof nach Hause schlenderte, nahm er den etwas längeren Weg durch den Stadtpark. Müller wollte Gisela nach seinem Tiefschlag nicht so schnell unter die Augen treten. Plötzlich fiel sein Blick auf etwas metallisch silbern Glänzendes in einer mäßig gestutzten Hecke. Müller bückte sich und staunte nicht schlecht, eine echte Pistole. Das konnte Müller einschätzen, denn während seiner Armeezeit hatte er viel mit solchen Dingern zu tun. Sogar ein vollständig gefülltes Magazin war dabei. Müller nahm die Waffe an sich und beschloss, diese am nächsten Tag bei der Polizei abzugeben. Am darauffolgenden Morgen, Müller saß allein am Frühstückstisch, Gisela war ohne sich zu verabschieden bereits ins Büro gegangen, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, „ja genau, das mache ich, mein Leben ist sowieso versaut“. Müller zog seine schwarze Jacke an, steckte die silberne Pistole ein und verließ das Haus. Schnurstracks lief er in Richtung Arbeitsamt. Müller schaute weder nach links noch nach rechts, mit gesenktem Kopf und Tunnelblick durchquerte er, wie ferngesteuert, die Straßen seiner Stadt. Diesmal nahm er den kürzesten Weg. Als Müller die befahrene Goethestraße überquerte, nahm er lautes Quietschen eines bremsenden Autos wahr. Dann wurde es schwarz um ihn.

Im Krankenhaus kam Müller zu sich. „Herr Müller, Sie müssen ja einen Schutzengel haben, das hätte schlimmer ausgehen können als ein gebrochenes Bein und ein paar Prellungen. Wenn der Autofahrer nicht so schnell reagiert hätte, wären Sie jetzt im Jenseits“, meinte der Chefarzt während der Visite am übernächsten Morgen. Müller wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte, er konnte seine eigenen Gefühle nicht deuten. Aber wenigstens hatte er jetzt Ruhe vor diesem Wollenscheidt.
Wollenscheidt war verärgert. Das sollte doch sein großer Tag werden. Wochenlang bereitete er sich auf die Prüfung in Nürnberg vor und auf dem Weg dorthin, in der Goethestraße, lief ihm dieser Müller in seinen neuen Audi. Ausgerechnet der Müller, so ein Pech aber auch. Das Assessment Center konnte er erst mal vergessen. Vielleicht bekommt er in sechs Monaten noch mal einen Termin, aber wer weiß schon, wie seine „Zahlen“ dann sind. Wollenscheidt verfluchte Müller, obwohl in ihm auch so etwas wie Mitleid aufkam.
Die silberne Pistole verfing sich in einem Knallerbsenstrauch am Straßenrand, als sie aus Müllers schwarzer Jacke geschleudert wurde.

 

Hallo Bluelion

Und Herzlich Willkommen bei kurzgeschichten.de.

Dein Debüt hat mir soweit gut gefallen, interessant finde ich die parallel beschriebenen Interessen des Arbeitslosen und des Arbeitsvermittlers sowie die Konflikte, die sich aus diesen Interessen ergeben. Einzelne gesellschaftliche Aspekte - wie bspw. die Bürokratisierung des gesamten Vorgangs, die Herabstufung individueller Schicksale zu blossen "Ressourcen", die irgendwo untergebracht werden müssen - könnten mMn ausführlicher beschrieben sein, hier beschränkst du dich auf den Zahlendruck, den die Vermittler zu leisten haben. Bspw. könnte man noch den Aspekt einer viel zu hohen Anzahl an Arbeitslosen pro Vermittler unterbringen, das kommt höchstens indirekt vor.

Schön finde ich auch, wie du nach und nach die Spannungen zwischen Müller und seiner Frau (gibt es einen Grund, dass du ihn immer beim Nach-, sie aber beim Vornamen nennst?) aufgrund der Arbeitslosigkeit beschreibst. Auch hier könntest du von meiner Seite aus gern noch mehr ins Detail gehen, vieles klingt zwar an, dürfte aber in einem literarischen Text ruhig etwas ausgebaut werden. So bringst du die Figuren und ihre Schicksale dem Leser näher; wenn du es bei kurzen Beschreibungen belässt, klingt es manchmal zu sehr wie ein Bericht, die Figuren bleiben dann fern und berühren den Leser nicht so sehr.

Inhaltlich schwächelst du am Ende etwas, finde ich. Die Pistole, die geladen in einem Gebüsch herumliegt - naja. Nehme ich dir nicht so recht ab, ehrlich gesagt. Das kann man glaubhafter lösen, so könnte Müller bspw. Mitglied in einem Schützenvererein sein, dann könnte er legal diese Waffe besitzen. Auch seine Idee, mit der Waffe in die Arbeitsagentur zu laufen (was er dort vorhat überlässt du dem Leser) finde ich gut und prinzipiell auch nachvollziehbar - aber auch hier müsstest du, um wirklich glaubhaft zu sein, die Wut und Verzweiflung von Müller noch genauer beschreiben. Auch das lässt du immer wieder anklingen, wie er seine ganzen negativen Gefühle auf Wollensscheidt kanalisiert - ja, aber ähnlich wie bei den anderen Stellen finde ich das einfach ein bisschen zu wenig. So richtig will es mir beim Lesen noch nicht überspringen, dass ich das wirklich glaubhaft finde. Das Ende erinnert dann ein wenig an Dürrenmatt - der Täter, der auf dem Weg zu seiner Tat in einen Verkehrsunfall verwickelt wird und die Tat deshalb nicht ausführt. Und beide werden durch diesen Unfall auf ihre Weise gerettet - Müller, weil er die Tat, die sein Leben zerstört hätte, nicht ausführen kann und Wollenscheidt, der (vermutlich) deshalb mit dem Leben davonkam. Kann man schon machen, aber mir wirkt das ein wenig zu gezwungen, zu zufällig, ehrlich gesagt. Mich würde interessieren, warum du dich für dieses Ende entschieden hast anstelle den Plot konsequent zu Ende zu führen (das könnte bspw. auch damit enden, dass Müller vor Wollenscheidt sitzt und die Waffe dann doch nicht zieht). Wäre in meinen Augen das stärkere Ende; die Geschichte ist ja von der Handlung her sehr bodenständig, da stören mich die vielen Zufälle (die Waffe, der Unfall) am Ende eher.

Soviel mal zum Inhaltlichen. Zum Stil sage ich später noch was dazu, mir rennt grad ein wenig die Zeit davon.

Bis später.

 
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Hallo Schwups,

vielen Dank für das herzliche Willkommen. Schön, dass Dir mein Debüt insoweit gefallen hat.

"Herabstufung individueller Schicksale zu blossen "Ressourcen", die irgendwo untergebracht werden müssen - könnten mMn ausführlicher beschrieben sein, hier beschränkst du dich auf den Zahlendruck, den die Vermittler zu leisten haben. Bspw. könnte man noch den Aspekt einer viel zu hohen Anzahl an Arbeitslosen pro Vermittler unterbringen, das kommt höchstens indirekt vor."

Das kann man wirklich machen, aber dann würde die Geschichte viel länger und ich wollte diese relativ kurz halten und nicht zu sehr ausschweifen.

" (gibt es einen Grund, dass du ihn immer beim Nach-, sie aber beim Vornamen nennst?)"
Ja, das ich Müller nur beim (Allerwelts)Nachnamen nenne, hat den Grund, dass dieses Schicksal fast jeden treffen kann.

" wenn du es bei kurzen Beschreibungen belässt, klingt es manchmal zu sehr wie ein Bericht, die Figuren bleiben dann fern und berühren den Leser nicht so sehr."

Das stimmt, damit wollte ich verdeutlichen, wie das "System" die Menschen funktionieren lässt, ein wenig bin ich von Kafkas "Prozess" inspiriert worden (soll nicht vermessen klingen).

"Das kann man glaubhafter lösen, so könnte Müller bspw. Mitglied in einem Schützenvererein sein, dann könnte er legal diese Waffe besitzen."

Sehr gute Idee, schade, dass ich nicht darauf gekommen bin.

"Mich würde interessieren, warum du dich für dieses Ende entschieden hast anstelle den Plot konsequent zu Ende zu führen (das könnte bspw. auch damit enden, dass Müller vor Wollenscheidt sitzt und die Waffe dann doch nicht zieht). "

Ich wollte dem Ganzen eine unvorhergesehene Wendung geben, da der Leser ja glaubt, zu wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Viele Grüße

 

Hallo Bluelion

Anbei noch mein versprochener Nachtrag zum Stil:

Ich finde, die Geschichte liest sich angenehm, mir sind wenig Stolpersteine aufgefallen. An der einen oder anderen Stelle ist es mir ein wenig zu flapsig für eine Erzählung in der 3. Person, es erinnert zu sehr an eine wörtliche Rede, bspw. hier:

Nun ja, die Zeit blieb nicht stehen, der Betrieb konnte sich nicht an die neuen Wettbewerbsbedingungen anpassen,

Man kann das schon so machen, mir persönlich gefällt es nicht so gut.

Was etwas störend gewirkt hat, waren einige Fehler in der Zeit, hin und wieder hast du Präteritum / Plusquamperfekt durcheinandergebracht.

Hier mal im Detail was ich mir notiert habe:

Er übte fleißig das Schreiben von Bewerbungen, lernte Word und Excel und wie man einen Tag auch alternativ über die Runden bringt, er nahm an simulierten Vorstellungsgesprächen teil und wurde älter.

Das ist ein schönes Ende für diesen Satz, hat mir gut gefallen!

Woche um Woche verging. Die letzten zwei Monate der Auffanggesellschaft brachten nichts Nennenswertes für Müller.

Mit diesen beiden Sätzen endet dein zweiter Abschnitt. Ich würde den zweiten davon streichen, finde das Ende "Woche um Woche verging" besser; bei mir ist es häufig so, dass die letzten Sätze eines Absatzes stärker in Erinnerung bleiben, und da dein letzter Satz hier keine Aussagekraft mehr hat, würde ich es bei dem stärkeren Vorletzten belassen (oder, um deinem Stil treu zu bleiben: "Und so verging Woche um Woche.") - der gefällt mir, denn er besagt schon, dass die Zeit ins Land zieht, ohne dass etwas Wesentliches passiert, und das in gerade mal vier Worten.

„Die sind ja ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe“, dacht Müller.

dachte

wurde er auch schon persönlich von einem, auf ihn nicht unsympathisch wirkendem Mann,

wirkenden

Stellvertretener Teamchef war er bereits und wenn er den Auswahltest im Assessment Center der Bundesagentur in Nürnberg gut absolviert, dürfte dem Aufstieg nichts im Wege stehen.

Da du hier in der Vergangenheit schreibst, solltest du "absolvierte" nehmen.

„Ist ja nicht schlecht, dass Du mehr Geld als ich nach Hause bringst, aber musst Du das immer so betonen, Gisela“

"Sie" als Anrede wird gross geschrieben, "du" jedoch nicht.

Mittlerweile musste Müller bereits das fünfte Mal zu Wollenscheidt. Die anfänglichen Sympathien für den jungen Mann sind nach und nach verflogen.

Da die Sympathien zu dem Zeitpunkt des fünften Besuches nicht mehr da waren, müsste es heissen: "... waren nach und nach verflogen".

Auch der Lehrgang, den er auf Wollenscheidts Veranlassung besuchte, war nicht der große Bringer, dümmer wurde er davon jedoch auch nicht.

Dieser Ausdruck passt hier sprachlich nicht rein.

das heißt konkret, ab jetzt stellen Sie sich bundesweit zur Verfügung, kleine Kinder haben sie nicht und in unserer Region finden Sie ja nichts.

Sie

Wollenscheidt hatte Angst, in drei Monaten sollte er eigentlich das Assessment Center besuchen. Aber da wird wohl nichts draus, wenn seine „Zahlen“ weiter so schlecht sind.

Auch hier wechselst du plötzlich wieder in die Gegenwart. Meiner Meinung nach müsste es korrekt heissen: "Aber da würde wohl nichts draus, wenn seine "Zahlen" weiter so schlecht waren".
Btw: Dass du Zahlen immer in Anführungszeichen schreibst, finde ich nicht nicht so gut. Denn es handelt sich ja wirklich um Zahlen. Wenn du es hervorheben willst, fände ich kursiv passender.

Wie im Trance verließ er Wollenscheidts Büro.

in Trance

Wollenscheidt war sich seiner Gefühle nicht so recht sicher, einerseits tat ihm dieser Müller schon etwas leid, andererseits muss sich jeder irgendwie an die Regeln halten.

Bleib in der Vergangenheit: musste. Und, wenns geht, streich das "irgendwie".

Es war schließlich Müllers Schuld, warum hat er sich auch nicht beworben?

Hier Plusquamperfekt: hatte

Das konnte Müller einschätzen, denn während seiner Armeezeit hatte er viel mit solchen Dingern zu tun.

Wieder PQP: ... hatte ... gehabt. Vielleicht fällt dir auch noch was Besseres anstelle von "Dingern" ein.

Wochenlang bereitete er sich auf die Prüfung in Nürnberg vor und auf dem Weg dorthin, in der Goethestraße, lief ihm dieser Müller in seinen neuen Audi.

Wochenlang hatte er sich auf die Prüfung in Nürnberg vorbereitet KOMMA und ...

Also wie gesagt, ich habe die Geschichte gerne gelesen, hätte mir an der einen oder anderen Stelle noch mehr Tiefgang / mehr Details gewünscht. Du schreibst, du wolltest die Geschichte kurz halten, was ich verstehen kann; kurze Geschichten versprechen idR eine grössere Leserschaft. Jedoch lässt sich nicht jedes Thema ausreichend in wenigen Worten skizzieren; hier geht es ja um - insbesondere, wenn man das Ende beachtet - wichtige psychologische Aspekte, da darf man dann ruhig auch mal ein wenig ins Detail und weg von Allgemeinplätzen gehen.

Aber ja, insgesamt hats mir gefallen und ich bin gespannt auf weitere Geschichten von dir.

Viele Grüsse.

 

Hallo Schwups,

danke für dein Feedback, es hilft mir sehr. Ich werde Deine Anregungen demnächst in die Geschichte einbauen.

Viele Grüße

 

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