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Diese Kurzgeschichte spielt auch auf dem Generationenschiff, der Schauplatz des geplanten Romans sein wird. Dennoch ist die Geschichte abgeschlossen, wenn auch das Ende Fragen offen lässt.
Möge das Licht ...
[edit] Es gibt Neuigkeiten im letzten Beitrag. [/edit]
Was ist Sein? Was ist Bewusst.Sein?
Ist [Es] Gebunden an Körper.Sein?
Und kann [Es] ersetzt werden, Ohne Körper.Sein zu zerstören?
[Ich] erwache in Fremd.Sein ...
/ Fragment aus dem Archiv-Prolog //
Das Protokoll der langen Reise
Anhänge der verlorenen Prakasha-Chronik
Im Jahr 804 nach dem ersten Licht.
Die Schicht zog sich in die Länge, wie ein alter Kaugummi. Die endlosen Zahlenreihen auf dem Display verschwammen vor seinen Augen. Thos Gerson tippte an seine Brille und deaktivierte die Prüfziffern in der Retina-Projektion. Dann drehte er sich im Sitz des diensthabenden Physikers um 180 Grad und ließ den Blick über sein Team schweifen. Jeder Einzelne widmete sich konzentriert seinen Aufgaben. Gut so. Der große Monitor an der Längswand ihrer Station zeigte eine hochauflösende Ansicht der zentralen Sonne mit den fraktalen Mustern. Der bläuliche Rand der künstlichen Sonne verriet ihm, dass zur Zeit Sauerstoff geerntet wurde. Die drei bewohnten Ringe der Prakasha drehten sich langsam um den strahlenden Ball aus fusionierendem Helium. Die untere Bildleiste war gefüllt mit Darstellungen einzelner Fraktale und technischen Details: Schwerkraft-Status, Oberflächen-Temperatur, Molekül-Fluss und -Menge, Gesamt-Energie-Ertrag. Alle Werte waren im Normbereich. Der Oberste Bra`man, Hüter des Kurses, würde zufrieden sein.
Über sein Implant fragte Gerson die aktuelle Zeit ab und der brain.link gab ihm die Zahl durch. Der alte Physiker seufzte. Noch mehr als 240 Pingminuten. Er hatte die Schichten im Controller-Zentrum nie gemocht und heute war es auch nicht besser. Er gab dem Implant einen Pausen-Code durch und lehnte sich zurück. Aus dem Spender neben seinem Sitz zog er eine Flasche Wasser. Offensichtlich war seine Müdigkeit auch dem brain.link aufgefallen, denn das Wasser schmeckte leicht nach Zitrone und Ingwer. Sein bio.status meldete ihm automatisch die Koffein-Dosis, die dem Wasser beigemischt worden war. Er ließ den Sitz in die halbliegende Position sinken und legte die Beine hoch. Als die Massage-Funktion einsetzte, atmete er langsam aus und schloss die Augen. Er hatte immerhin köstliche zehn Pingminuten Zeit zu entspannen.
Nach der Pause reaktivierte Thos Gerson den Retina-Projektor und wandte sich mit einem Seufzer wieder seinen Zahlenreihen zu. Sie zeigten Energie-Verbrauch, Ressourcen, Schwerkraft-Status und ähnliches für die verschiedenen Bereiche der Prakasha. Das riesige Generationen-Schiff war ein Meisterwerk an Physik und Ingenieurskunst, ein Wunder. Bei ihrer ersten Zündung vor 804 Jahren war sie das größte und beste Schiff gewesen, das die Menschheit je gebaut hatte. Aber auch Wunderwerke altern und müssen gewartet werden. Jede Anomalie in den Zahlen konnte auf ein Problem hinweisen oder eine Katastrophe ankündigen. Deshalb diese Schichten und deshalb mussten sie wachsam bleiben.
Plötzlich richtete er sich ruckartig auf. Was ist das? Das Archivmodul hatte in den letzten zwei Wochen ungeheure Mengen an Sauerstoff verbraucht. Das Archiv? Dort lagerte in langen Reihen von 'Bewahrern' das Erbe der Erde. Gerson mochte diese religiösen Formulierungen nicht, er dachte lieber an Kryo-Container und Millionen von DNA-Bänken bei Temperaturen nahe absolut Null. Die regelmäßigen Rituale und Indoktrinationen der Bra`man hinterließen wohl auch bei Physikern ihre Spuren.
Dort ist doch nie jemand. Aber warum war dort Sauerstoff verbraucht worden. 12,5 Tausend Einheiten. Beim Licht, was geht hier vor? Da ist doch nichts. Seine Müdigkeit war schlagartig verschwunden. Stattdessen zeigte der bio.status einen kritischen Puls und erhöhte Muskelanspannung im Oberkörper. Am Nacken spürte er kalten Schweiß. Er tippte ein paar Befehle und der Monitor zeigte Infrarotbilder und Live-Verbrauch des Archiv-Moduls in verschiedenen Bereichen. Die Bilder zeigten nur völlig normale Werte. Im infraroten Spektrum war das Modul fast nicht zu sehen. Natürlich nicht. Nur 22,5 Grad über Absolut Null. Was willst Du sehen. Die Überwachungskameras der Gänge zeigten die Kryo-Container und die Verbindungsgänge. Alles war still. Und doch waren irgendwo größere Mengen Sauerstoff verschwunden.
Chef-Physiker Thos Gerson wollte sich umdrehen und die anderen Physiker über die Anomalie informieren. Aber sein Körper reagierte nicht. Stattdessen sickerte ein fremdes Denken in sein Bewusstsein. Wie ein Schwamm sog es seine Gedanken und Gefühle auf. Verwirrung und Grauen keimten in ihm auf, wurden verschlungen und dann wurde es dunkel in ihm. Sein Körper tippte unbekannte Befehle in die Tastatur, aber das bemerkte er schon längst nicht mehr. Selbst der brain.link reagierte nicht.
Das Aufwachen dauerte lang, obwohl der Wecker schon sehr laut war. Thos Gerson drehte sich ächzend in seiner Koje und versuchte, die müden Knochen zu bewegen. Über das Implant schaltete er den Wecker ab. Zumindest versuchte er es. Für fast 10 Pingsekunden klingelte es weiter. Das Implant gab eine Fehlermeldung zurück. Es hatte einen Neustart gebraucht, um den Zugang zum brain.link und zum Wecker wieder herzustellen. Gerson schwang die Beine aus der Koje und stand auf. Er fühlte sich seltsam leer. Erst nach einer Dusche und mit frisch geputzten Zähnen spürte er, wie sein Körper halbwegs wach wurde. Der Becher neben der Kabinentür füllte sich und er war sich sicher, dass der brain.link wieder eine Menge Koffein zugesetzt hatte. Er griff danach, als er die Kabine verließ und genoss im Gehen einen vorsichtigen Schluck. Das warme Gebräu rann belebend und kräftigend durch seine Kehle und begann ihn von innen zu wärmen. Wieder schmeckte er einen Hauch von Ingwer, aber auch Zucker im Kaffee. Beim zweiten Schluck bemerkte er den feinen Geschmack von Kardamom und lächelte. Guter Tagesbeginn.
Direkt nach dem Morgenritual würde sein Dienst anfangen. Noch zwölf Pingminuten. Er ließ sich durch den radialen Schacht der Prakasha fallen, um rechtzeitig vor Schichtbeginn an seinem Platz zu sein. Außerdem liebte er diese kurzen Strecken in der scheinbaren Schwerelosigkeit des freien Falls. Erst als er im Sitz des leitenden Physikers Platz nahm, bemerkte er ein unbehagliches Gefühl im Bauch. Irgendetwas begann ihn zu beunruhigen, ohne dass er wusste, was. Verwirrt schaute er sich im Kontrollraum um. Der große Bildschirm an der Wand, die Kollegen an ihren Tastaturen, das angenehme Gefühl des Sessels, alles schien ganz normal. Vertraut wie immer, seit er vor 10 Jahren den Posten des leitenden Physikers übernommen hatte. Woher kommt dieses komische Gefühl? Er nahm einen Schluck aus dem Spender und merkte, wie er langsam wieder zur Ruhe kam. Der brain.link hatte schnell reagiert.
Thos Gerson drehte den Sitz des diensthabenden Physikers um 180 Grad, aktivierte die Retina-Projektion und tippte den Code in die Konsole, um sich die Tagesberichte anzuschauen. Alle Werte waren im Normbereich. Der Oberste Bra`man, Hüter des Kurses, würde zufrieden sein. Aber irgendwo in den Tiefen seines Gehirns verstärkte sich die Unruhe. Das hatte er gestern auch schon gedacht. Aber wie war es weiter gegangen? Er konnte sich überhaupt nicht an das Schichtende gestern erinnern. Habe ich so schlecht geschlafen? Oder was ist hier los?.
Er rief die Protokolle der letzten Schicht ab. Alles schien völlig normal. Aber an das Meiste, was da stand, konnte er sich nicht erinnern. Ich muss mich zusammenreißen. Konzentration! Dann bemerkte er seine rechte Hand. Sie zitterte unkontrolliert. Er versuchte, tief in den Bauch zu atmen und ließ die Luft langsam durch die Lippen ausströmen. Los, noch einmal! Dann presste er die Hand für einen Moment auf die Armlehne, bis das Zittern nachlies.
Über das Implant rief er seinen bio.status ab. Zeitraum seit Schichtbeginn, gestern. Die Antwort dauerte mehr als 25 Pingsekunden. Und es war eine Fehlermeldung: Abfrage nicht möglich /Err:322.1//. Das hatte er noch nie erlebt. Er versuchte es noch einmal. Dieses Mal erhielt er überhaupt keine Antwort. Wo ist der brain.link? Ein tiefes, archaisches Entsetzen durchflutete sein Inneres, die Kehle wurde eng, sein Magen verkrampfte sich. Das kann nicht sein. Ich war noch nie ohne den brain.link.
Er riss den Sessel herum, schaute auf die Kollegen. Keiner schien irgendwie unruhig oder besorgt. Fahrig griff er nach dem Spender, aber die Flasche war leer. Wieder dieses Zittern in der rechten Hand. Werde ich verrückt? Habe ich eine Vergiftung? Sauerstoffmangel? Aber wie sollte er das ohne brain.link und bio.status herausfinden? Der Gedanke an die Sanitätsstation kam ihm wie eine Rettungsleine vor und er stand auf.
Dieses Mal nahm er bewusst wahr, wie sein Bewusstsein verschlungen wurde. Für einen kurzen Moment versuchte er, sich gegen das zu wehren, was da in seinem Kopf passierte. Dann war da wieder Dunkelheit. Er bemerkte nicht mehr, wie sein Körper die Station verließ. Auch die verwirrten Rufe der Kollegen drangen nicht mehr zu ihm durch.
Dieses Erwachen war wirklich grausam. Sein Kopf schmerzte und er versuchte, an seine Stirn zu fassen. Aber der Körper verweigerte ihm den Gehorsam. Der Arm bewegte sich nicht. Dann hörte er ein metallisches Knacken, den traditionellen Gong und mit einem Zischen verschwand die Atemluft. Ich bin in der Bestattungsschleuse, ich soll ins Licht geschossen werden. „Hilfe, ich bin nicht tot. Hilfe“, wollte er rufen, aber wieder blieb sein Körper ohne jede Reaktion. Er konnte nichts tun und spürte seinen Körper nicht. Er spürte überhaupt nichts, bis auf das Grauen, dass sich in ihm ausbreitete.
„Physiker Thos Gerson, du bist zu einer Gefahr für die Prakasha geworden.“ Die Stimme kam über das Implant, aber es war nicht der brain.link, den er hörte. Diese Stimme war ihm fremd. Sie klang beinahe melodisch, aber kaum menschlich zu nennen. Eher wie ein Kristall, dachte er. So etwas hatte er noch nie gehört. „Du hättest Dich nicht erinnern sollen“, fuhr die Stimme fort. „Dein Tod zum Wohl der Schiffes.“ Der rituelle Satz am Ende eines jeden Todesurteils. Aber es hatte kein Gericht gegeben, er hörte keine Bra‘man. Nur diese sanfte, nicht menschliche Stimme.
„Möge das Licht Dich gnädig aufnehmen.“
Dieses Mal endete es nicht im Dunkeln, sondern in unerträglicher Helligkeit,
unterbrochen von bläulichen Fraktalen.