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Luftballons und Zuckerwatte
Amanda stand mit ihrem Teddy vor Bernds Tür. Sie zögerte, bevor sie schließlich zaghaft klopfte. An den Knopf der Klingel kam sie nicht heran, egal wie sehr sie sich streckte.
Bernd konnte sich wahrscheinlich schon denken, dass sie es war. Niemand sonst klopfte bei ihm an die Tür. Schon gar nicht so leise und vorsichtig wie sie.
Sie schluckte und drückte das Stofftier fest an ihre Brust. Bernd machte ihr immer ein wenig Angst, mit seinen rotgeränderten Augen, dem stoppeligen Kinn und den vielen Narben, die sein Gesicht wie ein zerknittertes Stück Papier aussehen ließen.
Nach ein paar Augenblicken hörte Amanda schlurfende Schritte und das Klicken der Schlösser und Riegel an Bernds Tür. Ein fahler, dünner Lichtstrahl fiel in den Flur und hüllte Amanda ein wie ein Suchscheinwerfer.
„Hallo, Bernd. Mama hat wieder einen Freund zu Besuch und sie fragt, ob ich vielleicht bis um acht bei dir bleiben kann. Ich soll artig sein und dich nicht stören. Mama holt mich ab, wenn ihr Freund weg ist.“
Der hagere, unrasierte Mann drückte wortlos die Tür weit genug auf, damit sie hindurchschlüpfen konnte. Dann schloss er die Tür und verriegelte sie wieder.
Amanda lief in die Küche und setzte sich auf den Stuhl, der am Fenster stand. Sie konnte von dort aus in den Hof sehen. Und trotz ihrer Furcht freute sie sich auf das Ritual, was immer kam, wenn sie bei ihm war. Bernd würde das Glas mit der Zeichentrickfigur, das früher einmal Senf enthalten hatte, aus dem Schrank holen und Milch hineintun. Dann würde er ihr auf einem Teller ein paar Kekse oder ein bisschen Zwieback vor die Nase stellen. Anschließend würde er sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank holen, sich ihr gegenüber an den Tisch setzen und gemeinsam mit ihr schweigend aus dem Fenster auf den Hof schauen. Bernd redete nicht viel. Amanda machte das nichts aus.
Bernd knibbelte gedankenverloren an dem Etikett seiner Flasche herum. Amanda sah die Pappschachtel mit den Tabletten auf dem Tisch. Er sah erschöpfter aus als sonst.
„Bist du traurig?“
Bernd nahm einen Schluck und schüttelte den Kopf. „Hab nur grad wieder an irgendeinen Scheiß gedacht. Ich schlafe in letzter Zeit schlecht.“
„Mama sagt, man soll keine schlimmen Wörter sagen.“
„Hör auf sie.“
Amanda sah auf ihren Stoffteddy und streichelte ihn am Ohr. „Dreckschlampe ist auch ein schlimmes Wort, oder?“ Bernd sah Amanda überrascht an.
„Ja, ist es. Woher hast du das?“
„Ein Mann hat gestern zu Mama gesagt Geile Dreckschlampe. Das habe ich in ihrem Zimmer gehört, als ich vom Spielen nach Hause gekommen bin. Ich hab schon öfter sowas gehört, und Mama redet dann auch so komisch. Wenn das Freunde sind, wieso sagen die schlimme Worte?“
„Weil’s nicht ihre Freunde sind. Keine richtigen jedenfalls. Eher wie Kunden aus dem Supermarkt.“
Amanda sah Bernd an. Dann kicherte sie kurz. „Was kaufen die denn bei uns? Wir sind doch kein Supermarkt.“
Bernd seufzte. „Deine Mutter spielt mit ihnen und dafür kriegt sie Geld.“
„Mama sagt, ich soll mit niemandem darüber reden, dass sie Besuch kriegt. Auch mit meinen Freunden nicht. Warum nicht, Bernd?“
„Weil diese scheinheiligen … Leute dann schlecht über deine Mutter und dich reden. Sie werden gemeine Sachen sagen und gemeine Sachen machen. Und wahrscheinlich dürfen viele deiner Freunde dann auch nicht mehr mit dir spielen.“
„Versteh ich nicht.“
„Leider wirst du‘s, wenn du älter bist.“
Bernd und Amanda sahen wieder aus dem Fenster.
Es klingelte. Amanda sprang auf und lief zur Tür. Sie gluckste leise vor Freude.
Bernd kam hinterher und schloss auf. Paulina stand vor der Tür. Ihre Tochter klammerte sich an ihr Bein und Paulina strich ihr über den Kopf.
„Hallo Bernd. Danke, dass du auf mein kleines Krümelchen aufgepasst hast.“
Paulinas Atem roch intensiv nach Mundwasser. Irgendwas mit Menthol.
„Klar, kein Ding. Macht’s gut, ihr beiden.“ Er wollte die Tür wieder zumachen.
„Echt total lieb, dass du immer auf Amanda aufpasst. Ich kann sie ja abends nicht rausschicken, bei den ganzen Perversen und Irren. Wenn du willst, koch ich mal was für dich. Oder ich kauf dir Pizza, oder so.“ Sie lachte ein bisschen zu laut, verlegen und gekünstelt.
Bernd sah sie an. Im Mundwinkel hatte sie noch Reste von knallrotem Lippenstift. Sie trug einen zu weiten, schäbigen Bademantel, der ein Loch im Kragen hatte und ihre Füße steckten in Flip Flops. An einer Zehe trug sie einen Zehenring und er konnte eine Tätowierung sehen, die sich von ihrem Fußrücken ihr Bein hochschlängelte.
Paulina folgte seinem Blick und für einen Augenblick verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck.
„Wenn du willst, kann ich dich auch mal … besuchen kommen, wenn Amanda in der Kita ist. Umsonst.“
Bernd sah auf seine Hände. Er schüttelte den Kopf.
„Ich passe gern auf sie auf. Liebes Mädchen.“
Paulina schaute ihre Tochter an. Ihre Lippe zitterte.
„Ja, das is‘ sie. Ich bin dir wirklich dankbar, ehrlich. Ich kann sonst auch mal bei dir putzen oder einkaufen.“ Ihre Augen flackerten unruhig und sie sah verzweifelt zwischen Amanda und Bernd hin und her.
Amanda hatte Paulinas Bein losgelassen und versteckte sich wieder hinter ihrem Teddy.
Bernd machte die Tür ein Stück weiter auf.
„Willst du reinkommen?“ Paulina sah ihn einen Moment unschlüssig an. Dann lächelte sie dankbar.
„Gerne, aber ich will dich nicht lange stören. Ich bin auch echt erledigt und das Krümelchen muss bald ins Bett.“
Sie gingen zurück in die Küche und setzten sich an den Tisch.
Paulina sah sich um und räusperte sich schließlich.
„Und, was machst du so in letzter Zeit?“
Bernd drehte die leere Bierflasche, die noch auf dem Tisch stand, in seiner Hand hin und her.
„Such grad wieder was. Kann nicht so gut mit Arbeit. Wird mir alles schnell zu viel.“
Paulina entdeckte ein Foto, dass mit einer Heftzwecke an der Wand befestigt war. Bernd trug eine sandfarbene Uniform und saß in einem Geländewagen. Neben ihm standen ein paar andere Männer. Sie alle grinsten in die Kamera.
„Du warst beim Bund? Äh … Cool, oder?“
Bernd wich ihrem interessierten Blick aus.
„Das war vierundzwanzig im Iran.“
Amanda sah neugierig auf das Bild.
„Safiye kommt auch aus dem Iran. Ihr Papa sagt immer zu Frau Reuter, Safi darf nicht mit uns spielen und in der Pause soll sie mit ihrer Schwester immer drinbleiben. Safi spielt aber trotzdem mit uns. Sie hat nur Angst, dass ihr Papa oder ihr blöder Bruder das mitkriegen.“
Paulina warf noch einen Blick auf das Foto und sah ihm dann ins Gesicht.
„Hast du da die ganzen Narben her?“
„Mine. Hab’s als einziger überlebt.“ Sein Blick verlor sich in der Ferne.
„Kriegst du dann nicht Entschädigung oder Rente? So wie die Soldaten, die dieses … wie hieß das … PS Dings haben?“
Bernd schnaubte höhnisch.
„Die haben mich als dienstunfähig entlassen. Eine Zuerkennung kriegen aber nur aktive Soldaten.“
„So eine Scheiße.“
„Stimmt.“
„Das sagt man nicht, Mama.“ Amanda saß mittlerweile auf dem Boden und spielte mit ihrem Teddy.
Bernd und Pauline lächelten beide unbewusst.
„Und bei dir so?“
Paulina seufzte und strich sich mit der Hand müde über ihr Gesicht.
„Die haben das Kindergeld wieder gesenkt und dafür die Krankenkassenbeiträge erhöht. Die Kita wird nächsten Monat auch teurer. Und wenn Amanda im Herbst eingeschult wird, braucht sie ein Tablet und für zuhause Ultraflat. Außerdem hat mir eine Freundin erzählt, dass die Schutzwesten, die von der Schule gestellt werden, nichts taugen. Mein Krümelchen kriegt ganz sicher nicht so’n Billigding, das sie nicht schützt. Gott, wie soll ich das alles nur bezahlen?“
„Ich dachte, man verdient gut in deinem Job.“
„Mit Einunddreißig? Gibt total viele Illegale, die sind nicht mal sechzehn.“
„Such dir doch was anderes.“
„Ich putz ja schon dreimal die Woche. Hilfsjobs gibt’s halt immer schwerer.“
„Was ist mit Sozialhilfe?“
„Bin auf der Warteliste. In fünf Jahren frühestens. Anschaffen ist als steuerpflichtiger Beruf anerkannt. Also ist es laut Amt zumutbar, dass ich in dem Job arbeite.“
„Den Vater der Kleinen kann man auch vergessen, richtig?“
Paulina schluckte und kniff ihre Augen fest zusammen. Sie musste zweimal ansetzen, bevor sie weitersprechen konnte.
„Ich gehe ständig mit dem Preis runter und muss immer krasseres Zeug machen, damit ich überhaupt noch Kunden kriege. Vor zwei Tagen erst wollte so ein widerliches Schwein, dass ich …“ Paulina drückte beide Hände vor ihr Gesicht.
Bernd hatte das Gefühl, als müsste er etwas sagen, doch ihm fiel nichts ein.
Schließlich beruhigte sich Paulina ein wenig.
„Ich muss das Krümelchen ins Bett bringen. Amanda, komm jetzt.“
Sie standen auf und gingen zur Tür. Draußen im Flur drehte sie sich nochmal um.
„War schön, mit dir zu reden. Sorry, dass ich dich mit meinen Problemen zugetextet habe. Vielleicht willst du ja mal auf nen Kaffee runterkommen.“
Bernd lächelte kurz und hob die Hand zum Abschied. Dann schloss er die Tür und sah durch den Türspion den beiden hinterher, bis sie auf der Treppe außer Sicht verschwunden waren.