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Lose-Lose-Situation
Mit dem Verrücktwerden ist es wie mit dem Altern: Es ist zu abstrakt. Man braucht Bezugspunkte. In meiner Jugend war The Summer of ’69 auch schon alt, erschien als eine dezent angestaubte Vergangenheit, die man sich noch irgendwie vorstellen konnte. ’69, das war zehn Jahre vor meiner Geburt. Jetzt ist es fast vierzig Jahre her und alt, furchtbar alt. Kein Mensch kennt mehr Bryan Adams, und Robin Hood mit Kevin Costner wird auch nicht mehr an Weihnachten wiederholt.
Als sie Kim in die Burg eingeliefert haben, kam die Vergangenheit und trat mir mit Anlauf in den Arsch. Wenn ich an Kim denke, höre ich keine Vögel singen, da sind keine Bergbäche, keine Feuerwerke, keine Mondscheinspaziergänge. Kim war Arbeit. Echt harte Arbeit. Ich hab mich die ganze Schulzeit an ihr abgearbeitet.
Es ist ja jetzt schick, so etwas ganz Persönliches, was nur einem selbst gehören sollte, mit irgendeinem modischen Wort zu etikettieren, das man in Zeitschriften liest, in kleinen Nebensätzen dahingeschmiert finden kann. Kim und ich hatten eine On-Off-Beziehung, würde man sagen.
Die Burg ist ein Irrenhaus, wie das bei Batman. Für gewöhnlich behandelt man seine Existenz wie das Ozonloch: Man nimmt es dumpf zur Kenntnis, zieht es aber vor, nicht daran zu denken. Und dann plötzlich, in einem heißen Sommer, ist es da: Taucht in einer Straße auf, die man nicht kannte. Eine Buslinie hält an einer Station, bei der man früher nie wen hat aussteigen sehen, und es ist Realität.
Eine alte Burg, schon lang und oft renoviert, wahrscheinlich von Briten zerbombt und wieder aufgebaut und Trutzfeste gewesen und Blut vergossen und Realität. Wie ein Kainsmal in unserer Stadt. Da. Irrenhaus. Nicht zu leugnen. Das passiert. Kim ist drin.
Es ist ein später Triumph. Manchmal hab ich mir vorgestellt, zu gewinnen, aber nicht so. Und es war Krieg, da gibt es nichts zu beschönigen. Als die Wunden auf beiden Seiten dann zu tief wurden, jedenfalls rede ich mir das ein, ein permanenter Nichtangriffspakt.
Sie hat mir mal einen leeren Kuchenteller gegen das Gesicht geworfen. Voll auf die linke Wange. Mit der Kante gegen das Auge, und es waren noch Schlagsahnereste drauf.
Sie hat mit meinem Vater geflirtet. Kam zum Frühstückstisch in Söckchen und Hemd.
Sie hat eine Kurzzeit-Freundin angerufen und sie gefragt, wie sie das nur mit mir aushalte. Wo ich sie doch mit ihr betrüge, mit ihr, mit ihr allein. Ich wurde halbnackt aus einer Wohnung geworfen. Ohne Schuhe. Musste dann meinen Vater anrufen, er möge mich doch – Es war Krieg. Da gibt es nichts zu beschönigen.
Ich dachte, wenn ich gewinne, dann triumphal. Mit purer Männlichkeit. Hatte mir vorgestellt, nachts durch einen Park zu laufen mit geballter Faust und dann sie zu sehen, wie zwei Männer sie umkreisen. Abwarten wollte ich. Bis sie schon auf ihr liegen und dann die Faust ins Genick des einen, den anderen von ihr herunterzerren. Mit Fußtritten würde ich sie vertreiben. Und ich würde ihr die Hand reichen, ganz freundlich, sie an meine Schulter drücken und dann: Ach, du bist das. Grüß dich, Kim. Lange nicht mehr gesehen. Hast ja noch mal Glück gehabt. Ich muss dann weiter. Halt die Ohren steif.
Ich wollte mit einer Frau bei ihr auftauchen, nicht auftauchen direkt, sondern auf sie treffen. Vielleicht in ihrer Bank. So eine Frau an meiner Seite, die man nur in Katalogen sieht, die nur Schokoladenseiten hat, die Sex atmet. Wollte mich kaum an sie erinnern.
Das ist auch so was. Ich hatte ja schon gewonnen. Sie arbeitet in einer Bank. Wie kann man in einer Bank arbeiten? Jeder hätte mich zum Sieger erklärt.
Und jetzt gewinne ich nicht, sondern sie verliert. Ich hab damit nichts zu tun, das muss man mir glauben.
Was ist das denn für ein Sieg, wenn die Beute im Meer versinkt? Wenn man Salz unter die Erde pflügt, damit nie wieder etwas wächst? Wenn man brandrodet, um einen Bären auszutreiben? Ein Scheiß Sieg ist das.
Es fehlen einfach die Bezugspunkte. Ich weiß nicht, wie verrückt sie ist. Zieht sie sich das Anstaltshemd über den Kopf und pinkelt, wo sie gerade ist, einfach so drauf los? Schmiert sie mit Kot irgendwas an die Wände? Hat sie am Unterarm diese parallel verlaufenden Schnitte in der Farbe von Hundezahnfleisch? Ist sie so eine Zombie-Verrückte, die man im Rollstuhl durch die Gegend karrt und die sich auf die linke Schulter sabbert?
Kim kann mir gestohlen bleiben. Vielleicht in einem anderen Leben. Wenn man es realistisch betrachtet, ohne den ganzen Mumpitz, ist sie eine Verrückte, die mit mir nichts zu tun hat. Sie hat mich um den Sieg in einem Spiel betrogen, das wir nicht mehr spielen. Das tiefer in die Vergangenheit rutscht, Tag um Tag. Kim entfernt sich von mir, ich habe gewonnen.