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Liebhaber

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28.11.2014
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Liebhaber

„Darf ich Ihnen sagen, wie leid mir der Tod Ihres Mannes tut?“
Agnes’ Blick hing noch einen Moment an dem roten Kleid fest, bevor sie das Journal zuklappte und zur Seite legte. Sie würde sich im Moment ohnehin nicht viel leisten können.
Das Café war um diese Tageszeit fast leer. Leise dudelnde Musik und die warmen Sonnenstrahlen, die ihren Nacken kitzelten, hatten sie in einen Zustand wohliger Schläfrigkeit versetzt. Der Mann musste sehr leise an ihren Tisch getreten sein. Er kam ihr bekannt vor.
„Ja danke.“ Sie sah ihn irritiert an. „Woher … ?“
„Entschuldigen Sie. Aber ich habe Ihr Bild in einem Artikel über Ihren Mann gesehen und Sie gleich wiedererkannt.“ Er beugte sich ein wenig nach vorne und sagte: „Es war wohl in einem Nachruf.“
Er war nicht mehr jung, vermutlich in ihrem Alter, groß und schlank. Sein dunkelblauer Anzug saß gut und der Stoff sah teuer aus.
„Ja, richtig, verschiedene Kunstmagazine haben über ihn geschrieben .“ Woher kannte sie ihn nur? Und was wollte er von ihr? Das mit dem Bild konnte sie ihm nicht so recht glauben.
„Haben wir uns schon einmal gesehen? Irgendwie …?“ Sie lächelte vage und suchte in seinem Gesicht. „Ich kann mich nicht erinnern. Helfen Sie mir.“
„Nein, nein. Wir kennen uns nicht. Ihren Mann habe ich einmal getroffen.“
In diesem Moment fiel es ihr ein. Zürich im letzten Jahr. Natürlich. Sie waren wie jedes Jahr hingefahren, um eines ihrer Bilder zu verkaufen. Müde vom Stehen und benommen von der warmen und schlechten Luft im Ausstellungsraum hatte sie sich auf eine Bank an der gegenüberliegenden Wand gesetzt und Hans zugesehen, wie er auf Interessenten wartete und sich bemühte, wie zufällig in der Nähe ihres Bildes zu stehen.
„Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. In Zürich war das, nicht wahr.“
„Ja, richtig.“
Agnes neigte ihren Kopf leicht zur Seite, sah in seine grauen Augen und registrierte, dass er ihr Lächeln zurückgab. Sie überlegte, ob sie ihm einen Platz anbieten sollte.
„Unser Bild hat Sie interessiert?“
Er nickte. „Ja wirklich. Und auch, was mir Ihr Mann erzählt hat. Wie er Grüns erste Graphiken gedruckt hat und der ihm, weil er kein Geld hatte, immer ein Blatt zurückließ, quasi als Bezahlung.“
„Ja, so war er.“
Agnes fiel ein, dass er nicht verstehen könnte, was sie meinte und sagte: „Hans hatte immer ein Gespür für Talente.“
Sie war sich nicht sicher, ob sie es eigentlich wollte, doch dann gab sie sich einen Ruck. „Möchten Sie sich nicht zu mir setzen?“ Sie nahm ihre Tasche vom Stuhl und schob die leere Kaffeetasse zur Seite. Er setzte sich.
Agnes fühlte die Strahlen der Sonne auf ihrem Nacken und suchte nach einer unverfänglichen Äußerung, um die entstandene Stille zu überbrücken.
Er kam ihr zuvor: „Grüns Blätter haben heute einen enormen Wert, nicht wahr.“
Seine Direktheit wunderte Agnes.
„Ja, das kann man sagen.“ Sie schaute auf den Ring an ihrer Hand, drehte ihn ein wenig und sah wieder in sein Gesicht.
„Wissen Sie, ich verstehe leider nicht sehr viel von alledem. Das habe ich immer meinem Mann überlassen.“
Sein Blick schien ihr nun intensiver, aufmerksamer zu sein. Oder täuschte sie sich?
Die Bedienung, die an den Tisch getreten war, räusperte sich. Agnes machte zuerst eine kleine ablehnende Handbewegung, besann sich dann aber und bestellte einen Cappuccino. Der Mann nahm einen Kaffee.
Wieder suchte Agnes nach einer Fortführung ihres Gespräches und auch diesmal war er es, der den Faden aufnahm: „Oh, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Jonas Fabri.“
„Das klingt italienisch“, sagte Agnes.
„Nein, nein. Ich bin Deutscher. Aber ich lebe in Melbourne.“
„Ah, ja?“ Immer noch beschäftigte sie die Frage, warum er sie angesprochen hatte. Ihre Person war es sicher nicht, die ihn interessierte. Er war attraktiv, würde bestimmt, wenn er denn suchte, eine Jüngere als sie finden. War also alles doch nur ein Zufall?
„Sie interessieren sich für moderne Graphik?“, nahm sie das Gespräch wieder auf. Er nickte und sie fuhr fort: „Sind Sie Sammler?“
Die Antwort kam mit einer kleinen Verzögerung, die Agnes unsicher werden ließ. Hatte sie einen Fehler gemacht?
„Ja, so könnte man sagen … Privatsammler.“
Die Getränke wurden gebracht und Agnes sah Fabri zu, wie er den Zucker langsam in den Kaffee rieseln ließ.
„Und Sie mögen Grüns Bilder?“
„Ja, sehr.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und während er die Tasse behutsam zurückstellte, sagte er: „Natürlich hätte ich gern das eine oder andere von ihm. Aber seine Blätter erzielen in den letzten Jahren sehr hohe Preise. Die übersteigen meine Möglichkeiten.“ Er schaute auf, musste blinzeln, weil die jetzt tiefer stehende Sonne ihn blendete.
„Wissen Sie, ich liebe seinen Realismus und seine Botschaften.“
Agnes hatte keine Lust auf eine Diskussion über Grüns Bilder. Sie musste auf der Hut sein. Das hatte Hans ihr immer wieder eingeschärft.
„Dann waren Sie nur zum Schauen in der Ausstellung?“
„Ja, so war es wohl.“
Agnes spürte, dass er noch etwas hinzufügen wollte, doch er schwieg und bewegte sich ein wenig hin und her, um sie besser sehen zu können.
Sie senkte ihren Blick, als betrachte sie das Titelmodel des Journals. „Nicht alle Bilder sind so teuer“, sagte sie.
Fabri schob seinen Stuhl ein wenig zur Seite und konnte sie nun wieder sehen, ohne geblendet zu werden. Sie hatte den Kopf gehoben und er schaute auf ihre Lippen, wartete darauf, dass sie weitersprechen würde.
„Wichtig ist ja wohl, wie bekannt eines ist, nicht wahr“, sagte sie.
Er nickte. Sie waren sich einig.
Beim Umrühren des Cappuccinos dachte Agnes, dass sie in diesem Jahr allein nach Zürich fahren würde. Drei Monate musste sie noch irgendwie überstehen. Das Geld der letzten Auktion war fast aufgebraucht.
Sie fasste einen Entschluss: „Hätten Sie Lust, sich unsere Blätter einmal anzuschauen?“
Seine Antwort kam prompt. „Ja, gerne.“
„Wann würde es Ihnen denn passen?“
„Morgen Vormittag habe ich noch einige Geschäftstermine“, überlegte er. „Darf ich gegen vier zu Ihnen kommen?“
„Ja. Das ist eine gute Zeit – auch für mich.“
Ihr sanftes Lächeln blieb, als sie sich wieder dem Cappuccino zuwandte.

Paul saß auf der Couch und betrachtete die Graphiken an der Wand.
„Ich habe nie ganz verstanden, warum Hans sie hier aufgehängt hat.“
„Vielleicht, weil er sie so immer in seiner Nähe haben konnte. Keine Ahnung.“ Agnes schob den Teller mit dem Gebäck in die Nähe seiner Tasse.
Paul bediente sich, ohne den Blick von den Bildern zu nehmen. „Ihr habt sie sehr schön rahmen lassen. Und auch der Platz an der Fensterseite ist gut gewählt. So kann ihnen das Sonnenlicht nicht schaden.“
Agnes schaute kurz zu den Graphiken. „Ja, das hat Vorteile“, stimmte sie ihm zu.
Paul hing seinen Gedanken nach.„Weißt du Agnes, dass ich Hans sehr vermisse? Manchmal denke ich, dass er für mich so etwas wie ein Mentor war.“
Agnes stimmte ihm mit einem Kopfnicken zu, wollte aber jetzt kein Gespräch über den Tod ihres Mannes führen. Er fehlte ihr. Ja sicher. Er fehlte ihr sogar sehr. Niemand half ihr bei ihren Überlegungen. Alles musste sie allein abwägen und entscheiden. Doch das würde Paul kaum interessieren.
„Sag, Paul, wie geht’s euch?“
„Na ja, es geht. Wenn Elena nicht die Stelle als Lehrerin hätte, würde es ganz schön knapp werden.“
Agnes kannte Pauls Situation. Sie hatte in ihrer Ehe viele Maler kennengelernt, die eine ähnliche Durststrecke durchstehen mussten, bis irgendein Mäzen oder ein Galerist sie entdeckte. Oft blieben sie ihr Leben lang von ihrem Partner abhängig oder mussten sich mit wenig zufrieden geben.
„Was ist mit deinen Bildern? Kannst du hin und wieder etwas verkaufen?“
„Ja, aber nur meine Wohnzimmer-Bilder.“
Agnes schmunzelte. Pauls Wohnzimmer-Bilder waren die, die er nebenbei malte, um etwas zum Lebensunterhalt beizusteuern. Gefällige, romantische Landschaften. Die Menschen liebten diesen Kitsch. Pauls Studium und sein Talent ermöglichten es ihm, in allen Stilrichtungen zu malen.
„Und was ist mit deinen richtigen Bildern?“
„Vier hängen seit zwei Monaten in der Galerie am Steintor.“ Paul betrachtete die Graphiken an der Wand. „Leider bisher nichts. Sie treffen wohl nicht den Zeitgeschmack. Vielleicht geht es mir wie Grün? Der musste auch Jahrzehnte auf seinen Ruhm warten.“
Agnes überlegte, ob sie Paul bitten sollte, sie nach Zürich zu begleiten. Er kannte alle ihre Bilder. Er hatte das Wissen. Doch sie verschob die Frage. Das hatte noch Zeit. Heute würde Fabri kommen. Sie stand auf und begann, das Geschirr wegzuräumen. Paul verstand und verabschiedete sich.

Jonas stand vor dem Haus. Eines dieser roten Klinkerhäuser, die ihn immer an Holland denken ließen. Die Maurer hatten mit weißen Randsteinen gearbeitet und dem traurigen Rot der Klinker auf diese Weise eine frische und lebendige Struktur gegeben. Auch das filigrane gusseiserne Balkongitter im ersten Stock diente der Auflockerung der Fassade und ließ ihn an sein Haus in Melbourne denken. Unter dem Balkon sah er die Kameras. Natürlich, die Werke mussten gesichert werden.
Agnes öffnete die Tür. Eine elegante Frau, dachte Jonas, attraktiv und gepflegt. Wie er, musste sie um die sechzig sein. Sie war schlank geblieben und ihrem Kleid sah er an, dass sie wusste, was sie kleidete. Mit dem Alleinsein schien sie zurechtzukommen. Ob sie wohl schon einen neuen Partner suchte?
„Das ist schön, dass Sie gekommen sind.“ Agnes reichte ihm die Hand, machte eine kleine, einladende Geste und ging voraus. Im Flur hingen Graphiken, die Jonas nicht zuordnen konnte. Er beugte sich nach vorn und las die Signatur. Paul G. Biró. Er kannte diesen Künstler nicht. Aber er musste wohl noch sehr jung sein, denn die Bilder waren aus den letzten Jahren.
Das Zimmer, das sie jetzt betraten, wirkte nicht wie ein Ausstellungsraum, eher wie ein Raum, in dem man lebte. Die Blätter Grüns hingen gegenüber der Tür an der großen Fensterfront, so als wären sie Teil der Einrichtung. Jonas wunderte sich einen Moment darüber, wurde dann aber völlig von ihnen in ihren Bann gezogen.
Er trat näher, betrachtete das erste, ging langsam weiter, von einem zum anderen, immer wieder andächtig verharrend und die Einzelheiten und Signaturen studierend. Er war beeindruckt.
Sein Blick wanderte zum nächsten Bild. Es war nicht sehr groß; beinahe unscheinbar hing es zwischen den anderen.
Sein Herz begann zu pochen und seine Hände wurden feucht. Er drehte sich zu Agnes. Sie stand immer noch in der Nähe der Tür. Gelassen sah sie ihm zu. Es schien sie zu freuen, dass er den Blättern so viel Interesse entgegenbrachte. Sie nickte ihm zu und er ging weiter zu den anderen Bildern, betrachtete auch sie eingehend und schlenderte dann zurück zu dem Bild, dem der Künstler den Titel ‚Metamorphose 3’ gegeben hatte. Er musste jetzt die Ruhe bewahren. Ob sie wirklich keine Ahnung hatte?
„Erstaunlich. Ein typischer Grün. Und doch habe ich dieses Bild noch in keiner Ausstellung und in keinem Katalog gesehen.“
Er zwang sich, seinen Blick auf dem Bild zu lassen, sich nicht umzuwenden.
Agnes trat zu ihm und er blickte flüchtig in ihr Gesicht. Es war offen und freundlich.
„Ja, wir haben einige, die eher unbekannt sind.“
In Jonas Kopf begannen die Gedanken zu kreisen. Konnte es wirklich sein, dass sie nicht wusste, dass es von diesem Bild auf der ganzen Welt nur drei gab? Die kleine Auflage war eine Verschrobenheit Grüns gewesen. Das wusste Jonas. Ein Exemplar hing in New York, das andere hatte ein Japaner gekauft. Und das hier musste das dritte sein.
Jonas schob seine Zweifel beiseite. Er hatte keine Wahl, er musste es versuchen. Er drehte sich zu ihr.
„Sie bieten Ihre Bilder nur in Zürich an?“
„Ja, normalerweise. Dort trifft sich der Grün-Freundeskreis. Und man erzielt faire Preise, wie Hans immer sagte.“ Während beide wieder das Bild anschauten, fuhr Agnes fort: „Wissen Sie, dieser späte Ruhm Grüns war ein wirkliches Geschenk für uns.“ Sie machte eine kleine Pause und seufzte:. „Mein Mann war eigentlich auch ein Künstler. Unsere Altersvorsorge ist ihm nie besonders wichtig gewesen. Und so hat uns in den letzten Jahren der Verkauf eines Blattes immer geholfen, ein weiteres Jahr zu bestreiten.“
Jonas verstand.
„Das hier könnte mir gefallen.“
„Ja, wirklich?“
Agnes trat näher, beugte sich vor und wischte mit dem Finger über den unteren Rahmen des Bildes, so als läge dort ein wenig Staub.
„Ja, das ist eins von den kleineren.“
Sie kniff die Augen zusammen und suchte die Signatur. „Es scheint aus den ersten Jahren zu sein.“
Jonas spürte, wie sein Herz schneller schlug. Ruhig bleiben und nur keinen Fehler machen. „Also, ich wäre schon interessiert …“
Gemeinsam blickten sie wieder auf das Bild. Jonas traute sich nicht, sie anzuschauen.
„Aber es ist natürlich eine Frage des Preises.“
Ihre Antwort ließ auf sich warten und er glaubte, ihre Unsicherheit zu spüren. Agnes richtete sich auf.
„Unsere Bilder bringen in Zürich schon mal vierzig- bis fünfzigtausend. Aber …“
Sie sah auf ihre Hände und drehte den Ring. „Wissen Sie, die Beerdigung hat sehr viel Geld gekostet und leider hatte Hans auch keine Lebensversicherung.“
Wieder entstand eine Pause und Jonas musste sich zwingen, nichts zu sagen und darauf zu warten, dass sie fortfuhr. Sie ließ sich Zeit.
„Nun ja. Es ist wohl wirklich ein weniger bekanntes Bild. Was wäre es Ihnen denn wert?“
Jonas holte Luft, bevor er antwortete: „Ja, wie schon gesagt: So viel Geld kann ich nicht ausgeben … Zwanzigtausend vielleicht? … Ja, das wäre möglich.“ Er konnte ihre Miene nicht deuten. „Es handelt sich ja um ein Frühwerk, das nicht so bekannt ist.“
„Ja. Aber das scheint mir doch zu wenig zu sein. Also …“ Sie überlegte. „Eigentlich müsste ich erst einen Experten fragen.“
Das musste er verhindern.
„Ja, natürlich. Sicher.“ Er machte eine Pause. „Leider fliege ich schon morgen Nachmittag zurück. … Woran hätten Sie denn gedacht.“
Sie betrachtete ihre Fingernägel, die wie kleine rosa-farbene Perlen schimmerten, hob den Kopf und suchte seine Augen: „Ich glaube, dreißigtausend scheinen mir angemessener zu sein.“ Sie sah ihn unsicher an. „Das ist Ihnen vermutlich zu viel?“
Sein Herz klopfte so heftig, dass er fürchtete, seine Aufregung würde sich ihr mitteilen. Das hier war eine einmalige Gelegenheit. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn er sie ausließe. Natürlich, normalerweise müsste er eine Expertise einholen. Aber hier war die Echtheit keine Frage. Wenn das Bild erst in Zürich landete, würden sich die Galeristen darum schlagen. Davon konnte er ausgehen. Er musste handeln. Jetzt und hier. Und es musste schnell gehen, bevor irgendjemand ihm dieses Bild vor der Nase wegschnappte. Das war die Chance seines Lebens. Sicher, die Frau würde ihn verdammen, wenn sie erfuhr, welchen Wert sie aus der Hand gegeben hatte. Aber, so war das Leben. Sie hatte ja genug andere Bilder. Und überhaupt: Der Kunstmarkt war ein Markt und gehorchte seinen Gesetzen. Sie hätte sich eben genauer um das kümmern sollen, was sie anbot. Vermutlich interessierte sie sich mehr für Kleidung als für Kunst. Er musste handeln. Sie brauchte das Geld, das war klar.
„Was halten Sie von fünfundzwanzigtausend. Und wir könnten alles ohne Formalitäten regeln.“
Sie sah ihn an und einen Moment tat sie ihm richtig leid. Er sah, wie es in ihr arbeitete. Sie knetete ihre Hände, zögerte. Diese arme kleine Frau in all ihrer Unsicherheit. Auf der einen Seite brauchte sie das Geld. Auf der anderen Seite hatte sie keine Erfahrung in diesen Dingen. Er spürte ihre Zerrissenheit. Doch er musste diese einmalige Gelegenheit nutzen.
„Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und morgen sind die fünfundzwanzigtausend Ihre.“
Wortlos standen sie eine Weile nebeneinander und blickten auf das Bild. Sicherlich erwog sie das Für und Wider. Dann drehte sie sich um. Ihre Miene war jetzt weicher. Sie sah ihm in die Augen und lächelte: „Sagen wir siebenundzwanzigtausend und es gehört Ihnen.“

****​

Agnes ging in den Keller und gab den Code ein. Die schwere Tür öffnete sich. Die teuren Museums-Strahler beleuchteten die Bilder, der übrige Raum lag im Halbdunkel. Dieses Licht ließ die Einzelheiten der Graphiken deutlicher und plastischer hervortreten; jedes noch so kleine Detail erschloss sich dem Betrachter. Agnes liebte diesen Ort. Hierhin hatten sie sich zurückgezogen, wenn sie allein sein wollten mit ihren Bildern.
In der Mitte des Raumes hatte Hans gepolsterte Bänke gestellt, von denen aus sie alle Werke in Ruhe und mit Andacht betrachten konnten. Agnes setzte sich. Oft hatten sie hier nebeneinander gesessen und Hans hatte ihr jedes Bild genau erklärt. Er kannte alle ihre Besonderheiten, kannte jede verschlüsselte Botschaft in ihnen, kannte ihren Wert, ihre Einmaligkeit. Das waren kostbare Momente gewesen und sie hatte viel gelernt.
Noch hingen hier zwölf Blätter, die Grün ihrem Mann für seine Arbeit gegeben hatte. Das Bild ‚Metamorphose 3’ hatte Hans von allen am meisten geliebt. Es hatte eine ganze Wand nur für sich, obwohl es recht klein war. Vielleicht war es sogar das Wertvollste ihrer Sammlung. Agnes überlegte, dass ein paar Jahre verstreichen sollten, bis sie es in Zürich anbieten würde. Möglich, dass es dann das letzte ihrer Sammlung war. Und eines war sicher: Es würde jeder Prüfung standhalten.
Ihre Gedanken wanderten nach Melbourne. Sie schob sie schnell wieder weg. ‚Ohne Formalitäten’ war seine Idee gewesen.

Agnes blieb noch ein wenig, schaute versonnen auf die einzelnen Bilder und genoss die Atmosphäre dieses geheiligten Ortes. Ihre Hand streichelte den Samt des Polsters und einen Moment war es ihr, als spüre sie Hans’ Gegenwart. Er war ein kluger Mann gewesen und ein guter Psychologe. Er hatte die Macht der Gier gekannt.
Es war gut gewesen, dass er Pauls Kopien oben aufgehängt hatte. Jede entsprach einem Original im Keller. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund, als sie daran dachte, dass Hans es für einen guten Trick gehalten hatte, eventuelle Einbrecher zu täuschen. Wie praktisch auch, dass sie Paul kennen gelernt hatten. Am Nachmittag würde er kommen. Was sollte sie ihm geben? Zweitausend für seine Arbeit war natürlich recht viel. Aber vielleicht würde sie ja noch eine ‚Metamorphose 3’ benötigen.

 
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Lieber Albatros,

die Dudenredaktion ist a) nicht unfehlbar, b) nicht wiederspruchsfrei, in besagtem Beispiel sähe der Grammatikduden (Bd. 4) es etwas anders als der für richtiges und gutes Deutsch sich zuständig fühlende Teil der Redaktion. Immerhin bezeichnet sich Bd. 4 als "unentbehrlich für richtiges Deutsch" und nur wer "richtig schreibt, schreibt richtig Deutsch", was ja noch kein "gutes" Deutsch sein muss.

Woll'n ma' nich' in verschiedene Konfessionen verfallen. Der Sinn des Dudens ist (wie bei allen Regeln) Komplexität zu verringern. Da täte er sich selber den größten Dienst, wiederspruchsfrei zu bleiben.

Nix zu danken!

Friedel,

der übrigens das Recht auf Irrtum befürwortet, für die Redakteure, dem Albatros und auch sich selbst und dem Rest der Welt ...

 

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