Liebe am Meer
Immer das gleiche Spielchen am Meeresstrand – seit Millionen von Jahren.
Die Wattwürmer vermehrten sich wie die Lemminge und lagen inzwischen über- und untereinander. Sie beschwerten sich lauthals über diese drangvolle Enge am Nordseestrand.
Eines lauen Sommerabends lugte Wattwurm Kuddel aus seinem Loch heraus und beobachtete, wie Gevatter Sausebraus mit dicken Backen blies und eine aufgeregte Schar von Sandkörnern in ihre Schranken verwies. Da lagen sie nun, die winzigen Wesen, waren verärgert über den großen Meister und spektakelten vor sich hin. Auch Sausebraus war mit seinen Nerven am Ende. Er holte tief Luft und brüllte zu den Winzlingen:
“Ich habe es satt! Auf der einen Seite blubbern mir die Wattwürmer zu, sie hätten nicht genügend Platz, auf der anderen Seite fiept ihr mir ins Ohr, ich soll nicht so stürmisch mit euch umgehen.“
Schlagartig veränderte sich das Landschaftsbild. Jedes einzelne Sandkorn färbte sich vor Ärger tieflila. Da blieb selbst Kuddel, den so schnell nichts erschüttern konnte, die Luft weg. Er rückte seinen Elbsegler zurecht und verzog sich schmatzend in sein Unterwassergemach.
Auch Sausebraus stockte der Atem. Was hatte er nur wieder angerichtet? Alles war anders geworden.
Die Wattwürmer bohrten sich lustlos durch den Schlick, der Wind hatte das Weite gesucht und auch der Sand rührte sich nicht. Es herrschte eine angespannte Stille.
Wieder einmal war es Betty, die attraktivste aller Sandkörner, die mit gekonntem Wimpernaufschlag den Wind anrief:
“Sausebraus! Genug geschmollt. Schick uns das Lichtkleid!“
Kuddel erwachte aus seiner Lethargie. Ihm klopfte das Herz bis zum Halse, als er Bettys säuselnde Stimme vernahm. Er lugte barhäuptig aus seinem röhrenförmigen Gemach und sah Betty direkt in die Augen. Leicht eingetrocknet – auch er wartete sehnsüchtig auf das kostbare Nass – nahm er all seinen Wattwurm-Mut zusammen und hielt um Bettys Hand an. Betty war gerührt. Ein paar Tränen kullerten an ihrem tieflila Kleid herunter und hinterließen weiße Streifen. Sie konnte nicht antworten, so sehr bewegten sie Kuddels Worte.
Sausebraus wachte unbemerkt über ihnen. Auch er war gerührt, machte sich leise schwirrend auf den Weg, um die Regenwolken einzusammeln. Schon bald prasselte es vom Himmel.
Kuddel, sichtlich verjüngt durch die Erquickung, tauchte noch schnell in die Tiefe des Meeres um den Brautstrauß zu pflücken. Als er wieder zum Vorschein kam, trug Betty bereits ihr Hochzeitskleid und die übrigen Sandkörner hatten das Lichtkleid angelegt.
Die Regentropfen spielten die Hochzeitssymphonie. Abwechselnd bildeten die Wattwürmer mit den Sandkörnern ein Spalier und wiegten sich im Takt der Meeresmelodie.
Seit dieser Zeit herrscht Frieden am Meeresstrand und es gab keinen Anlass mehr, die Farbe zu wechseln.