Mitglied
- Beitritt
- 07.01.2019
- Beiträge
- 312
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 34
Lia und Eleni - Freiheit im Wind
»Fertig!« Eleni pfefferte den Stift ins Etui, sprang vom Schreibtischstuhl auf und schwang sich aufs Rad. Sie sauste vorbei an frisch gemähtem Rasen und gezupften Hortensien. Als sie den ersehnten Feldweg erreichte, legte sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht.
Ihre Haut begann zu kribbeln, als sie nach diesem nervigen Schultag die Landluft auf dem Gesicht spürte. Der Geruch von feuchter Erde stieg ihr in die Nase, um sie herum wuchsen Kornblumen und die Bienen sammelten fleißig Nektar.
Die Sonne blitzte vereinzelt durch die graue Wolkendecke und der Fahrtwind spielte mit einer dunkelbraunen Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
Sie richtete sich auf, streckte die Arme aus und ließ die Fledermausärmel ihres T-Shirts im Wind flattern.
Nach kurzer Zeit erreichte sie die Straße die sie direkt zum Bauernhof brachte. Hier war ihr zweites Zuhause. Eleni und ihre beste Freundin Lia verbrachten jede freie Minuten hier, mit ihren Pferden.
Schon von Weitem sah sie Lia und nahm beide Arme über den Kopf und winke wie Verrückt.
»Huhu!« rief sie und freut sich. Lia war nämlich immer ganz neidisch, weil sie nicht freihändig fahren konnte.
»Hey, da bist du ja endlich, dachte schon, du kommst nicht mehr.«
»Haha«, sagte Eleni, während sie vom Rad abstieg und es in den Fahrradstände stellte. »Mama hat mich noch gezwungen, meine Matheaufgaben zu machen.« Sie streckte die Zunge raus und machte ein Würgegeräusch.
Lia lachte.
»Gut dass wir jetzt hier sind. Komm, wir gucken, was die Jungs machen.« Sie stupste Eleni an der Schulter und hopste Richtung Pferdebox. Jede nahm sich einen Strick und gemeinsam schlenderten sie zur großen Wiese hinter der Scheune.
Die Wallachweide lag umrahmt von alten Eichen etwas abseits vom Hof. Die beiden Mädels blieben einen Moment am Eingang stehen. Die beiden Junghengste knabberten gegenseitig an ihren Halftern, zwei Weitere drehten sich im Kreis, fielen auf die Knie und schnappten nach den Hinterbeinen des jeweils anderen. Ab und an bäumten sie sich voreinander auf oder bissen sich in den Mähnenkamm. Die anderen Tiere zupften genüsslich am satten, grünen Gras.
»Oh, Mann! Kein Wunder, dass sie immer so zerrupft aussehen.« Lia schüttelte den Kopf und ging lächelnd auf die Koppel.
»Bjaaarki«, rief Eleni, nachdem sie ein paar Schritte auf die Herde zugegangen waren. Ein kleiner, fuchsfarbener Isländer hob den Kopf. Als Eleni sich dem Pony näherte, bebten seine Nüstern und ein freudiges Grummeln war zu hören.
»Na Dicker, geht's dir gut?«
Das Pferd lehnte seinen Kopf an ihre Schulter und stupste sie zärtlich. »Das freut mich, mir auch.« Eleni lachte und streichelte ihm über den Schopf. »Und wie sieht's aus? Schlagen wir Lia und Stori heute?«
Bjarki gab ein zustimmendes Wiehern von sich.
»Wir sind uns einig«, sagte Eleni, als sie sich mit Lia am Ausgang der Koppel traf, »ihr habt keine Chance gegen uns.« Sie streckte ihren Rücken durch und machte eine Kopfbewegung, als wolle sie ihr Haar zurückwerfen. Da sie einen Zopf trug, wirkte es leicht übertrieben und albern und beide brachen in schallendes Gelächter aus. Unter anhaltendem Glucksen und Gackern gingen sie zum Putzplatz.
»Puh«, prustete Eleni und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »ich hasse den Fellwechsel.«
»Wem sagst du das?« Lia nickte zustimmend und schaute zu Eleni rüber. »Wie siehst du denn aus?«, platzte es aus ihr heraus, »hast du Bjarki mit dem Gesicht geputzt?« Sie krümmte sich vor Lachen und hielt sich den Bauch.
Eleni schaute auf ihre Hände, dreckig bis unter die Fingernägel, nur die Stelle, mit der sie sich die Stirn abgewischt hatte, ließ ihre helle Haut auf blitzen.
»Oh, Mann – wieso sehe ich eigentlich immer aus wie ein Schwein und du wie frisch geduscht?« Eleni starrte auf ihre Arme, die sie Lia entgegenstreckte. Lia zuckte lachend mit den Schultern, klopfte auf Storis Kruppe und musterte ihre Hände, bevor sie sie Eleni unter die Nase hielt.
»Ich hab eindeutig das sauberere Pferd«, triumphierte sie, nahm den Fellkratzer zur Hand und befreite das schwarze Pony weiter von seinem losen Winterfell.
Nachdem sie gefegt, gesattelt und getrenst hatten, zogen sie Helm und Handschuhe an und Elenis schmutzige Stirn und Hände waren verschwunden.
»Tadaaa«, sagte sie mit ausgebreiteten Armen, »ich kann zaubern.«
»Wuhuuu.« Lia klatschte in die Hände und grölte laut und überschwänglich, als hätte Eleni einen dreifachen Salto mit anschließender Schraube perfekt ausgeführt.
Eleni strahlte breit und verbeugte sich.
»Ach Mensch, ich werde das vermissen«, sagte Lia aus der heiteren Stimmung heraus.
Eleni zog die Brauen zusammen, »was jetzt genau?«
»Alles einfach. Das Putzen das rum albern. Die Jungs. Dich.« »Okay«, Eleni zog es übertrieben in die Länge, »und was genau soll mir das jetzt sagen?«
»Papa hat uns heute beim Essen erzählt das wir weg ziehen«, nuschelte Lia leisen in Storis Fell, dabei streichte sie gedankenverloren mit der Bürste über seinen Rücken.
»Bitte was?« Eleni dachte sie hört nicht richtig. Vor Schreck lies sie die Bürste fallen, Bjarki fand das nicht so witzig, schreckte mit dem Kopf hoch und ging einen Schritt zurück. Das alles bekam Eleni jedoch gar nicht mit.
»Ihr zieht weg? Wann? Wieso? Und wieso sagst du mir das erst jetzt?«
»Man, was hätte ich denn machen soll? Hallo Eleni tut mir leid das deine Matheaufgaben doof sind, ach übrigens wir ziehen weg? Das kann man doch nicht so einfach sagen.« Jetzt verlor sie die Beherrschung und eine Träne bahnte sich denn Weg über ihre Wange.
»Ja zum Beispiel so«, blaffte Eleni sie an. Als sie die Träne erblickte tat es ihr allerdings schon wieder leid, dass sie so gemein war.
»Mensch Lia, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anzicken, aber…« sie brach ab, wusste nicht was sie sagen soll und auch ihr kullerte jetzt eine Träne über die Wange.
»Wann?« brachte sie mit brüchiger Stimmer hervor.
»In drei Wochen.«
»Und wohin?«
»Nach München.«
»Nach München? Das ist komplett am anderen Ende von Deutschland.«
»Papa hat einen neuen Job bekommen.«
»Na super. Ist ja logisch, die Erwachsenen machen was sie wollen und uns fragt wieder keiner.« Elenis Trauer über die Nachricht schwang in Wut um.
Ohne Lia ist es nicht das Selbe auf dem Hof. Keine Wettrennen mehr mit den Pferden. Kein auf den Strohballen sitzen und die letzten Sonnenstrahlen des Abends genießen. Kein Zelten mehr neben der Pferdeweide um Morgens, den ersten, zarten Sonnenstrahlen entgegen zu reiten und das ganze auch noch so kurz vor den Sommerferien. Was sollte denn jetzt aus Eleni, Bjarki und Stori werden?
»Eleni?« fragte Lia vorsichtig.
»Was denn?« murrte sie. An Lias Gesichtsausdruck merkte sie, dass es böser klang als es geplant war. »Entschuldige, ich finde das nur so ungerecht.«
»Ja ich weiß, ich kann das nachvollziehen. Aber …« Lia zögerte.
»Was denn?« bohrte Eleni nach.
»Können wir die letzten Wochen vielleicht so tun als gäbe es keine Umzug?«
»Du bist ja lustig. Wie soll das denn gehen?«
»Ich weiß es nicht, ich will nur das die letzten Ritte so schön werden wie sonst auch.«
Eleni atmete dreimal tief durch und wischte sich die Träne von der Wange eher sie zu Lia ging. Sie legte die Hände auf ihre Schultern und schaute in Lias glasige, braune Augen.
»Okay, lass und reiten wie nie zuvor. Vielleicht gewinnen Bjarki und ich ja dann mal gegen dich.«
Lia rang sich ein schmales Lächeln ab, dann drückte sie ihre beste Freundin ganz fest an sich.
»Das wird nie passieren«, flüsterte sie Eleni ins Ohr, »Stori ist einfach viel schneller als ihr.«
Eleni löste sich aus den Armen und musste unweigerlicher lächeln.
»Na das wollen wir ja mal sehen. Komm lass uns los.« Sie begannen die beiden Wallach über den Hof zu führen. Nachdem sie noch einmal den Gurt festgezogen hatten, stiegen sie auf und Ritten vom Hof in Richtung Wald.
»So, wie sieht´s aus?« Lia schaute zu Eleni rüber, »bist du bereit, meinen Staub zu schlucken?«
»Du wirst überrascht sein, wer hier welchen Staub schluckt«, erwiderte Eleni siegessicher, »beim Baum geht’s los.«
Am Ende der Wiesen lag ein langes Waldstück. Ihre Rennstrecke. Mehr brauchten sie nicht. Eleni sog die modrige Luft des angefeuchteten Waldbodens ein. Er mischte sich mit dem süßlich-harzigen Geruch der umstehenden Kiefern. Sie liebte es, nach der Schule ihre Seele baumeln zu lassen. Mit ihrem Pferd und ihrer besten Freundin die Natur zu erkunden und durch den Wald zu jagen, als gäbe es kein Morgen mehr.
Den Weg kannten sie ebenso gut wie ihre Pferde und die wussten genau, was ab dem ersten Baum von ihnen verlangt wurde.
Bjarkis Schritt wurde nervös, zuckelig. Stori schnaubte noch einmal ab, bevor die vier den Startpunkt erreichten und Lia und Eleni ihren Pferden den Befehl gaben zu fliegen. Die beiden Wallache schossen los. Lia und Eleni hoben ihre Pos aus den Sätteln, verlagerten die Oberkörper leicht nach vorne und gaben die Zügel ein bisschen nach, damit die Pferde ihre komplette Geschwindigkeit auspacken konnten.
Die üppige Mähne der Isländer wehte nach hinten wie Elenis Zopf beim Fahrradfahren.
»Jeeehaaa«, jauchzte Lia, »ich hab dir doch gesagt, ihr schlagt uns nie.«
Bjarki hing hinter Stori und schnaubte bei jedem Galoppsprung, aber an Aufgeben war nicht zu denken.
»Na warte, ich krieg dich schon«, quiekte Eleni.
»Los, Dicker, pack' sie dir«, flüsterte sie, gab die Zügel noch ein Stück weiter nach und legte ihren Schenkel an den Bauch des Pferdes. Bjarki streckte seinen Hals und legte noch einmal Tempo zu.
Im Vorbeirasen wirkten die Stämme der Eichen und Kiefern wie eine braune, hölzerne Wand. Ab und an schreckte ein Fasan auf, wenn die Mädels vorbei preschten. Hier eine kleine Rechtskurve, da leicht links, ein Sprung über einen dünnen Jungbaum, der den letzten Sturm nicht überstanden hatte, sanfte Landung und direkt wieder Vollgas. Die Oberkörper der Mädels schienen über den Pferderücken zu schweben, kaum eine Bewegung war zu sehen, nur die Knie federten jeden Sprung geschmeidig ab. Es war ein traumhaftes Gefühl und Eleni konnte nicht anders, als über das ganze Gesicht zu strahlen. Für einen kurzen Moment, war das Thema Umzug vom Tisch und es war alles so, wie es sein soll.
Bjarki schnaufte, schwitzte, aber sein Kampfgeist war ungebrochen. Hinter der nächsten Kurve war er, der kleine See. Das Ziel ihrer Rennstrecke. Hier machte sie oft Rast und ließen die Pferde etwas trinken und etwas von dem Saftig grünen Gras schmecken, währen Lia und Eleni an einem Baum gelehnt saßen und über die Welt philosophierten.
»Hooooooo«, Eleni nahm die Zügel auf und setzte sich schwer in den Sattel. Bjarki parierte sofort. Erst Trab, dann Schritt.
»Ach, Käse. Schon wieder verloren«, stöhnte sie, nachdem sie zu Lia aufgeschlossen hatte, dabei klopfte sie ihrem Pferd liebevoll den Hals, legte sich auf seine Mähne und kraulte ihm das Maul. »Du hast das trotzdem super gemacht.«
Bjarki schnaubte zustimmend, ließ Kopf und Ohren hängen und streckte den Hals Richtung Waldboden.
Lias Gesicht glich einem Honigkuchenpferd. »Siehst du«, schnaufte sie, »ich hab doch gesagt, dass wir gewinnen.« Sie klopfte Storis Schulter. »Mein Bester und ich sind eben unbesiegbar.«
»Egal. Es war trotzdem super. Ich liebe das Gefühl, wenn wir durch den Wald fliegen.«
»Oh ja, es gibt nichts Besseres. Einfach frei sein.«
Sie stiegen von den Pferden und nahmen die Zügel über den Hals. Beide Ponys gingen zielstrebig zu der seichten Stelle des Baches und tranken genüsslich. Anschließend ginge die vier im Schritt, zufrieden und nebeneinander, zurück zum Hof. Hoch über ihren Köpfen breiteten Buchen und Kiefern ihre Äste aus. Die Sonne zauberte mithilfe der Blätter ein mystisches Grün auf die Mädels und irgendwo hörte man das Lachen eines Fuchses. Die Schritte der Pferde klangen dumpf auf dem Waldboden.
»Du Lia?« fragte Eleni vorsichtig.
»Ja?«
»Kommst du mich den in den Ferien mal besuchen?«
»Klar, aber nur wenn du auch mal nach München kommst.«
»Ja logisch komm ich. Muss doch sehen wo du so gelandet bist.«
»Super. Wenn du dann da bist können wir in den Cavalluna Park gehen.«
»Was ist denn der Cavalluna Park?«
»Ein Erlebnispark rund um Pferde. Mit Pony-Streichelzoo, Pferde Spa und coolen Shows« Lias Begeisterung nahm gar kein Ende.
Fast war die Tatsache, dass sich die Mädels nicht mehr regelmäßig sehen konnten vergessen, während sie planten, was sie in München alles machen konnten und bis dahin würden sie jede freie Minute damit verbringen, den Wald unsicher zu machen und Pläne für die Sommerferien zu schmieden.