Was ist neu

Lernprozesse

Seniors
Beitritt
21.12.2015
Beiträge
1.268
Zuletzt bearbeitet:

Lernprozesse

Lernprozesse


Der Chef schließt die Tür zum Flur, macht zwei tänzelnde Schritte und steht plötzlich rechts neben Gesa. Obwohl sie sich vorgenommen hat, diesen erwarteten Schwenk zu ignorieren und hartnäckig nach vorne zu sprechen, dreht sie sich doch mit. Immerhin ist er der Schulleiter und sie bloß eine junge Kollegin. Sie ärgert sich und wartet auf die Eröffnung des Gesprächs.
„Es geht nicht anders, liebe Frau Dobermann, es müssen nun mal alle Klassen versorgt werden. Leider ist Kollege Männlin gesundheitlich angeschlagen und wird so bald nicht zurückkommen. Ich weiß ja, dass alle am liebsten im Zweiten Bildungsweg unterrichten wollen. Aber auch Metzger brauchen Allgemeinbildung. Haben Sie das nicht erst neulich selbst gesagt, als Kürzungen bei Deutsch und Gemeinschaftskunde im Raum standen?“
Gesa erinnert sich nur zu gut. Auf dieser Konferenz ist es hoch hergegangen. Als neu gewählte Sprecherin des Personalrats hat sie leidenschaftlich für eine gerechte Verteilung der Deputate gekämpft und dafür, dass jeder auch mal die schwierigen Berufsschulklassen kennenlernen soll. Es gibt unter den Allgemeinbildnern Erbhöfe, die zäh verteidigt werden.
„Ja aber, … muss es gerade eine Frau sein? Sie wissen doch, dass die Burschen ziemlich robust sein können, allein schon von der Lautstärke her.“
Der Chef tänzelt wieder und steht nun an ihrer linken Seite. Gesa fixiert die mannshohe Zittergraspflanze in der Ecke. Die hat ihm das Kollegium zum fünfundfünzigsten verehrt. Für so ein Dienstgespräch könnte er ihr wenigstens einen Stuhl anbieten.
„Nun ja, Sie als Frau können doch gewiss besänftigend auf die wilden Kerle einwirken. 'Das ewig Weibliche zieht uns hinan', wie schon Schiller sagte.“
Der Chef macht eine Pause. Wahrscheinlich wartet er darauf, dass Gesa ihn korrigieren werde, aber diesen Gefallen tut sie ihm nicht. Auch ein Diplomphysiker hat schon mal was von Schiller und Goethe gehört. Nein, in diese Falle tappt sie nicht.
Gesa macht eine winzige Drehung nach links. Sie drückt die Schultern nach hinten. Dadurch gewinnt sie ein paar Zentimeter an Größe.
„Finden Sie es glücklich, wenn ausgerechnet eine erklärte Vegetarierin in der Fleischabteilung unterrichten soll? Da ist doch ihre Autorität von vorneherein in Frage gestellt.“
„Aber Sie sollen ja nicht Fachkunde unterrichten, nur Allgemeinbildung. Nein, nein, Frau Dobermann, wir lassen es jetzt mal so laufen. Und das mit der Autorität ... Wenn es gar nicht geht, finden Sie immer ein offenes Ohr bei mir. Schicken Sie die Bösewichte auf die Direktion. Ich lese ihnen dann die Leviten. Aber gut, wenn Sie mir einen netten Kollegen als Ersatz präsentieren können … Danke für Ihr Verständnis.“
Er öffnet die Tür und verscheucht damit die Kollegen der Aufsicht, die hastig ihren Kaffee austrinken.
So weit kommt's noch, denkt Gesa, und verschwindet Richtung Pausenhof, um sich mit einer Zigarette zu beruhigen.

Die „schrecklichen Vier“, wie der Personalrat spöttisch genannt wird, treffen sich mindestens einmal pro Woche. Gesa findet es prima, dass sie paritätisch besetzt sind: Zwei Männer und zwei Frauen, alle mit Uni-Abschluss und ähnlicher Biografie, Grundschule, Gymnasium, Uni, Schule. Ihr Durchschnittsalter ist gerade mal zweiunddreißig. Erstaunlich jung für ein Kollegium, in dem viele ältere Lehrkräfte den berufskundlichen Unterricht bestreiten. Es haben sich nur wenige an der Wahl beteiligt. Wahrscheinlich sind denen die Verbindungen zu Handwerkskammern und Innungen wichtiger als das bisschen Mitbestimmung in der Schule.
Im Dachgeschoss des Gebäudes, Baujahr 1906, haben sie sich ein gemütliches Revoluzzerzimmer eingerichtet, die Wände dekoriert mit Plakaten zum Frauenwahlrecht, ganz aktuell zum Widerstand gegen den Bau eines Atomkraftwerks in Wyhl, sowie das berühmte Bild von Einstein, auf dem er die Zunge herausstreckt. Schließlich gibt es noch ein Poster mit den Vieren vor dem Schulportal. Sie halten gemeinsam ein Spruchband hoch:
Gerechtigkeit und Mitsprache bei der Deputatsverteilung! Unverzüglich und unbeschränkt!
Das Spruchband hatte Marion gestiftet. Sie ist eine begabte Spruchbandmalerin und bei jeder Demo in der Stadt zu finden.
Der Schulleiter hat noch nie einen Fuß in ihre Kemenate gesetzt. Wahrscheinlich weiß er gar nicht, dass es sie gibt.

„Er hat es wieder getan und ich blöde Kuh hab es mir wieder gefallen lassen“, sagt Gesa, wirft einen Ordner mit Unterrichtsmaterialien auf das durchgesessene Sofa und legt eine Tüte mit Brezeln auf den Tisch.
„Was denn? Wer denn?“
„Unser aller Chef, der Tanzlehrer. Eins, zwei Cha Cha Cha ...“
Marion lacht.
„Lieber ein Hobbytänzer als ein Hobbyjäger wie sein Vorgänger. Komm, trink erst mal ein Glas Wasser. Sprudel ist aus. Jens und Axel kommen auch gleich. Ich bin gespannt, was du ausgehandelt hast.“
Sie setzt die Kaffeemaschine in Gang. Aus dem altertümlichen Kühlschrank, den sie dem Hausmeister abgeluchst haben, holt sie Dosenmilch und ein Stück Butter. Die Vorräte an Getränken müssen unbedingt aufgefüllt werden. Zum Glück gibt es im Dachgeschoss eine eigene, nur Lehrern zugängliche Toilette und ein Ausgussbecken mit Wasserhahn. Ihre Treffen dauern nie kürzer als zwei Stunden.
„Nicht das, was wir besprochen haben. Ganz im Gegenteil. Ganze fünf Minuten hat er mir gegeben. Aber lass uns auf die beiden warten. Ich habe keine Lust, alles zweimal zu erzählen.“
„Na gut, dann trinken wir erst Kaffee. Sind die Brezeln von heute? Ich hab übrigens schon ein paar Ideen für den Lehrerausflug.“
Nach zwei Stunden haben sie noch immer keine Lösung. Jens findet Gesas Argumente im Prinzip richtig, kann sich aber nicht aufraffen, einen Kollegen vorzuschlagen, schon gar nicht sich selbst. Er sei unabkömmlich bei den Optikern. Das habe ihm der Fachgruppenleiter versprochen. Axel deutet auf das Plakat mit dem Frauenwahlrecht und sagt: „Gleiche Rechte, gleiche Pflichten.“ Daran knüpft sich eine lebhafte, auf allerhöchstem Niveau geführte Debatte über die Begriffe Gleichheit und Gerechtigkeit.
Marion, als Kunstlehrerin im Zweiten Bildungsweg ohnehin nicht tangiert, schlägt vor, einen der beiden neuen Kollegen zu überreden. „Jeder hier muss mal klein anfangen. Wenn nicht, Gesa, dann musst eben du in den sauren Apfel beißen. Du gehst dann einfach mit gutem Beispiel voran. Das ist großartig fürs Ansehen des Personalrats. Und du schaffst das, ich weiß es. Wir alle wissen es.“
Marion beherrscht die Kunst der Manipulation aus dem Effeff. Zum Trost und weil es schon nach fünf Uhr nachmittags ist, trinken sie noch einige Runden Calvados. Nach zwei Gläsern gibt Gesa klein bei.

Gesa steht vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer und prüft ihr Erscheinungsbild. Kollege Becherer, der mit ihr zusammen die Theoriefächer im zweiten Lehrjahr Metzger unterrichten wird, hat ihr ein paar gute Ratschläge gegeben und dabei anzüglich gegrinst.
„Zieh bloß keinen Minirock an. Das ist total riskant, wenn du was an die Tafel schreibst. Und Bücken ist auch nicht günstig. Die Burschen lassen gerne mal was runterfallen und hoffen auf deine Reflexe.“
„Hast du nicht was Substanzielleres anzubieten?“
Der Kollege wird ernst.
„Doch. Lass dich auf keinen Fall provozieren. Es sind nicht alle Rabauken oder Dummdödel. Da sind ein paar ehrgeizige Burschen darunter, die können dir ganz schön knifflige Fragen stellen. Meistens sind das Söhne von Innungsmitgliedern.“
„Kann es da Ärger geben, Jugendarbeitschutz, Gewerkschaften und so …?"
„Halt dich an die Lehrpläne. Nur die Note in Wirtschaftskunde zählt bei der Kammerprüfung mit. Da sind sie in der Regel ganz gut bei der Sache.“
„Aha. Und der Rest ist für die Tonne? Schöne Aussichten.“
Becherer wird noch ernster, fast streng.
„Nein, Gesa, es kommt darauf an, was du daraus machst. Und vielleicht solltest du dir mal einen Handwerksbetrieb von innen ansehen … Ich vermittle dir gerne einen Besuch, wär auch nicht schlecht für die anderen drei im Personalrat.“

Allgemeinunterricht findet in der Regel nach der einstündigen Mittagspause statt. Drei Fächer in neunzig Minuten. Die Schüler haben dann schon fünf Schulstunden hinter sich und sind gerade im berüchtigten Mittags-Tief.
Die Luft im Klassenzimmer ist zum Schneiden und riecht ein wenig nach Kneipe. Gesa geht zur Tafel vor, durch die zwei Tischreihen, die mehr oder weniger akkurat nach vorne ausgerichtet sind. Die Schüler dösen oder spielen Karten. Nicht alle nehmen Notiz von ihr. Sie wischt einen Teil des Tafelanschriebs vom Vormittag weg und schreibt:

Guten Tag! Ich bin Frau Dobermann und unterrichte bei Ihnen Deutsch, Gk und WK.

„Wau! Wau!“, tönt es aus den hinteren Bänken, einige lachen. Und sofort fällt ein Chor ein: „Wuff! Wuff!“
Gesa lacht mit. Sie kennt das schon. Immerhin sind jetzt alle wach. Sie hat einen Fragebogen vorbereitet, auf dem die Schüler aufschreiben sollen, was sie von diesen drei Fächern für ihren Beruf erwarten, und dann noch, was sie von ihr als Lehrerin erwarten. Sie teilt das Arbeitsblatt selbst aus. Da kann sie die Burschen aus der Nähe betrachten. Sogar im Sitzen sind die meisten größer als sie, stämmige Kerle, mit behaarten Unterarmen und Schnittnarben an den Händen, die zupacken können.
Für heute will sie sich nicht an die strenge Einteilung der Fächer halten. Vielmehr möchte sie noch eine Kennenlernrunde anschließen, eventuell die Sitzordnung verändern.
Zunächst wird es still im Raum. Einige schreiben eifrig. Einer hebt die Hand. Es ist ein schmächtiger Junge mit abstehenden Ohren, sicher einer der Jüngsten in der Klasse. Sie hat ihn zuerst gar nicht wahrgenommen.
„Ja, was gibt's?“
„Kann ich heute früher gehen, meine Oma wird morgen krank.“
Sofort schauen alle auf. Der Knabe ist wahrscheinlich der Klassenclown.
„Tatsächlich?“, sagt Gesa, „Das tut mir aber leid für Ihre Oma. Morgen können Sie früher gehen. Bestimmt gibt Ihnen Ihr Chef frei.“
Zack! Abgebügelt. Gleich mal die Keule geschwungen. Hat sie sich jetzt doch provozieren lassen? Gesa ist nicht ganz zufrieden mit ihrer verbalen Reaktion. Ironie und Sarkasmus sind keine guten pädagogischen Konzepte, hat sie gelernt. Fast bekommt sie ein schlechtes Gewissen.
Die Aktion Arbeitsblatt zieht sich hin. Gesa möchte den nächsten Punkt, die Vorstellungsrunde, noch unterbringen. Das Tische- und Stühlerücken braucht Zeit. Auch wenn Gesa erklärt hat, dass sie den Ball auch gegenseitig zuwerfen sollen, landet er doch immer wieder bei ihr. Nicht alle Fragen will oder kann sie ehrlich beantworten, zum Beispiel die, ob sie lieber weißes oder rotes Fleisch äße. Eine Viertelstunde vor dem Gong bricht sie ab, sammelt die Fragebogen ein und lässt aufräumen, Stühle hochstellen und die Tafel wischen. Ausgerechnet Erwin, der Klassenclown, bietet sich an und geht als letzter, bevor sie abschließt. Sie kann noch nicht einschätzen, ob der erste Tag ein Erfolg war.

Am folgenden Mittwoch betritt sie beklommen das Klassenzimmer. Sie hat die Ergebnisse des Fragebogens im Kopf. Danach müsste sie eigentlich zuhause bleiben. Deutsch können sie genug, Gemeinschaftskunde ist langweilig und unverständlich. Wirtschaftskunde brauchen sie halt für die Gesellenprüfung, eine Vier reicht zum Bestehen.
Und sie wollen nicht mit 'Sie' angesprochen werden. Im Handwerk duzen sich alle. Zum Chef sagen sie, he Chef, erklärst du mir mal, wie ...
Die dreiteilige Tafel ist zugeklappt, scheint frisch geputzt. Diesmal drehen sich die Köpfe zu ihr um, Erwartung blitzt aus ihren Augen.
Sie öffnet das pädagogische Tryptichon. Eine eindrucksvolle Kreidezeichnung, fünfzig Zentimeter hoch und anatomisch perfekt, springt sie an. Liebevoll hat der Künstler gekräuseltes Haar um die Peniswurzel gemalt. Darunter steht: für Frau Dobermännchen.
Gesas erster Impuls lässt sie nach dem Schwamm greifen. Dann zögert sie ungefähr achteinhalb Sekunden, wischt schließlich nur den Text weg und zeichnet statt dessen eine riesige Comic-Sprechblase neben das Werk.
„Dann wollen wir doch mal sehen, welche Wörter ihr für dieses Ding habt. Ich nenne es meistens Glied oder Penis.“ Sie notiert die beiden Begriffe in die Sprechblase. „Wer einen Begriff weiß, kann ihn hier dazuschreiben.“
Das Brainstorming ist zuerst nur ein leises Säuseln, dann aber schieben sich die Leitwölfe der Klasse nach vorne. Sie haben eine erstaunliche Vielfalt in ihrem Repertoire, Gesa muss manchmal nachfragen, weil sich die Orthographie nach dem Mündlichen richtet. Es wird viel gelacht. Ohne Aufforderung schreiben die jungen Männer alles mit, so dass es ganz leicht ist, zur Gruppenarbeit überzugehen. Sie sollen untereinander diskutieren, warum es so viele Ausdrücke gibt und ob man sie überall und jederzeit verwenden darf.
Diese neunzig Minuten gehen im Flug vorbei, Gesa setzt sich immer wieder mal an einen Vierertisch und hört zu. Mehr ist nicht nötig und sie erfährt interessante Details aus dem Seelenleben der Azubis. Heute übernimmt sie das Tafelputzen selber. Einige verabschieden sich sogar persönlich von ihr, mit aufgerecktem Daumen. Jetzt hat sie wohl einen Fuß in der Tür.

Einige Wochen dauert es, dann kann Gesa für sich verbuchen, dass der Unterricht halbwegs nach ihren Vorstellungen läuft. Natürlich gibt es zähe Phasen, in denen die Schüler Null-Bock auf Formbriefe-Schreiben oder Institutionenkunde haben. Gesa sucht sich dazu in Zeitungen und Zeitschriften Materialien zusammen, die irgendwie einen Bezug zur Lebenswelt von Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen haben. Ihre Produktion an Arbeitsblättern steigt sprunghaft an. Vor Unterrichtsbeginn hat sie einen Stammplatz am Kopierer, wo sie lebhaft für ihre Idee wirbt, sich gemeinsam auf den Unterricht vorzubereiten.
Es sei doch blöd, wenn jeder allein vor sich hinwurschtle. Sie erhält viel rhetorische Zustimmung, praktisch aber bleibt sie Einzelkämpferin. Einem Ochsen ins Horn „pfetzen“, erzeuge mehr Wirkung, mault sie bei einem ihrer Personalratstreffen. Jens schlägt ihr zwischen die Schulterblätter, dass sie in die Knie geht.
„Kopf hoch, Genossin“, sagt er von oben herab, „wer wird denn hier schon aufgeben? Der Schulterschluss zwischen Vollakademikern und Praktikern ist eine Dezenniumsaufgabe. Diesen Prozess haben wir erst begonnen.“
Klugscheißer, denkt Gesa, arrogantes Arschloch, war der schon immer so? Und merkt, dass sie dabei ist, die Fronten zu wechseln.
Und dann sind da noch Klassenarbeiten zu schreiben, es gibt eine vorgeschriebene Mindestanzahl für jedes Fach. Korrigieren und Benoten sind für Gesa die unangenehmsten Pflichten. Sie hasst den Kampf um die Zehntel, den sie auch aus ihren Klassen im Zweiten Bildungsweg kennt.
Der Blick auf die Themen in der Abschlussprüfung in den letzten Jahren gibt ihr wenigstens einen Anhaltspunkt, was verlangt wird. Das leuchtet wahrscheinlich auch den Azubis ein. Und so gräbt Gesa für Deutsch Themen aus, die dem Stoff aus den beiden ersten Lehrjahren entsprechen.

Draußen ist es schwül, trotzdem hat Gesa das Klassenzimmer noch einmal durchlüften lassen.
Sie schreibt die Aufsatzthemen an die Tafel. Eines ist nach freier Wahl zu bearbeiten, ganz wie im Prüfungsernstfall.

Erstellen Sie einen Bericht über einen Verkehrsunfall aus der Sicht eines Beteiligten. Der Bericht ist für die Unfallversicherung.

Sie müssen aus familiären Gründen Ihren Ausbildungsplatz aufgeben. Schreiben Sie an den Lehrlingswart Ihrer Innung und erläutern Sie ihm Ihre Gründe.

„Ich hab mir solche Mühe gegeben, und trotzdem ist es mir nicht gelungen.“
Schreiben Sie dazu eine erlebte oder erfundene Geschichte.

Zeitvorgabe: 90 Minuten. Numerieren Sie die Seiten und geben Sie die Entwürfe mit ab.

Gesa ist gespannt, ob einer sich an das dritte Thema wagt. Es ist ja nicht einfach zuzugeben, wenn man gescheitert ist. Sie wundert sich, dass dieses Thema überhaupt Eingang in die Prüfungsaufgaben gefunden hat. Ist doch verdammt pessimistisch und eher kontraproduktiv zum sonst geförderten Optimismus im Unterricht.
Der Erste steht nach knapp dreißig Minuten am Pult und wedelt mit zwei Blättern.
„Was? Du kannst doch unmöglich fertig sein. Zeig mal her. Ziemlich unleserlich. Ist das die Reinschrift?“
„Nee, der Entwurf, ich wollte bloß, dass Sie mal einen Blick drauf werfen.“
„Aber du weißt doch, dass wir heute unter Prüfungsbedingungen arbeiten. Und Hilfestellung darf die Aufsichtsperson nicht geben. Sie kann dir höchstens erlauben, aufs Klo zu gehen. Also zisch ab, schreib das Ganze ins Reine, und das meine ich wörtlich.“
„In echt?“
„In echt. Du hast noch reichlich Zeit.“

Nach weiteren dreißig Minuten gibt es bereits eine Schlange von denen, die ihre Arbeit für beendet halten. Sie haben es eilig, denn Gesa hat versprochen, wer fertig ist, darf gehen, eine gute Gelegenheit für manche, einen Zug früher zu erwischen.
Gesa selbst hat auch nichts dagegen, wenn sie früher nach Hause kommt. Da wartet noch ein Berg mit anderen Korrekturen auf sie.
Zwei einsame Schreiber wollen anscheinend die volle Zeit ausnützen. Gesa will zwar nicht drängeln, mahnt aber doch, zum Schluss zu kommen.
Schließlich bleibt nur noch einer übrig, Erwin, der Bauernbub von der Prechtalalm.
„Die Zeit ist um, Erwin, du musst abgeben.“
„Ja, gleich, nur noch ein Satz. Bitte!“
Gesa wartet, aber Erwin kaut nur auf seinem Kuli herum.
„Erwin, ich muss dir die Arbeit jetzt wegnehmen“, sagt Gesa und zupft an dem Blatt, auf das der Junge seine rechte Faust presst. Das Papier bekommt einen kleinen Riss. Mit der linken Hand kritzelt er ein paar Worte, dann legt er alles zusammen und streckt ihr den Stoß wortlos entgegen. Es sind mindestens fünf Blätter. So viele hat sonst keiner abgegeben. Erwin packt seine Sachen, schaut grußlos an Gesa vorbei und schlägt die Tür hinter sich zu.

Gesa hat sich Erwins Arbeit bis zuletzt aufgehoben. Schon am Vormittag hat er sie auf dem Pausenhof abgepasst.
„Meine Geschichte, haben Sie die schon gelesen?“
Er schaut sie erwartungsvoll an, kann es kaum aushalten, wie ein Kleinkind.
„Aber Erwin, so schnell bin ich nicht, gestern Abend hatte ich auch noch was anderes zu tun. Warum hast du's denn so eilig?“
„Nur so, ich wollt halt bloß wissen … Ich hab doch den letzten Satz nicht richtig aufschreiben können.“
„Nächste Woche kriegt ihr die Arbeit zurück. Also der letzte Satz. Ich werde ja sehen, wie wichtig er ist. Mach dir mal keinen Kopf.“
Erwin zieht ab zu seinen Klassenkameraden, die ihn bestimmt ausfragen, was sie gesagt hat. Vielleicht haben sie ihn vorgeschickt. Sie sieht, wie er den Kopf schüttelt.

Gesa hat sich einen starken Schwarztee aufgegossen. Der Rücken tut ihr weh nach dem langen Sitzen am Schreibtisch. Sie muss sich erst einmal dehnen und strecken. Nun also noch Erwins Geschichte. Die beginnt langatmig mit einer Beschreibung von Erwins Elternhaus, der Wohnung und dem Stall unter dem tiefgezogenen Dach. Komm zur Sache, denkt Gesa, für heute reicht's mir.
Erwins Lieblingskuh soll also ein Kälbchen bekommen und deshalb wollte er rechtzeitig zuhause sein. Leider hat ihn Frau Dobermann nicht früher gehen lassen. Das mit der Oma war natürlich ein blöder Spruch. Soso, aber wieso hat er nicht offen gesagt, was los ist? Na klar, es war ja auch der erste Unterricht bei mir.
Erwin beschreibt, wie sich die Geburt in die Länge zieht, wie er sich im Stall für die Nacht einrichtet, um helfen zu können, falls der Vater das Kalb mit Stricken herausziehen muss.
Schließlich liegt das Neugeborene im Stroh. Es ist ganz schwach und bewegt sich kaum. Erwin wischt es ab, wärmt es, tut alles, um es am Leben zu erhalten. Gegen Morgen ist das Kälbchen tot.
Und zuletzt schreibt er: Ich hab mir solche Mühe gegeben und dann ist es doch gestorben. Ich war so traurig, dass …
Hier bricht der Text ab. Gesa ist beeindruckt und irgendwie beschämt. Der Junge hat eine gute Geschichte geschrieben, zwar viele Fehler, aber doch einfühlsam und nicht ohne Spannung. Hat sie nicht insgeheim geglaubt, Metzger seien rohe, unsensible Kerle, denen das Töten und Schlachten von Tieren nichts ausmacht?
Vielleicht mag Erwin seine Geschichte vorlesen. Oder er erlaubt, dass Gesa sie vorträgt.
Und dann wird sie das Thema Vorurteile im Unterricht aufgreifen müssen. Sie weiß jetzt schon, dass sie da keinen leichten Stand haben wird. Aber anders, als sie am Anfang geglaubt hat. Womöglich muss sie doch bekennen, dass sie Vegetarierin ist. Das wird ein heißes Eisen.

 

Liebe maria.meerhaba,

ich bin total überrascht, dass du dich für diesen Text interessierst und sogar einen Komm geschrieben hast. Lehrer und Schule sind für fast alle Menschen, die ich kenne, ein Thema, auf das sie mit Ablehnung oder Spott reagieren. Es scheint einfach zu viele Verletzungen gegeben zu haben, die manche ihr Leben lang mit sich rumschleppen. Übrigens auf beiden Seiten, sonst gäbe es nicht so viele Lehrer mit Burnout-Syndrom.

Du wunderst dich, dass ich mit "Historik" getaggt habe. Das ist ein alter Streitpunkt von mir, denn ich weiß nicht, ob eine Geschichte, die 50 Jahre und mehr zurückliegt, noch zur Gegenwart zählt. "Zeitgeschichte" wäre passend, denn dies ist eine Bezeichnung für historische Abschnitte, aus der es noch lebende Zeitzeugen gibt, und da bin ich eine(r) davon.

Deshalb war mir der erste Teil meines Textes so wichtig, mit vielen Anspielungen auf die damaligen Strukturen in der Berufsschule, in Deutschland als Duales System sehr gepriesen und auch im Ausland oft bewundert. Leute, die diesen Schultyp selbst erlebt haben, hatten Spaß an meinem ironischen Blick, zum Beispiel barnhelm.

Ganz klar, dass die Geschichte gegen Ende ein wenig zeitloser wird, wenn es um Vorurteile geht. Dieses Thema ist immer aktuell. Und da sind halt meine Protas, Gesa und Erwin, plastischer geworden, was in allen Komms bestätigt wird.

Diese Geschichte habe ich in gewisser Weise für mich selbst geschrieben. Sie dümpelte jetzt schon so lange in meinem Hirn herum, da wollte ich sie loswerden. Ist jetzt passiert, und gut is :gelb:

Zu deinen Fragen:

paritätisch heißt: In einer Gruppe sind von jeder Sorte gleichviel vertreten, also zwei Männer und zwei Frauen, oder vier Türken und vier Deutsche usw.

das bisschen Mitbestimmung ist korrekt, eine Redewendung. Man könnte auch sagen: das bisschen an Mitbestimmung. Ebenso wäre korrekt ein bisschen (an) Liebe, ein bisschen (an) Hoffnung. Es spielt dann keine Rolle, welches Geschlecht das angehängte Wort hat.
Auch korrekt wäre dein Vorschlag das bisschen Mitbestimmen. In meinem Text sollte aber der Fachbegriff Mitbestimmung (aus dem Arbeitsrecht) verwendet werden. War ja nicht selbstverständlich in früheren Zeiten.

Du hast einiges an Lob formuliert trotz deiner Vorbehalte. Das freut mich natürlich und dafür danke ich dir.

Genieße den Urlaub, so weit es möglich ist. Familie ist auch etwas, das einen ein Leben lang begleitet.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

ich habe mir deine "Lernprozesse" für nach dem Urlaub aufgehoben. Und was soll ich sagen, es ist ein wieselmaus-Text der straffen Art. Was ich damit sagen will ist, er klingt wenig verhalten und zögerlich und ich habe den Eindruck, dass alles fix und fertig gedacht war und eine Prise Humor, etwas Kraft und Kampfgeist und fertig ist eine feine Geschichte, die einen wohl zeitlosen Einblick in das Berufschulleben gewährt. Nehme ich zumindest an.


Gesa fixiert die mannshohe Zittergraspflanze in der Ecke.

Wirklich kein so guter Ort, um Gesa zu zentrieren. Sehr originell. ;)

Gesa macht eine winzige Drehung nach links. Sie drückt die Schultern nach hinten. Dadurch gewinnt sie ein paar Zentimeter an Größe.

Schön, wie du von außen an ihr arbeitest.

Zum Trost und weil es schon nach fünf Uhr nachmittags ist, trinken sie noch einige Runden Calvados. Nach zwei Gläsern gibt Gesa klein bei.

Das ist ja n dolles Ding, aber lustig.

Gesa lacht mit. Sie kennt das schon. Immerhin sind jetzt alle wach.

Ich hab sie richtig gern. Bisher hat sie alles richtig gemacht. Du lässt sie wachsen.

Jens schlägt ihr zwischen die Schulterblätter, dass sie in die Knie geht.

Wirklich wahr? Sie fällt? Nicht so schönes Bild. Weder von ihr, noch von ihrem Kollegen.

Mir gefällt ganz besonders, dass du die Nebencharaktere weder blass noch gleichwertig zeichnest und Gesa den Vortritt lässt. Ist sehr angenehm dadurch die Entwickung zu verfolgen.

Der Charakter kommt mir durch andere Geschichten irgendwie bekannt vor.;) Wie eine Tochter der Mutter aus "Schweizer Schokolade", so stolz und energisch.

Lieber Gruß, Kanji

 

Liebe Kanji,

... und ich habe den Eindruck, dass alles fix und fertig gedacht war ...

Da hast du was Wahres erkannt. Diese Geschichte beschäftigt mich schon ziemlich lange. Ich habe sie jetzt aus der Kochkiste geholt, und da zeigt es sich, dass sie ein wenig übergar ist.

Bestimmt taugt sie dazu, ein paar Einblicke in eine Zeit zu bringen, die für sehr viele Menschen nicht unbedingt zu ihren Lieblingserinnerungen gehört. In der Schule, speziell der Berufsschule in der Bundesrepublik Deutschland anfangs der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, war vieles im Umschwung, alte und neue Strukturen stießen sich manchmal hart im Raum. Während der Referendarsausbildung bekam man bisweilen durchaus neue Impulse vermittelt, die waren jedoch vor Ort nicht immer eins zu eins umzusetzen. Es schien nur logisch, dass junge LehrerInnen versuchten, durch Gruppenbildung sich gegenseitig zu stützen. Vor-Urteile gab es bei Lehrern und Schülern.

Gesa siehst du in einer Familientradition - taffe Mutter, taffe Tochter, ja, ja ich habe deine Anspielung verstanden. Es ist wieder ein Stückchen Familiengeschichte. Wenn ich meine Geschichten chronologisch ordne (nach der Zeit, in der sie spielen), dann käme fast so etwas wie eine Familiensaga heraus, mit ein paar Auslegern nach der einen oder anderen Seite. Das würde sogar den Kriterien für eine Serie entsprechen ... keine Angst, ich hab das nicht vor. Das Thema Schule/Lehrerin ist für mich abgeschlossen.

Die Geschichte hat dich etwas erheitert. Das freut mich und damit hat sie einen weiteren Zweck erfüllt.
Ich danke dir für deinen freundlichen Kommentar, und außerdem freue ich mich, dass du wieder an Bord bist.

Herzlichst wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

deine KG beweist wieder mal, die schönsten Geschichten schreibt das Leben. Und dass du zum Großteil Selbsterlebtes aufgearbeitet und aufbereitet hast, ist natürlich unübersehbar.

Sowieso mag ich Geschichten, die in den Schulalltag eintauchen. Und hier wurde mir nicht nur ein interessanter Einblick in das Schulwesen gewährt, nein, ich wurde auch mit einer neuen Erkenntnis beglückt: Lehrer sind auch nur Menschen mit Nöten und Ängsten :thumbsup:.
Auf die abgefahrene Idee kommt man ja als Schüler gar nicht.

Die Charaktere, beispielsweise der Direktor mit seinem Hang zum Gesellschaftstanz, die
Kollegen, die sich unter Ausreden winden, sind sehr lebendig gezeichnet. Und in diesem Teil der KG finde ich die Dialoge gelungen und glaubhaft. Und in meinen Augen gewinnt der Text sehr, weil du alles durch die wieselmaus-Ironie-Brille betrachtest.

Du merkst schon, dass da noch ein ABER lauert.
Na ja, eigentlich wollte ich dir schreiben, dass die KG die erläuternden Passagen, dein fachliches Insider-Detailwissen oder zum Beispiel den separaten Abschnitt über die Kemenate (besser wäre die Beschreibung in den nachfolgenden Teil einzuarbeiten) nicht nötig hat. Aber das weißt du selber. Ich habe gelesen, dass das eine bewusste Entscheidung von dir ist.
Okay, ich kann es akzeptieren und reite nicht länger darauf herum.

Hier noch ein Satz, bei dem ich nicht sicher bin, ob ich ihn richtig begreife:

Es gibt unter den Allgemeinbildnern Erbhöfe, die zäh verteidigt werden.
Muss ich mir unter dieser Aussage vorstellen, dass die Lehrkräfte keinen fingerbreit von ihrer festgezurrten Meinung abweichen?

Ein interessanter, sprachlich ausgereifter und humorvoller Text, der bei genauer Betrachtung
in zwei Hälften zerfällt, Teil A: Gesa strampelt sich frei und wir begleiten sie ein Stück auf ihrem Entwicklungsweg. Teil B: die Tragik um Erwins missglückte Tierrettung.
Natürlich verwebst du die Erzählstränge geschickt miteinander …
Zum Donnerwetter, ich wollte doch nicht auf Sachen herumreiten, die dir längst bekannt sind (zumal ich auch solche Tricks und Kniffe anwende).
Was haben die Wortkrieger nur aus mir gemacht :lol:

Das war jetzt nix Neues aus dem Westen, nur eine kleine Würdigung deiner Erzählkunst.

Lass es dir gut gehen, liebe Wieselmaus, man liest sich.
Liebe Grüße von
peregrina

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe peregrina,

Schön, dass du wieder präsent bist. Und dazu mit einem so wohlgesonnenen Kommentar. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass jemand während der großen Ferien noch Lust hat, sich mit Schulalltag zu befassen.

Jawohl, Lehrer sind auch Menschen. Nicht immer muss man sie mögen. Es ist halt so, dass sie auch viel Unheil anrichten können. Und manchmal merken es nicht einmal.
Ich bin schon froh, wenn ehemalige SchülerInnen nicht plötzlich auf die andere Straßenseite gehen, wenn sie mir über den Weg laufen ...

Gott sei Dank gibt es auch welche, die lassen noch viele Jahre später Grüße ausrichten. Und Klassentreffen können sehr vergnüglich sein. Nicht immer sind es die tollen SchülerInnen gewesen, die so richtig reüssieren. Gerade im Zweiten Bildungswesen gibt es großartige Karrieren. Und gute Handwerker sind begehrte Zeitgenossen.

Du hast ganz recht, dass ich zwei Geschichten ineinander verwoben habe. Nur die Geschichte mit Erwin erzählen wollte ich nicht. Die wäre mir zu sentimental geworden, fürchte ich. Wenn aber die Lehrerin auch an was zu knabbern hat, dann stimmt für mich die Balance besser und mein Hang zur Ironie wird durch Selbstironie gemildert.

Danke fürs Lesen und Kommentieren. Jetzt bist aber du dran. Ich warte auf eine neue Geschichte von dir.

Herzliche Grüße
wieselmaus

PS: Erbhöfe sind die begehrten Berufsfelder. Wenn ein Lehrer dort Fuß gefasst, mag er sie nicht aufgeben und behauptet gern, er sei dort unabkömmlich ( bis zu seiner Pensionierung :D). Das ist für neue Kollegen natürlich eine schwierige Situation.

LG wieselmaus

 

Lieber Wieselmaus,

nachdem du dankenswerterweise meinen Text aus gleichem Milieu gelesen hast, habe ich mich sogleich an die Lektüre deiner 'Lernrpozesse' gemacht. Und das vorneweg: Ich bin nicht ganz schlau geworden daraus. Zum Einen liegt das daran, dass du gleich am Anfang ins Geschehen springst und vom Leser das Verständnis von Begrifflichkeiten erwartest, die selbst mir nicht geläufig sind (Wer sagt heute noch 'Verteilung der Deputate?). Gleich zu Beginn bin ich auch davon ausgegangen, dass hier ein Konflikt zwischen Personalrat und Schulleiter entsteht, der dann im Fokus der Geschichte steht. Stattdessen aber zerfasert dieser vermeintliche Plot und es geht, überspitzt formuliert, um alles und nichts. Man bekommt als Leser zwar einen guten Eindruck von der Welt, die beschrieben wird, und vieles ist authentisch und gut beschrieben. Aber es fehlt doch die Pointe. Als am Ende Erwin seinen Text abgibt, erwartete ich, dass hier im Text etwas auftaucht, das Gesa Dobermann stutzig werden lässt, aber auch diese Episode endet im Nichts. Die Art und Weise, wie Gesa mit den Unterrichtsstörungen umgeht, finde ich persönlich übertrieben lässig.

Tut mir leid, Kollege, insgesamt sagt mir der Text nicht zu.

LG,

Herr Lehrer

 

Hi @wieselmaus,

ich komme mal schnell um die Ecke nachdem deine Geschichte hier kürzlich wieder nach oben geploppt ist. Ich erinnere mich, dass ich da seinerzeit schon mal reingeschaut habe, dass ich sie aber zu größeren Teilen überflogen habe - wie ich das leider bei etwas längeren Geschichten häufig mache :rolleyes:
Und jetzt muss ich feststellen, dass ich den Text richtig cool finde. Gut, ein paar Längen mag er durch die vielen liebevollen Einzelbeschreibungen haben. Aber unterm Strich setzt sich bei mir die stille Freude darüber durch, wie du am Ende die beiden Fäden (Vegetarierin in der Metzgerklasse und Umgang mit rüpeligem Benehmen) verbunden hast. Ich finde das eh immer ganz hübsch, wie unscheinbar deine Geschichten daherkommen und wie du dabei unauffällig etwas anstößt, was berühren kann.

Die Detailkiritk erspare ich uns diesmal, die Geschichte ist ja schon ewas älter. Nur schnell summarisch zum Thema "Längen": Vor allem die Dialoge könnten für meinen Geschmack an einigen Stellen gerne kürzer sein. Gleich am Anfang z.B.: Dass der Schulleiter die Umstände um den Herrn Männlein so ausbreitet - das wissen die Beteiligten doch alle, dass muss er doch nicht sagen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

P.S.: Dass Erbhöfe ein feststehender Begriff ist, hätte ich nicht geahnt. Ich fand aber die heimliche Verbindung zum Hofjungen trotzdem irgendwie hübsch. :)

 

Liebe @wieselmaus ,

Lernprozesse passt gut als Titel für diese fiktional überformte Studie (aus erster oder zweiter oder dritter Hand?, habe die anderen Kommentare nur überflogen). Da ich selbst vom Fach bin (noch nicht so ganz, aber demnächst/bald/wie auch immer) kommt mir das, was du beschreibst vertraut vor. Gut, wir sind auch (fast?) alle zur Schule gegangen, haben von daher alle Anknüpfungspunkte zu diesem Thema. Man merkt der Geschichte jedenfalls ihre Authentizität an, find ich.

Erbhöfe

interessantes Wort. Lese gerade, dass das auch ein Kampfbegriff der Nationalsozialisten war. Ist als Sprichwort interessant, hat aber auch da, wie ich gerade bei DWDS lese, einen deutlich nazistischen Bezug. Vielleicht nochmal überdenken, ob das passt. (Zitat: »nazistisch — seit Generationen in derselben Familie befindlicher Bauernhof, der jeweils an den ältesten Sohn ungeteilt weitervererbt wird«) :hmm:

'Das ewig Weibliche zieht uns hinan', wie schon Schiller sagte

haha, was für ein seltsamer Typ :lol:

Dadurch gewinnt sie ein paar Zentimeter an Größe.

schön beschrieben. Mit ist dein sehr präziser Stil aufgefallen. Ein Lob dafür, auch wenn ich es in meinen Texte auch gerne anders mache.

Ich bin Frau Dobermann und unterrichte bei Ihnen Deutsch, Gk und WK.

oh, Wortkrieger als Unterrichtsfach. Das hätte ich auch gerne gehabt :lol:

„Wau! Wau!“, tönt es aus den hinteren Bänken, einige lachen.

Hhehe. Was eine höfliche Begrüßung..

Zack! Abgebügelt. Gleich mal die Keule geschwungen. Hat sie sich jetzt doch provozieren lassen? Gesa ist nicht ganz zufrieden mit ihrer verbalen Reaktion. Ironie und Sarkasmus sind keine guten pädagogischen Konzepte, hat sie gelernt. Fast bekommt sie ein schlechtes Gewissen.

diese Schilderung aus dem Kopf deiner Erzählerin hat mir gut gefallen. Sehr präzise.

Sie öffnet das pädagogische Tryptichon. Eine eindrucksvolle Kreidezeichnung, fünfzig Zentimeter hoch und anatomisch perfekt, springt sie an. Liebevoll hat der Künstler gekräuseltes Haar um die Peniswurzel gemalt. Darunter steht: für Frau Dobermännchen.

schön beschrieben. Das Sakrale des Tryptichons (zumindest mir aus dem Kunstkontext am geläufigsten und darin aus der Kirchenmalerei) wirft ein spannendes Licht auf den Kreidepenis. Was für eine gnadenlose Provokation. Und dazu so eine gelassene Reaktion. Respekt.

Einige verabschieden sich sogar persönlich von ihr, mit aufgerecktem Daumen. Jetzt hat sie wohl einen Fuß in der Tür.

verdient.

Erstellen Sie einen Bericht über einen Verkehrsunfall aus der Sicht eines Beteiligten. Der Bericht ist für die Unfallversicherung.

sehr authentisch wiedergegeben.

Liebe @wieselmaus gelungene Innenansicht aus dem Lehrerinnenalltag. Die präzise Darstellung hat ihre Qualitäten, verleiht dem Ganzen aber auch etwas Protokollarisches, was ja durchaus erwünscht sein kann.

So viel und bis dahin!
Carlo Zwei

 

Hallo @erdbeerschorsch,

über Lebenszeichen alter Freunde freut man sich besonders, zumal da so ein Sätzchen auftaucht wie

Und jetzt muss ich feststellen, dass ich den Text richtig cool finde. Gut, ein paar Längen mag er durch die vielen liebevollen Einzelbeschreibungen haben.

Danke für "cool". Das belebt mich zusehens.;)

Vor allem die Dialoge könnten für meinen Geschmack an einigen Stellen gerne kürzer sein. Gleich am Anfang z.B.: Dass der Schulleiter die Umstände um den Herrn Männlein so ausbreitet - das wissen die Beteiligten doch alle, dass muss er doch nicht sagen.

Ja, der Text ist immer noch lang, obwohl er schon deutlich gekürzt ist. Den Schulleiter habe ich absichtlich so geschwätzig auftreten lassen, weniger als Infodumping, sondern zur Charakterisierung. Damit pflegte er auch die Konferenzen in die Länge zu ziehen.

P.S.: Dass Erbhöfe ein feststehender Begriff ist, hätte ich nicht geahnt. Ich fand aber die heimliche Verbindung zum Hofjungen trotzdem irgendwie hübsch.

Erbhöfe ist hier ein ironischer verwendeter Begriff. Er stammt aus der sehr alten Tradition des Anerbenrechts im Schwarzwald. Nur ein Erbe konnte den Hof bekommen und musste die Geschwister auszahlen. Es sollte dadurch die Zersplitterung von Grund und Boden verhindert werden, Wald und Weideland zusammenhängend bleiben. In der badischen Rheinebene dagegen galt die Realteilung, was dazu führte, dass die bäuerlichen Anwesen in immer mehr Parzellen zerfielen mit einer oft unübersichtlichen Gemengelage. Ich finde es witzig, dass du die Linie zum Hofjungen Erwin schlägst. War mir gar nicht bewusst, aber passt hervorragend.

Danke für deinen aufmunternden Kommentar.

Hallo @Carlo Zwei

Lernprozesse passt gut als Titel für diese fiktional überformte Studie (aus erster oder zweiter oder dritter Hand?, habe die anderen Kommentare nur überflogen). Da ich selbst vom Fach bin (noch nicht so ganz, aber demnächst/bald/wie auch immer) kommt mir das, was du beschreibst vertraut vor.

Wie schön, ein Kollege! Meine Geschichte segelt ziemlich genau an der Realität vor fünfzig Jahren. Die "Achtundsechziger" und "Sympathisanten " eroberten die beruflichen Schulen. Lehramtsanwärter machten Bekanntschaft mit dem RL der Arbeitswelt. Für viele eine Begegnung der besonderen Art.
Dass du Vertrautes wiederfindest, ist hochinteressant, z. B. dass es große Diskussionen gab, ob man Vertreter der Bundeswehr in die Schule lassen sollte oder ob Schüler streiken dürfen ...
Digitaler Unterricht lag noch in weiter Ferne und Handwerkerklassen waren in der Regel homogen "deutsch", aber die pädagogische Herausforderung und die Frage nach dem pädagogischen Eros gab es schon immer.

Lese gerade, dass das auch ein Kampfbegriff der Nationalsozialisten war.

Hm, ja, der Begriff ist aber viel älter. Das habe ich oben versucht zu erklären. Andererseits war die Nazi-Terminologie be einigen älteren Kollegen durchaus präsent. Ein damaliger Studiendirektor konnte sich partout nicht mit dem Begriff "Bundeswehr" anfreunden, er sprach immer nur von der "Wehrmacht".

Liebe @wieselmaus gelungene Innenansicht aus dem Lehrerinnenalltag. Die präzise Darstellung hat ihre Qualitäten, verleiht dem Ganzen aber auch etwas Protokollarisches, was ja durchaus erwünscht sein kann.

Das "Protokollarische" ist wohl eine Folge der "Florbereinigung" in meiner Textarbeit, der zufolge Blumiges wie Adjektive u.s.w. zum Opfer fielen. Jetzt muss man, nein, darf man zwischen den Zeilen lesen. Der Leser hat mehr zu tun.

Vielen Dank für dein Interesse.

Viele Grüße an euch beide
wieselmaus

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom