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Lara

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Monster-WG
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10.07.2019
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Lara

Auf der Abendtour zeigst du mir Videos. Deine Freunde zünden Dum-Bum-Feuerwerkskörper an. Es gebe südlich der Stadt einen Mann, der einen Bunker betreibe. Von ihm kaufe jeder sein Feuerwerk.
„Auf dem Sportplatz ist jetzt ein Krater“, lachst du und legst das Handy in die Seitenablage des Corsas. Du fährst zu schnell, aber kontrolliert. „Fahrt ihr alle so im ländlichen Raum?“ Du grinst. Wir erreichen das Haus der Patientin.
Manchmal riecht dein Atem nach Thunfisch. In letzter Zeit sehr viel seltener.

Vor dem Haus steht eine Schnecke aus Ton, unter der, wie abgesprochen, der Schlüssel liegt.
Von der Patientin kenne ich den Namen, die Anschrift und einen Eintrag des Hausarztes, den ich schwer lesen kann. Du weißt, wo sie lebt, wenn du ihr Haus betrittst: Ob oben oder unten, wo sie sich wäscht, ob sie sich bewegt, welche Zimmer archivieren und in welchen eine Tageszeitung weggeräumt wird. Du hast das Fährtenlesen erlernt. Ich wundere mich, wie hell du scheinst.
Die Patientin lebt in der Stube.
Ich lasse dich zwei Eimer Wasser und Flüssigseife holen, Handtücher und ein Nachthemd. Über der Lippe stellen sich Härchen auf und ab. Ihr Atem beruhigt mich.
Du stellst die Eimer an die Bettseite, schaust mich an, ich nicke. Du ziehst die Decke zurück. Die Patientin schläft nackt. Ihr Körper spannt sich, dass die Haut Mulden und schmale Falten wirft.
Deine Hände tupfen die Haut sauber, mit einem Lappen, der weiß leuchtet. Unter der Lippe klebt ein trockener, brauner Schaum und im Intimbereich winden sich die Schamhaare zu grauen Kreisen. Du sprichst kein Wort, weichst die Stellen ein, auf denen der Staub zu Krusten härtet, die sich über Jahrzehnte auf kranke Körper legen.
„Sei vorsichtig, wenn du sie wendest.“
Die Wunde am Steiß hat die Größe deiner Hand und die Tiefe deiner Faust, wenn du deine Finger drückst, passen deine Fingerknöchel auf die Fortsätze ihrer Wirbelsäule. Ein Rinnsal einer transparenten Flüssigkeit fließt aus einer Vertiefung. Du sagst nichts. Ich achte auf die Regungen deines Gesichts, aber deine Regungen spielen sich nirgendwo ab. Du bittest mich, die Patientin an Schulter und Schenkel zu halten, suchst nach einer Decke im Raum, findest sie, formst aus ihr einen Halbmond und legst ihn zu den Füßen der Patientin. Dann öffnest du das Wundreinigungstuch, desinfizierst den viel zu schmalen Wundrand, öffnest das Wundmaterial zwischen Zeige- und Mittelfinger, klebst einen sterilen Schaumstoff über den Steiß und verschließt den Körper. Uns wird warm. Den Halbmond ziehst du an das Gesäß, prüfst mit deiner flachen Hand den schmalen Spalt zwischen Steiß und Decke.
Ich lasse dich aufräumen, einpacken, die Tücher auswringen und an einer Plastikleine über der Badewanne aufhängen.
„Das war sehr gut, Lara“, sage ich zu dir, als wir das Haus verlassen und unsere Hände desinfizieren.

Deine Klassenlehrerin meint, es gäbe nur zwei Gründe, warum du eine achte, neunte, zehnte Chance verdientest: Berichte über deine praktische Arbeit und deinen Wohnort. Dein Beruf werde dort gebraucht. Ich denke an die Waldhäuser in der Umgebung, an den Himmel über der Stadt, an den Rauch, der von den Kleingärten und Hinterhöfen aufsteigt, auf denen Holz, Plaste und Kohle verbrannt werden. An Tilidin und die Wut. Dein Halbjahreszeugnis hast du zu einer Kugel geformt, sie mit Feuerzeugbenzin übergossen und in den Fluss geworfen.

Du tankst.
An den Brötchen der ARAL magst du den weißen Käse nicht, er verursache Magenkrämpfe, anders als die Donuts und Croissants. Unsere Masken hängen von den Ohren. Jemand grüßt dich aus einem Kleintransporter, aber du grüßt nicht zurück. Im überblauen Licht wirken deine Haare violett und deine Hände werfen beim Erzählen hellere Schatten. Ich folge deinen Worten oder deiner Mimik, beides scheint sich auszuschließen. Mich befremdet dein Anblick, ich sehe nicht das Vertraute der letzten zwei Monate. Du erzählst von deiner Mutter.

Einmal zog sie für zehn Tage nach Usedom. In den Schränken standen die Thunfischdosen, das Toastbrot, runde Becher mit Margarine, in die deine kleinsten Brüder mit drei Fingern griffen und sie an Wände und Haut schmierten. Die Luft war zu klar, deine Angst zu verbergen. Du warst die größte Schwester. Da waren die drei Brüder, die in vier Zimmern lebten und du. Ihr ernährtet euch. Die Brüder rannten vor zwölf Uhr mittags auf die Straße. Da bemerkten dich die Nachbarn, wo denn die Frau Soundso sei, fragten sie dich. Im Urlaub. Und ihr? Allein. Sofort großes Programm. Einteilung, Schichtteilung, vier Etagen, sieben kochfähige Bewohnerinnen, Einkaufsplan, Reinigungsplan, Kontrollbesuche. Die neuen Gerichte schmeckten nach den Gerüchen der fremden Wohnungen, sie rochen nach den Blusen, T-Shirts und Jacken der Nachbarn, die jetzt Nudeln, Bolognese und Eisbergsalat in Plasteware mitbrachten und sich an eurem Essen sattsahen.
Als deine Mutter zurückkehrte, bat sie euch in die Zimmer. Du hast die Tür geschlossen, die Nachbarn schimpften, deine Mutter sagte später, ihr habt das gut gemacht und du warst stolz, wie erwachsen du geworden bist. Du wusstest, du wirst Chef.
„Tja“, sagst du und schaust durch die Scheibe auf die leeren Plätze vor den Zapfsäulen.

Wenn ich meinen Freunden von dir erzähle, hören sie nicht zu. Sie glauben mir nicht. Ich sehe das an der Drehung des Kinns, an dem plötzlichen Vor- und Wegdrehen der Wange, an das „Jaja, echt“ und dem sehr kurzen Blick in meine Augen. Die Wände im Café Carla sind mit einem großen, abstrakten Paar bemalt, das kurz vor dem Beischlaf steht, aber es könnte auch die innige Umarmung zweier Menschen nach einem Unglück sein.
„Sie wird Pflegekraft?“
Meine Freunde bestellen gerne ein zweites Bier oder einen Kaffee oder den schokoladigen Walnusskuchen, sie mögen „chok-o-lade“. Meine Freunde bedauern, dass das Carla den Fußball abbestellt habe, denn die Konferenz verfolgten sie gern. Meine Freunde sprechen über Nachtzugstrecken in Schweden oder einen Strand, auf dem die Sonne sehr stark scheine, dass ein hoher Lichtschutzfaktor die Haut vor UV-Licht schütze. Meine Freunde vergleichen Berlin mit Hamburg und meine Freunde verstehen nicht, warum manche Menschen in den Himmel schauen und sich nicht sorgen, über all die warmen, trüben Sommer der letzten und kommenden Jahre.

Am nächsten Tag erscheinst du nicht zum Dienst.

Auf deinem Platz wartet ein Plüschpinguin; die Chefin meinte, er vertrete dich sehr gut. Ich suche Unterstützung in den Gesichtern der anderen und finde sie nicht. Du hast dich im Sekretariat der Berufsschule nicht gemeldet und auch nicht bei der Klassenlehrerin.
„Die Lara, ja“, sagt der Verkäufer an der ARAL, „ist schwanger.“ Er erwartet keine Reaktion. „Von dem Typen beim Gartenbau, glaube ich.“ Er schiebt den Kassenbon durch den schmalen Schlitz der Hartplastescheibe, die seinen vor meinem Atem schützen soll.
Man wird schwanger. Man trifft sich, trinkt und wird schwanger; man erzählt sich Geschichten und wird schwanger; man läuft Runden über den Sportplatz, wo Kinder Elfmeterschießen üben und deine Freunde auf der Lehne der Mannschaftsbank sitzen, die Füße auf der Bankfläche, das Smartphone zwischen den Knien geklemmt und wird schwanger.
Ich schaue kurz nach rechts, auf die leeren, hellen Plätze vor den Zapfsäulen. Es ist ein sehr warmer Tag für den Oktober, das Pflaster trocken gewärmt. Laub liegt an der Bordsteinkante, die die Tankstelle vom Feld trennt. Das Feld reicht bis zum Wald, über dem mir die Luft seltsam unruhig vorkommt. Als brennte er ohne Feuer und Rauch.

 

Hallo Kiroly,

das ist wirklich ein sehr schöner Text. Als ich den zuerst gelesen habe, sind mir viel mehr Dinge aufgefallen, die ich 'bemängeln' wollte, jetzt liest sich der Text für mich flüssig und organisch über einen wunderbar funktionierenden Erzähler. Damit meine ich, dass dieser Erzähler für mich nah am Autor ist (im Gegensatz zum Privatmenschen Kiroly), den ich mir beim Lesen denke, weil ich Letzteren kenne. Der Autor sind für mich die literarischen, beobachtenden Seiten des Real-Kiroly. Und die finde ich hier im Text wieder und die sind gut gestaltet und noch besser überarbeitet. Mehr habe ich nicht, ich habs sehr genossen.

Du tankst.
An den Brötchen der ARAL

Cool, dass der kleine Satz einen Absatz erhält.

Liebe Grüße
Carlo

 

Hallo @MRG =)

vielen Dank für deine Anmerkungen, für deinen Kommentar!

die jetzt Nudeln, Bolognese und Eisbergsalat in Plasteware mitbrachten
Was genau ist mir Plasteware gemeint? Ist das ein spezieller Dialekt? Könnte ja möglicherweise etwas über das Milieu aussagen, ich konnte das allerdings nicht zuordnen.
Plasteware bezeichnet einfach "Tupperware" bzw. Vorratsbehälter aus Plastikkunststoffen. Im deutschen Sprachraum zerfällt der Alltagskunststoff in der/die/das Plastik/Plaste -
Plastik/Plaste
- wobei im ostdeutschen Raum die Plaste, im westdeutschen sowie Österreich das Plastik und in der Schweiz der Plastik dominiert. Übrigens eine sehr schöne Seite, dieser "atlas alltagssprache". Gab dort auch mal einen Test, mit der deine Herkunfsregion anhand deines Sprachgebrauchs festgestellt wurde und ich war überrascht, wie exakt dieser Test das getan hat.
Insgesamt ein toller Text, der die Empfehlung absolut verdient hat. Wünsche dir eine erfolgreiche Restwoche und habe mich über deinen Kommentar gefreut.
Dankeschön! Hab' gesehen, dass du an der Challenge teilnimmst, schön! Muss ich auch noch lesen und machen =)

Lg nach Plastikland
kiroly

***

Hallo @Friedrichard =)

An den Brötchen der ARAL magst du den weißen Käse nicht, er verursache Magenkrämpfe, anders als die Donuts und Croissants -
und ich fragte mich schon bei der Durchsicht, seit wann ein kiroly Marketing / Werbung betreibt und momentan glaube ich es zu wissen, denn es ist die Umkehrung der LARA – warum auch nicht, denn Schwitters - den ich gerade verschlungen hab - ist ja weniger durch seine (Wort-)Spiele mit Hannover als mit seiner Anna von vorne bis hinten berühmt geworden.
Ich mag aber auch das giftige Licht der ARAL. In der Dunkelheit leuchtet die ARAL so aggressiv und künstlich, anders als TOTAL oder star oder Shell, wobei ich Shell hier im Leipziger Umland sehr selten sehe ... eher ARAL oder TOTAL. Wenn du vom Elster-Saale-Kanal, einem Verkehrsinfrasturkturprojekt, das Leipzig an das Weltmeer anschließen sollte, leider aber durch einen zweiten Weltkrieg und eine konsequente Europateilung zum Relikt und Rest wurde, hinter der A9-Brücke nach Süden schaust, wirst du ein hohes, blaues Licht erkennen und das ist nicht Ikea sondern die ARAL, zwei Kilometer entfernt. Da weiß jeder, hier ist die ARAL.
Hab ich Dich eigentlich schon gelobt und vor allem gratuliert?
Dankeschön.

Jetzt aber an die Arbeitsfortführung.

Lg in den Pott
kiroly
***

Hallo @Carlo Zwei =)

da bleibt mir nicht viel, da bleibt mir nur ein großes Danke und auch ein schönes Danke, denn die Überarbeitung mit dem Ziel eines organischen Fließens hat sich gelohnt =)

Vielen Dank für's Lesen und das Kommentar!

Lg aus der Sachsenseite des MDV-Gebiets
kiroly

 

Hallo @kiroly,

ich bin ja mehr so der Genre-Vogel, hab aber auch schon mal ein richtiges Buch gelesen und ich find das recht gut hier. Als erstes sprang mich das „Du“ an, selten gesehene Form, die hier aber nicht aufgesetzt wirkt, kein Jahrmarktstrick, sondern wirklich passt, diese Betrachtung von außen.

Irgendwo hat jemand geschrieben, er wünscht sich mehr Innenleben der Figuren, das würde den Text meines Erachtens schwächen, weil für mich sehr viel rüberkommt, eben ohne zu beschreiben, wer was denkt. Gibt’s für mich auch einen Zusammenhang mit dem „Du“.

Auch mochte ich den echt harten Teil mit der offenen Stelle, der ähnlich wie das „Du“ (war jetzt das letzte Mal) auf der Stilebene nicht effekthaschend daherkommt, sondern einfach beschreibt, was ist.

Bei der Schwangerschaft bin ich gespalten. Unglaubwürdig finde ich es nicht, dass Lara das „passiert“. Den Job sausen zu lassen aus diffusen Gründen, mutmaßlich, weil er einfach zu hart ist, hätte die stärkere Wirkung, hätte aber natürlich auch was von Botschaft, die will man ja meist eher vermeiden. Meine Tendenz ginge zu Schwangerschaft raus, aber ist ja deins.

Kleinigkeiten, die mir beim zweiten Lesen aufgefallen sind:

„Der Fahrstil des ländlichen Raums?“
Speziell „ländlicher Raum“ klingt sehr gestelzt für wörtliche Rede. „Fahrt ihr alle so auf dem Dorf, ja?“

Dein Halbjahreszeugnis hast du zu einer Kugel geformt, sie mit Feuerzeugbenzin übergossen und in den Fluss geworfen.
Hier hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Bild im Kopf, weil ich über die Verkettung von „mit Benzin übergießen“ (sicherlich, um es anzuzünden?) und dann ins Wasser werfen gestolpert bin, von der Logik her jetzt.

Du warst die größte Schwester, du hattest die Verantwortung inne, drei Brüder in vier Zimmern zu führen.
Ich finde die „größte Schwester“ super originell, um rüberzubringen, was für eine Verantwortung auf Laras Schultern lastet. Dass die Verantwortung dann so platt angesprochen wird, saugt für mich die Kraft aus der Metapher und folgend aus dem ganzen Satz. „Du warst die größte Schwester, drei Brüder in vier Zimmern.“

Ihr ernährtet euch.
Voll korrekt in Sachen Grammatik, aber klingt echt schräg irgendwie, als würde Ihro Exzellenz sprechen.


an dem plötzliche Vor- und Wegdrehen der Wange,
plötzlichen


Viele Grüße
JC

 

Hallo @Proof =)

Ich weiß gar nicht, ob ich jemals einen Text von Dir kommentiert habe, aber ich verbinde Dich immer mit dem Horror und umso größer freut es mich, dass ich dich aus der Genreecke des Horrors locken konnte. Vielen Dank für das Lesen und die Anmerkungen!

Bei der Schwangerschaft bin ich gespalten. Unglaubwürdig finde ich es nicht, dass Lara das „passiert“. Den Job sausen zu lassen aus diffusen Gründen, mutmaßlich, weil er einfach zu hart ist, hätte die stärkere Wirkung, hätte aber natürlich auch was von Botschaft, die will man ja meist eher vermeiden. Meine Tendenz ginge zu Schwangerschaft raus, aber ist ja deins.
Immer noch eine schwierige Frage. Ich überlege, den Text irgendwo ohne Schwangerschaft mal einschicken zu lassen, vielleicht habe ich ja Glück. Denn das Argument der Fallhöhe zieht stark ... ich verstehe das sehr gut. Derzeit hänge ich noch an den schönen Sätzen "man wird schwanger", sind Darlings. Ja, schwierig. Danke auf jeden Fall für deine Einschätzung.

„Der Fahrstil des ländlichen Raums?“
Speziell „ländlicher Raum“ klingt sehr gestelzt für wörtliche Rede. „Fahrt ihr alle so auf dem Dorf, ja?“
Habe ich etwas angepasst, danke!

Dein Halbjahreszeugnis hast du zu einer Kugel geformt, sie mit Feuerzeugbenzin übergossen und in den Fluss geworfen.
Hier hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Bild im Kopf, weil ich über die Verkettung von „mit Benzin übergießen“ (sicherlich, um es anzuzünden?) und dann ins Wasser werfen gestolpert bin, von der Logik her jetzt.
Hm, ja, klar, ich verstehe die Logik. Aber die Idee ist hier, die Logik zu brechen und das Willkürliche wirken zu lassen. Man macht es so, man macht es eben dann so, da ist keine Logik, da ist eine gewisse "Selbst-Egal-Tendenz", die auf ihr Handeln durchwirkt.

Du warst die größte Schwester, du hattest die Verantwortung inne, drei Brüder in vier Zimmern zu führen.
Ich finde die „größte Schwester“ super originell, um rüberzubringen, was für eine Verantwortung auf Laras Schultern lastet. Dass die Verantwortung dann so platt angesprochen wird, saugt für mich die Kraft aus der Metapher und folgend aus dem ganzen Satz. „Du warst die größte Schwester, drei Brüder in vier Zimmern.“
Absolut richtig, ich habe es etwas angepasst, merci!

@Proof ,

vielen Dank für deine Hinweise. Ich wünsche dir einen guten Freitag,
kiroly

 

Hey @kiroly

wird jetzt womöglich kritisch klingen, soll aber nur einen Kontrapunkt auf einen gelungenen Text liefern, ein paar Gedanken ergänzen, die ich neben dem allseits Gelobten, dem ich mich insgesamt anschließe, loswerden möchte.

Grundsätzliches:
Gibt so einen Rahmen, einen erzählerischen Konsens, der Neorealismus, sozial unterlegt, stets vor grauem Himmel verortet, mindestens aber innerhalb eines problematischen Rahmens, Sozialberufe eignen sich da ganz besonders, eine schwierige Kindheit gehört dann zum Mix, eine ungewollte Schwangerschaft, ggf Drogen. Ich frage mich, ob das auch anders geht, frischer. Oft klingt das in meinen Augen nach 19.Jahrhundert mit modernen sprachlichen Mitteln.

Persönliches:
Noch eine persönliche Ergänzung; ein guter Freund arbeitet in der Altenpflege, sucht jetzt händeringend nach einem neuen Job, er hat mir zum Geburtstag gratuliert, obwohl ich gar keinen hatte, schreibt BURNOUT, träumt von einem Managing-Job, weil er das Elend, eben jene von dir beschriebenen Wunden nicht mehr sehen kann. Vielleicht sollten er und seine Freundin ein Kind bekommen. Irgendwie wird man ja immer schwanger.

Perspektive:
Gut, du machst das ganz gelungen mit der Du-Perspektive, was natürlich ein verkappter auktorialer Erzähler ist. Ich lese das in einem kurzen Text ganz gern, es ist okay, aber es würde kaum länger tragen.

Verspielte Chancen (?):
Ich weiß nicht, ob du das beabsichtigt hast, mir kommt die Geschichte so vor, als wäre sie rauschhaft entstanden. Aber ein Bezug der Wunde der Patientin zum Embryo, dem Zellenwachstum der Schwangerschaft, den zu verstärken, fände ich fein.

Text:

Du fährst zu schnell, aber kontrolliert. „Fahrt ihr alle so im ländlichen Raum?“ Du grinst. Wir erreichen das Haus der Patientin.
kannst du streichen, erklärt sich aus dem Gesagten.


erreichen das Haus der Patientin.
Manchmal riecht dein Atem nach Thunfisch. In letzter Zeit sehr viel seltener. Vor dem Haus steht eine Schnecke aus Ton, unter der, wie abgesprochen, der Schlüssel liegt.
Von der Patientin kenne ich den Namen, die Anschrift und einen Eintrag des Hausarztes, den ich schwer lesen kann. Du weißt, wo die Patientin lebt,
Du hast das Fährtenlesen erlernt. Ich wundere mich, wie hell du scheinst.
Kann man so machen, die Wiederholung von: die Patientin, um das Unpersönliche zu betonen, nervt (mich) aber schon.

Du sprichst kein Wort, weichst die Stellen ein, auf denen der Staub zu Krusten härtet, die sich über Jahrzehnte auf kranke Körper legen.
beste Stelle!

Deine Klassenlehrerin meint, es gäbe nur zwei Gründe, warum du eine achte, neunte, zehnte Chance verdientest:
so, warum denn, welche Chance hat sie denn verpasst; und warum?

dass das Carla den Fußball abbestellt habe, denn die Konferenz verfolgten sie gern.
dass das?

Man wird schwanger. Man trifft sich, trinkt und wird schwanger; man erzählt sich Geschichten und wird schwanger; man läuft Runden über den Sportplatz, wo Kinder Elfmeterschießen üben und deine Freunde auf der Lehne der Mannschaftsbank sitzen, die Füße auf der Bankfläche, das Smartphone zwischen den Knien geklemmt und wird schwanger.
bisschen kirolysch, diese Wiederholung, aber natürlich auch eine sprachliche Verspieltheit.

Als brennte er ohne Feuer und Rauch.
klingt irgendwie lyrisch, aber ist es das auch, das Ende? Das meine ich zB mit dieser Art von Sozialrealismus.

So, hoffe, das hilft dir. Noch mal: guter Text!
Viele Grüße
Isegrims

 

Hallo @Isegrims =)

Merci für deinen Kommentar, vielen dank fürs Lesen und die Hinweise!

Grundsätzliches:
Gibt so einen Rahmen, einen erzählerischen Konsens, der Neorealismus, sozial unterlegt, stets vor grauem Himmel verortet, mindestens aber innerhalb eines problematischen Rahmens, Sozialberufe eignen sich da ganz besonders, eine schwierige Kindheit gehört dann zum Mix, eine ungewollte Schwangerschaft, ggf Drogen. Ich frage mich, ob das auch anders geht, frischer. Oft klingt das in meinen Augen nach 19.Jahrhundert mit modernen sprachlichen Mitteln.
Ja, das kann ich nachvollziehen. Habe sie ja schon mal hier erwähnt, Deniz Ohde, Streulicht, das ist vielleicht eine etwas frischere Variante, sie beschreibt hier ihren "Durchzug" vom Gymnasium zur Abendrealschule und zurück, sprich jemand, der alle Schulformen ausprobiert hat und mit 22 an einem regulären Gymnasium in NRW Abitur abgelegt hat ... vor allem, das macht dieses Buch so stark, weist sie diese schematischen Denkmuster von Lehrern, "Eliten", Experten, wem auch immer nach, ohne anklagend zu sein ... dieses "es ist eben so", da steckt eine sehr große Wucht und ich habe versucht, diese Wucht des Ausgesetztseins hier darzustellen. Deniz Ohde lernt, dass es nicht auf Leistung (was auch immer und wie auch immer) ankommt, sondern auf das Sprechen einer bestimmten Denkweise, die als Voraussetzung ersterer dient. Ja, schwierig, schwierig, ich bleibe ja doch sehr vage in der Beschreibung des Milieus ... und dieser Hinweis "Es ist ja so" finde ich, ehrlich gesagt, immer ein bisschen billig.
Verspielte Chancen (?):
Ich weiß nicht, ob du das beabsichtigt hast, mir kommt die Geschichte so vor, als wäre sie rauschhaft entstanden. Aber ein Bezug der Wunde der Patientin zum Embryo, dem Zellenwachstum der Schwangerschaft, den zu verstärken, fände ich fein.
Hui, das ist ein sehr raffinierter Gedanke. Ja, die Geschichte entstand sehr schnell. Manchmal habe ich solche Phasen, aber eben manchmal ... also ein "manchmal" der langen Zeitabstände :-D Danke für den Hinweis! Aber so ganz spontan wüsste ich nicht wie

Ich habe nicht alle deine Anmerkungen übernommen, ich nehme sie auch als Hinweise wahr, auch auf Dinge, die ich in Zukunft beachten sollte (sprachliche Verspieltheit," kirolysch").

erreichen das Haus der Patientin.
Manchmal riecht dein Atem nach Thunfisch. In letzter Zeit sehr viel seltener. Vor dem Haus steht eine Schnecke aus Ton, unter der, wie abgesprochen, der Schlüssel liegt.
Von der Patientin kenne ich den Namen, die Anschrift und einen Eintrag des Hausarztes, den ich schwer lesen kann. Du weißt, wo die Patientin lebt,
Du hast das Fährtenlesen erlernt. Ich wundere mich, wie hell du scheinst.
Kann man so machen, die Wiederholung von: die Patientin, um das Unpersönliche zu betonen, nervt (mich) aber schon.
Das habe ich angepasst, dankeschön =)

Deine Klassenlehrerin meint, es gäbe nur zwei Gründe, warum du eine achte, neunte, zehnte Chance verdientest:
so, warum denn, welche Chance hat sie denn verpasst; und warum?
Ja, sehr vage, verstehe ich. Im Grunde geht es hier um die Chance, eine Berufsausbildung abzuschließen ... Lara zeigte bereits in der Vergangenheit kein "ausbildungstaugliches" Verhalten, zum Beispiel durch unentschuldigte Fehlzeiten oder eine "ungenügend" auf dem Zeugnis. Aber wo die Regel, da die Ausnahme, und so wird Lara aus den genannten Gründen durch die Ausbildung "geschleift".

Lieber @Isegrims =)

Vielen Dank für deine Anmerkungen, vielen, vielen Dank! Klang gar nicht so kritisch und selbst wenn, bleibe bei deinem kritischen Stil!

Lg
kiroly

 

Hallo kiroly,

für das gibt´s ein Wort. Genial.
Ich las in meinem Leben zahllose Bücher, aber nur wenige haben bei mir den Boden aus dem Fass geschlagen. Dein Schreibstil hat genau das Format. Glückwunsch und danke für die Gelegenheit, es lesen zu können.
Grüße - Detlev

 

Hallo @Detlev =)

da kann ich mich nur bedanken, vielen Dank fürs Lesen und der Extramotivation!

Lg
kiroly

 

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