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Landgang

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08.01.2018
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Landgang

Der Tisch, an dem ich saß, mochte einmal laminiert gewesen sein. Jetzt bestand sein Muster aus Ringen, die von Gläsern stammen mussten, aus denen billiger Gin getrunken wurde wie mein dritter oder vierter heute. Ich sah auf den Fluss hinaus, tauschte den Geruch nach Fisch und Abwasser gegen den des Wacholders und fühlte mich so fremd wie an jedem Ort der Welt.

Die Brünette, die in meinem Blickfeld saß, drehte mit dem Zeigefinger Kreise auf dem gläsernen Rand, als wollte sie ein Lied begleiten, das von ihr handelte und von jemandem, auf den sie wartete. Ich zog den Kugelschreiber aus der Hemdtasche. Vor mir lagen die Ansichtskarten, die ich aus dem einzigen Laden auf dem Weg hierher hatte. Die Karten zeigten Sehenswürdigkeiten, von denen ich keine kannte und nicht eine zu Gesicht bekommen wollte. Ich wählte die erstbeste Rückseite und schrieb ein paar Zeilen.

„Hey Süße“, begann ich, „ich bin ziemlich weit weg von Zuhause, du wirst nicht erraten, wo ich gerade sitze. Tut auch nichts zur Sache.“
Die Dame gegenüber ließ ihren Blick über die Terrasse schweifen. Ihre Fingernägel wirkten etwas zu dunkel und ihre Lippen zu stark geschminkt, zumindest für meinen Geschmack. Ihr Kinn stand kantig hervor und ihre Augen hatten dunkle Ringe, von zu viel Gin oder zu vielen enttäuschten Blicken in Richtung der Tür. Sie trank einen Schluck und betrachtete ihr Glas, als stünde ihre Geschichte darin. Einen jungen Kerl in weißer Uniform, der sich vor ihrem Tisch in Position brachte, winkte sie vorbei, ohne den Blick zu heben.

„Du fehlst mir!“, fuhr ich fort, weil mir nichts Sinnvolleres einfallen wollte. Ich strich über das Tattoo auf meinem Arm, fuhr ihre Initialen entlang und hatte sie glasklar vor Augen. Mir fehlte das Gefühl ihrer Locken, die durch meine Finger glitten, wenn ich sie morgens weckte und ihr über die Wange strich. Mir fehlte ihr Lächeln, das sie verriet, wenn sie so tat, als schliefe sie noch.

Moskitos führten hektische Tänze um die wenigen Laternen auf, die an Kunststoffleinen hingen, und ich stellte mir vor, wie derselbe Mond, der hier auf diesen Fluss und auf mich schien, die einzige Frau finden konnte, die mir etwas bedeutete. Ich fragte mich, ob sie gerade an mich dachte. Ich war nicht gern an Land, niemand von uns war das. Wenn ich an Land war, war es immer, als müsste ich nur weit genug gehen, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt besser sein sollte. Auf See war ich allein, ohne einsam zu sein, weil ich nur auf dem Weg zu einem Hafen war, in dessen Umgebung ich mir einen Tisch, einen Stuhl und ein Glas suchte, mit denen ich auf das erneute Auslaufen warten konnte.

„Ich liebe dich!“, schrieb ich. „Ich werde dich immer lieben!“ Der letzte Schluck war nicht kräftig genug, um mir meine Stimme zurückzugeben, also legte ich einen Schein auf den Tisch, nickte dem Kellner zu und stand auf. Die Karte legte ich der Brünetten hin, als sie sich umdrehte und eine erneute Bestellung winkte. Meine Süße würde sie nicht lesen, ich kannte ihre neue Adresse nicht, nicht einmal ihren neuen Namen. Beim Hinausgehen warf ich einen Blick über die Schulter. Die Brünette sah sich um und tupfte mit der schmutzigen Serviette an ihren Augen herum. Ich hoffte für sie, einer ihrer Blicke möge nicht enttäuscht werden, glaubte aber nicht wirklich daran. Landgang. Keine Sehnsucht starb dabei, aber ständig wurden neue geboren.

 

Hallo @joycec,

noch ein Paar Vorschläge, die nicht als Bevormundung gedacht sind, sondern als Anstöße:

Der Tisch, an dem ich saß, mochte einmal laminiert gewesen sein.
laminiert ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, da bin ich beim Papier, beschichtet wäre richtig, aber das liest sich komisch. Wie wäre es einfach mit "dekorativ" oder sowas?

aus denen vergleichbar billiger Gin getrunken wurde
kann weg, billiger definiert sich immer durch den Vergleich.

Ich sah auf den Fluss hinaus, tauschte den Geruch nach Fisch und Abwasser gegen den des Wacholders und fühlte mich so fremd wie an jedem Ort der Welt.
das mit dem Tauschen finde ich nicht sauber, das klingt so als könne die Nase sich entscheiden, was sie gerade riechen möchte. Ich fände überlagern besser. So in etwa:
Ich sah auf den Fluss hinaus, sorgte mit regelmäßigen Schlucken dafür, dass der Geruch nach Fisch und Abwasser vom Wacholder überlagert wurde und fühlte mich so fremd wie an jedem Ort der Welt.

führte mit dem Zeigefinger kreisende Bewegungen auf dem gläsernen Rand aus
könnte direkter: drehte mit dem Zeigefinger Kreise auf dem gläsernen Rand

die ich(Leerzeichen weg) aus dem einzigen Laden auf dem Weg hierher hatte.

Die Karten zeigten Sehenswürdigkeiten, von denen ich keine kannte und nicht eine zu Gesicht bekommen wollte.
Vorschlag: Die Karten zeigten Sehenswürdigkeiten, von denen ich keine kannte und auch nie vorhatte, das zu ändern..

Ihre Fingernägel wirkten etwas zu dunkel und ihre Lippen waren zu stark geschminkt, zumindest für meinen Geschmack.
Streichkandidat.

Ihr Kinn stand kantig hervor und ihre Augen hatten dunkle Ringe
die Augen haben Ringe?
Ihr Kinn stand kantig hervor und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe.

Mir fehlte das Gefühl ihrer Locken, die durch meine Finger glitten, wenn ich sie morgens weckte und ihr über die Wange strich.
Könntest du aufsplitten, getrennt wäre es klarer:
Mir fehlte die Wärme ihrer Wangen, wenn ich über sie strich und das Gefühl ihrer Locken, die durch meine Finger glitten, wenn ich sie morgens weckte.

Ich fragte mich, ob sie gerade an mich dachte.
Wenn du das gerade durch ein manchmal tauschen würdest, wäre es realistischer.

Ich war nicht gern an Land, niemand von uns war das. Wenn ich an Land war, war es immer, als müsste ich nur weit genug gehen, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt besser sein sollte.
Iwie widerspricht sich das. Prota ist nicht gerne an Land, muss aber nur weit genug auf dem Land gehen, um dahin zu kommen, wo er besser sein sollte?

einen Stuhl und ein Glas suchte, mit denen ich auf das erneute Auslaufen warten konnte.
können Stuhl und Glas warten? Vllt.: in deren Gesellschaft ich auf das erneute Auslaufen warten konnte?

Keine Sehnsucht starb dabei, aber ständig wurden neue geboren.
Der trieft mir zu sehr, den könntest du komplett ixsen. Landgang als Schlusswort fände ich stärker.

Ich weiß nicht, wieviel du geändert hast, der Text wirkt gereift, kurz und knackig wie ein guter Song. Die Stimmung zieht mich jetzt rein, ohne große Stolperer wie den Mief der Bettdecke.

Peace, linktofink

 

Hi @linktofink und frohes Neues!

Der Tisch, an dem ich saß, mochte einmal laminiert gewesen sein.
laminiert ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, da bin ich beim Papier, beschichtet wäre richtig, aber das liest sich komisch. Wie wäre es einfach mit "dekorativ" oder sowas?
Nee, ich meine schon dieses schnöde Laminat. Wie ich soeben gelernt habe, HPL (High Pressure Laminate). Das Zeug, das sich nach einigen Jahren auflöst, abblättert und irgendwann komplett verschwunden ist, außer vom Rand. :D

aus denen vergleichbar billiger Gin getrunken wurde
kann weg, billiger definiert sich immer durch den Vergleich.
Spontan hätte mir dann was gefehlt, um mit "wie mein dritter oder vierter heute" fortfahren zu können. Jetzt habe ich den Satz noch fünfmal gelesen und es fehlt nichts mehr. Kaufe ich daher.

Ich sah auf den Fluss hinaus, tauschte den Geruch nach Fisch und Abwasser gegen den des Wacholders und fühlte mich so fremd wie an jedem Ort der Welt.
das mit dem Tauschen finde ich nicht sauber, das klingt so als könne die Nase sich entscheiden, was sie gerade riechen möchte. Ich fände überlagern besser. So in etwa:
Ich sah auf den Fluss hinaus, sorgte mit regelmäßigen Schlucken dafür, dass der Geruch nach Fisch und Abwasser vom Wacholder überlagert wurde und fühlte mich so fremd wie an jedem Ort der Welt.
Das ist ja quasi, was ich angedeutet habe. Natürlich entscheidet die Nase nichts, sie taucht ein. In das Glas. Ich finde das erkennbar.

führte mit dem Zeigefinger kreisende Bewegungen auf dem gläsernen Rand aus
könnte direkter: drehte mit dem Zeigefinger Kreise auf dem gläsernen Rand
Kaufe ich auch.

die ich(Leerzeichen weg) aus dem einzigen Laden auf dem Weg hierher hatte.
Wo kam das her? Ist weg.

Ihre Fingernägel wirkten etwas zu dunkel und ihre Lippen waren zu stark geschminkt, zumindest für meinen Geschmack.
Streichkandidat.
Sehe ich auch so.

Ihr Kinn stand kantig hervor und ihre Augen hatten dunkle Ringe
die Augen haben Ringe?
Wenn es Augenringe gibt, können Augen Ringe haben.

Mir fehlte das Gefühl ihrer Locken, die durch meine Finger glitten, wenn ich sie morgens weckte und ihr über die Wange strich.
Könntest du aufsplitten, getrennt wäre es klarer:
Mir fehlte die Wärme ihrer Wangen, wenn ich über sie strich und das Gefühl ihrer Locken, die durch meine Finger glitten, wenn ich sie morgens weckte.
Ist das echt so unklar? Wurde ja schon mal angemerkt. Ich habe da ein Bild vor Augen. Nur ich? Das wäre doof.

Ich fragte mich, ob sie gerade an mich dachte.
Wenn du das gerade durch ein manchmal tauschen würdest, wäre es realistischer.
Aber wenn er jetzt gerade an sie denkt, kann er sich doch fragen, ob sie jetzt gerade auch an ihn denkt. Klar ist das unrealistisch, soll es ja auch sein.

Ich war nicht gern an Land, niemand von uns war das. Wenn ich an Land war, war es immer, als müsste ich nur weit genug gehen, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt besser sein sollte.
Iwie widerspricht sich das. Prota ist nicht gerne an Land, muss aber nur weit genug auf dem Land gehen, um dahin zu kommen, wo er besser sein sollte?
Genau deshalb ist er nicht gerne an Land. Auf See zu sein ist ne prima Ausrede, um nicht da zu sein, wo man jetzt besser sein sollte.

einen Stuhl und ein Glas suchte, mit denen ich auf das erneute Auslaufen warten konnte.
können Stuhl und Glas warten? Vllt.: in deren Gesellschaft ich auf das erneute Auslaufen warten konnte?
Das wäre ein Synonym. Ich schreibe ja nicht "mit denen ich zusammen warten konnte"

Ich weiß nicht, wieviel du geändert hast
Mehr als erhofft und weniger als befürchtet. ;)

, der Text wirkt gereift, kurz und knackig wie ein guter Song. Die Stimmung zieht mich jetzt rein, ohne große Stolperer wie den Mief der Bettdecke.
Das freut mich! Und ich hätte nicht erwartet, dass da so viel konstruktive Kritik für so ein kleines Textchen kommt. Allein dafür hat sich die Teilnahme gelohnt.

Vielen Dank für deine Anregungen und Verbesserungen!
Liebe Grüße
Joyce

 

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