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La Fenouillade - Land der Steine und des wilden Fenchels

Monster-WG
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10.09.2014
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La Fenouillade - Land der Steine und des wilden Fenchels

Ich verstehe nichts, überall Gemurmel. Eine Stimme neben mir bedrängt mich. Ich möchte meiner Wege gehen, doch die Hand auf meinem Arm will das nicht zulassen. Warum schauen mich die Leute so deprimiert an?
Einige greifen nach meinen Händen, die sie wohl drücken möchten. Ich glaube nicht, dass sie mir schaden wollen, nur weiß ich nicht, was sie hier tun – schwarz gekleidet, einige Damen mit Gesichtsschleier, alte Männer halten ihren Hut in der Hand.
Mir ist schwindlig. Mit bloßen Füßen möchte ich auf der Erde stehen, breitbeinig und fest. Kühl wird sie sein, wie die Grube vor mir. Ganz unten noch kühler, beinahe kalt. Aber wenn man immer tiefer gräbt, fast tausend Meter, dann wird sie überraschend warm. Da gibt es heiße Seen, Lava zischt hinein. Es blitzt in einem fort, tausend kleine Blitze. Einige gefährlich nah, fast vor meinem Gesicht. Das ist widerlich, wie eine Befragung, eine intime Inspektion.
Ich wünsche mir Regen. Die Tropfen würden über mir auf den Ästen landen und über die dicken, dann über die dünneren Zweige langsam zu mir herunterrinnen und kühlend über mein Gesicht laufen. Niemand sähe, dass ich weine.
Schneien wäre noch schöner – auf all das, auf diese traurigen Menschen. Weiße Kleider würden sie tragen statt der schwarzen. Schnee im Sommer – ein Scherz wie ein Messer in der Brust. Sie verkaufen ihn an jeder Ecke.

Hier kann ich nicht bleiben.

Wie auf einem Bildschirm rollt die Straße vor mir ab. Gedankenlos schalte ich das Radio an. Es bricht los, viel zu laut, wie eine Explosion; fast verreiße ich das Steuer. Aus! Ich fahre in eine Parkbucht.

Diese Landschaft sagt mir nichts. Eintönig und trist. Ich fahre ewig weiter. Die gestrichelte Mittellinie erinnert mich an Ruths Anfänge mit dem weißen Zeug: Kleiner weißer Strich – bisschen Spaß – stopp. Kleiner weißer Strich – bisschen Spaß – stopp.
Die Straße wird schmaler und unübersichtlicher, die Linie jetzt blendend weiß, fast kristallen. Ohne Unterbrechung befiehlt sie, ihr zu folgen; die Kurven werden gefährlicher.
Ich fahre sehr schnell. Der Wagen vibriert, die Reifen schlittern. Will ich mich auch umbringen?

Ödland tut sich auf. Ich verringere die Geschwindigkeit. Ende der langen weißen Linie, der sie folgen musste, trotz ihrer Intelligenz, ihres Charmes, der ihr eigenen Heiterkeit, die durch hysterisches Auflachen immer rissiger wurde. Wie Asphalt, der in Schotter übergeht. Dann immer kleiner und feiner wird und endlich als Staub verweht.

Die Luft ist lau. Ich nehme eine Decke aus dem Wagen und lege mich vor eines der verlassenen Steinhäuser.
Völlige Stille - so ungewohnt, dass sie fast brutal auf mich wirkt. Hier bin nur ich mit meinen Gedanken. Und mit den Sternen, die sind doppelt so groß wie zu Hause. Ruth ist dabei.
Meine Augen umreißen die Konturen des halben Mondes, als ob ich ihn aus dieser besternten Tapete herausschneiden wolle.
Das tut mir gut, dieses Konzentrieren. Die wirren Knäuel in meinem Kopf bewegen sich weniger aufgeregt. Diffuses nimmt langsam Gestalt an. Zentimeterweise wird mir meine Tragödie bewusst. Ich beginne, die Sterne auszuschneiden und die Monde zu zählen. Was ist denn wahr, was scheint nur so?
Gegen Morgen wird es unerwartet kalt. Ich gehe ins Haus und lege mich wieder hin. Ich werde nicht mehr aufstehen. Wozu weiterleben? Trotzdem wird es hell und dunkel. Zehn Tage und zehn Nächte?

Das Dach ist in der Mitte eingestürzt, ein Dach, wie ich es noch nie gesehen habe. Kunstfertig gelegt aus dünnen Steinplatten, der Himmel schaut herein. Vormittag, Nachmittag? Ich dämmere weiter. Als die Helligkeit nachlässt, erhebe ich mich. Ich trete vor die Türöffnung. Steinland. Unwirtlich, ein Ort der Verbannung.
Taub gehe ich auf gepflasterten Wegen, unsicher wie auf grobem Kies. Die schrillen Geigen geben keine Ruhe, doch sie quälen mich nicht mehr – ich weiß jetzt, es sind die Grillen. Nur meine Gedanken lassen sich nicht ordnen.
Wir waren gierig. Die gewohnten Reize genügten nicht mehr.
Ruth war an allem interessiert. Eine einmalige Frau. Sie hat auch mir zugehört. Hat mir Zeit gelassen, meine linkischen Versuche origineller zu gestalten, in ihrer Nähe zu sein – das hat sie sicher sehr amüsiert. Aber sie hat mich ernst genommen.
Wer hätte ich sein müssen, um sie zu beeindrucken? Ich war nichts.
Als ich ihr diesen selbstgebrannten Handschmeichler überreichte, war sie fast gerührt. ‚Viel schöner als etwas vom Juwelier’ sagte sie und ich war König. Ein andermal meinte sie, mir stünde die Töpferschürze hundertmal besser als ein Chefarztkittel.

Die Eingänge zu den tiefer liegenden Weinkellern sind eingebrochen, die Stufen schadhaft. Ich steige nicht hinab, hätte ohnehin keine Lampe. Dort mögen sie noch liegen – die Schätze in den Eichenfässern, reif und konzentriert. Ruth und die Schätze. Sie war mehr als mein Schatz, sie war mein Alles.
Mir schießen Tränen in die Augen. Ihr fein geschnittenes Gesicht mit den großen dunklen Augen, eng zusammenstehend, mit – nein, ich kann es nicht beschreiben, ich sehe es dicht vor mir, möchte in ihr kräftiges Haar fassen, sie wie gewohnt sanft zu mir ziehen und ihr mit meinen Lippen über Wangen und Hals streifen, ihren Geruch in mich saugen, die Welt vergessen, mich an sie pressen. Tonnen von Laub und Blüten sollen über uns abregnen und uns über tausend glückliche Jahre zu Kompost werden lassen.
Benommen stehe ich vor meinen Habseligkeiten. Um mich Weltraumstille und Trilliarden Steine – überall, auch auf meinen Schultern, in meiner Brust.
Ich habe drei Schwestern, alle wunderschön. Aber Ruth! Die ist unbegreiflich. Eine Frau von den Sternen, verrückt und nachdenklich. Spielt Cello, verdammt, hab schon wieder nasse Augen. Das kann sich niemand vorstellen, dass eine Frau und ein Cello den Sinn und die Schönheit der Welt verkörpern.

Dieses Land ist dürr und ausgemergelt, schon vor hundert Jahren seiner Kraft beraubt. Ungeschützt, aufgegeben. Wagt sich ein unbedarftes Pflänzchen doch ans Tageslicht, dann wird dieses Licht schon vor der Mittagszeit zur sengenden Sonne und frisst es auf. Nur wenige Pflanzen mit Selbstgeißlercharakter überleben die täglichen Strapazen; sie besitzen eine überirdische Leidensfähigkeit und Stärke. Sie überleben nicht nur, nein, sie treiben – wie in letzter Verzweiflung – noch nie gesehene Blüten aus, bizarr und in trunkenen Farben. Recken sie der Sonne entgegen, triumphierend, voller Stolz. Soviel Forschheit und Kampfgeist könnte ich nie aufbringen. Es sei denn, Ruth wäre in Gefahr gewesen. Ich wäre zum Tiger geworden. Nur vor den weißen Kristallen konnte ich sie nicht schützen.

Ich weiß nicht, ob ich schon verrückt bin, doch ich respektiere dieses Land. Hier kommt zur gewohnten Zeit noch eine zweite Zeit ins Spiel, die erfühlt man, wenn man durch die aufgegebenen Weinterrassen geht, wo der nackte Schiefer glänzt. Hier verwildern Rebstöcke mit knorrigem schwarzen Holz, verdreht und schorfig, schon lange nicht mehr gehegt. Die Erde ist fortgespült. Zum ausgedarrten Flussbett gehe ich hinunter. Die solide Brücke kann man erst auf den zweiten Blick wahrnehmen – der schöne Bogen versinkt zur Hälfte in damals heruntergewaschenen Steinen. Eine Steinbrücke über einem Steinfluss. Ich hätte Ruth gebeten, sich auf die Mauer zu setzen und dann ein Urlaubsfoto gemacht.

In all dem steinernen Chaos spüre ich eine große und einfache Echtheit – unter einem grenzenlos weiten Himmel, der immer wieder überrascht, denn er arbeitet wie ein sehr talentierter Bühnenbildner mit allen Wolkenvariationen und einer Riesenfarbpalette.
Ruth hatte diesen Blick für Einfaches und Schönes; meinen Handschmeichler hat sie sehr geschätzt, trug ihn immer bei sich.

Es gibt hier keinerlei Ablenkung, jedes Wort und jeder Gedanke kommen mit sechsfachem Echo zurück. Nicht wie in den Bergen, immer schwächer werdend – auch das sechste Echo ist hier so stark wie das erste, erreicht manchmal erst nach Tagen mein Ohr und somit meinen Kopf. Ich habe schon wieder so viel anderes gedacht - und dann stellt sich mit diesem letzten Echo das eben Gedachte wieder anders dar und ich werde ganz wirr durch die vielen Perspektiven und Deutungsmöglichkeiten von ein und derselben Sache, fast ein wenig zornig über die immer weiter dahinschwindende Chance, einen aufgegriffenen Gedanken hier in dieser perfekten Stille zu Ende denken zu können.
Das alles kennt Ruth nicht. Sie ermüdet und wir suchen uns eine Steinplatte, von der Sonne uns zuliebe schon aufmerksamst vorgewärmt. Wir lehnen aneinander und nicken auf der Stelle ein.

Ich nehme Ruths Hand und sie lässt es zu. Ganz vorsichtig führe ich sie an meine Lippen, ich kann sie gar nicht vorsichtig genug anfassen, sie ist so zart. Und Ruth ist so schön. Fast müssen wir uns gar nicht beugen, denn an der Feldmauer aus seit Generationen aufgeschichteten Steinen wächst er uns entgegen – der wilde Fenchel. Und da unsere Zeit hier in der Fenouillade keinerlei Grenze kennt und wir sozusagen schon zeitlos und beinahe unsterblich sind – greifen wir danach und brechen einige Stängel.
Wir betrachten das strohdürre Unkraut und erkennen in dieser feinziselierten Blütenarchitektur den Kosmos im Kleinen: Um die Hauptsonne kreisen die sieben Nebensonnen mit wiederum jeweils sieben Untersonnen und das Ganze geht noch siebenmal so weiter und wenn die kleinste und mickrigste der alleruntersten Sonnenkategorie einen winzigkleinen Staubfaden verliert, der ohne die geringste Orientierung ganz nach Zufall und Wind irgendwo hingetrieben wird, meine teure Ruth, dann sind das wir – wir beide.

 
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Hola@Exilfranke,

es freut mich sehr, dass Du Dir meine Geschichte vorgeknöpft hast und auch gleich zur Sache kommst:

Weiß immer noch nicht, ob ich den kitschig oder stimmig finde. Vielleicht sogar beides, Kitsch wird ja eh immer unnötigerweise als negative Zuschreibung formuliert.
So sehe ich das auch. Ein erträgliches Maß an gut gemachtem Kitsch kann gefühlsbeladene Szenen noch ein bisschen intensiver machen. Aber hier – mit dem Himmel – ging es daneben:
Ein Himmel voller Laub und Blüten soll über uns abregnen und uns über tausend glückliche Jahre zu Kompost werden lassen.
Guter Kitsch.
Der ‚Himmel’ war vorher ‚eine Tonne’. Die erschien mir etwas zu ungelenk und ich hab’s geändert. Der ‚Himmel’ wiederum schien mir zu kitschig und jetzt heißt es:
Tonnen von Laub und Blüten sollen über uns abregnen und uns über tausend glückliche Jahre zu Kompost werden lassen.

Wie auf einem Bildschirm rollt die Straße vor mir ab ...
Das klingt wie ein Text vom Grönemeyer.
Klingt wie? Der ist von ihm!

Ich werde nicht mehr aufstehen, es lohnt nicht. Weiterzuleben wäre sinnlos.
Das Markierte würde ich streichen, der Nachsatz ist irgendwie so platt. Der Leser dürfte an dieser Stelle schon verstanden haben.
Seh ich auch so. Das heißt jetzt:
Ich werde nicht mehr aufstehen. Wozu weiterleben?

Dem in seiner Freizeit mit der Cello-spielenden Frau töpfernden Chefarzt-Witwer war ich trotzdem seltsam fern, ...
Hilfe, Mistverständnis! Mit einem Chefarzt wäre das Kitsch-Maß übergelaufen (dann hätte seine dahingeraffte Gattin Uschi heißen müssen:D). Nein, nein – da hätte ich schreiben müssen: ‚... besser als der Chefarztkittel ...’
Mit ‚ ... besser als ein Chefarztkittel ...’ wollte ich sagen, dass er für sie kein Chefarzt sein muss, um ...
Ein andermal meinte sie, mir stünde die Töpferschürze hundertmal besser als ein Chefarztkittel.
Hier musst Du mir meine ehrliche Gesinnung glauben; habe selbst eine schwere Kitsch-Allergie.

... die Geschichte war zu Beginn ein wenig rätselhaft, ...
Ja, ich wollte mal so etwas probieren – nicht nur runtererzählen. Allzu verschlüsselt hatte ich nicht vor, das ist unnötig. Doch den Leser wachkitzeln, um sein Interesse zu erwecken, das hatte ich schon im Sinn. Unterm Strich bleibt’s dabei: Wieder was gelernt.
Und:
Man liest sich, jose!
Logo!
Man liest sich, Exilfranke!

 

Hola@Chutney,

Das wiederum erscheint mir jetzt etwas umständlich, vielleicht einfach nur:
"Die gestrichelte Mittellinie erinnert mich an Ruths Anfänge mit dem weißen Zeug." ?
Das es da noch Spaß war, kommt ja auch noch in dem folgenden Satz.

Ja, genau: An den folgenden Satz hätte ich denken sollen. Jetzt im dritten Anlauf bin ich keinen Zoll von Deinem Vorschlag abgewichen, so sollte es passen.

Aber schon Deine Geschichte mit dem Jungen und seinem Luftballon („Du brauchst keine Angst zu haben, wir sind gleich zu Hause.“) hat mich sehr berührt.
Meintest du vielleicht die Frau mit den Schmetterlingen? Über einen Jungen mit Luftballon habe ich nie geschrieben.
Mann bzw. Frau! Da hätte ich meine gesamten Ersparnisse verwettet, dass diese Geschichte aus Deiner Feder stammte. Ach wie peinlich. Wollte mir noch mit allen Suchfunktionen Klarheit verschaffen – hat aber nichts gebracht. Jedenfalls tauchte dieser Text gleichzeitig mit Deinem schönen Nick im Forum auf.
Liebe Chutney, hab Dank für Deine Hilfe beim Verbessern!

José

 
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josefelipe

gefällt mir gut. erinnert mich an griechische Inseln, an spanisches Ödland, Nordafrika, sehr eindringlich, ich liebe diese heißen, öd wirkenden Landstriche, in der Hitze zu laufen, das Flirren in der Luft, die Rufe der Zikaden, Mittags, die Zeit der Gespenster, Eidechsen, die einen mit erhobenem Kopf betrachten, bereit sofort zu flüchten.

was ich auch liebe, ist es durch solche Landschaften mit alten Autos zu fahren. alles nur Hitze und endlose Kilometer um Kilometer, so viel Fläche und Landschaft, Zeit und Raum für jeden Gedanken, jedes Gefühl. auch die Beschreibung der schwarz gekleideten Menschen passt gut dazu. erinnert mich an ein Buch über Goya, das ich letztens las, die Landschaft und ihre Menschen.

wenn hier etwas weniger Adjektive drin wären, oder insgesamt die einzelnen Bilder mehr Raum zum Wirken hätten, wäre ich begeistert. so musste ich mich manchmal konzentrieren, um nicht rausgeschmissen zu werden, als ich mich zum Beispiel fragte, wo jetzt eine besternte Tapete herkommt. ich zeig das noch mal. so was habe ich eigentlich nicht, ich schreib ja selbst nicht reduziert und habe das auch nie gewollt, aber hier fände ich einen reduzierteren Stil sehr angenehm, weil dann die Bilder und Beschreibungen mehr Wirkkraft hätten, stelle ich mir vor.

die Thematik ist spannend und stark, zieht mich mit. hier passen für mich Set und Setting zusammen, es ist schon viel Symbolik, die hier aufeinander trifft: mit der Erinnerung an Ruth - jüdische Frauennamen sind die schönsten! - und Ruine, die so über Nacht und Hitzesteppe gelegt sind, aber es sprengt den Rahmen nicht.

Einige angeln nach meinen Händen, die sie wohl drücken möchten.

greifen nach den Händen zum Beispiel. bei angeln stelle ich mir eine unsichere Bewegung vor, die nicht zum Griff einer Hand nach einer Hand passt - ist ja meist schon zielgerichtet.

Ich glaube nicht, dass sie mir Schaden zufügen wollen, nur weiß ich nicht, was sie hier tun – schwarz gekleidet, einige Damen mit Gesichtsschleier, alte Männer halten ihren Hut in der Hand.

das Bild mag ich, alte Menschen in schwarz in heißer Landschaft in Sachen, die hunderte Jahre und zeitlos sein könnten. warum nicht einfach : ich glaube nicht, dass sie mir schaden wollen
das wäre so ein Beispiel, wo der Text etwas mehr Luft kriegen könnte, ohne was zu verlieren.

Die Tropfen würden über mir auf den Ästen landen und über die dicken, dann über die dünneren Zweige langsam zu mir herunterturnen und kühlend über mein Gesicht laufen. Niemand sähe, dass ich weine.

das ist so ein menschen-zentrierter Blick auf Elemente : mich reißts immer etwas raus, wenn Wassertropfen 'turnen' oder ein anderes Wort beigefügt kriegen, das eigentlich menschliches Handeln beschreibt.

Wie auf einem Bildschirm rollt die Straße vor mir ab. Gedankenlos schalte ich das Radio an. Es bricht los, viel zu laut, wie eine Explosion; fast verreiße ich das Steuer. Aus! Ich fahre in eine Parkbucht. Es geht mir nicht gut.

gefällt mir. den letzten Satz finde ich verzichtbar. das lässt sich auch so und besser rauslesen, ohne es so deutlich zu machen.

Diese Landschaft sagt mir nichts. Eintönig und trist. Ich fahre ewig weiter. Die gestrichelte Mittellinie erinnert mich an Ruths Anfänge mit dem weißen Zeug: Kleiner weißer Strich – bisschen Spaß – stopp. Kleiner weißer Strich – bisschen Spaß – stopp.
Die Straße wird schmaler und unübersichtlicher, die Linie jetzt blendend weiß, fast kristallen. Ohne Unterbrechung befiehlt sie, ihr zu folgen; die Kurven werden gefährlicher.
Ich fahre sehr schnell. Der Wagen vibriert, die Reifen schlittern. Will ich mich auch umbringen?
Ödland tut sich auf. Schlusspunkt der langen weißen Linie, der sie folgen musste, trotz ihrer Intelligenz, ihres Charmes, der ihr eigenen Heiterkeit, die durch hysterisches Auflachen immer rissiger wurde. Wie Asphalt, der in Schotter übergeht. Dann immer kleiner und feiner wird und endlich als Staub verweht.

gefällt mir auch. irgendwas ist an dem Text, das auf mich nicht so ganz rund wirkt, aber schwer zu fassen ist. es liegt vllt an der verdichteten Sprache oder daran dass hier beim Überarbeiten viel rausgenommen wurde. es wirkt nicht so ganz organisch, zwischendurch wirfts mich etwas raus wie die kleinen Linien: dieses Bild mit der Strichel-Linie ist sehr gut.

Meine Augen umreißen die Konturen des halben Mondes, als ob ich ihn aus dieser besternten Tapete herausschneiden wolle.

besternte Tapete - muss das so? wird weder der romantischen Anmutung des Textes gerecht noch meinem Blick auf Nacht-Himmel und Tapete.

Tonnen von Laub und Blüten sollen über uns abregnen und uns über tausend glückliche Jahre zu Kompost werden lassen.

zu viel.

Das kann sich niemand vorstellen, dass eine Frau und ein Cello den Sinn und die Schönheit der Welt verkörpern.

und ich dachte das wüsste jeder spätestens seit Man Ray. seine Montage hing lange bei mir Zuhause.

Nur wenige Pflanzen mit Selbstgeißlercharakter überleben die täglichen Strapazen; sie besitzen eine überirdische Leidensfähigkeit und Stärke. Sie überleben nicht nur, nein, sie treiben – wie in letzter Verzweiflung – noch nie gesehene Blüten aus, bizarr und in trunkenen Farben.

das ist schon wieder so ein menschlicher Blick auf Umwelt und Natur. das ist der Mensch in all seiner Herrlichkeit, der allem, was da ist und was er sieht, menschliche Eigenschaften gibt. wieso sollten Pflanzen einen Charakter haben und sich selbst geißeln wollen? so weit ich weiß, kommen nur Menschen auf solche Ideen. wenn aber deine Figur so was denken soll, würde ich das deutlicher machen, das kann ihn natürlich charakterisieren. also hier fände ich auch eine sparsamere Ausschmückung gut.

Eine Steinbrücke über einem Steinfluss. Ich hätte Ruth gebeten, sich auf die Mauer zu setzen und dann ein wunderschönes Urlaubsfoto gemacht.

gefällt mir, wie auch fast der ganze Absatz davor. "wunderschön" würde ich weglassen, das sagt eigentlich nie etwas aus. oder ihn das denken lassen, aber dann auch markieren, wie selten es ist, dass man etwas "wunderschön" findet, denn es ist ja eine maximale Steigerung.

das mit dem Land respektieren gefällt mir auch. wenn sein inniges Verhältnis zur Welt bestehen bleiben soll, wäre das eine Möglichkeit, über sein Alleinsein und sein Nachdenken über Natur und Wirkenlassen von der Umwelt auch seine Vermenschlichungen zu erklären. wie hier der Himmel:

denn er arbeitet wie ein sehr talentierter Bühnenbildner mit allen Wolkenvariationen und einer Riesenfarbpalette.

ich finde nicht, dass das einem Himmel gerecht wird. es erzählt mir mehr über die Figur als über den Himmel. was soll gesagt werden?

Du hast schon wieder so viel anderes gedacht - und dann stellt sich mit diesem letzten Echo das eben Gedachte wieder anders dar und du wirst ganz wirr durch die vielen Perspektiven und Deutungsmöglichkeiten von ein und derselben Sache.

sehr gut. das erklärt einiges auf eine nicht aufdringliche, nahe liegende Art. gefällt mir.
das mit dem Du mittendrin ist so eine Sache. finde ich etwas viel an der Stelle. ich würde beim Ich bleiben - mir erschließt sich der Sinn vom Du auch nicht, also was kann das an dieser Stelle besser, als es ein Ich könnte?

hat mir insgesamt gut gefallen, mit sehr guten Momenten, die etwas im Dekor verloren gehen. zum Stil habe ich ja was geschrieben. atmosphärisch sehr ansprechend, thematisch auch.

Gruß, Kubus

 
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Hola@Kubus,

Du überraschst mich mit Deinem aufwendigen Kommentar. Der freut mich wirklich, vielen Dank!
Ich hatte ja meinen Unmut über die meiner Meinung nach unnötig häufige Verwendung entbehrlicher Wörter – milde formuliert – in unkultivierter Weise kundgetan. Ich empfinde das als effektheischend und unerwachsen. Obwohl schon recht spät, war ich dennoch nicht besoffen. Bin nachtaktiv und in der glücklichen Lage, mir tagsüber ein Schläfchen zu gestatten. Ich empfinde die nächtliche Stille in einem großen Haus mit hohen Räumen als großen Luxus.
Schön, dass ich Dich direkt erreiche:

... sehr eindringlich, ich liebe diese heißen, öd wirkenden Landstriche, in der Hitze zu laufen, das Flirren in der Luft, die Rufe der Zikaden, ...

... alles nur Hitze und endlose Kilometer um Kilometer, so viel Fläche und Landschaft, Zeit und Raum für jeden Gedanken, jedes Gefühl.
Ich bin froh, diese Seite von Dir kennenzulernen – mein bisheriges Bild war einseitig und falsch.

... wenn hier etwas weniger Adjektive drin wären, oder insgesamt die einzelnen Bilder mehr Raum zum Wirken hätten, wäre ich begeistert.
Auch wenn oft das Kompakte gelobt wird, gebe ich Dir gern recht. Ich springe nicht von Genre zu Genre, sondern versuche, etwas für mich neues auszuprobieren wie eben auch diese Geschichte mit ein paar versteckten Andeutungen, jedoch nicht übermäßig verklausuliert.
Jetzt habe ich etwas Italienisches am Wickel und will besonders darauf achten, weniger Adjektive und etwas mehr Luft in den Text zu bekommen. Könnte allerdings sein, dass mich mein Stil einholt – na, mal sehen.
... als ich mich zum Beispiel fragte, wo jetzt eine besternte Tapete herkommt.
Zitat @Exilfranke:
Die gefällt mir sehr gut, diese Tapeten-Metapher. Schönes Bild.
Das alte Lied: Daumen runter, Daumen hoch.
Mir ging es um das Fettgedruckte im folgenden Satz, denn der Prot ist ziemlich daneben.:
Meine Augen umreißen die Konturen des halben Mondes, als ob ich ihn aus dieser besternten Tapete herausschneiden wolle.
Das tut mir gut, dieses Konzentrieren. Die wirren Knäuel in meinem Kopf bewegen sich weniger aufgeregt.

Einige angeln nach meinen Händen, die sie wohl drücken möchten.
greifen nach den Händen zum Beispiel. bei angeln stelle ich mir eine unsichere Bewegung vor, die nicht zum Griff einer Hand nach einer Hand passt - ist ja meist schon zielgerichtet.
Ich glaube nicht, dass sie mir Schaden zufügen wollen, nur weiß ich nicht, was sie hier tun – schwarz gekleidet, einige Damen mit Gesichtsschleier, alte Männer halten ihren Hut in der Hand.
das Bild mag ich, alte Menschen in schwarz in heißer Landschaft in Sachen, die hunderte Jahre und zeitlos sein könnten. warum nicht einfach : ich glaube nicht, dass sie mir schaden wollen
Gute Ideen! Bin Deinen Vorschlägen aus Überzeugung gefolgt und hab’s geändert. Danke.

Die Tropfen würden über mir auf den Ästen landen und über die dicken, dann über die dünneren Zweige langsam zu mir herunterturnen und kühlend über mein Gesicht laufen. Niemand sähe, dass ich weine.
das ist so ein menschen-zentrierter Blick auf Elemente : mich reißts immer etwas raus, wenn Wassertropfen 'turnen' oder ein anderes Wort beigefügt kriegen, das eigentlich menschliches Handeln beschreibt.
Haste recht. Ich werde mir Deine Ansicht zu eigen machen, ist ja einleuchtend. In dem Fall möchte ich aber beim ‚Turnen` bleiben, weil ich viel draußen bin und dieses Bild sehr häufig sehe. Und immer denke ich an einen Stufenbarren.
Ach nein, ich ändere es doch. Jetzt heißt es:
... über die dicken, dann über die dünneren Zweige langsam zu mir herunterrinnen ...
das ist so ein menschen-zentrierter Blick auf Elemente
Ich finde das eigentlich nicht schlimm, übertragen wir (außer Dir;)) nicht so viele Begriffe aus einem Sektor in oder auf einen anderen? Und kommen dabei nicht ganz originelle Sachen heraus – wenn es gut gemacht ist?

... fast verreiße ich das Steuer. Aus! Ich fahre in eine Parkbucht. Es geht mir nicht gut.
gefällt mir. den letzten Satz finde ich verzichtbar.
So ist es. Gestrichen.

Tonnen von Laub und Blüten sollen über uns abregnen und uns über tausend glückliche Jahre zu Kompost werden lassen.
zu viel.
Für einen Mann Deiner Ausrichtung ganz bestimmt – für weibliche Leser? Keine Ahnung. Soll nicht wieder vorkommen.

Das kann sich niemand vorstellen, dass eine Frau und ein Cello den Sinn und die Schönheit der Welt verkörpern.
und ich dachte das wüsste jeder spätestens seit Man Ray. seine Montage hing lange bei mir Zuhause.
Aha, davon wusste ich nichts. Ist mir selber eingefallen.

ein menschlicher Blick auf Umwelt und Natur. das ist der Mensch in all seiner Herrlichkeit, der allem, was da ist und was er sieht, menschliche Eigenschaften gibt.
Also, mit Verlaub – ich finde das nicht bedenklich. Eine Raupe wird die Welt vemutlich ebenfalls mit ihren Augen sehen, und sortieren.

wieso sollten Pflanzen einen Charakter haben und sich selbst geißeln wollen? so weit ich weiß, kommen nur Menschen auf solche Ideen.
Mein Gott, ich will es Dir erklären: Weil Pflanzen nicht an Gott glauben, keine Gottesfurcht kennen, demzufolge nicht wissen, wie man seine Chancen auf einen Platz zur Rechten Gottes erlangen kann. Ist das denn so schwer zu begreifen?

wenn aber deine Figur so was denken soll, würde ich das deutlicher machen, das kann ihn natürlich charakterisieren.
Ich dachte, es reicht, seine Betrachtung als seine Betrachtung darzustellen.

... und dann ein wunderschönes Urlaubsfoto gemacht.
gefällt mir, wie auch fast der ganze Absatz davor. "wunderschön" würde ich weglassen, das sagt eigentlich nie etwas aus. oder ihn das denken lassen, aber dann auch markieren, wie selten es ist, dass man etwas "wunderschön" findet, denn es ist ja eine maximale Steigerung.
Das überzeugt mich. Ist ebenfalls gestrichen.

das mit dem Du mittendrin ist so eine Sache. finde ich etwas viel an der Stelle. ich würde beim Ich bleiben - mir erschließt sich der Sinn vom Du auch nicht, also was kann das an dieser Stelle besser, als es ein Ich könnte?
Mein lieber Kubus, das ist eine ganz tolle Überlegung (für mich). Wie vernagelt man manches Mal doch ist! Habs blitzschnell geändert und muss sagen: Es liest sich wesentlich besser. Da hab ich wirklich was gelernt. Vielen Dank.
Eines wollt’ ich Dich schon lange fragen: Du hast ein paar Eigenheiten beim Schreiben. Die auffälligste ist der kleine Satzanfang.
Ist es nicht so, dass ein von Dir kommentiertes Neumitglied irritiert sein kann, denn Deine Schreibweise deckt sich nicht mit der Regel. Friedels hattu oder hastu ist auch unüblich.
Wäre es nicht besser, diese Verschrobenheiten nur im privaten Schriftverkehr einzubringen, im offiziellen jedoch die korrekte Linie zu wahren?
Oh Schiet – jetzt kommt der Bumerang: Dann müsste ich meine geliebten großen Du & Co. auch aus dem Verkehr ziehen. Als Zeichen der Wertschätzung würde ich sie gern beibehalten, nur will ich keine Extrawurst.

Du fandest auch lobende Worte, und jetzt, nachdem ich Dich besser kennengelernt habe, bilde ich mir darauf auch etwas ein.

Habe die Ehre, mein Lieber!

José

 

Hallo josefelipe,

Ich bin wohl etwas verspätet, aber trotzdem möchte ich mich zu deiner Geschichte äußern. Sie hat mich stark ergriffen.
Eine schöne, traurige Geschichte voller Poesie und viel Liebe zum Detail. Wunderschöne Bilder und harte Vergleiche. Melancholie, Trauer, Verlust.
Für mich alles passend und stimmig! Deine Geschichte hat mir sehr gefallen.

Grüße
Lind

 

Hola Lind,

so einen Nachzügler wie Deinen Kommentar würde ich am liebsten jeden Tag empfangen – gleicher Inhalt vorausgesetzt. Gelobt zu werden ist etwas Feines.

Ich danke Dir, damit hast Du mir eine Freude gemacht (ich hatte mich beim Schreiben auch wirklich angestrengt). Aber Du bist ja auch mit einem guten Text in Rekordzeit zu Deiner Empfehlung gekommen.
Da macht das Schreiben Spaß.

Alles Gute weiterhin!

José

 

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