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Kultur im Glas
„Ich würde gerade unglaublich gerne auf einen wehrlos am Boden Liegenden eintreten bis er stirbt“, sagst du nachdenklich. „Aber vielleicht trinke ich auch einfach noch einen Whiskey“.
Den bestellst du dann auch, natürlich on the Rocks. Ich bestelle noch ein Bier, denn ich bin kein Whiskey-Kenner, und der Whiskey hier soll sehr gut sein und den möchte ich den Whiskey-Kennern nun wirklich nicht weg trinken. Ich bin nicht beunruhigt wegen deiner mordlüsternen Ansage, denn ich weiß ja, dass du eigentlich recht friedlich bist, fast schon sanftmütig, nur eben momentan von unserer Welt frustriert. Wie könnte man dir das verübeln?
Wir sitzen in der Schweinebärmann-Bar und im diffusen Halbdunkel lässt die örtliche Metalszene die Haare kreisen. Es läuft Oldschool-Deathmetal, der mir viel zu soft ist, aber da ich keine langen Haare besitze, habe ich von dem Thema sowieso keine Ahnung - das musste ich immer wieder feststellen. Wir sind nicht true, denn wir tragen weder vollgepisste Kutten noch lange Mähnen, wir sind Metalheads im Geiste, aber das zählt leider nicht.
Doch die Akzeptanz der Szene ist mir scheißegal, denn es geht hier um Musik.
Deathmetal, Thrashmetal, Speedmetal, Progressiv Metal oder Grindcore, das ist alles irgendwie ein bisschen vertonter Krieg, ist musikalische Gewalt und auditives Gemetzel. Genau das ist manchmal nötig um nicht durchzudrehen und nach draußen zu laufen und den nächstbesten Penner abzustechen, einfach um die eigene Wut irgendwie zu artikulieren.
Wir beide machen Kunst, sind Kulturschaffende, oder halten uns zumindest dafür. Du malst wunderschöne Bilder von grotesken Gestalten, welche voller Trauer und Entsetzen durch ihr Leben und über deine Leinwände kriechen. Es sind die personifizierten Abbilder der Seelen der Kaputten, sagst du gerne und ich weiß genau was du meinst. Du sagst auch gerne, dass du emotionale Reaktionen provozieren willst. „Wenn ich jemandem meine Bilder zeige und er einfach nur meine Technik lobt, dann habe ich eindeutig versagt“. Das führst du dann weiter aus und ich sehe das auch ein, nur weiß ich auch, dass viele das eben nicht einsehen und das ist auch der Grund, warum wir wieder einmal hier sind.
Deine Seelenmalerei ist wunderschön, doch wenn es nach dem Urteil der grausamen Welt nicht hübsch oder angemessen oder tiefgreifend oder wenigstens hässlich-schön ist, sondern einfach nur irrelevant, dann schlägt man schnell auf dem harten Boden der Realität auf.
„Ich verstehe die Leute, die irgendwann durchdrehen und eine Bank überfallen“ sage ich, um etwas zu sagen was deine und meine Stimmung am besten einfängt und du stimmst mir zu und selbst Hitler wollte ja eigentlich Maler werden. Es ist offensichtlich gefährlich, uns Künstlern nicht den Ruhm zu gewähren, der uns gebührt.
Ich selbst bin nicht einmal ein echter Künstler, sondern „nur“ ein Kulturschaffender, denn ich schreibe Bücher. Genau genommen bisher nur eins. Ich habe ewig gebraucht, Nächte voller Kaffee und Verzweiflung, immer umhertanzend zwischen der Euphorie über meine Genialität und der Erkenntnis, dass die letzten fünf Seiten doch eigentlich komplett scheiße waren.
Bücher schreiben ist kein Blitzkrieg, sondern ein zermürbendes Stellungsgefecht.
Mehrmals stand ich kurz vor der Kapitulation, doch du als mein Propaganda-Minister zwangst mich durchzuhalten, bis ich endlich meinen ersten Roman aus der Taufe heben konnte. Ich wusste gleich, dass es ein Bestseller werden würde.
Nur verkaufte er sich nicht. Keiner interessierte sich für meine Genialität und die Kritiker glänzten nicht einmal mit geistreichen Verrissen, sondern schlicht mit kompletter Ignoranz.
Nun sitzen wir also hier und während Nasum mit „time to act!“ endlich einmal mit passender Härte unsere Stimmung untermalt, sinnierst du darüber, ob du dich nicht besser umbringen solltest.
Blastbeats und Wogen von warmen Schwindel geben deinen Aussagen die nötige Bedrohlichkeit und so nehme ich dich in den Arm und gebe dir unmissverständlich zu verstehen, dass ich mir Sorgen um dich mache. Die Dramatik kocht über und du entschärfst etwas die Situation, mit den Worten: „Ich bin ein Mensch mit einem latent-aktiven Todeswunsch. Der existiert seit ich 14 bin. Vielleicht war er auch schon immer da. Aber ich habe ihn noch nie in die Tat umgesetzt. Ich denke nicht, dass ich es gerade heute tun werde. Das sollte dich nun wirklich beruhigen.“
Das tut es und so bestelle ich noch ein Bier und als Belohnung werde ich von einem der langhaarigen Thekengenossen frech von der Seite angerülpst. In der Gosse zu landen ist doch auch nur ein weiteres Klischee, denke ich. Im Hintergrund läuft Manowar.
„Als Künstler kann man fast nicht anders, als die Selbstzerstörung und die Trauer zu romantisieren und alles noch intensiver zu leben, als es die meisten Menschen tun. Ein Wesenszug, der mir wohl noch lange im Weg stehen wird, zumindest, wenn es darum geht, glücklich zu sein.“
Wieder stimmst du mir zu und lobst meine feingeistige Art, die wahren Wahrheiten so schön in Worte zu verpacken.
Umschmeichelt von totem Metal trinken wir weiter, geben uns stilvoll verzweifelt und trotz der Tatsache, dass unsere Leben gerade wieder mal zusammenstürzen wie die Twin Towers, geht es mir irgendwie auch gut. Vielleicht geht es mir auch gerade deswegen gut.
„ich glaub ich bin glücklich weil ich traurig bin und gleichzeitig traurig weil ich glücklich bin“, fasse ich diesen unerwarteten Geistesblitz zusammen und du schenkst mir einen glasigen Blick voll Verständnis, was mein Herz fast noch mehr erwärmt, als der Alkohol.
Es läuft Dying Fetus und die letzte Hoffnung läuft davon und stürzt sich in den nächstbesten Abgrund.
Irgendwer hat mal gesagt, wahrhaft große Leute müssen in dieser Welt auch große Traurigkeit empfinden und da auch teure Klamotten nur an traurigen Menschen gut aussehen, passen wir mit unseren Anzügen doch ganz gut ins Bild. Metal sollte man sowieso nur im Anzug hören, denke ich und du sagst: „Ich glaube der Papst ist auch irgendwie eine gescheiterte Existenz. Genauso, wie Hitler ursprünglich Maler werden wollte, ist Ratze ehemals beim Film gewesen. Seine Rolle bei Star Wars war ein riesen Hit, aber danach wollte ihn keiner mehr. Was bleibt da noch übrig? Drogen oder eben Religion. Ratze hat mein vollstes Mitgefühl.“
Alle großen Künstler dieser Welt sind irgendwie verzweifelt und Verzweiflung ist irgendwie auch ein Aushängeschild für große Kunst.
Ein glücklicher Künstler? Das wäre nun wirklich unangemessen.
Natürlich gibt es auch viel falsche Traurigkeit in den Reihen der Kulturmacher und die gefakete Traurigkeit nervt fast noch mehr, als die Tatsache, eben nicht zu den großen Künstlern zu gehören.
Doch, würde man zu den ganz Großen gehören, werfe ich ein, dann wären genau diese Leute die ersten, die uns steinigen würden! „Denn dann wären wir Mainstream.“
„Es ist doch so pseudocool, etwas abzulehnen, nur weil es nicht mehr underground ist“, schließt du dich an, doch wir müssen resigniert feststellen, dass Pseudocool eben doch das neue cool ist. Allerdings ist cool nicht mehr cool, denn durch den „Geek-Style“ ist Nerdy jetzt cool, was wiederum ziemlich pseudo ist - was cool ist. Die zirkuläre Logik dieser Aussage wirkt durch den Schleier des siebten Bieres noch schlüssiger und die Band Serial Butchers lässt meinen Blutdruck weiter steigen.
„Nerdbrillen, Jutebeutel und eine Plattensammlung. Die Individualisten von der Stange“, schimpfe ich los, doch das alles ist ja am Ende einfach nur Geschmackssache, meinst du, denn eigentlich sollten alle Menschen sowieso viel mehr Deathmetal hören.
Wir kommen wieder auf das Thema Kunst und auch auf das Unding in Universitäten, künstlerisches Schaffen tatsächlich objektiv bewerten zu wollen.
Du sagst: „Kunst entzieht sich doch eigentlich schon von seiner Grundidee her jeglicher Wertung“ und kippst deinen soundsovielten Whiskey und ich füge kneipenphilosophisch hinzu: „Kunst ist ein vielschichtiges Parkett. man kann leicht darauf ausrutschen und sich die Nase blutig schlagen. Doch dann erkennt man, dass gerade die Blutflecken und die abgebrochenen Zahnsplitter die Kunst sind.“
Ob das alles wirklich Sinn hat, werde ich wohl nie erfahren, denn nun taumeln wir auch schon auf die Straße und ich bemerke, durch die plötzliche Bewegung aufgeschreckt, wie betrunken ich wirklich bin. Vieles wird morgen wohl erloschen sein und stattdessen wird da diese männliche Monsterkatze auf meinem Kopf sitzen und mir das Gehirn zerkratzen.
Doch trotz allem war dieser Abend nötig. Ich bereue nichts!
Wieder einmal verabschieden wir uns mit einer langen Umarmung und gelallten Durchhalte-Parolen.
„Oh, ein Kartoffelbrei“ denke ich noch, als ich im Morgengrauen den ersten Straßenkehrer passiere, welcher mit seinem urigen Reisigbesen die kaputten Träume der letzten Nacht zusammen fegt.