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Kristalline Erschöpfung
Der Injektor befindet sich in einem zerfallenen Spitalkomplex, wo farbloses Unkraut durch die Risse wuchert und eine Antikriegsreklame hinter zerbrochenem Glas flackert. Die Haupthalle ist freigeräumt von Trümmern, die anderen Gebäudeteile liegen wirr und zerstört. Stimmen flüstern mit dem Wind, durch das zerbröckelnde Labyrinth aus Mauerwerk. Zwei Feuer malen Rußsäulen an die Wände, sie spiegeln sich im metallenen Tisch, in der Mitte des rechteckigen Raums. Die Decke ist eingestürzt und aschebedeckte Schutthaufen türmen sich unter gähnendem Himmel, ein schwarzes Loch, in dem die letzten Sterne verglimmen. Das Firmament liegt in der erlöschenden Glut des Kriegs.
Vor dem Tisch drängeln sie sich, müde und schlotternd vor Schwäche harren sie aus, um leben zu können. Eine Dosis Siliziumdioxid für erschlaffte Lungen, zermürbte Gehirne und blutleere Beine. Injektionen reizen ihre Synapsen an und Sauerstoff erfrischt altgewordenes Fleisch, neue Kraft strömt durch verbrauchte Leiber. Treibt voran das schwere Rad, überrollt die Gunst der Schwachen' Stunde. Ein dürrer Schatten schlurft auf ihn zu, gebeugt auf einen knochenweißen Stab. Vom Feuer starren sie herüber, Mumiengesichter im Flammenschein.
„Willst dich hinlegen, Lurch?“
„Unbedingt, ja.“
Der Geschmack von Rost belegt die Zunge und der Hals ist eingefallen. Die Speichelbildung hat längst ausgesetzt. Aufgeplatzte Lippen, gerissen in ein Gesicht, hinter dessen Haut der graue Schädel grinst. Die Haare sind ihm alle ausgefallen. Er senkt den Kopf und der Dürre legt ihm die Hand auf, streicht mit den Fingern über die vernarbte Haut. Blaue Kristallkronen schimmern darunter.
Eine heisere Stimme wimmert aus knöchernen Hohlräumen.
„Fühlt sich ausgewachsen an.“
„Wie viel willst du?“
„Wenn du mir drei Kronen gibst, kriegst die volle Ladung.“
„Drei sollen’s sein.“
„So jemand wie du ist lange nicht vorbeigekommen.“ In seinem Auge glüht ein Funke in schwarzpoliertem Glas, das andere ist mit verkrustetem Gazetuch bedeckt. „Dein Dinghi, das draußen steht?“
„Ist meins.“
„Gut in Schuss. Das Wappen auf dem Segel ... Woher stammt das?“
„Weiß ich nicht.“
„Weißt du denn, wohin?“
„Nein. Suche nach einem Ort. Jenseits der Asche.“
„Hier ist alles leer. Das ist zwecklos.“
„Ist egal. Muss in Bewegung bleiben, sei’s nur für das Gefühl, dass ich irgendwann ankomme.“
„Verstehe. Mir gings genauso. Bin immer weiter gesegelt.“
„Ja. Zu den unerreichbaren Farben am Horizont ...“
„Sie haben dich in unsere Arme geführt. Fatamorganen des endlosen Blau. Wir können helfen.“
„Es ist bitterkalt.“
„Ja, siehst ungesund aus. Unsere dicke Moja wird dir direkt ins Zentrum stechen. Aus dem Weg ihr Lechzer!“
Über dem Tisch krängt eine bizarre Apparatur. An ihr sitzen flimmernde Bildschirme, gleich Dutzenden Augen, rote Zeichen flackern als Hologramme davor, ein nervöses, warnendes Zwinkern. Dicke Kabelstränge stechen aus ihren kunststoffverkleideten Seiten wie Borsten. Gestützt von acht schwarzen Metallbeinen, die von einem trapezförmigen Leib ausgehen, erinnert sie an eine Spinne, geboren in den Alpträumen der Nadeldepression.
Unter der Maschine sind zwei Dutzend kleinere, spitzzulaufende Extremitäten rastlos in Bewegung, erzeugen ein mechanisches Summen in der Luft. Knisternde Funken sprühen aus geborstenen Kabelenden und regnen auf die blankpolierte Fläche des Tisches herab.
„Ein alter Injektor.“
„War mal ein Prototyp. Wir haben sonst nix.“
Aus dem Hinterteil der Maschine tropft ein bläulich-transparentes Sedativum, an dem sich die Gebrochenen laben, bis der Dürre sie mit einem Schwinger des dritten Beins verscheucht. Jemand aus den Reihen protestiert, die anderen weichen apathisch, die Blicke tot und blind. Kein Kristallwuchs, ihre Körper gebuckelt von der Armut. Es ist nur der Schmerz geblieben, gemeißelt in steinerne Gesichter. Bei den Injektoren sammeln sie sich, die vergessenen Opfer des Kristalls.
Einst führte er sie an, bevor das Leuchten sein Bewusstsein verbrannte und der verlorene Krieg die Überreste seiner Seele in Asche läuterte. Wiedervereint in Nichtexistenz, verdammt durch das gemeinschaftliche Verlangen, erwarten sie nun gutbrüderlich die Nadel, ihren federweichen Kuss, tief unter der Haut. Erlösung im Dasein des Elends. So lange seit der letzten Injektion ist es her. Er beugt sich vor, stützt sich mit den Händen ab und legt den Kopf auf kühlen Stahl.
Der Dürre holt das Werkzeug.
Sonnenstrahlen fallen durch Staubwolken, ein Glitzern wie Sterne bei Tag.
Halfa steht an der Brüstung des Balkons, unter ihm speien die Kraftwerke Partikel aus den langen Schornsteinen, ihr intensivblaues Leuchten übermalt die Dächer und die Straßen und den Horizont. Alle anderen Farben sind verblasst, als hätten sie einfach aufgehört zu existierten. Selbst die mächtigen Bäume ersticken langsam unter dieser Schicht, fallen zu Boden und zersplittern in einem Regen aus totem Holz. Auf seinem Schlachtzug entgegen der Natur gilt sein Kampf allein der Ressource. Die Konsequenzen sind bedeutungslos geworden, solange die Förderung auf Hochtouren läuft.
Seine Lügen und Versprechen der Zukunft predigt er täglich von hier oben, ruft das Volk an, aus den schwindelerregenden Höhen seines Palastes. Doch niemand hört ihn, unten auf dem weitläufigen Platz vor dem Turm wirbelt nur einsam der Staub, die Arbeiter verlassen ihre Fabriken und die Stollen nicht mehr. Dem gemeinen Volk bleibt keine Zeit für solcherlei Annehmlichkeiten.
Stattdessen fahren sie hinunter durch enge Schächte, das vorher fruchtbare Land nun ausgehöhlt und wurmstichig, tausende Meter unter Boden, wo das blaue Glühen sie vom Ozean träumen lässt. Es hat seit Jahren keinen Regenfall mehr gegeben und dies trügerische Kristallschimmern ist das Einzige, was sie an ihre Jugend erinnert. Wer zu lange unten bleibt, wird regelmäßig von Schwindelattacken heimgesucht, der Staub verklebt die Lungenflügel und nicht selten erbricht einer blaue Masse und klappt ohnmächtig zusammen. Halfa wird täglich davon unterrichtet.
Die Flügeltür hinter ihm wird aufgeschlagen, er dreht sich um und einer seiner Generäle steht in verschwitzter Uniform da. Trägt blaue Abzeichen am Jackett.
„Autokrat. Sie müssen unbedingt mitkommen.“
„Was soll die Störung? Bemerken Sie nicht, dass ich mich sammle?“
„Sicher. Aber das müssen Sie sich ansehen.“
„Verschwenden Sie nur nicht meine Zeit. Bald habe ich die große Rede fertig und werde sie der Welt präsentieren.“
Der viereckige Blechkasten rast nach unten, in den Stollenmund, vorbei an offenen Rohren, aus denen Dunst aufsteigt, als würde der Planet schwitzen. Bis nur nacktes Gestein vorüberrauscht, durch das sich schwach leuchtende Adern in Wellenmustern ziehen. Der Autokrat und sein General tragen Atemmasken mit runden Luftfiltern.
Während der Fahrt sprechen beide kein Wort. Unten angekommen, führt ihn der General durch einen Tunnel, in dem sie nur gebückt gehen können. Das Licht ist diffus, in Abständen von zwanzig Schritt hängen Leuchten an Türstöcken, die Sicht ist eingeschränkt. Der Stollen mündet in einer Kammer, deren staubige Tiefen nicht zu schätzen sind.
„Wir sind da, Autokrat.“
„Verraten Sie mir, was uns hierhergeführt hat?“
„Sehen Sie.“
Arbeiter hantieren mit schwerem Schweißgerät. Schmelzen den blauen Schatz aus dem Gestein frei, Flammen zucken durch den schimmernden Nebel und Funken schlagen Räder, wenn der Brenner auf Kristall trifft.
„Ich verstehe nicht. Alles in bester Ordnung.“
„Beobachten Sie die Arbeiter. Schauen Sie sich ihre Köpfe an. Wir sollten etwas näher herangehen.“
Der General reißt den Erstbesten am Arm zu sich und zwingt ihn auf die Knie. Es ist ein ausgemergeltes Männlein, das kurze und abgerissene Hosen trägt, der Körper geschunden von der Peitsche des Vorarbeiters. Die scharfen Gesteinssplitter schneiden tief und entblößen das Rückenmark. Der General reißt ihm die dreckigen Lumpen vom Kopf.
„Sehen Sie hier, die Kristalle wachsen in seinem Schädel.“
„Tatsächlich.“
„Es steckt schon überall drin. Wer länger als zwanzig Tage hier unten verbringt, wird davon befallen. Scheint sie irgendwie willenlos zu machen, mit Neigung zur Apathie. Ständig das unreine Zeug hier unten zu atmen ... Gestern haben sie einen Vorarbeiter mit dem Schweißer gegrillt.“
„General, danke, dass Sie mich herumgeführt haben.“
„Was sollen wir tun?“
„Wir lassen weiterarbeiten, was sonst? Kommen Sie heute Abend zur Konferenzhalle, dann werden wir offene Fragen klären können.“
Halfa schreitet zurück zum Stollen, dreht sich noch einmal um.
„Und lassen Sie eines der Exemplare untersuchen. Ich will einen Bericht.“
Der Dürre klappt die Schädeldecke zurück, entlang der Knochennaht. Verschafft sich mit geübten Fingern Zutritt zum Kortex, die Platte legt er auf den Tisch. Betrachtet die blauschimmernden Kristallkronen. Er leckt sich über die Zähne, setzt die Eisenzange an und reißt, stemmt sich mit dem Arm gegen seine Schulter, zerrt und dreht, bis er die erste Krone aus ihrer Wurzel bricht. Ein Krater bleibt, aus dem feines Rinnsal im blutigen Delta über das Gesicht hinunterfließt. Nach zwei weiteren Kristallen ist der Patient zu kraftlos, um seinen Kopf zu heben. Hängt am Tisch, zuckend wie ein zertretenes Insekt.
„Dein Name?“
„Halfa.“
„Gutes Material, Halfa.“
„Mir ging’s schon besser.“
Der Versuch zu lachen verendet in einem Raspeln. Unter verschrumpelten Hautlappen bebt der Kehlkopf, als der Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Wasser schnappt. Der Dürre setzt ihm den Stirndeckel zurück in den Schädel ein, wischt das Blut mit den Fingern aus seinen Augen.
„Gleich wird’s wieder. Komm.“
Er hilft ihm, seinen Körper hinzulegen, auf den Tisch unter die Spinne. Die steifen Beine auf die Platte zu schieben kostet Kraft, er stemmt sich gegen den Stab, bis es gelingt. Gestützt auf die Ellenbogen sinkt Halfa auf das Metall. In erstarrter Erwartung liegt er da, der Atem flach, auf seinem glänzend kalten Katafalk.
„Soll ich ein Gebet sprechen?“
„Nur wenn es meine Schmerzen lindert.“
„Nun ja, vielleicht taugt es nicht dafür. Willst Du’s trotzdem hören?“
„...“
„In frostigen Nächten schenkt der Kristall mir Träume von Farbe und an schwarzen Tagen wärmt er mein Blut. Lässt mich hinabgleiten in die Arme der Taubheit, mit zärtlichem Druck, schwebend am Grund eines tiefblauen Sees. Geborgen am Ort der Gnade, wo die Gedanken verstummen und keiner meine Schreie mehr hört. Feuerblumen erlöschen, Bilder von Asche und fallender Glut, die vor dem inneren Auge kreisen, sie verblassen in Bedeutungslosigkeit, wenn der Kristallcocktail das Herz berührt.“
Die Extremitäten der Spinne falten sich zusammen, die Apparatur rotiert um die eigene Achse, öffnet danach ihre Glieder zum kreisförmigen Nadelkranz, sinkt herab und der Dürre sticht ihm die spitzen Enden nacheinander durch die Haut. In die Hand- und Kniegelenke, in das Abdomen, das Letzte in Halfas Brustkorb, der sich hebt unter Protest, den Fremdkörper abstoßen will. Dann bleibt er regungslos und die Spinne pumpt, tastet sich durch seine Venen, erreicht das zentrale Nervensystem. Verbreitet ein Geflecht aus Sonnenstrahlen.
Halfa hastet durch kunststoffverkleidete Gänge und erreicht die Forschungsabteilung.
„General! Status vom Projekt Spinne?“
„Die Entwicklung schreitet zwar voran, aber nicht so wie geplant. Es gibt erhebliche Verzögerungen.“
„Was Sie nicht sagen. Ständig gibt's Probleme! Was ist denn los?“
„Das Siliziumdioxid vermischt sich im großen Kreislauf nicht richtig mit dem Kristallpulver. Nach momentanen Schätzungen dauert die Züchtung mindestens vier Monate ... und die Ergebnisse sind nicht zufriedenstellend.“
„Das ist zu lange, das wissen Sie.“
„Wir laufen an der Kapazitätsgrenze. Wenn Sie so weitermachen, opfern Sie einen weiteren Planeten.“
„Und wenn schon! Das Wichtigste haben wir mitgebracht und können es wieder mit uns nehmen. Nein, ich bin mir sicher, hier soll unser Reich erblühen.“
„Es wird niemand mehr älter als dreißig! Bereitet Ihnen das keine Sorgen? Selbst der kräftigste und tüchtigste Arbeiter stirbt, bevor er Kinder zeugen kann.“
„Dann machen Sie doch endlich ihre Arbeit! Alles würde nach Plan laufen, wenn Sie ein fähiger Architekt wären!“
Halfa schreit, bis der General die Hacken zusammenschlägt, salutiert und wegtritt. An schwarzen Schläuchen hängen Körper, ihre Enden stecken in Venen und pumpen langsam blaue Flüssigkeit in den Kreislauf. Die Köpfe glühen in zarten Lichtkronen, unter der Haut die scharfen Schatten des Kristalls. Die Forschungshalle fasst Hunderte dieser Einrichtungen. Wenn die Erntezeit kommt, schuften die Nachkommen der ehemaligen Minenarbeiter und bauen das Material ab. Eine Generation stirbt als Wirt, die andere ist gezwungen, das eigene Fleisch und Blut auszubeuten. Beide werden sie geopfert, auf dem strahlenden Thron der kristallinen Schöpfung.
Halfa hat aufgehört, Paläste errichten zu lassen. Seine Predigten sind verstummt. Die große Rede hat er nie fertiggeschrieben und sie ist lediglich eine verschwommene Erinnerung, eingeschlossen in einem Meer aus Eis. Unter der Kristallmaske schwärt nur mehr ein schwarzes Gedankenmoor und lässt ihn stundenlang ins Leere starren. Auf seinem Feldzug hat er Planeten zerstört, doch die Gier fand in ihm ein grenzenloses Gefäß. Er bettet sich auf einem meterhohen, in Stein gehauenen Altar, unten in einem kühlen Erdloch, damit er nicht mitansehen muss, wie eine weitere Landschaft zu Asche zerfällt.
An seinem Handgelenk krallt sich eine Spinne fest, ein bebendes, unförmiges Ding, der pumpende Rüssel im Handgelenk versenkt, versorgt ihn mit kristallener Energie. Kabelstränge hängen von der Decke, ein Baldachin aus Glasfasern, in dem die mit Siliziumdioxid angereicherte Flüssigkeit gluckst.
„Autokrat!“
Einer der Generäle stürmt seine schwarzen Traumgemächer.
„Wir können nirgends mehr hin. Hören wir auf!“
„Es gibt andere Galaxien.“
„Unsere Energie reicht niemals mehr aus, diese zu erreichen. Wir sind verloren, wenn Sie nicht unverzüglich das Programm stoppen.“
„Wollen Sie etwa, dass ich sterbe? Dass wir sterben?“
„Nein. So viele haben schon ihr Leben verloren.“
„Dann lassen Sie mich in Ruhe überlegen.“
„General, die Vorarbeiter haben mir schon lange nicht mehr Bericht erstattet.“
„Sie sind längst fort.“
„Wohin? Desertiert? Elender, nutzloser Haufen von Bastarden!“
„Kommen Sie mit. Ich habe das Dinghi fertiggebaut.“
„Was ist ein Dinghi?“
„Sie müssen fort von hier. Steigen Sie ein und fahren Sie über das Aschemeer.“
„Nein. Ich bin hier zuhause.“
„Sie dürfen nicht sterben! Deshalb müssen Sie unverzüglich weg von hier. Bitte!“
Kräftige Rucke an den Kabeln und der Glasvorhang fällt über dem Altar zusammen, zersplittert in blauem Sturm aus Lichtkristallen, sie hüllen die unterirdische Thronkammer in ihr erstickendes Kleid. Das Atmen fällt ihm schon schwer und Halfa bricht zusammen, stürzt hernieder von seinem Sitz, aufgefangen von den Armen seines Generals. Dieser packt die Spinne mit kalten Fingern, quetscht ihren künstlichen Leib und entfernt den Rüssel aus der Haut. Er zertritt das Gerät unter seinen Stiefeln.
Halfa liegt auf dem silbernen Tisch, Arme und Beine hängen schlaff über dessen Kante hinab.
„Wo sind wir?“
„Du bist wach. Das ist gut.“
„Wer bist du? Und wo sind die ... Lechzer?“
„Du kannst mich nicht erkennen.“
„Etwas stimmt nicht.“
„Sieh her, die blauen Sterne an meinem Jackett. Ich trage es immer noch.“
„Wir sind nicht allein.“
„Doch. Es ist niemand außer uns beiden hier.“
„Wo ... sind die andern? Ich hab sie gesehen.“
„Die andern? Da sind keine andern, das bist alles du. Der Kristall muss Splitter in dein Hirn getrieben haben.“
„Was hat das ... zu bedeuten?“
„Du kennst mich als General Rhodan.“
„General ...“
„Autokrat. Hört mir zu. Ihr führt Krieg gegen euch selbst und habt dabei ganze Welten zerstört. Wir wurden nie angegriffen, Ihr selbst seid unsere Apokalypse. Die Sucht muss ein Ende haben. Eure Wahnvorstellungen bewegen sich ausserhalb jeder Dimension. Ihr seid eine Bedrohung für die Galaxie.“
„Was ... werfen Sie mir vor ...“
„Es geht zu Ende mit dir. Du reißt uns nicht nochmal in den Abgrund. Wach endlich auf! Das ist Wahnsinn. Wir wollen nicht mit dir sterben.“
„Was ist mit der Injektion ... Dem Kristall ...“
„Es gibt keinen Injektor und keinen Kristall. Nicht mehr.“
„Aber er muss doch mein Blut wärmen.“
„Wir haben den kristallinen Tumor entfernt. Brauchst jetzt Ruhe.“
„Den Tumor?“
„Alle Jahre tauchst du wieder auf. Mit demselben Leiden und denselben Wahnvorstellungen. Wir entfernen die frischgewachsenen Kristalle und für eine Zeit erlangst du Klarheit. Aber nicht lange und du fährst fort, Gott weiß wohin.“
„Ich habe es vergessen.“
„Du tust mir leid. Es schmerzt mich, dich so gebrochen zu sehen. Das ist Strafe genug. Für alle Verbrechen und dein ganzes Leben. Deine aufgeladene Schuld richtet dich jeden Tag.“
„Bitte ... gib mir was.“
„Wach endlich auf. Merkst du denn nicht, dass alles nur ein Hirngespinst ist? Allein mit deiner Macht kann die Welt in neuer Farbenpracht auferstehen, so versteh doch! Setz sie ein zum Guten! Dualität. In dir wohnt nicht nur das Schlechte. Wir haben lange genug gelitten.“
„Ich weiß nicht, wie.“
„Du brauchst dich nicht zu fürchten, wir haben dir längst vergeben.“
„Doch bin ich alleine.“
„Öffne deine Augen. Wir sind keine Feinde.“
„Sehe nur schwarz.“
„Ich hab dir ein Beruhigungsmittel gespritzt. Das sollte helfen.“
„Möchte schlafen.“
„Ja.“
„Ich kann die Farben zurückbringen?“
„Ja. Du musst uns helfen.“
„Ich werde sie sehen, wenn ich aufwache.“
„Das hoffe ich.“
Beim Verlassen der eingestürzten Gebäude sieht er Veilchen durch den Ascheteppich sprießen, tritt er mit dem Fuß darauf, zerfallen sie in tausend graue Flocken. Wärmendes Licht legt sich auf sein ausgehöhltes Antlitz. Der Regen hat aufgehört, nur vereinzelt fallen bunte Blätter, lösen sich auf, bevor sie den Boden berühren. Das Dinghi steht an seinem Ankerplatz, die hölzernen Räder eingesunken, stützen den schiffsartigen Rumpf. Mit kräftigen Schritten teilt er die Menge, sie weichen ihm wie einem König. Aufgescheucht von seiner zurückgewonnenen Energie humpeln sie von dannen und zerstreuen sich in den Ruinen. Er löst die Verankerung am Boden und steigt die kurze Leiter hoch.
Kein Blick zurück in die Klinik, die Farbe leitet ihm jetzt den Weg, irgendwann wird sie verblassen, wie so viele Male zuvor und er wird wiederkehren, bis er nicht mehr weiterkann. Der Wind legt sich in die Segel, bauscht sie auf, Halfa rollt fort, hinweg über die Asche, alsbald nur noch ein einsamer Punkt am Horizont. Segelnd dahin, wo die kristallene Zukunft stirbt.