Hallo Karlsson
Da hast du dich ja tief in die Textur der kleinen Abhandlung eingelassen. Ich las deine Ausführungen mit Interesse. Du hast dich anscheinend in Wechselwirkung aus zwei Perspektiven damit auseinandergesetzt. Einerseits aus rein gefühlsmässiger Wahrnehmung, unverstellt und nicht wertend, anderseits mit der Brille eines nüchternen Lesers, der den Wörtern den Stellenwert eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeine beimisst. Auch wenn diese ein Feuilleton in gewählter deutscher Sprache führt, lässt es sich an dem vorliegenden Stück nicht so anwenden, da es einen in sich nicht vorhandenen Konflikt bewirkt. Um es bildlich auszudrücken, nachfolgend zwei kurze Gedichte zu einem analogen Motiv, jedoch exakt mit diesem unterschiedlichen Verständnis:
Wenn ich aufmerksam schaue
Seh ich die Nazuna
An der Hecke blühen!
Matsuo Bashô, jap. Dichter, 1644-1694
Blume in der geborstenen Mauer,
Ich pflücke dich aus den Mauerritzen,
Mitsamt den Wurzeln halte ich dich in der Hand,
Kleine Blume – doch wenn ich verstehen könnte,
Was du mitsamt den Wurzeln und alles in allem bist,
Wüsste ich, was Gott und Mensch ist.
Alfred Tennyson, brit. Dichter, 1809-1892
Bashô bringt in einem Ausrufezeichen alles zum Ausdruck. Der Anblick bewegt sein Innerstes, ein tiefes Gefühl, und er hat nicht den Wunsch, es in Begriffe zu fassen.
Tennyson hingegen ist geschürt von wissensorientierter Neugier, er will das dahinter erkennen, indem er die Blume seziert.
Die beiden Texte bringen klassisch zum Ausdruck, wie sich die Denkweisen zwischen passiv wahrnehmend (Bashô) und aktiv analysierend (Tennyson) unterschiedlich artikulieren.
Doch einige Aspekte nun noch herausgegriffen:
Folgende Sätze haben mich leicht gestört:
"Im Teich ziehen Karpfen gemächlich Kreise."
ist zu lang und Karpfen kann ich mir in Zusammenhang mit gemächlich nicht vorstellen. Sie schwimmen einfach, jeder weiß, wie das aussieht.
Entschuldige bitte, hier musste ich schmunzeln. Dies ist eben das, was ich als nüchterne Sichtweise definiere, Fisch ist Fisch. Betrachte dir einmal in Ruhe einen Karpfenteich, die Tiere darin sind bis hundert Jahre alt. Es sind keine hektischen Fische. Leider ist der nächstgelegene, in die Natur eingebettete Teich mit Karpfen den ich kenne, in Monte Carlo. Also nicht direkt um die Ecke nach der Haustür.
Wen interessiert es, ob die Berge im Norden oder Süden sind? Ich stelle mir automatisch ein himmalayaartiges Bergmassiv vor, …. Da brauche ich das Wort Norden nicht, das ja allgemein dafür benutzt wird, die Eigenschaften "rau" und "zerklüftet" zu assoziieren. Außerdem stört mich dir Bewegung durch das "aufziehen", das irritiert,
Auch hier die nüchtern ordnende Sichtweise. Ja, wenn ich mir statt des Fujiyama das Himalayamassiv vorstelle, stimmt dein Bild schon. Am Himalaya ist die Wolkenbildung zeitweise von phänomenaler Ausgestaltung. Aber du irrst dich dennoch, das
Norden ist kein zufälliges Füllsel, sondern ein realitätsnahes, am beschriebenen Ort auftretendes Wettermerkmal des nahenden Winters.
Hier stört mich eigentlich nur das Wort "flink". Das passt nicht zum Meditativen Bild, das du gezeichnet hast.
Du liessest dich da nicht von originalen Bildern leiten, doch überrascht mich das nicht, da ich nicht voraussetzte, dass jeder Leser die Entstehung eines solchen Bildes schon miterlebte. Deshalb kurz, wie ein Schrift- oder gegenständliches Zen-Bild entsteht: Der Künstler sitzt in Meditation, sammelt sich. Papier, Pinsel und Tusche liegen vor ihm. Aus dieser Stellung heraus greift es
blitzschnell zum Pinsel, taucht ihn in die Tusche und zeichnet in Sekundenbruchteilen sein Bild. Mit flink hatte ich es also noch zaghaft ausgedrückt.
"Eine heftige Böe lässt ihn wanken, er sinkt vornüber, vor der Natur sich verneigend."
verstehe ich nicht. Er ist doch tot. Also kann er sich nicht verneigen.
Es ist der symbolische Charakter, der sich in diesen Worten spiegelt. Die Böe ist das tragende Element, das den Lebenshauch wegträgt. Der Meister ist tot!
Ich finde die Reihenfolge unstimmig. Erst sollte er den Zettel entdecken, ehe er "die Worte liest".
Dass dem Schüler bekannt ist, dass der Meister Papier und Pinsel bereitgelegt hat, kann als gegeben angesehen werden. Es entspricht aber seinem Verhältnis zum Meister, dass er es nicht eher las.
Mir gefällt die Aussage der Geschichte, auch wenn sie nicht die Welt bewegt. Es geht hier eben auch darum, wie sie transportiert wurde - schön indirekt und subtil.
Das freut mich, dass deine
andere Perspektive dir auch diese Wahrnehmung ermöglichte.
Deine Anregungen fand ich wohlüberlegt. Hätte ich dafür nicht eine Maske des Fernen Ostens gewählt, wären sie durchaus erwägbar. So aber ist der Leser gehalten, den Text unverstellt aufzunehmen, oder aber zu seinem Verständnis die Brücke eines Gleichnisses zu finden.
Für deine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Inhalt und deinen Kommentar danke ich dir.
Schöne Grüsse
Anakreon