Was ist neu

Kraniche ziehen in den Süden

Seniors
Beitritt
29.01.2010
Beiträge
1.501
Zuletzt bearbeitet:

Kraniche ziehen in den Süden

Kawanabe sitzt auf der Terrasse. Im Teich ziehen Karpfen gemächlich Kreise. Wind lässt den Bambus rascheln. Letztes Laub wirbelt durch den Garten.
Kawanabes Augen richten sich zum Himmel, dunkle Wolken ziehen über den Bergen von Norden auf. Er greift zum Pinsel, taucht ihn in den Tuschbehälter und schreibt flink Zeichen auf ein Papier:

Kraniche ziehen in den Süden.
Manchmal stirbt einer.
Bei Kirschblüte ihre Rückkehr.

Shigenobu, der Schüler Kawanabes, zieht sich leise zurück, als er seinen Meister auf der Terrasse sitzen sieht.
Am Nachmittag kriecht Kälte durch Ritzen ins Haus. Shigenobu heizt den Ofen ein. Sein Meister meditiert noch immer.
Mit einer Laterne tritt Shigenobu in die Dunkelheit, seinem Meister Helligkeit bringend. Eisiger Wind bläst. Kawanabe sitzt nun im Lichtkreis. Eine heftige Böe lässt ihn wanken, er sinkt vornüber, vor der Natur sich verneigend.
Shigenobu erschrickt, doch dann liest er die Worte des Meisters. Das Papier ist mit einem Stein beschwert. Er setzt sich neben Kawanabe und meditiert über den Text. Die letzte Unterweisung, die ihm der Meister gegeben hatte.

 

Hallo Anakreon, ich dachte mir, ich lese mal eine von deinen Geschichten.
Ich fand sie sehr stimmungsvoll. Kurz und interessant geschrieben. Dieser knappe Stil hat eine enorme Kraft, wenn da die richtigen Worte stehen :-)
Einige Verbesserungen, die du aufgrund anderer Kritiken gemacht hast, besitzen power. Ich kann auch nichts groß am Inhalt kritisieren. Mir gefällt die Aussage der Geschichte, auch wenn sie nicht die Welt bewegt. Es geht hier eben auch darum, wie sie transportiert wurde - schön indirekt und subtil.
Folgende Sätze haben mich leicht gestört:
"Im Teich ziehen Karpfen gemächlich Kreise."
-> ist zu lang und Karpfen kann ich mir in Zusammenhang mit gemächlich nicht vorstellen. Sie schwimmen einfach, jeder weiß, wie das aussieht. Vorschlag: "Karpfen schwimmen im Teich."
"...dunkle Wolken ziehen über den Bergen von Norden auf."
-> Hier stört mich die Richtungsangabe. Wen interessiert es, ob die Berge im Norden oder Süden sind? Ich stelle mir automatisch ein himmalayaartiges Bergmassiv vor, wenn ich an diesem Punkt der Geschichte angelangt bin. Da brauche ich das Wort Norden nicht, das ja allgemein dafür benutzt wird, die Eigenschaften "rau" und "zerklüftet" zu assoziieren. Außerdem stört mich dir Bewegung durch das "aufziehen", das irritiert, vielleicht aufgrund der vorherrschenden Ruhe und der Tatsache, dass der Meister nur kurz hinschaut und dabei wohl kaum feststellen kann, WIE die Wolken aufziehen. Das ist so eine Floskel, habe ich den Eindruck. Vorschlag:
"...dunkle Wolken hängen über den Bergen."

"Er greift zum Pinsel, taucht ihn in den Tuschbehälter und schreibt flink Zeichen auf ein Papier:"
-> Hier stört mich eigentlich nur das Wort "flink". Das passt nicht zum Meditativen Bild, das du gezeichnet hast. Ich würde es weglassen. Außerdem könnte ich mir vorstellen, das Wort "schreibt" durch "malt" zu ersetzen. Aber das ist Geschmacksache. Ich fände es noch etwas besinnlicher.

"Kraniche zogen gen Süden.
Manchmal stirbt einer.
Bei Kirschblüte ihre Rückkehr."
-> Hier muss ich einem der anderen Kritiker zustimmen. Die Zeit könnte angepasst werden. Ich würde aus "zogen" "ziehen" machen, denn "stirbt" muss in der Gegenwart bleiben, um den Bezug zum Meister zu wahren. Allerdings muss ich sowieso gestehen, dass ich das beim Lesen gar nichts bemerkt habe. Die Zeit war für mich also kein wirklicher Störfaktor.


"Sein Meister meditiert noch immer."
-> hier stört mich das "noch immer." Das wirkt auf mich deplaziert, diese Formulierung ist auch so eine Floskel aus dem Deutschen, die irgendwie immer vorwurfsvoll konnotiert ist. Da du sowieso kurze Sätze nutzt, lasse es doch einfach weg.

"Mit einer Laterne tritt Shigenobu in die Dunkelheit, seinem Meister Helligkeit bringend."
-> hier stört mich das "Helligkeit bringend." Das ist zu kompliziert und schwächt den Satz ab. Schreibe doch einfach: "Mit einer Laterni tritt Shigenobu in die Dunkelheit und schenkt seinem Meister Licht." Oder etwas ähnliches. Noch besser! Lass den ganzen Nebensatz weg. Du schreibstja danach: "Eisiger Wind bläst. Kawanabe sitzt nun im Lichtkreis." Da hat der Meistern ja sein Licht :-)
"Eine heftige Böe lässt ihn wanken, er sinkt vornüber, vor der Natur sich verneigend."
-> verstehe ich nicht. Er ist doch tot. Also kann er sich nicht verneigen. Oder ist das mit dem verneigen nur ein Bewertung des Erzählers? Es klingt fast so. In dieser kurzen und enorm dichten Erzählung ist kein Platz für Kommentare, finde ich.
"Shigenobu erschrickt, doch dann liest er die Worte des Meisters. Das Papier ist mit einem Stein beschwert. Er setzt sich neben Kawanabe und meditiert über den Text."
-> Ich finde die Reihenfolge unstimmig. Erst sollte er den Zettel entdecken, ehe er "die Worte liest". Dabei kann dann auch gesagt werden, dass er mit einem Stein beschwert ist. Dass er zum Schluss über dem Text meditiert, impliziert, dass er ihn liest. Etwa so: "Shigenobu erschrickt, doch dann entdeckt er das Papier des Meisters. Es ist mit einem Stein beschwert. Er setzt sich neben Kawanabe und meditiert über seinem Text. Die letzte Unterweisung, die ihm der Meister gegeben hatte."

Es sind jetzt doch viele Vorschläge geworden, aber da der Text so kurz ist, kann man ihn eben so genau lesen :-)
Hoffe, du kannst mit dem einen oder anderen Vorschlag was anfangen.
LG Karlsson

 

Hallo Karlsson

Da hast du dich ja tief in die Textur der kleinen Abhandlung eingelassen. Ich las deine Ausführungen mit Interesse. Du hast dich anscheinend in Wechselwirkung aus zwei Perspektiven damit auseinandergesetzt. Einerseits aus rein gefühlsmässiger Wahrnehmung, unverstellt und nicht wertend, anderseits mit der Brille eines nüchternen Lesers, der den Wörtern den Stellenwert eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeine beimisst. Auch wenn diese ein Feuilleton in gewählter deutscher Sprache führt, lässt es sich an dem vorliegenden Stück nicht so anwenden, da es einen in sich nicht vorhandenen Konflikt bewirkt. Um es bildlich auszudrücken, nachfolgend zwei kurze Gedichte zu einem analogen Motiv, jedoch exakt mit diesem unterschiedlichen Verständnis:

Wenn ich aufmerksam schaue
Seh ich die Nazuna
An der Hecke blühen!​

Matsuo Bashô, jap. Dichter, 1644-1694


Blume in der geborstenen Mauer,
Ich pflücke dich aus den Mauerritzen,
Mitsamt den Wurzeln halte ich dich in der Hand,
Kleine Blume – doch wenn ich verstehen könnte,
Was du mitsamt den Wurzeln und alles in allem bist,
Wüsste ich, was Gott und Mensch ist.​

Alfred Tennyson, brit. Dichter, 1809-1892

Bashô bringt in einem Ausrufezeichen alles zum Ausdruck. Der Anblick bewegt sein Innerstes, ein tiefes Gefühl, und er hat nicht den Wunsch, es in Begriffe zu fassen.
Tennyson hingegen ist geschürt von wissensorientierter Neugier, er will das dahinter erkennen, indem er die Blume seziert.
Die beiden Texte bringen klassisch zum Ausdruck, wie sich die Denkweisen zwischen passiv wahrnehmend (Bashô) und aktiv analysierend (Tennyson) unterschiedlich artikulieren.

Doch einige Aspekte nun noch herausgegriffen:

Folgende Sätze haben mich leicht gestört:
"Im Teich ziehen Karpfen gemächlich Kreise."

ist zu lang und Karpfen kann ich mir in Zusammenhang mit gemächlich nicht vorstellen. Sie schwimmen einfach, jeder weiß, wie das aussieht.

Entschuldige bitte, hier musste ich schmunzeln. Dies ist eben das, was ich als nüchterne Sichtweise definiere, Fisch ist Fisch. Betrachte dir einmal in Ruhe einen Karpfenteich, die Tiere darin sind bis hundert Jahre alt. Es sind keine hektischen Fische. Leider ist der nächstgelegene, in die Natur eingebettete Teich mit Karpfen den ich kenne, in Monte Carlo. Also nicht direkt um die Ecke nach der Haustür.

Wen interessiert es, ob die Berge im Norden oder Süden sind? Ich stelle mir automatisch ein himmalayaartiges Bergmassiv vor, …. Da brauche ich das Wort Norden nicht, das ja allgemein dafür benutzt wird, die Eigenschaften "rau" und "zerklüftet" zu assoziieren. Außerdem stört mich dir Bewegung durch das "aufziehen", das irritiert,

Auch hier die nüchtern ordnende Sichtweise. Ja, wenn ich mir statt des Fujiyama das Himalayamassiv vorstelle, stimmt dein Bild schon. Am Himalaya ist die Wolkenbildung zeitweise von phänomenaler Ausgestaltung. Aber du irrst dich dennoch, das Norden ist kein zufälliges Füllsel, sondern ein realitätsnahes, am beschriebenen Ort auftretendes Wettermerkmal des nahenden Winters.

Hier stört mich eigentlich nur das Wort "flink". Das passt nicht zum Meditativen Bild, das du gezeichnet hast.

Du liessest dich da nicht von originalen Bildern leiten, doch überrascht mich das nicht, da ich nicht voraussetzte, dass jeder Leser die Entstehung eines solchen Bildes schon miterlebte. Deshalb kurz, wie ein Schrift- oder gegenständliches Zen-Bild entsteht: Der Künstler sitzt in Meditation, sammelt sich. Papier, Pinsel und Tusche liegen vor ihm. Aus dieser Stellung heraus greift es blitzschnell zum Pinsel, taucht ihn in die Tusche und zeichnet in Sekundenbruchteilen sein Bild. Mit flink hatte ich es also noch zaghaft ausgedrückt.

"Eine heftige Böe lässt ihn wanken, er sinkt vornüber, vor der Natur sich verneigend."

verstehe ich nicht. Er ist doch tot. Also kann er sich nicht verneigen.

Es ist der symbolische Charakter, der sich in diesen Worten spiegelt. Die Böe ist das tragende Element, das den Lebenshauch wegträgt. Der Meister ist tot!

Ich finde die Reihenfolge unstimmig. Erst sollte er den Zettel entdecken, ehe er "die Worte liest".

Dass dem Schüler bekannt ist, dass der Meister Papier und Pinsel bereitgelegt hat, kann als gegeben angesehen werden. Es entspricht aber seinem Verhältnis zum Meister, dass er es nicht eher las.

Mir gefällt die Aussage der Geschichte, auch wenn sie nicht die Welt bewegt. Es geht hier eben auch darum, wie sie transportiert wurde - schön indirekt und subtil.

Das freut mich, dass deine andere Perspektive dir auch diese Wahrnehmung ermöglichte.

Deine Anregungen fand ich wohlüberlegt. Hätte ich dafür nicht eine Maske des Fernen Ostens gewählt, wären sie durchaus erwägbar. So aber ist der Leser gehalten, den Text unverstellt aufzunehmen, oder aber zu seinem Verständnis die Brücke eines Gleichnisses zu finden.

Für deine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Inhalt und deinen Kommentar danke ich dir.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

nach einigen Besuchen bei diesem kleinen Text schließe ich mich Kasimirs Analogie aus dem fünften Beitrag an: Jemand macht einige Pinselstriche auf einer Leinwand und löst damit eine Fülle von Interpretationen aus.
Drei Monate später denken Kommentatoren und Autor, die Gedanken in den Kommentaren und die Qualitäten der zitierten Texte und Autoren (von Brecht bis Kawabata), seien tatsächlich in den drei Absätzen des Textes enthalten.

Meiner Meinung nach verhält es sich wie in der Pointe der Zen-Geschichte über die beiden Mönche, die eine Fahne im Wind betrachten und disputieren, woher die Bewegung kommt. Ihr Meister sagt:

Es ist euer Geist, der sich bewegt.

Bewegte Grüße,

Berg

 

Hallo Berg

Deine Meinung überrascht mich nicht, hat mir deine bis anhin virtuell offenbarte Denkweise doch erlaubt, ein annäherndes Bild über deine Empfindungen zu machen. Selbstverständlich muss dir der Text nicht gefallen. Was mich freut, ist, dass er dich anscheinend aber wirklich bewegt, da du ihn mehrfach eingesehen und du deine Meinung äusserst.

Jemand macht einige Pinselstriche auf einer Leinwand und löst damit eine Fülle von Interpretationen aus.

Was erwartest du anderes? Wenn du den Teufel an die Wand malst, machen sich andere auch Interpretationen davon, ob sie dir nun entsprechen oder überhaupt nicht.

Drei Monate später denken Kommentatoren und Autor, die Gedanken in den Kommentaren und die Qualitäten der zitierten Texte und Autoren (von Brecht bis Kawabata), seien tatsächlich in den drei Absätzen des Textes enthalten.

Diese Aussage überrascht mich nun aber doch etwas. Wann habe ich meinen Text mit den Qualitäten von Brecht oder Kawabata verglichen? Ich habe meine Äusserungen zu den Kommentaren nochmals durchgesehen, sie enthalten ganz klar keine solche Wertung durch mich! Durch deine Bewegtheit haben sich deine Gedanken also etwas in Kapriolen verstiegen. Nun dies kann jedem Menschen unterlaufen, wenn die Bewegtheit echt ist, beginnt ein freischwebendes Assoziieren.

Ich danke dir für deinen Kommentar und die Auseinandersetzung mit dem Text, was mich freute! Zudem hoffe ich, dass sich dir der Sinn des von dir angeführten Zen-Zitats eines Tages erschliesst, was eine weitere Perspektive ermöglicht.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Sei gegrüßt, Anakreon!

Als ich den ersten Namen las, assoziierte ich automatisch zu deiner Geschichte von den Zwei, die sich auf sehr zurückhaltende und respektvolle Art und Weise einander annäherten. die hat mir sehr gefallen und im Gegensatz zu dieser hier ist sie empfehlenswert. Der vorliegende Text ist auf der einen Seite zu beliebig ("Zen-Shit, huh?" würde Greggs vom Baltimore Police Departement dazu sagen) und auf der anderen Seite in meinen Augen stellenweise schief und unausgereift.

Kraniche zogen gen Süden.
Manchmal stirbt einer.
Bei Kirschblüte ihre Rückkehr.

inhaltlich interessant ist der doppelte Bezug in Vers zwei. problematisch die verschiedenen Zeiten, ich würde hier ausschließlich eine Zeitform verwenden. das sieht sonst schief aus auch wenn keinem auffällt wieso. die diesen Zeilen innewohnende Lakonie liebe ich als literarischen Ausdruck, eine Feststellung, die den Meister verrät, wenn der Ausdruck authentisch ist.

Shigenobu, der Schüler Kawanabes, zieht sich leise zurück, als er seinen Meister auf der Terrasse sitzen sieht.

ist komisch gebaut der Satz. klingt als passte der Schüler sein Verhalten an. das ist nicht nötig, weil dem Leser kein anderslautendes Vorhaben bekannt ist. liegt an diesen Worten "zieht sich zurück" in Kombination mit "als". in einer Welt der Gelassenheit stünde dem Shigenobu ein "sieht seinen Meister ... und zieht sich leise zurück." besser zu Gesicht.
doch besser gleich ein treffenderes Wort finden. "zieht sich zurück" impliziert, dass er vorher bei dem Meister war - das widerspricht aber seinem nachfolgenden Verhalten. wenn er in diesem Satz erst sieht, was der Meister tut, wird er vorher nicht da gewesen sein.

Sein Meister meditiert noch immer.

"noch immer" ist auch eine suboptimale Formulierung. Sein Meister / der Meister meditiert weiterhin gefiele mir besser.

Mit einer Laterne tritt Shigenobu in die Dunkelheit, seinem Meister Helligkeit bringend. Eisiger Wind bläst. Kawanabe sitzt nun im Lichtkreis. Eine heftige Böe lässt ihn wanken, er sinkt vornüber, vor der Natur sich verneigend.

das gefällt mir. bis auf den letzten Nebensatz komplett gelungen. Um eine Empfehlung zu rechtfertigen, hätte aber der ganze Text dieses Qualitätslevel aufweisen müssen.

Viele Grüße
Kubus

 

Hallo Kubus

Deine Herangehensweise an den Text, die sich durch objektive Auseinandersetzung ausdrückt, fand ich interessant und hat mich sehr gefreut.

Als ich den ersten Namen las, assoziierte ich automatisch zu deiner Geschichte von den Zwei, die sich auf sehr zurückhaltende und respektvolle Art und Weise einander annäherten. die hat mir sehr gefallen und im Gegensatz zu dieser hier ist sie empfehlenswert.

Die Verneigung zwischen Tadashi und Michiko war eine Vermischung zwischen klassischem und modernem Denken, die Menschen in diesem Land waren im Zwanzigsten Jahrhundert dadurch stark geprägt. Nur keine Empfehlung dazu, ich friste mein Dasein gerne diskret. Mir reicht es vollauf, wenn diejenigen Leser es auffinden, die den Gehalt des Textes in seiner Wertigkeit schätzen.

Der vorliegende Text ist auf der einen Seite zu beliebig ("Zen-Shit, huh?" würde Greggs vom Baltimore Police Departement dazu sagen) und auf der anderen Seite in meinen Augen stellenweise schief und unausgereift.

Greggs ergeht es vermutlich wie manchen Kommentatoren bis anhin, ohne dass sie es klar aussprachen. Doch hatte ich im Text nie Zen erwähnt! Einzig in der Beantwortung eines Kommentars, die Entstehung eines Zen-Bildes vergleichend herangezogen. Japans Geistes- und Kulturgeschichte hat viel mehr als nur Zen zu bieten. Doch der Geist des Zen hat die Kultur auch nachhaltig beeinflusst, die Grenzen fliessen lassen. So ist das aufgezeigte Geschehen vielmehr klassisches Japan als Zen.

inhaltlich interessant ist der doppelte Bezug in Vers zwei. problematisch die verschiedenen Zeiten, ich würde hier ausschließlich eine Zeitform verwenden. das sieht sonst schief aus auch wenn keinem auffällt wieso.

Die Zeitformen im Text von Kawanabe hatte erstmals schon Gisanne irritiert. Ich habe nun nochmals darüber sinniert und abgewogen, welche Veränderung es erlaubt, ohne es zu verkehren. Das stirbt habe ich nun durch starb ersetzt.

ist komisch gebaut der Satz. klingt als passte der Schüler sein Verhalten an. das ist nicht nötig, weil dem Leser kein anderslautendes Vorhaben bekannt ist. liegt an diesen Worten "zieht sich zurück" in Kombination mit "als". in einer Welt der Gelassenheit stünde dem Shigenobu ein "sieht seinen Meister ... und zieht sich leise zurück." besser zu Gesicht.

Es stimmt, dass dem Leser aus dem Text kein anderes Vorhaben bekannt ist. Hier setze ich jedoch voraus, dass dem Leser die Mentalität zwischen einem östlichen Meister und seinem Schüler zumindest vage bekannt ist. Aus der Situation kann er ableiten, dass der Schüler die Terrasse betreten wollte.

"noch immer" ist auch eine suboptimale Formulierung. Sein Meister / der Meister meditiert weiterhin gefiele mir besser.

Da kann ich mich vom Aussagewert her nicht begeistern. Noch immer impliziert, dass er diesmal länger als üblich sitzt, was bei weiterhin so nicht zum Ausdruck käme.

das gefällt mir. bis auf den letzten Nebensatz komplett gelungen.

Das freut mich, birgt es doch auch eine Spiegelung zur Unterweisung.

Danke dir herzlich fürs Lesen und kommentieren. Es veranlasste mich einmal mehr, den Text intensiv zwischen Wortwahl, Klang und Sinn sorgfältig abzuwägen. Wie du siehst, hat es mir etwas bewegt an diesem unvollendeten Werk, das nur der Leser für sich vollenden kann.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Wiewohl Anakreon bereits angemessen geantwortet hat, drängt es mich als nicht ganz unbeteiligt, mich noch einmal einzumischen.

Da fährstu ja gewaltiges Geschütz auf,

mein lieber Kubus,

wirkst überarbeitet (zu viel im Milieu rumgetrieben?), da Du doch gerade an anderer Stelle über das Authentitätsgehabe wehklagst (siehe Wasted papers zur Erinnerung :

Alles Typen, die für authentisch in ihrer Wut und in ihrem Selbst- und Menschekel gehalten werden
und nun danach ist
… wenn der Ausdruck authentisch ist.
Bissken schizogaga sind wir alle, gälten wir doch sonst als unmodern, amodisch oder gar antik. Dann wird unglücklich formuliert
Da
ist [ein Satz] komisch gebaut …
Aber warum lacht da keiner?

Viel bedeutsamer find ich dann zwo andere Passagen in dem Beitrag:

"Zen-Shit, huh?" würde Greggs vom Baltimore Police Departement dazu sagen
Wer zum Teufel ist „Greggs“ und was das „Baltimore Police Departement“, offensichtlich literarisch bedeutsame Erscheinungen der Medienwelt, die an mir vorbeigegangen sind, ohne dass ich sie bisher bemerkt hätte, denn einen so bedeutsamen Satz wie
"Zen-Shit, huh?"
wird man sicherlich in künftigen Standardwerken finden, wenn Herr und vom Guttenberg an Amerikanischen Hochschulen lehrt.
Aber Du bringst es dann auf den Nenner:
"noch immer" ist auch eine suboptimale Formulierung –
Den Optimierungsbegriff kenn ich aus dem Operations Research (auf Altdeutsch und ohne Pidgin: Unternehmensforschung) und somit aus der Betriebswirtschaftslehre (Mikroökonomie wie man auf Neudeutsch plaudert), und da sollte jeder wissen, dass es um schnöden Gewinn geht und um Nullsummenspiele: was der eine gewinnt, hat ein anderer verloren (was in der großen weiten Welt Ausbeutung bedeutet, wie der Reichtum des einen nur an der Armut des andern ermessen werden kann). Und genau da hat’s Kubus auf den Punkt gebracht: in all ihrer Schlichtheit und Unvollkommenheit (was aber ist schon perfekt?), hebt sich der kleine Text aus der Massenware hervor.

Zum Abschluss eine Frage:

Als ich den ersten Namen las, assoziierte ich automatisch zu deiner Geschichte von den Zwei, die sich auf sehr zurückhaltende und respektvolle Art und Weise einander annäherten. die hat mir sehr gefallen und im Gegensatz zu dieser hier ist sie empfehlenswert.
Und – warum tustu’s nicht – selbst wenn der Autor sich bescheiden gibt
Verneigung zwischen Tadashi und Michiko
? Manchmal ist Qualität unabhängig vom eigenen Geschmack. Mir schmeckt übrigens die chinesische Küche besser als die japanische, was mich nicht daran hindert, Pflaumenwein und Bambusschnaps zu genießen!

Dat musste itz ma' raus!

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Es geht hier aber nicht um mich oder dich, Friedel, sondern um diesen Text. Ich schreib an der Stelle außerdem, dass ich das Gebaren dieser Autoren eben nicht für echt halte. An sich ist doch gegen den Anspruch, authentische Literatur zu schreiben, nichts einzuwenden. Wobei man da sicherlich erst mal klären müsste, was echt ist und wie man das festmachen kann. Sinnvoller für den literarischen Tagesbedarf wäre mE die Frage, ob jemand tendenziell authentisch schreiben will oder schlicht erfindet.
Und ob Greggs was sagt oder Reich-Ranicki, das sollte ja den Aussagewert des Satzes nicht schmälern. Mir unbedarftem Westler erscheint es eben wie auf Zen-Zeug getrimmt oder besser gesagt unsere Vorstellung davon, das war ja nur dazugesagt; wenn mir der Text gefallen hätte, wäre das gar nicht aufs Tapet gekommen. Der Text hier hebt sich heraus, keine Frage, aber für eine Empfehlung hätte der stimmiger sein müssen, vor allem auf der kurzen Strecke. Da urteile ich natürlich subjektiv und nicht auf Gerechtigkeit bedacht.

Viele Grüße
Kubus

PS: ist ja gut, Anakreon, dass du noch was konstruktives aus dem Kommentar ziehen konntest.

Die Zeitformen im Text von Kawanabe hatte erstmals schon Gisanne irritiert. Ich habe nun nochmals darüber sinniert und abgewogen, welche Veränderung es erlaubt, ohne es zu verkehren. Das stirbt habe ich nun durch starb ersetzt.

warum nicht alles in Präsens?

 

warum nicht alles in Präsens?

Tut mir leid,

lieber Kubus,

wenn dies der Brocken ist, der dir schwerverdaulich scheint. Der Grund ist einfach und authentisch von der Natur bestimmt. Die Kraniche waren bereits vor der eintreffenden Kälte weggeflogen.

Übrigens, Shakima Greggs ist eine hübsche junge Frau, ansehnlicher als der Olle Reich-Ranicki, aber doch vom Beruf als Police Detective geprägt, dass sie Worte wie Zen-Shit, huh gebraucht. Ich werde ihr Mal ein paar nachhaltig liebenswürdige Kommunikationsformeln an ihre Adresse senden, nach:
601 E. Fayette Street, Baltimore, Maryland 21202, United States. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Duldsamer Anakreon,

Kraniche zogen gen Süden.
Manchmal stirbt einer.
Bei Kirschblüte ihre Rückkehr.

Kraniche ziehen gen Süden
Manchmal stirbt einer
Bei Kirschblüte ihre Rückkehr

verzeih mein erneutes Nachhaken, Anakreon, nachdem ich deinen kurzen Text so unwirsch unter die frühmorgendliche Lupe genommen habe. Aber ich will wenigstens noch schreiben und zeigen, worauf mein Vorschlag bezüglich der Zeitformen abzielte - obige Version wäre die von mir favorisierte, weil in ihr die Spontanität des Haiku wirken könnte. Dass ein zeitlicher Ablauf vorliegt, macht doch allein schon die Anordnung der Verse deutlich. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Haiku, die ich kenne, im Präsens übersetzt, diese Unmittelbarkeit macht in meinen Augen einen großen Reiz dieser schlicht scheinenden Dichtung aus. Natürlich wäre es ein bisschen lästig, den Titel ändern zu lassen, fällt mir jetzt auf. Jedoch bitte wenigstens den zweiten Vers wieder in die Gegenwart setzen, denn deine Änderung liquidierte seine Doppeldeutigkeit, er ließe sich im Präsens fein auf den Meister selbst beziehen, das ist doch ein lyrischer Mehrwert!

so ähnlich hätte unter Umständen Bashō argumentieren können, falls er nicht gleich zum Stock der Kirschblüte gegriffen hätte. ich habe eben nachgelesen, dass der gerne mal als Erleuchtungshilfe eingesetzt wurde, haha, lustich die alten Japaner. und mit dieser Kommunikationsmethode mE nicht sehr weit entfernt von Greggs rüdem Statement. :)

Viele Grüße
Kubus

 

Lieber Kubus

Duldsamer Anakreon

Meine beste Geheimwaffe, wenn meine Frau sich mit mir streiten möchte. :D

verzeih mein erneutes Nachhaken, Anakreon, nachdem ich deinen kurzen Text so unwirsch unter die frühmorgendliche Lupe genommen habe.

Ich schätze Hartnäckigkeit, wenn es Sinn macht. Und unter den hanseatischen Hamburgern, denk ich mir wenigstens, gibt es naturgemäss grimmige Seebären, als philanthropischer Geist ist dies mir kein Problem.

Aber ich will wenigstens noch schreiben und zeigen, worauf mein Vorschlag bezüglich der Zeitformen abzielte - obige Version wäre die von mir favorisierte, weil in ihr die Spontanität des Haiku wirken könnte. Dass ein zeitlicher Ablauf vorliegt, macht doch allein schon die Anordnung der Verse deutlich.

Ich nehme an, du gehst richtigerweise von dem Umstand aus, dass ein Haiku gegenwartsbezogen sein soll. Auf die Gefahr hin, dass du mich nun in der Luft zerreisst, der Vers kann kein Haiku sein, da es auch eine der andern Regeln daran nicht erfüllt. Diese drückt sich in der deutschen Übersetzung des Begriffs Haiku aus, die lustiger Vers lautet, was es nicht darstellt. In einem der Kommentare war explizit einmal Haiku geschrieben worden, ohne das ich widersprach, da ich es in diesem Rahmen nicht für wesentlich hielt. Selbst sprach ich von lyrischen ostasiatischen Texten und im Spoiler des Komm. #4 erwähnte ich die Verwendung des Stilmittels Kigo, stilisierte Jahreszeitwörter, die auch in Haiku oder Renga verwendet werden, aber nicht ausschliesslich. Einzig in der Klangfarbe, habe ich mich an einem Haiku von Bashō orientiert. Der Vers ist also der japanischen Poesie angenähert, wie auch der übrige Text, ohne jemals in Anspruch genommen zu haben, diese verkörpern zu wollen, denn sonst wäre es wirklich nicht authentisch. Einen kleinen Eindruck der verschiedenen klassischen Formen japanischer Lyrik gibt vielleicht der folgende Link: http://www.ruthlinhart.com/japan_17.htm

Ich denke, die Interpretationen laufen in die falsche Richtung, da man von Bildern ausgeht, die man kennt, das sind im Wesentlichen etwa Zen, Kōan und Haiku. Es ist mir verständlich, dass diese Bilder aufkommen, doch sie können auch eine Fessel sein, da das Objekt – hier die Geschichte - dann nicht mehr unverstellt wahrgenommen wird. Bei Verneigung zwischen Tadashi und Michiko hatte ich im Prinzip das gleiche Vorgehen gewählt wie hier, einfach weniger spezifizierte klassische und moderne Elemente, was den Kritikern keine direkten Parallelen gab. Die beiden Texte haben zwar eine verschiedene Konnotation, sind aber gleichermassen dadurch authentisch, dass sie einzig meiner bescheidenen Kenntnis japanischer Mentalität entsprungen sind und sich in meinem Verständnis für eine Kurzgeschichte formten.

Die Unruhe, die der Text seit der Publikation gestiftet hat, bedaure ich. Dass der Text durchaus auch andere Parallelen findet, etwa in andern Kulturen der Antike oder der Moderne darf nicht überraschen, da es um Symbole und Werte geht, die überall auffindbar sind. Friedels Textrezeption und Reflexion an einem Werk von Brecht sind darum sicher nicht falsch! Es ist seine Sichtweise und sein Verständnis und m. E. couragiert es in einem solchen Kontext vorzustellen.

im Präsens übersetzt, diese Unmittelbarkeit macht in meinen Augen einen großen Reiz dieser schlicht scheinenden Dichtung aus. Natürlich wäre es ein bisschen lästig, den Titel ändern zu lassen, fällt mir jetzt auf. Jedoch bitte wenigstens den zweiten Vers wieder in die Gegenwart setzen, denn deine Änderung liquidierte seine Doppeldeutigkeit, er ließe sich im Präsens fein auf den Meister selbst beziehen, das ist doch ein lyrischer Mehrwert!

Hierzu werde ich mir in aller Ruhe noch Gedanken machen. Es gäbe da schon Möglichkeiten diesem (anscheinenden) Dilemma zu entkommen. In Bezug auf eine Titeländerung hast du allerdings recht, ich möchte niemandes Gefühle in Wallung versetzen. Doch wenn ich zur Einsicht gelange, eine Änderung daran sei notwendig, werde ich es umsetzen.

Ich habe nun etwas weiter ausgeholt, als es dein Kommentar verlangt hätte, auch andere, frühere Kritiken einbeziehend, doch dachte ich mir, so endgültig Beruhigung vor und hinter den Kulissen schaffen zu können. Für deine Überlegungen und Ausführungen danke ich dir herzlich. Sie nötigten mich insofern, das Gesamte nochmals zu überdenken und wenn nötig durch kleine Anpassungen der besten Lösung zuzuführen. Was mich dabei besonders freut, dass dies auf einer konstruktiven Ebene erfolgte.

Schöne Grüsse

Anakreon


PS: Beinah verpasst:

so ähnlich hätte unter Umständen Bashō argumentieren können, falls er nicht gleich zum Stock der Kirschblüte gegriffen hätte. ich habe eben nachgelesen, dass der gerne mal als Erleuchtungshilfe eingesetzt wurde, haha, lustich die alten Japaner. und mit dieser Kommunikationsmethode mE nicht sehr weit entfernt von Greggs rüdem Statement.

Auch wenn Bashō kein Zen-Meister war, das Kirschblütenstöckchen in seiner Hand finde ich ein schönes Gleichnis, das auch Greggs Händchen anstehen könnte, um die Übeltäter zu ermahnen. Doch gefällt mir! :D

 

Begründung einer Änderung

In Kongruenz mit Kritiken entschied ich mich eine kleine Änderung im Vers und folglich im Titel vorzunehmen, indem diese nun in Präsens gesetzt sind.
Den Vers stimmte ich auf die Klangfarbe (oto) eines Textes von Bashō ab. Wie ich inzwischen jedoch Kenntnis habe, ist es bei deutschen Übersetzungen aus dem Japanischen oft formal nicht möglich, den originalen Moren (Silben) und dem Rhythmus zu folgen. Diese stellen kein typisches Merkmal des Haiku, sondern der japanischen Dichtung in gebundener Sprache allgemein dar. Als Möglichkeit der Silbenregulierung stehen etwa überflüssige Füllwörter wie Interjektionen und Konnektoren wie und zur Verfügung. Eine hundertprozentige inhaltliche Deckung ist deshalb nicht gegeben und stellt an Übersetzer hohe Anforderungen in philologisch-hermeneutischer Akribie. Da der eingebrachte Vers keiner Übersetzung oder Nachdichtung, sondern einzig meiner Intention eines kulturphilosophischen Verständnisses entsprungen ist, und unter Berücksichtigung vorstehender Überlegungen, entschied ich mich nun für diese textliche Ausformung.

Der Hartnäckigkeit von Kubus ist es zu verdanken, dass ich dieser Fragestellung vertieft nachgegangen bin, um die bestmögliche Lösung zu erzielen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom