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Krachen lassen
Pischta verscheucht den Hahn von den Zaunspitzen, die Farbe ist noch frisch.
Bis zum großen Tag ist noch viel zu tun - da will er zeigen, was er drauf hat. ‚Ich werd’s so richtig krachen lassen’, nimmt er sich vor. Dass es teuer wird, weiß er.
Das letzte Fest gab es vor elf Jahren, zu Mikschas Konfirmation. Seitdem herrscht Stille im Haus. Damals wollte keine rechte Stimmung aufkommen, das hatte Pischta mächtig geärgert – aber nun sind die grummeligen Alten tot.
Die Jahreszeiten bestimmen, was er tun muss, und die Jahre, wie lange er es noch tun wird. Aber egal, wenigstens dieses eine Mal muss sein, und wenn der Himmel einstürzt! Was hat er denn schon gehabt bis jetzt? Rund ums Jahr nur Arbeit, einmal Kirchweih, und Weihnachten. Große Reisen machen die anderen.
Er kann hier nicht weg, auch wenn in Wahrheit Edith die Fäden in der Hand hält. Irgendwas geht immer zu Bruch, der Fuchs besucht die Hühner, nachts ferkelt die Sau. Und Harcos’ Arbeit muss er auch machen. Den hatten ihm durchziehende Zigeuner als Wachhund angedreht, und er hatte keine Ahnung, dass Huskys nicht bellen. Jetzt muss Pischta selbst auf die Werkstatt aufpassen. So nennt er seine Schwarzdestille.
Diesen unscheinbaren Anbau lässt er bewusst verlottern: Kein Inspektor, kein Dieb soll auf die Idee kommen, hier könnten sich Schätze verbergen. Der Putz fällt vom Mauerwerk, die Fenster sind fast zugewachsen mit Efeu und Glyzinien.
Hier ist Pischtas zentraler Punkt, sein Lebenswerk; mit jedem Jahr wird es ihm wichtiger. Dabei fügt sich alles ganz von selbst, ohne dass er viel planen müsste.
Wenn er im Herbst über die Wiesen stapft, jammert’s ihn um all die schönen Früchte, die verrotten würden, wenn sich niemand erbarmte, sie zu Marmeladen und Gelees zu veredeln. Oder zu destillieren.
Schubkarrenweise bringt er diese Kostbarkeiten in seine Werkstatt, vermaischt sie und brennt daraus die herrlichsten Schnäpse.
Viel und oft muss probiert werden; es gibt eine bequeme, wenn auch durchgelegene Couch in der Werkstatt, Geräuchertes hängt am Haken. Alles so, wie es sein soll.
Doch es gibt ein Problem: Destillieren ohne Lizenz ist strafbar. Kann auch tödlich sein – viele Ertappte haben den Strick genommen, weil sie die horrenden Strafen nicht zahlen konnten.
Alkohol verdirbt nicht, ganz im Gegenteil – im Eichenfass wird er immer besser. Die Natur ist freigiebig, jedes Jahr aufs Neue. Pischta ist stolz, aber auch besorgt über das stete Anwachsen seiner Bestände.
Er mag sich nicht ausdenken, was er zum Ende seines Lebens mit all den feinen Bränden tun soll. Sein Eigenbedarf ist im Verhältnis zur Menge winzig. Verkaufen ist unmöglich, allzu ärgerlich wären die Fragen nach dem Woher. In die Ukraine zu schmuggeln, ist riskant.
Doch im Moment muss er an die Hochzeit seines Sohnes denken – und an die Kosten.
Sophia wird er verkaufen, die hat das richtige Schlachtgewicht. Bisher hat er immer selbst gewurstet, aber seine Hausärztin hat gesagt, das alles dürfe er nicht mehr essen, wegen der Gicht. Ein harter Schlag. Oder es ist ein schicksalhafter Fingerzeig: Verkaufe die Sau und erfülle deinen Traum!
Pischta legt den Pinsel beiseite, zweierlei Grün mit weißen Spitzen – eine Pracht.
Der verdammte Hahn ist schon wieder im Anflug.
Edith schiebt die ausgewaschenen Schubladen in die Fächer zurück, morgen sind die Lampen dran. Jetzt gibt’s Abendbrot. Wie immer streckt sie die zwei geschlagenen Eier mit etwas Milch und serviert ihrem Mann das Rührei.
„Wie viele Eier hast’n genommen?“, will Pischta wissen.
„Drei, wie immer.“
„Sieht so weißlich aus.“
„Die Dotter waren blass.“
Pischta streut noch Paprika darüber, nimmt reichlich Brot und ein paar saure Gurken. „Hast kein’ Hunger?“, fragt er seine Frau.
„Nicht so richtig, hab noch bisschen Suppe vom Mittag, das reicht mir.“
Edith wird die eingesparten Eier auf dem Markt verkaufen. Zwar hält sie die Idee ihres Mannes für verrückt, doch sie hat immer zu ihm gehalten – und dieses Mal erst recht, etwas Glanz wird auch auf sie fallen.
Anfang August soll Mikschas Hochzeit sein, mit Enikö, der schlanken Schwarzgelockten vom Nachbardorf. Hier, im Elternhaus des Bräutigams, soll gefeiert werden.
Die lange Gästeliste hat Edith über die Küchenbank gehängt – drei Spalten voller Namen, ungefähr siebzig Leute. Das kostet.
Aber es ist üblich, dass die Gäste dem Brautpaar ein Kuvert überreichen. Meist ist das gut bestückt, weil so nicht nur der Name des Gebers, sondern auch der Betrag in Erinnerung bleibt. Unterm Strich rechnet sich die Festlichkeit – meist bleibt noch etwas übrig als Grundstock fürs neue Haus des Brautpaars.
Pischta und Edith haben die Toilette erneuern lassen, das Bad wurde jadegrün gefliest, auch neue Gardinen waren nötig und unendlich viele Kleinigkeiten mehr. Jetzt, Mitte Juli, ist das meiste geschafft. Sogar eine Auffahrt für Tante Adéls Rollstuhl haben sie gezimmert.
Pischta hat draußen alles verschönert. Im Hof steht ein neues Wasserbecken mit Adler, aus dessen Schnabel eine kleine Fontäne schießt. War gar nicht so teuer, weißer Schaumstoff. Ringsherum hat er Geranien aufgestellt. Das hat schon was.
Er liegt gut in der Zeit. Und das muss er auch – nächste Woche fährt er nach Polen. Dort sind die Sachen viel billiger als daheim.
Beim Ausladen erstaunt ihn die Menge der Kartons. Die kommen von weit her – China, Thailand, Pyro. Seine Gedanken schweifen in die Ferne, doch er muss sich auf sein Vorhaben konzentrieren. Er hat es sich einfacher vorgestellt. Recht oft muss er in die Werkstatt, um etwas zu holen, oder auch, um es zurückzubringen.
Der heiße, trockene Sommer wird durch einige gewittrige Tage unterbrochen, es regnet viel, alles Lebende holt tief Luft und kommt wieder auf die Beine. Glücklicherweise scheint am Hochzeitstag die Sonne, das Zelt muss nicht aufgestellt werden, der Umzug durchs Dorf findet ohne Schirme statt.
Die Gesellschaft ist nach der Trauung wieder zurück, der Primas macht eine zackige Verbeugung und das Fest beginnt.
Das Bedienen der Gäste übernehmen die Brautjungfern. Pischta hat einen Riesenhunger, die Teigfleckerlsuppe mit Leberklößen schmeckt ihm gut, doch schon beim ‚gelegten Kraut’ verlässt ihn der Appetit.
Es treibt ihn hinter die Scheune, zu seiner Abschussrampe. Ja, alles in Ordnung, hier kommt keiner hin. Er zieht die Plane wieder über sein geheimes Projekt.
Gerade ist er zurück, da wird schon der dritte Gang aufgetischt – das Schweinspörkölt. Geschmälzte Nockerln gibt’s dazu und Gurkensalat mit Dill und saurer Sahne.
Es dämmert. Die Lichter gehen an, die Mädchen bringen neuen Wein. Ein Tusch ertönt, der Nachtisch wird aufgetragen – Apfel-, Quark- und Mohnstrudel, zubereitet unter der Aufsicht von Tante Adél. Dann beginnt die große Laudatio. Viel wird geredet, gelobt, gewünscht, doch auch das geht vorbei.
Als die Dessertteller abgeräumt sind, wird die Musik temperamentvoller. Jetzt wird getanzt!
Die Musikanten heizen den Gästen ordentlich ein, und die schwofen auf Teufel komm raus. Rote Gesichter, verklebte Locken, dunkle Flecken unter den Achseln.
Es ist Nacht geworden. Pischta muss ein letztes Mal nach dem Rechten schauen, kommt erhitzt zurück und schlägt mit einer Gabel ans Glas. „Liebe Familie, liebe Freunde und Gäste ...“, sagt er, holt weit aus, erzählt so mancherlei, dann verheddert er sich, findet den Faden nicht mehr und greift zum rettenden Weinglas. „Und so trinke ich auf das Wohl unseres Brautpaars und aller Anwesenden. Möge euch ein langes und glückliches Leben beschieden sein ...“ Hier unterbricht er seine Rede, schnäuzt ergriffen in sein akkurat gebügeltes Feiertagstaschentuch und fährt dann fort: „Ich habe mir erlaubt, eine kleine Überraschung vorzubereiten, und hoffe, ihr langweilt euch nicht.“ Wetterleuchten begleitet seine Rede, wieder ein Tusch. Man reckt die Hälse – eine Überraschung? Wie inszeniert rollt ein mächtiges Grummeln über den Himmel. Die ersten zaghaften Sterne sind nicht mehr zu sehen, Pischta verschwindet. Der Mann am Zymbal macht tolle Wirbel, um die Spannung zu erhöhen; der Bass klingt unheilvoll.
Mit einem grünen Schweif düst die erste Rakete wie zu Sputniks Zeiten in den Kosmos. Applaus. Dann zerplatzen rote und weiße Riesenbälle, Ah und Oh! Pischta zündet seine Sensationen ohne Unterbrechung. Es ist der Auftritt seines Lebens, er ist Herr über alle Gewalten des Universums. Die Musiker nehmen die Aufforderung an, steigern Pischtas Schauspiel ins Dramatische. Es kracht gewaltig, der Himmel leuchtet auf, unwirklich, grellweiß im Stakkato, als ob ein nervöser Finger den Lichtschalter betätigte – Blitze zerfetzen die Schwärze über der staunenden Gesellschaft. Wie beim Weltuntergang grollt es. Grelle Farbkaskaden blenden die Gäste, eine eigensinnige Rakete zischt über die Köpfe. Tante Adél knetet ihren Rosenkranz.
Silber und Gold rauschen herab, das Cello wummert. Raketen pfeifen schrill in die Nacht, giftgrün und leuchtend rot. Edith umklammert im bizarren Licht die Brautleute, der Pfarrer hat die Hände gefaltet und redet mit sich selbst. Oder mit Gott.
Es knallt und knattert wie im Krieg, es leuchtet und schillert. Das Zymbal holt die Klänge tief aus der Erde, lässt sie himmelwärts davonjubeln.
Pischta zündet seinen letzten Clou. Mit grässlichem Heulton startet die Rakete kerzengerade, beginnt dann zu eiern, torkelt abwärts und verschwindet im alten Kamin der Werkstatt. Alle halten den Atem an, rücken enger zusammen. Doch nur schwaches Licht scheint durch die Fenster. Langsam lässt die Spannung nach, ist wohl noch mal gut gegangen. Man nascht von den Griebentörtchen und prostet sich zu. Da gellt Adéls Stimme über die Tafel: „Feuer, Feuer, Feuer!“, schreit sie mit zunehmender Heftigkeit und zeigt zur Werkstatt. Dort züngeln schon die Flammen, grell und gleißend – ein gewaltiger Knall sprengt die Tür aus den Angeln. Eine riesige Stichflamme schießt mit infernalischem Getöse in die Höhe und reißt das Dach von den Mauern. Schnapsfässer explodieren reihenweise wie Bomben, die Welt geht unter. Die Hochzeitsgäste erstarren, schauen sich fassungslos an.
Und urplötzlich, wie eine Fortsetzung der Detonationen, vereinen sich hochdroben Blitz und Donner – diesmal ohne Pischtas Zutun. Der Himmel entlädt sich, eine Sintflut stürzt auf die Hochzeitsgesellschaft. Wer nicht ertrinken will, rettet sich unter die Reste von Pischtas Dach.
Der hat eine Flasche Selbstgebrannten in der Hand und nimmt einen Schluck. Er starrt auf das grüne Glas und flüstert: „Dass mich Gott so straft ...“
Die Lampen flackern, dann erlöschen sie. Pischtas Frau hat mit zuckenden Mundwinkeln und traurigen Augen alles herbeigeholt, womit sich ihre Gäste abtrocknen können. Und während sie das tun, halten sie ab und zu inne, heben den Kopf und schnuppern wie Jagdhunde: Durch die rauchige Luft ziehen feinste Aromen von Kirsche und Mirabelle, von Aprikose und Quitte .