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Klingelmännchen

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24.04.2003
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Klingelmännchen

Er lag bewusstlos auf dem Rücken. Hatte sich den Kopf am Holz des Regals angeschlagen, als er gestürzt war.
Klein und aufgedunsen. Wasser in den dicken Beinen ... eine aus Fett und Wasser bestehende Kugel von Bauch. Ein Thron kommenden Unheils.
Ich bekam Panik und rüttelte an ihm herum. Wollte einen Krankenwagen rufen.

Ein Kind hatte nach der Schule geklingelt. Es war ein Streich gewesen. Er war zu schnell aufgestanden und zur Tür gelaufen.

Er wurde wach ... sah mich aus ängstlichen, panischen Augen an.

"Stefan, was ist passiert", fragte er. So, oder so ähnlich. Genau weiß ich es nicht mehr.
Und plötzlich flackerte wieder auf, was ich von ihm kannte.
Dieser Mensch, der inzwischen von Depressionen und Raubbau am eigenen Selbst zerfressene Kumpel, mit dem ich sonst Schach spielte, mit dem ich den selben Humor teilte ... mit dem ich richtig Streit bekam, wenn das mögliche Sterben zur Diskussion stand. Es gab sie nicht für ihn, diese Möglichkeit. Eine Option, die nie in Frage kam.

Ich half ihm auf, obwohl ich ihn kaum halten konnte. Dann ging ich, bis er laut schluchzte. Es liegt ein weiter Weg zwischen wollen und nach dem gewollten zu fragen.
Er hätte mich nicht darum gebeten, zurück zu kommen.

"So wollte ich nie, dass du mich siehst."

So, oder so ähnlich hat er es gesagt. Wollte immer alles besser machen, als man es bei ihm gemacht hatte. Wollte immer besser sein. Ist manchmal an diesem Ziel gescheitert. Doch manchmal ist nicht oft.

Wir hatten lange geredet. Aber ich glaube, es hat nichts genützt.

"Ich bin bloß noch ein fetter, nutzloser Sack", hatte er gesagt. Das war kurz vor seiner Krankheit. Kurz vor seinem Tod. Da hatte er vieles gesagt.

Ins Krankenhaus wollte er auch nicht. Bis zuletzt. Die Vorwürfe der Sanitäter. Es sei nichts Akutes. Die Vorwürfe des Arztes: Es ist nichts Akutes!

Die Stimme, als er mitten in der Nacht meine Hand nimmt, inmitten von tausend Geräuschen und Geräten ... Boah ... hast du kalte Hände!

Sein breites Grinsen ... ein letztes Mal. Als würde man solche Dinge ahnen können.

Die erste Urne, die der Bestatter uns zeigte, sah wie ein Mülleimer aus.
Aber es war keiner mehr da, der über diesen Witz lauthals lachen konnte.

Wenn ein Sturkopf verschwindet, kann es ganz furchtbar leer werden.

 

Hallo Cerberus,


ich bin mir unsicher, ob mein Eindruck von deiner Geschichte ein anderer wäre, wenn der Nachspann "Für meinen Papa" dort nicht stünde.


Aber dieser Hinweis steht dort und ich schaffe es nicht, mich zurückzudenken, in meinen Eindruck von deiner Geschichte bis zu diesem Hinweis.


Der letzte Abschnitt hat mich beeindruckt:

Die erste Urne, die der Bestatter uns zeigte, sah wie ein Mülleimer aus.
Aber es war keiner mehr da, der über diesen Witz lauthals lachen konnte.

Wenn ein Sturkopf verschwindet, kann es ganz furchtbar leer werden.
In drei Sätzen steckt so viel Aussage über einen Menschen und so viel Gefühl von aufrichtiger Zuneigung.

Ich wünschte, der Text davor enthielte noch weitere solche Kleinode.

Ich habe mich an einigen deiner Formulierungen etwas gerieben und fand, du hättest es einprägsamer und gleichzeitig tiefergehender formulieren können.

die sich ihren Weg durch geweitete Haut zu bahnen schien.
So sehe ich dicke Bäuche nicht und zwar stört mich das Wort "bahnen" ganz besonders. Es ist zuviel Bewegung in diesem Begriff. Dickbäuchigkeit ist zwar eine Form von Gewalttätigkeit gegenüber der darüberliegenden Haut, das hast du schon genial eingefangen, aber es ist eher eine Form stumpfer, dumpfer lethargischer Gewalt. Ich hoffe, du verstehst, wie ich es meine. Ich finde keinen passenden Satz, den ich dir vorschlagen könnte. Leider.

Er wurde wach ... sah mich aus ängstlichen, panischen Augen an.
Hier fehlt die Genauigkeit und gleichzeitig die Tiefe. Ängstlich und panisch müssen ansich nicht nebeneinander stehen, denn die Panik enthält die Ängstlichkeit. Vielleicht gelingt es dir, an dieser Stelle nach dem alten Prinzip "show" zu formulieren. An dieser Stelle verschenkst du die Möglichkeit dem Leser den Menschen näher zu bringen, so ganz en passant
mehr von ihm zu beschreiben, auch, wenn es sich um eine fatale Situation handelt, in der er sich befindet.

mit dem ich richtig Streit bekommen hätte, wenn die Wahl zwischen uns beiden aufgrund von Himmel und Hölle bestanden hätte.
Der erste Teil des Satzes ist genial gut! Aber hier in diesem Teil weiß ich nicht, wovon du sprichst. Ich verstehe den Satz inhaltlich nicht.
Vielleicht ist das nur eine Blondinenkrankheit und andere Leser haben damit keine Probleme. Aber vielleicht ist es nicht mein hausgemachtes Fragezeichen.


Dann ließ ich ihn allein, bis er so laut schluchzte, dass ich aufsprang und zu ihm zurück lief.
"Dann ließ ich ihn allein" ist mir zu einsilbig. Ich war bis dahin zu dem Ergebnis gelangt, dass zwei, die miteinander gut befreundet sind, sich ab und zu mal sehen. Allein lassen bedeutet für mich also richtiges Weggehen. Insoweit war ich bei dem ersten Satzteil irritiert und es stellte sich die Frage, in welcher Weise der Erzähler den Freund allein gelassen hat, wenn er noch das Weinen hören kann.

Wäre freiwillig in die Hölle gegangen, wenn man selbst dafür den Himmel hätte haben können.
Dieses Mal habe ich zur Abwechslung nicht die geringsten Verständnisprobleme, finde aber, du schrabbst hart an der Klischeekante entlang. Ich bin mir sicher, dass du für genau diesen Satz eine so geniale Ausdrucksweise finden wirst, wie sie dir am Ende der Geschichte gelungen ist, ohne im Klischeemodus verharren zu müssen. ;)

Nu hab ich nix mehr zu meckern, denn du wirst zum Ende hin immer besser. Da gelingt es dir, mit wenigen Strichen, Stimmung zu erzeugen und Bilder.

Fazit: Diese Geschichte hat mir gefallen, sieh meine Fragen und Verbesserungsvorschläge nur als Angebote an, noch mehr aus der Geschichte zu machen.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita und danke für deinen Kommentar.

Das kommt wohl davon, wenn man den Montag frei hat und die ganze Nacht wach bleibt. Da sind einige kitschige Formulierungen drin, die mir jetzt beim erneuten lesen schon ziemlich unangenehm sind.
Die letzten drei Worte habe ich schonmal rausgenommen, ansonsten finde ich selbst, dass da einiges unrund ist. Die von dir aufgezählten Punkte kann ich nachvollziehen. Da ärgert es mich selbst, dass ich so schwülstig geworden bin.

Gruß

Cerberus

 

Hallo Cerberus,

mir hat mal jemand früher vorgehalten, dass ich die Fähigkeit zum Selbstkannibalismus hätte. Mir scheint, du bist vom selben Stamm. :D

Ich fand deine Geschichte gut genug, um dir ein paar Verbesserungen vorzuschlagen.
Betonung auf "gut genug"!
Nochmals zum Mitgucken: Ich fand deine Geschichte gut!

Wenn du dich über ein paar Punkte ärgerst, dann ist es dann ok, wenn dich diese Verstimmung in Aktion bringt, es dieses oder das nächste Mal anders zu machen.
Wenn mein Kommentar zu deiner Geschichte geeignet war, dich in ein mit Selbstvorwürfen angefülltes Loch zu werfen, frag ich mich, weshalb sich sowas überhaupt in deiner Nähe befindet. :D

Mit anderen Worten: ich bin mir sicher, dass aus deiner Geschichte noch ein verdammt guter Text werden kann und ich fordere dich hiermit auf, das Positive meiner Worte zu lesen, da du ja den anderen Teil meiner Worte schon hochgradig gegen dich gewendet hast. Dafür waren sie aber nicht da, du Zweckentfremder. ;)

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo nochmal lakita.

Nein, habe ja auch durchaus das Positive herausgelesen, aber das hilft einem ja nicht beim ändern, sondern zeigt nur auf, was angekommen ist.
Habe die Geschichte noch einmal umgeschrieben. Vielleicht wirkt sie so eher nach dem, was ich ausdrücken wollte.

Jedenfalls vielen Dank für deine Mühe ;)

 

Hallo Cerberus,

ich finde den Text schon eine deutliche Ecke besser.

Es fehlt mir noch die Sache mit "panisch und ängstlich", das bleibt nach wie vor zu schwammig.

Die Veränderung bei "dann ging ich, bis er laut schluchzte" ist mir immer noch nicht richtig deutlich geworden. Ich bekomme die Botschaft nicht mit, die darin steckt. Oder steckt da gar keine drin?

Und dann fällt mir ein, dass ich bei meiner ersten Kritik vergessen habe, nach dem Titel zu fragen. Mir sagt das Wort Klingelmännchen nichts, ich kenne Ampelmännchen, Hampelmännchen, etc. Was bedeutet der Titel für deine Geschichte?

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita,

ich fürchte, bei einer weiteren Überarbeitung werde ich den Text wohl eher "verschlimmbessern". Das war für mich ein Stück weit Aufarbeitung, und dabei habe ich wohl zu wenig auf die Formulierungen geachtet. Ist auch recht schwierig, wenn es um Persönliches geht. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte die Geschichte nicht gepostet, keine Ahnung.
Was das Klingelmännchen angeht ... echt, der Begriff ist bei euch nicht geläufig? Ist nichts anderes als ein Synonym für Klingelstreich. Damit beginnt die Geschichte ja.

Lieben Gruß

Cerberus

 

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