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Kleine fiese Geschichte

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11.06.2011
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Kleine fiese Geschichte

Hier fangen Neue ganz unten an. Die Gesichter der Jungen im Hof drücken unverhohlen aus, dass er in einem für sie günstigen Moment mit einer Mega-Abreibung rechnen muss. Er registriert es eher beiläufig. Kurz darauf betreten sie den Empfangsbereich. Er und seine Eltern, die ebenso erleichtert wie heilfroh wirken, ihn binnen Kurzem loszuwerden. Bereits während der Anreise kommunizierten sie mit ihm nicht schreiend oder in beleidigtem Tonfall wie üblich, sondern verkniffen sich unterwegs alle Vorwürfe. Dass man ihm auf dem Besucherparkplatz nicht einfach die Reisetasche vor die Füße schmeißt, um anschließend mit quietschenden Reifen davonzurasen, grenzt fast an ein Wunder. Sie lassen sich sogar Zeit, bis die Aufnahmeformalitäten erledigt sind. Zum Schluss eine flüchtige Umarmung und ein Machs-gut-wird-schon im Weggehen. Das wars.
Noch während er überlegt, was als Nächstes geschieht, bittet ihn eine Bürokraft ins Nebenzimmer. Dort lümmelt ein Bärtiger entspannt auf der Fensterbank. Zu seiner Linken sitzt eine übertrieben jugendlich gestylte Endvierzigerin in einem Korbsessel. Freundlich bittet sie ihn, einzutreten.
,,Hallo, ich bin Sigrun Wirth!‘‘
,,Und ich heiße Andreas Meurer‘‘. Mit einem wohligen Ächzer verlässt der seinen Platz.
,,Wir leiten die Einrichtung und heißen dich herzlich willkommen. Du wirst dich schnell einleben‘‘, begrüßt ihn Meurer in einer Art Einführungsritual, was er scheißfreundlich und mächtig übertrieben findet, weil niemand hier rein kommt, dessen Akte nicht von vorn bis hinten und zurück studiert wurde. Die ausgestreckte Hand übersieht er absichtlich. Und weil ihm sonst nichts anderes einfällt, grinst er beide so zurückhaltend wie irgend möglich an. Dieser Typ mit seinen grauen Zottelhaaren hat etwas von Sam. Sam ist der Bearded Collie seiner Eltern. Vielmehr war.
Sigrun Wirth räuspert sich und druckst ein wenig: ,, Ich möchte dich, wir möchten dich etwas fragen. Ist dir bewusst, warum du die nächste Zeit bei uns verbringst?‘‘, bohrt sie ihn an.
Überflüssige Frage! Hauptsächlich haben sie ihn eingeliefert wegen Sam, den Liebling seiner Eltern. Weil er ihnen eins auswischen wollte. Als ihm damals der Rasenmäher in den Sinn kam, genauer, das Benzin vom Mäher und ihm einfiel, ein Streichholz anzureißen und … puff. Wie wahnsinnig schießt der blöde Köter in einem Satz über den Gartenzaun. Ein rasendes quiekendes Etwas. Voll geil!
,,Möchtest du darüber reden?‘‘
Sie erwartet tatsächlich eine Antwort. Womöglich sollte er jetzt ein bisschen mitspielen und irgendwas zum Besten geben.
,,Sie meinen die Sache mit dem Hund.‘‘
,,Ja. Möchtest du uns sagen, warum?‘‘
,,Weißnich. Langeweile, was weiß ich.‘‘
Die Wirth lässt nicht locker: ,,Was hast du dabei gefühlt?‘‘
,,Nix, glaub ich. Nix.‘‘
Er schweigt.
,,Ok. Ein andermal. Gleich lernst du Akin kennen. Er ist für den Anfang dein Lotse, zeigt dir das Haus und macht dich mit unseren Regeln vertraut. Ihr teilt euch auch das Zimmer. Ach ja, deinen Unterlagen haben wir entnommen, dass du boxt. Wir haben einen Übungsraum, da kannst du in deiner Freizeit trainieren.‘‘
Meurer greift nach dem Telefon. Bald darauf klopft es an der Tür. Akin wird hereingerufen. Der wirkt nicht gerade erfreut, jemanden aufzunehmen, dessen auch für hiesige Verhältnisse unangenehmer Ruf sich auf geheimnisvollen Wegen in Windeseile verbreitetet haben muss. Schweigsam gehen sie hinauf in den dritten Stock. Vor einer der Türen im Gang bleiben sie stehen.
,,Da.‘‘ Akin macht eine unbestimmte Geste. Sie treten ein. Er schaut sich um. Ein helles, in freundlichem Gelbton gestrichenes Zimmer, mit Möbeln ausgestattet, die vermutlich von Ikea stammen. Der Einrichtung ist anzusehen, dass sie einige Benutzergenerationen aushalten musste, aber alles in allem findet er die neue Bleibe halbwegs akzeptabel. Auf die Schränke deutend fragt er Akin, in welchem von beiden er seine Sachen verstauen könne.
,,Der rechts.‘‘ Akin hat wenig Lust rumzustehen und noch weniger Lust, ein Gespräch zu beginnen:,,Ich lass dich mal allein, kannst einräumen. Bin in 'ner halben Stunde zurück.‘‘

Einräumen geht fix. Bleibt reichlich Zeit, das Zimmer zu untersuchen. Insbesondere Akins persönliche Sachen. Gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Dass ihn der Typ nicht mag, ist ihm gleichgültig. Aber ihm muss etwas einfallen, womit er sich bei seinem Zimmergenossen und den übrigen Bewohnern von Anfang an Respekt verschafft. Er sieht sich noch einmal um und überlegt.

*​
Akin ist stinksauer. Auf den ersten Blick erkennt er seinen iPod.
,,Du hättest wenigstens fragen können. Grad angekommen und sofort gibst du das Riesenarschloch.‘‘
,,Bleib cool, Alter.‘‘
Vor Akins Augen pendelt ein Ohrhörerkabel.
,,Her damit!‘‘
,,Leck mich, Motherfucker.‘‘
,,Was?‘‘
,,Leck mich!‘‘
Der Rest folgt in Slomo: eine Hand, die sich öffnet, ein Absatz, der etwas knirschend demoliert und ein Knie, das Akin anschließend mit voller Wucht in den Schritt trifft. Akin, der zu spät checkt, dass er im nächsten Moment auf den Boden knallen wird.
Ok, denkt er. Das kam an. Akin presst die Zähne zusammen.

Ab 23 Uhr ist Bettruhe. Akin liegt wach und lauscht den regelmäßigen Atemzügen des anderen. Tapsende Geräusche nähern sich von draußen. Sacht senkt sich die Türklinke. Es ist soweit. Zu viert stürzen sie ins Zimmer, nehmen Kurs auf die rechte Hälfte des durch ein hohes Regal aufgeteilten Raumes, packen blitzschnell Arme und Beine, werfen den aus dem Schlaf Gerissenen auf den Rücken und stopfen seinen Mund mit einem Paar aufgerollter Socken. Ehe der den geringsten Mucks von sich geben kann, sind Kopf und Knebel fachmännisch mit Klebeband umwickelt. Dann schleifen sie ihn hinaus.
Leise öffnet sich eine andere Tür am Flurende des Kellergeschosses. Dahinter ein ehemaliger Gemeinschaftswaschraum aus den Tagen der Schlafsäle, den man heute als Lagerraum nutzt, um Ausrangiertes bis zur endgültigen Entsorgung aufzubewahren. Akin steht Schmiere. Drinnen gedämpftes Poltern. Leise Stimmen. Eine Abfolge dumpfer Laute.
,,Merks dir. Und kein Wort zu den Sozialfuzzis. Kapiert? Hast du’s gefressen? Hast du?‘‘
Sie reißen das Klebeband ab. Ein letzter trockener Schlag gegen die Rippen. Es ist vorbei. Sie sind spurlos verschwunden. Ihm ist derart übel, dass er fast kotzt. Er rappelt sich auf und bemerkt an der Stelle, wo er eben lag, etwas Metallisches. Stöhnend bückt er sich, nimmt das glänzende Ding und wiegt es in der Hand. Einer von denen hat es verloren. Es dauert nicht lang, bis er sich in die Ecke mit Altpapier schleppt, bis sein Daumen mit dem Rad des Zippo spielt. Schon züngelt ein Flämmchen orange-rot. Drecksäcke, denkt er und genießt im Voraus, was hier gleich los sein wird. Da schlägt der erste Rauchmelder Alarm. Im einsetzenden Durcheinander macht er sich auf den Weg. Erst zu Fuß, anschließend per Anhalter und wieder zu Fuß. Den Rest der Nacht, den nächsten Tag und hinein in den folgenden Abend, bis er seinen Heimatort erreicht, ein verschlafenes Kaff südlich von Hamburg. Am Ende der Dorfstraße, in der Auffahrt zum Grundstück seiner Eltern beschleicht ihn Misstrauen. Bloß ein Gefühl. Er blickt sich um. Alles ruhig. Wie immer. Mehrmals klopft er. Da öffnet sich die Haustür einen Spaltbreit.
,,Was willst du?‘‘, raunzt sein Vater.
,,Kann ich rein? Bloß für eine Nacht.‘‘
,,Heut früh kamen Beamte. Die suchen dich.‘‘ Zwei, drei Atemzüge Pause.
,,Verschwinde!‘‘ Abrupt knallt die Tür vor seiner Nase zu. Zweimal dreht der Schlüssel im Zylinder, die Türkette klackt.
Wenn schon. Wegen denen ist er nicht gekommen. Er will das Geld holen, das unterm Fußboden des Gerätehäuschens versteckt liegt, seinen Anteil aus einem Ding mit getunten Girokarten und anschließend weiter zu einem seiner Kumpel.
Beinah gemächlich geht er nach hinten in den Garten, öffnet die Tür des Schuppens und tritt ein. Den Rasenmäher zieht er beiseite, kniet nieder und hebelt ein loses Dielenbrett heraus. Er tastet nach der Kaffeedose, in der er das Bündel Scheine verwahrt. Seine Finger tasten vergeblich. Nichts.

,, MEINE KOHLE!!! ... WER HAT? ... DIE WARENS! DIESE ARSCHLÖCHER!‘‘

Unverschlossen. Den Hintereingang haben sie glatt vergessen. Seine Eltern sind völlig überrumpelt. Wütend stellt er sie zur Rede. Wie sie sich winden, wie sie betteln, es sei nicht so, wie er denkt, nur ein kleiner Engpass, sie würden es zurückzahlen, sobald sie wieder flüssig wären und so weiter; Als ahnten sie das Kommende.
Ein harter Cross und zwei Uppercuts beenden das Lamentieren, denn er muss noch mal zurück ins Gartenhaus. Sein Vater kommt als Erster zu sich, die Hände hinterm Rücken mit Wäscheleine gefesselt. Er findet sich auf dem Rücksitz des Familien-Vans wieder. In der Luft hängt ein Hauch von Benzin.

***​
,,Vollsperrung, ja.‘‘
,,Handyaufnahmen? Hab welche von der Gegenfahrbahn gefragt. Die hätten gern, war leider zu dunkel.‘‘
,,Vermutlich Selbstmord.‘‘
,,Folgendermaßen: Erst mit Sprit übergossen und nacheinander über die Brüstung.‘‘
,,Zwei.‘‘
,,Genau.‘‘
,,Wie Fackeln.‘‘
,,Einer direkt vor nen Lastzug. Punktlandung, ja.‘‘
,,Mmmh. Nicht viel übrig.‘‘
,,Mit dem Spachtel vom Asphalt gekratzt.‘‘
,,Hahaha! Alte Sau!‘‘
,,Nö, wir mogeln uns ran.‘‘
,,Zur Not nehmen wir Grillkohle.‘‘
,,Wirkt wie echt.‘‘
,,Ok. War nur Spaß.‘‘
,,Was wir bekommen können, schicken wir euch.‘‘
,,Stunde schätz ich mal.‘‘
,,Gut, bis gleich.‘‘
,,Tschau-tschau.‘‘

 
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Hallo Bader, willkommen hier!

Ich fand deine Geschichte stellenweise spannend und wollte wissen, wie es weitergeht, das hat mir gefallen.

Diese Verschleierung der Identität des Prot ("er") mochte ich nicht so, weil dadurch ab und zu unklar war, worauf sich "er" usw. bezieht. Sehe ich eigentlich auch keine Notwendigkeit für. Das schafft Distanz, und die gibt es genug. Ich erfahre, was der Junge getan hat und dass er eine gewisse Bauernschläue besitzt, mehr jedoch nicht.

,, MEINE KOHLE!!! ... WER HAT? ... DIE WARENS! DIESE ARSCHLÖCHER!‘‘
Dieser Part sticht unangenehm heraus. Großgeschriebenes ist eine Sache, mehrere Satzzeichen auch, aber beides zusammen geht gar nicht. Ich würde hier beides vermeiden. Durch den Kontext und die Heraushebung durch die Leerzeilen weiß man auch so seine Reaktion einzuschätzen.

wie sie betteln, es sei nicht so, wie er denkt, nur ein kleiner Engpass, sie würden es zurückzahlen, sobald sie wieder flüssig wären und so weiter
Fand ich sehr seltsam. Welche Eltern reagieren denn so auf offensichtlich schmutziges Geld?

Mit dem letzten Part, dem Dialog, konnte ich nicht viel anfangen. Einmal ist das ein ziemlicher Stilbruch, dieses Redundante, Abgehackte, dann weiß ich nicht, wer da überhaupt spricht, und auch der Sinn erschließt sich mir nicht.

Ach ja: Der Titel ist doof. ;) Da fällt dir bestimmt noch was Besseres ein.

Soweit von mir.

Viele Grüße,
Maeuser

P.S.: Es fehlen Apostrophs ("wars", "warens", "merks").
"slomo" könnte man auch schöner lösen.

 

Hallo Bader

Auf mich wirkt die Geschichte ein wenig so, als könntest du dich selbst nicht recht entschliessen, was du eigentlich erzählen möchtest. Da stecken unheimlich viele Konflikte / Komponenten / Ansätze drin. Das ist zum einen gut, zum anderen schlecht. Gut deshalb, weil die Thematik viel Potential birgt, schlecht, weil in dieser Form praktisch nichts davon vernünftig zu Ende erzählt wird.

Ich schneide mal an, was wir hier alles haben:

- Kind (wie alt ist der eigenlich?) wird von den Eltern getrennt und kommt in eine Art Heim. Dort muss er sich erstmal beweisen. Das ist noch die Komponente, mit der ich am meisten anfangen kann, weil man sich hier in den Prot. hineinfühlen kann.

- Das Kind stellt sich dann aber recht schnell als ausgewachsener Psychopath heraus. Wie kommt es dazu? Was sind seine Motive? Was hat er bislang getan, ausser dem Hund verbrannt? Oder war dies seine erste Tat? Du schneidest ja an, dass er schlecht von den Eltern behandelt wird. Das sollte allerdings ausgeführt werden, um die Figur hier lebendiger werden zu lassen.

- Die Flucht aus dem Heim. OK, er ist nicht nur ein Psychpath, sondern auch noch ein Pyromane. Ist er das auf einmal geworden, oder war er das schon immer?

- Jetzt wird die Geschichte recht abstrus: Auf einmal kommt Geld ins Spiel und man erfährt, dass der Junge neben einem Sadisten und einem Pyromanen auch ein ganz gewöhnlicher Verbrecher ist (irgendwas mit Kartenbetrug) - ja, also diese Figur kann man dir so nicht mehr abnehmen. Was kommt noch? Und warum holt er das Geld erst jetzt, und nicht bevor ihn die Eltern ins Heim steckten?

- Obwohl er von der Polizei gesucht wird, schickt ihn der Vater einfach weg? Was ist das für ein Verhältnis zu den Eltern? Du schilderst hier etwas ganz und gar Aussergewöhnliches, das kannst du nicht einfach so beiläufig erwähnen, da muss mehr in die Vorarbeit investiert werden: Wie kam es zu alldem?

- Das Geld fehlt (wer hat es eigentlich?), und er schlägt mal so kurz die Eltern zusammen und zündet sie an.

- Letzter Absatz ist auch für mich ein großes Fragezeichen. Wer spricht da? Es können ja keine Figuren sein, die der Leser schon kennt, weil er nur Akin kennt. Also den letzten Absatz musst du schon noch erklären.

Also Bader, tut mir Leid, aber viel Positives kann ich der Geschichte nicht abgewinnen - sie ist flüssig geschrieben und liest sich leicht. Die Handlung jedoch ist für mich mehr als konfus und übertrieben, die Figuren vollkommen unglaubwürdig. Spannung konnte ich auch keine entdecken. Ich würde dir raten, dich auf einen Aspekt zu konzentrieren und diesen etwas liebevoller auszugestalten. So ist alles ein bißchen viel und geht zu schnell.

Was den Titel angeht, stimme ich Maeuser zu: Eine Geschichte ist vielleicht klein und fies (diese hier ist es für mich nicht), sollte aber nicht so heißen.

Viele Grüße!

 

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