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kitty68
“ich liebe tiere sogar sehr”, tippte Kurt mit zwei Fingern in den Computer und dachte dabei an Billy. Billy, der ihn treu durch seine Kindheit begleitet hatte, bis er in den Hühnerstall eingedrang und alle Hennen zerbiss. Kurt hatte gebettelt und geweint, als sein Vater den mit Blut und Federn verklebten Billy am Halsband in den Keller schleifte.
“Ich würde mich gern mal mit dir treffen”, schrieb kitty68 zurück und Kurt begann zu schwitzen.
Als er Sabine zum ersten Mal im Eiscafé traf, wusste er sofort, dass alles passte. Er mochte ihre langen braunen Haare, ihren festen Händedruck und ihr breites, ungeschminktes Gesicht. „Eine Frau ohne Schnickschnack“, dachte Kurt. Es war Zeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Nach dem Film gingen sie italienisch essen und sprachen bereits über Kinder. Sabine lächelte mit ihrem kräftigen Gebiss und Kurt drückte ihre Hand auf der teerosengelben Papiertischdecke.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn noch mit in ihre Wohnung nehmen würde. Und als er schließlich auf ihr lag und versuchte, seinen Bewegungen Rhythmus zu geben, wurde er von drei Augenpaaren beobachtet. Sabines Augen waren rund und geduldig. Die anderen beiden Augenpaare waren mandelförmig und glommen bernsteinfarben aus der dunklen Schlafzimmerecke.
Als Kurt schließlich erschöpft auf dem Rücken lag, ließ sich Rauxel, der größere der beiden Kater, auf seinem Brustkorb nieder. Die Vibration seines Schnurrens übertrug sich angenehm auf Kurts feuchten Körper.
Ihr erster gemeinsamer Urlaub auf Teneriffa übertraf Kurts kühnste Erwartungen. Sie spazierten stundenlang händchenhaltend am Strand entlang, ohne dass er seinen Bauch einziehen musste, und Sabine liess sich von ihm im warmen Sand einbuddeln. Als sie händchenhaltend durch die Bucht schnorchelten, um Krebse zu gucken, musste Kurt kurz einhalten und darüber nachdenken, ob er schon jemals in seinem Leben so glücklich gewesen war. Nein.
Am Tierheim kamen sie während ihrer Inselrundfahrt vorbei. Kurt war besorgt, dass Sabine sich den Tag verderben würde, doch sie sagte: “Man kann seine Augen vor solchem Elend nicht verschließen”, und da musste er ihr zustimmen.
Das Geheul und Gebell war unerträglich. Kurt bemühte sich, den Ammoniakgestank zu ignorieren. Er hatte schon immer eine besonders empfindliche Nase gehabt. Er sah, wie sich die dunklen Härchen an Sabines Unterarm aufrichteten.
“Wie Billy”, flüsterte er beklommen, als ein kleiner Hund kläffend und schäumend neben ihm ins Gitter sprang, doch Sabine beachtete ihn nicht mehr. Mit feuchten Augen und vorgerecktem Kinn trat sie auf einen alten Spanier zu und deutete auf etwas, das Kurt zunächst für einen Haufen Putzlumpen gehalten hatte.
“Wir nennen ihn Pepe”, sagte Sabine kurz darauf im Auto, “El Pepe. Er ist Spanier.”
Ihren Urlaub mussten sie vorzeitig abbrechen, weil El Pepe dringend der Behandlung eines deutschen Tierarztes bedurfte. So hatte Kurt dann auch Zeit, Sabine Gesellschaft zu leisten, während sie El Pepe in ihrer Wohnung so gesund wie möglich pflegte. Die eiterverkrusteten Augen mussten im stündlichen Rhythmus getropft werden. Das fehlende Bein verursachte dem Hund kaum Beschwerden, aber es hausten so viele Milben in seinen Ohren, dass er sein Hörvermögen trotz liebevollster Pflege nicht mehr zurückgewann. Die einzige lebensbedrohliche Erkrankung war jedoch die schwärende Wunde am Rücken gewesen. Der Tierarzt hatte das faulende Fleisch herausgeschnitten, „großzügig“ wie er sagte.
Kurt war beeindruckt von Sabines aufopferungsvoller Fürsorge. Er hatte die Mutter seiner Kinder gefunden. Den Antrag machte er ihr, während sie El Pepes Kotze aus dem Flokati schrubbte.
Nach der Hochzeit zog Sabine zu Kurt in das kleine, freistehende Haus, das er seit dem Tod seiner Mutter alleine bwohnt hatte. Mit einer Stichsäge schnitt Kurt eine Katzenklappe aus der Gartentür. Sabine küsste ihm dankbar auf die tropffeuchte Nasenspitze und sagte: „Und die Schlafzimmertür.“
El Pepe war glücklich über sein neues Zuhause. Er wedelte aufgeregt mit seinem halben Schwanz und hoppelte zielsicher ins Gästebad, wo er aus lauter Freude auf den Klovorleger schiss. Das Katerduo Rauxel und Castrop zeigte sich kritischer. Auf hohen Beinen staksten sie über das spiegelnde Stäbchenparkett und schupperten mit spitzen Nasen verächtlich an der riesigen Zimmerpalme, die der Stolz von Kurts Mutter gewesen war. Erst als sie begannen, ihre Krallen am Sofa zu wetzen, spürte Kurt, wie die Nervosität von Sabine abfiel. „Jetzt sind wir eine richtige Familie“, schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner buschigen Brust.
Sein neues Leben erschien Kurt wie ein Traum. Die Katzen tollten durch den Garten. Er und Sabine spazierten täglich händchenhalten durch den spätherbstlichen Wald. El Pepe wankte zu ihren Füßen. Allein die Hummelfiguren seiner Großmutter waren mittlerweile sämtlich zu Bruch gegangen. Rauxel und Castorp liebten es, einander durch das Wohnzimmer zu jagen. Zwar hatten sie schnell ein erstaunliches Geschick dafür entwickelt, mit ausgefahrenen Krallen um die Kurven zu surfen, doch Kollisionen mit der Glasvitrine waren noch immer an der Tagesordnung. Sabine war besorgt. “So geht das einfach nicht weiter”, sagte sie, “die Katzen brauchen mehr Halt.”
So kam es, dass Kurt das Wohnzimmer mit grünem Nadelfilz auslegte.
„Was für eine schöne, was für eine wunderschöne Bescherung“, sagte Sabine als sie am Morgen des heiligen Abends einen Wurf Katzenbabys unter dem Weihnachtsbaum entdeckte, der aus Sicherheitsgründen mit Plastikkugeln und Elektrolichterkette geschmückt worden war. Rauxel hatte sich und seinen Babys ein Bett aus Kurts Wildlederjacke gebaut.
Auch Silvester war wunderschön. Kurt war ohnehin kein besonders geselliger Mensch und so störte es ihn nicht, dass sie den Abend gemeinsam vor dem Fernseher verbrachten. El Pepe konnte während des Feuerwerks auf keinen Fall nicht allein gelassen werden.
Als Kurt am zweiten Januar von der Arbeit nach Hause kam und sich auf ein heißes Bad freute, fand er einen Karpfen in der Wanne schwimmen.
„Der ist aus dem Supermarkt,“ sagt Sabine und streichelte die schuppige Haut.
Kurt nickte. „Aber wo sollen wir ihn jetzt hintun?“
„Du hast doch gesagt, dass du noch einen Teich im Garten anlegen wolltest.“
Und so begann Kurt am selben Abend, die gefrorene Erde im Garten mit einer Spitzhacke aufzureißen.
Im Mai ging Sabine ins Tierheim. „Weißt du, wie viele Kaninchen an Ostern verschenkt werden? Die landen alle im Heim“, sprach sie mit feurigen Augen. Kaninchen durfte man nicht alleine halten und sie benötigten viel Auslauf, allerdings besser nicht im Garten, wegen der unberechenbaren Nachbarskatzen. Sie buddelten im großen Topf der Zimmerpalme, um an die zarten Wurzeln zu gelangen. Sie nagten die Holzspäne von der Raufasertapete. Doch Sabine wusste Abhilfe und blockierte den Zugang zu Wand und Topf mit verwitterten Brettern aus dem Schuppen. Als die Kaninchen zum wiederholten Mal die Kabel in Kurts Comuterecke zerbissen, sorgte Sabine sich um ihre Gesundheit. „Sagtest du nicht, du wolltest dir ein Arbeitszimmer unterm Dach einrichten?“
Die Papageien, die kurz nach den Kaninchen einzogen, waren Gasttiere. Sie wurden aufgenommen, bis Sabines Freundin von ihrer Forschungsreise nach Mexiko zurückkäme. Dass sie sich dort in einen Mexikaner verlieben würde, konnte niemand ahnen.
Die Papageien frästen tiefe Ausbuchtungen in die Massivholztüren des Erdgeschosses. Dort hockten sie, um auf Kurt herabzustoßen, sobald er sich unvorsichtig bedrohlich benahm. Im Kronleuchter saßen sie hingegen, um ganz reizend die Kristalle klimpern zu lassen. Kurt musste den Esstisch etwas verschieben, damit die Papageienkacke nicht ins Essen fiel.
Als die Schlange kam, freute Kurt sich fast ein bisschen. Der Python war auf Grund seiner Schuppenflechte von einem Wanderzirkus ausgemustert worden. Anstatt seine Haut in regelmäßigen Abständen vollständig abzustoßen, flockte er ununterbrochen kleinere und größere Hautfetzen vor sich hin. Er sah aus, als sei er in Madelsplittern gerollt worden.
Kurt erhoffte sich klammheimlich eine natürliche Kontrolle des Tierbestandes. Und tatsächlich wurde irgendwann der mittlerweile fünfte Wurf Kätzchen vermisst. Um weitere Dramen zu vermeiden, wurde die Schlange daraufhin im Schlafzimmer einquartiert. Kurt hatte Schwierigkeiten, sich an die konstante Temperatur von fünfundzwanzig Grad bei sechzig Prozent Luftfeuchtigkeit zu gewöhnen. Er wälzte sich schlaflos umher und verlor pro Nacht etwa zwei Liter Schweiß. Die Schlangenhautschuppen sammelten sich in Verwehungen in den Zimmerecken.
Nach nunmehr einjährigem Zusammenleben mit Sabine machten der Schmutz und der Gestank Kurt nun doch etwas zu schaffen. Er lief jetzt auch im Badezimmer nur noch mit Schuhen, da er es hasste, am Morgen in eines der vielen Katzengewölle zu treten. Haarknäuel huschten wie Steppenhexen über die Flure, aber seitdem er versehentlich ein Chinchilla mit der Kehrschaufel in die Aschetonne befördert hatte, traute Kurt sich nicht mehr, diese zu beseitigen.
Der Staubsauger war ohnehin aus dem Haus verbannt worden, weil die sensiblen Schleiereulen beim ersten Aufheulen des Geräts begannen, sich gegenseitig die Federn von der Brust zu rupfen. Dass ihm eines Tages eine der Wüstenrennmäuse, die sich mittlerweile im Wirtschaftsraum von einem Müslikarton in den nächsten fraßen, das Rohr hinaufgerasselt war, hatte Kurt Sabine gar nicht erst erzählt. Er hatte ihr auch verschwiegen, wie lange er auf den roten Knopf gestarrt hatte, bevor er den verirrten Hamster aus dem Mixer gehoben und auf die mit Katzenfutter verklebte Arbeitsplatte gesetzt hatte.
Das einzige, was Kurt wirklich bekümmerte, war jedoch die Tatsache, dass Sabine die Pille einfach nicht absetzten wollte. „Wie soll ich mich bei all dem Stress denn noch um ein Baby kümmern?“, fragte sie und spritzte eine Pipette Milch in den Rachen eines Babyfrettchens, das von seiner Mutter verstoßen worden war. Ihren Beruf hatte sie schon lange aufgeben müssen und die schönen braunen Haare klebten ungewaschen an ihrem Kopf.
Kurt musste sie über Monate hinweg immer wieder beknien und an ihr Versprechen erinnern, bis sie schließlich einwilligte.
Die Geburt des kleinen Kurt war der schönste Moment in Kurts Leben. Als Sabine aus dem Krankenhaus zurückkehrte, nahm Kurt Vaterschaftsurlaub, um sie zu entlasten. Er unternahm lange Spaziergänge mit El Pepe und dem kleinen Kurt, der ein ganz außergewöhnlich anspruchsloses und gelassenes Kind war.
Mit Sabine ließ Kurt seinen Sohn nur noch ungern allein, nachdem er ihn eines Nachmittags Burgen bauend im Katzenklo entdeckt hatte. So war es auch Kurt, dem zuerst aufffiel, dass der kleine Kurt immer gerötete Augen hatte.
Nach dem Allergietest bat Kurt seine Frau, sich mit ihm auf das von Hamstertunneln durchzogene Sofa zu setzen. „Es sind ja nur die Tiere mit Haaren. Die Schlange, der Gecko und die Vögel können doch bleiben.“
Kurt bezog eine kleine Dachgeschosswohnung mit seinem Sohn. Es war ihm wichtig, dass der kleine Kurt und Sabine sich regelmäßig sahen, doch sobald der Kleine in die Nähe des Hauses kam, begann er zu schniefen und zu husten. Sabine konnte ihrerseits das Haus auf Grund ihrer Verpflichtungen den Tieren gegenüber nur für sehr kurze Zeit verlassen.
So kam es, dass der kleine Kurt sich nur noch sehr verschwommen an seine Mutter erinnerte, als sein Vater ihm erzählte, dass Tierschützer und Behörden das kleine freistehende Haus gestürmt hatten. Sie befreiten über zweihundert sehr hungrige und schmutzige Tiere. Sabine blieb verschwunden.