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Kick
Es riecht nach Ärger. Ein Martinshorn quäkt. Die Straße leert sich. Polizei, mit Helm und Schild, marschiert an mir vorbei. Ich lege Geld neben die Kaffeetasse, schraube das Weitwinkel auf den Fotoapparat und bin bereit.
Zuerst drücke ich mich sichernd an der Wand entlang, links Einsatzwagen. Ich suche den Blickkontakt zum Einsatzleiter, zeige meine Kamera. Er nickt.
Aus der Ferne Gesänge, ein dissonanter, trunkener Chor aus tausend rauen Kehlen.
Wie ein Heckenschütze beziehe ich Position, hinter einem Stromkasten verschanzt, auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen. Ich zittere. Die Haare meines Körpers sträuben sich. Ich kriege einen Ständer.
Da kommen sie: Wie ein einziger Leib, zum Tier geworden, zu einem vielköpfigen Gott. Sie jubeln die Reeperbahn herunter, taumelnd, tanzend, schreiend, singend.
Hier ist sie, die Verbrüderung, die Gleichheit, die Freiheit.
Hier und jetzt, sind sie Sieger, sind sie Deutschland.
Alle Dämme brechen. Ich kann nicht anders: Als die Welle über mich wegbrandet, sitze ich schon mitten auf der Fahrbahn, erwarte sie wunschlos, in einem Moment trunkenen Glücks und heule.
Ich hebe die Kamera und verschlinge die tobende Menge, mit meinem liebenden, glasigen Auge.