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Kellerkiste

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21.04.2015
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Kellerkiste

Es riecht muffig hier unten. Nach Erde und feuchtem Stein. Die Natur drückt sich von außen gegen die alten Mauern des Hauses. Früher hatte Sofie Angst davor, die knarrende Treppe in den Keller hinunterzusteigen, meistens gingen dann ihre Eltern.
Nach der Beerdigung ihrer Mutter ist sie hierher zurückgekommen, ist immer wieder durchs Haus gewandert. Sie hat alles durchgesehen, jeden Schrank, jede Kommode, hat Schubladen auf- und wieder zugeschoben.
Seit zwei Tagen ist Marie da – süße, laute Marie. Dreißig Jahre ist es her, dass sie das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen. Nun hilft sie ihr dabei, die Kisten zu packen, die Zimmer auszuräumen.
Staubkörner tanzen im Lichtkegel der Lampe. Es knirscht im Mund, wenn Sofie die Zähne zusammenbeißt. So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.
Sie verschränkt die Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere. Die Innenflächen sind feucht. Die Nägel spröde, der Lack ist an einigen Stellen abgeplatzt.

Mit neun entdeckt sie die kleinen bunten Fläschchen in dem Schrank unterm Waschbecken. Wählt Pink. Ihre Hand zittert, als sie die Farbe aufträgt, an manchen Stellen malt sie daneben.
Tom kneift die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz treffen und einander gegenüber auf die Wippe setzen. Nach einer Weile sagt er, sie solle kurz warten, er müsse schnell was holen. Er kommt mit einem Edding zurück, hockt sich auf ihre Seite der Wippe und bittet sie, die Hände ausgestreckt aufs Holz zu legen. Er zieht die Kappe vom Stift. Sofie will protestieren, aber dann beobachtet sie Tom gebannt dabei, wie er ihre Fingernägel anmalt. Einen nach dem anderen.
Abends bemerkt ihre Mutter die schwarzen Nägel und zieht Sofie ins Bad. Sie tränkt Wattepads mit Nagellackentferner und reibt damit so lange hin und her, bis die dünne Haut an Sofies Fingerspitzen ganz rot ist und jegliche Farbe verschwunden.

„Hast du dich verlaufen da unten?“, ruft Marie aus der Küche.
„Komme gleich.“
„Mach keine Wissenschaft draus. Hauptsache, der Wein knallt.“
Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Sie geht vor dem Regal in die Hocke und sieht die Weinflaschen durch. Irgendwo muss er sein, dieser weiche, würzige Rote, der so gut zu Rinderfilet passt.
Hinter ihr klirrt etwas. Sie fährt herum. An der gegenüberliegenden Wand, auf Omas Kommode, steht die Kiste, die Sofie vor Jahren hier abgestellt hat.
Sie richtet sich auf. Da ist es wieder. Leise nur. Sie denkt an Mäuse, die zwischen weggepackten Erinnerungen umherklettern.
Langsam geht sie auf den Karton zu, legt die Hände darauf und lauscht. Die alten Backsteine dünsten Feuchtigkeit aus, sie kann sie sehen. Hauchdünner Nebel, der sich auf die Haut legt. Sofie reibt sich über die Arme und betrachtet die Kiste.
Sie ist nicht beschriftet.
„Sag mal, brauchst du Hilfe?“
Sofie sieht Marie regelrecht vor sich, wie sie oben in der Küche steht. Die senkrechte Falte zwischen ihren Augenbrauen, das leichte Zucken der Mundwinkel. Spürt den Blick, diesen schweren Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.
„Ich sag’ doch, ich bin gleich da!“
„Ist ja gut, entspann dich.“ Marie schnalzt mit der Zunge. „Ich geh’ eine rauchen.“
„Mach das.“
Sofie hört, wie sich die Terrassentür öffnet und wieder schließt.
Der Karton fühlt sich klamm an, als sie ihn öffnet. Sie greift hinein.

An ihrem zehnten Geburtstag steht Tom im Garten, tritt von einem Bein aufs andere und hält ein unförmiges Geschenk in der Hand. Immer wenn er sich bewegt, klirrt es leise.
Als Sofie ihn begrüßt, nimmt er ihre Hand und zieht sie um die Hausecke. Er mag die anderen Kinder nicht besonders.
„Pack aus!“ Er sieht sich immer wieder um.
Vorsichtig zieht sie das Windspiel aus der Verpackung und hält es hoch.
„Meine Mutter sagt, es klimpert, wenn jemand an dich denkt“, sagt er.
Er sieht sie an, die braunen Augen weit geöffnet. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange, zieht ihn hinter sich her – die Treppe hinauf in ihr Zimmer – und sie hängen das Windspiel an die Lampe über dem Bett.
Manchmal, mitten in der Nacht, bewegt es sich sachte, das Klirren weckt Sofie auf. Sie liegt da und beobachtet die dünnen Schnüre, an denen die Glasstücke hängen.

Das Windspiel liegt leicht in ihrer Hand. Verknotete Fäden, die Farben der Plättchen sind stumpf geworden. Es riecht nach ihm. Alles in diesem Karton, ihre halbe Kindheit.
Die Decke des Kellers sackt herab, Sofie fasst sich an den Hals und schnappt nach Luft. Sie wirft das Windspiel zurück in die Kiste, fährt sich mit der Hand durch die Haare. Sie sind feucht. Wie an dem Morgen, als sie im Wald Verstecken spielten und Sofie sie sich immer wieder aus dem Gesicht strich. Alles war von einem feinen Film überzogen, die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.
Ihr Herz schlägt gegen den Brustkorb, pocht hinauf bis in den Hals. Sie will schlucken, doch es geht nicht. Um sie herum verschwimmen die Konturen. Sofie leckt sich über die Lippen, spröde Haut unter ihrer Zunge. Sie sieht hinter sich, doch da ist nur das Weinregal. Dreht sich um, schaut wieder in den Karton, da ist Tom. Die Briefe, die er ihr geschrieben, die Bilder, die er gemalt hat, ausgedachte Schatzkarten, Kastanientiere. Sie flüstern, sie kriechen aus der Kiste, erzählen eine Geschichte, die tief begraben liegt.
Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Regal, eine Flasche Rotwein fällt heraus, zerschellt am Boden.

Sie spürt sein Glühen, als er sie von zu Hause abholt. Irgendetwas hat ihn verärgert. Als sie ihn fragt, winkt er nur ab und zieht sie mit sich.
Sofie will ihn aufheitern, Verstecken spielen, wie früher. Sie kauert unter einer großen Tanne und traut sich kaum zu atmen. Er springt aus dem Dickicht, wirft sie um und drückt sie zu Boden. Presst ihre Hände in die feuchte Erde. Seine Augen, da ist was, das Sofie nicht kennt. Etwas, das sich in sie hineinbohrt. Ihr wird schlecht. Tom ist stark und schwer, sie schafft es nicht, ihn abzuwerfen. Er küsst sie auf den Mund, die Wangen, die Ohren – den Hals. Sofie wirft den Kopf von einer Seite auf die andere. Seine Lippen nass und kalt.
„Lass das!“, brüllt sie.
„Mit Julian machst du’s doch auch!“
Sofie versucht, Tom zu beißen, strampelt wie wild. Ihr Knie trifft ihn im Schritt, der Griff lockert sich und sie rennt los. Schlägt Äste zur Seite, stolpert über Wurzeln, rennt weiter. Weg von dem Knacken und Fluchen, das ihr durch den Wald folgt.
Er ist dicht hinter ihr, erwischt mal ihre Haare, den Saum der Regenjacke, ihre Hand. Am Fluss holt er sie ein. Die starken Regenfälle der letzten Tage haben ihn in einen tosenden Strom verwandelt. Sofies Flehen ist kaum zu hören. Langsam kommt Tom auf sie zu, kaum zwei Armlängen trennen sie noch. Sie kreisen umeinander. Ein Lächeln huscht über Toms Gesicht. Sofie schreit. Schreit all ihre Angst und Verzweiflung hinaus, stürmt auf ihn zu und stößt ihn weg. Überrascht taumelt er zurück, rudert mit den Armen, stolpert. Alles ist überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.

Maries Schritte auf der Kellertreppe hallen dumpf in Sofies Kopf. Sie kauert in der Ecke, presst die Hände auf die Ohren und hält die Augen geschlossen. Die Wände kommen näher. Sie kann sich nicht bewegen.
„Ach du Scheiße!“
Marie riecht nach Zigaretten, vertreibt den Geruch nach Erde und feuchtem Stein. Sofie öffnet die Augen, sieht an ihr vorbei.
„Ich wollte das nicht.“
Marie dreht sich um, wirft einen Blick auf die Kiste und wendet sich wieder Sofie zu. „Ich dachte, du hast die schon lange …“
„Bring sie weg.“
„Aber was –“
„Bring sie weg!“
„Komm mit nach oben.“ Sie packt Sofie am Ellenbogen und zieht sie hoch. Langsam steigen sie die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt wird das Flüstern leiser. Sofie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Tut mir leid.“
„Hier!“ Marie hält ihr die Zigarettenschachtel hin und schiebt Sofie auf die Terrasse. „Ich kümmere mich um die Kiste. Und um den Wein.“
Sofie legt sich ins Gras. Die Halme kitzeln ihren Nacken, der Boden ist warm. Langsam beruhigt sich ihr Atem, sie schließt die Augen, zieht an der Zigarette.
Vor dem Haus wird etwas Schweres in eine Mülltonne geworfen, der Deckel zugeknallt.

 
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Hallo @Raindog

Einiges, woran ich mich ein wenig gestoßen habe, hast du inzwischen schon geändert, also bleibt mir inhaltlich nicht viel zu sagen, nur mehr oder weniger Kleinkram.
Freut mich schon mal sehr, dass durch die mehrfachen Überarbeitungen Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden konnten. Und nur her mit dem Kleinkram, ich mag das, denn so Kleinigkeiten können oft viel bewirken, den Text abrunden.

Ich frage mich die ganze Zeit, hast du eigentlich irgendwas geändert, dass Tom am Anfang weniger freakig rüberkommt, oder habe ich mich nur an ihn gewöhnt? Wie auch immer, so wie du ihn jetzt dargestellt hast, finde ich es gut
Nein, ich habe da nach den wertvollen Hinweisen von @Nichtgeburtstagskind noch mal dran geschraubt und Sätze, die zu plakativ waren und von mir auch gar nicht so beabsichtigt waren, ausgemerzt. Dein Gefühl trügt also nicht, Tom wirkt nun sicher ein wenig anders, als vorher.

Das finde ich irgendwie komisch, mit dem „weigern“, und dass es die Eltern für sie taten. Sie taten es ja auch für sich
Ja, das stimmt. Habe ich geändert.

Irgendwie stört mich das „süße“, weil es eine Wichtigkeit heraufbeschwört, die Marie so in der Geschichte nicht hat.
Für mich beschwört das "süße" eher eine Zärtlichkeit herauf, eine Dankbarkeit für Marie, die ihr in dieser schweren Situation hilft und die ja - wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt - auch die Geschichte mit Tom kennt.

Zum ersten Mal klingt danach, als hätte sie es seitdem immer wieder getan, aber davon ist gar nicht mehr die Rede
Stimmt. Habe diesen Absatz insgesamt noch einmal angepackt, auch wegen ein paar anderer Punkte.

Ist das bedeutsam? Sind dort sonst alle Kisten beschriftet wie in einem Archiv?
Nenn mich Freak, aber ich beschrifte Kisten immer :D Also, was mir so vor Augen schwebte, war ein Keller, in dem eben unter anderem auch Kisten stehen. Beschriftet zum Beispiel "Weihnachtsschmuck" oder "Flohmarkt" oder sowas. Der Satz "Sie ist nicht beschriftet" soll implizieren, dass dieses Wortlose, dieses Nicht-Beschriften seinen Grund hat. Eine Kiste, die sozusagen eigentlich gar nicht mehr existieren sollte, die Dinge enthält, die niemand mehr sehen will.

Hier frage ich mich nach der Bedeutung dieses schweren Blickes. Weil Marie Bescheid weiß, oder ahnt, wie es gewesen ist mit Tom? Ich denke, das ist wahrscheinlich deine Intention. Vielleicht wäre es dann auch schön, Marie in den Kindheitserinnerungen einen kurzen Auftritt haben zu lassen?
Genau, das soll dieser Blick bedeuten. Und Marie kommt ja gleich zu Anfang kurz in Erinnerungen vor, als beschrieben wird, wie sie sich in der Schule kennenlernten. Das beinhaltet ja, dass sie sich schon kennen, seit sie Kinder sind, und da schwingt dann natürlich mit, dass Marie das mit Tom mitbekommen hat / ihn kannte / von Sofie eingeweiht wurde.

Das ganze Herz wandert in den Hals?
Den Teil habe ich auch noch einmal geändert.

Den Fleck würde ich weglassen, da fühle ich mich als Leser buchstäblich zu sehr mit der Nase hineingedrückt. Wenn du schreibst, eine Flasche Rotwein fällt heraus, dann sehen wir den roten Fleck auch von alleine.
Guter Einwurf, habe deinen Vorschlag gerne übernommen.

Hier passt einiges nicht so gut. Zum einen klingt mit nach vorn gestreckten Armen irgendwie umständlich, zum anderen gibt es gleich darauf eine Wortwiederholung, und die Beschreibung des Ablaufs passt nicht so ganz
Auch diesen Absatz habe ich noch einmal geändert an manchen Stellen.

Den Kursivsatz kannste auch weglassen, klingt sonst wie eine Regieanweisung. Wenn sie sich um den Wein und die Kiste kümmert, ist ja eh klar, dass sie wieder reingeht.
Stimmt!

Raindog, vielen Dank für deine Hinweise und Ideen, das war sehr hilfreich.
Liebe Grüße
RinaWu

Liebe @barnhelm

Danke, dass du mir ein paar Zeilen dagelassen hast!

Deine Geschichte gefällt mir wegen der dichten Atmosphäre
Das freut mich sehr!

In dem Satz, den du zitiert hast, ist Marie zwar das Subjekt, aber deshalb nicht immer automatisch "sie". Schau, so lese ich ihn:

Seit zwei Tagen ist Marie da – süße, laute Marie. Dreißig Jahre ist es her, dass sie (Marie) das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie (Sofie/Akkusativ - neben wen setzt sich Marie) zu setzen. Nun hilft sie (Marie) ihr (Sofie) dabei, die Kisten zu packen, die Zimmer auszuräumen.

Aber es stimmt schon, das ist hier an dieser Stelle in Verbindung mit dem folgenden Absatz in der Gegenwart ein wenig tricky ... Habe da ein "Sofie" eingefügt, beim Knirschen, nun ist es hoffe ich klarer. Danke dir für den Hinweis!

Liebe Grüße!
RinaWu

 

Hallo @RinaWu!

Gerne habe ich die Geschichte gelesen, besonders die Wendung im letzten Drittel und die Figur Tom haben für mich die Geschichte richtig lesenswert gemacht.

Sprachlich liest sich das, da habe ich lediglich zwei kleine Anmerkungen:

Früher hatte Sofie Angst davor, die knarrende Treppe in den Keller hinunterzusteigen, meistens gingen dann ihre Eltern. Jetzt hat sie keine andere Wahl.
Solche kleinen Einschübe kommen nicht oft, aber noch vielleicht ein, zwei Mal in deiner Story vor. Ich finde, die braucht es nicht - da nimmst du dem Leser Denkarbeit ab, die er, so schätze ich das ein, gerne selbst machen würde. Gerade, wenn man den nächsten Satz nach dem Zitat liest, ergibt sich eigentlich klar, dass das Runtergehen für sie sehr unangenehm ist, und sie das muss, obwohl sie nicht will. Ist eine absolute Kleinigkeit, aber, wenn man so will, auch "show don't tell", für Fortgeschrittene eben - und für dich als Gedankenanstoß.

Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Das lese ich oft, solche hübsch literarisierten ... ich sag mal "Banalitäten" (im Sinne von: Ein für die Geschichte nicht relevanter Vorgang - ihre Freundin lacht -) ... ich will mich jetzt nicht falsch ausdrücken, aber: "ausgeweitet" bzw. "aufgehübscht". Das machst du nicht oft und ist auch eine absoluten Kleinigkeit, aber ich finde, solche Formulierungen aufpolieren braucht es gar nicht. Mich als Leser stört das mittlerweile immer ein bisschen, wenn ich solche Vergleiche bei Autoren lese - z.B. "sie ging aus der Dusche, und Wassertropfen rannen wie Perlen an ihr herab". Ich meine nicht, dass solche Vergleiche wirklich schlecht wären, aber irgendwie denke ich mir, dass es die gar nicht bräuchte. Deine Figuren sind interessant, du hast etwas zu erzählen, darauf kannst du dich ruhig verlassen - meiner Meinung nach!

Zur Geschichte: Gerade die Wendung am Ende, der Junge Tom hat mir richtig gut gefallen. Das Vorgeplänkel, der Gang in den Keller, das Wein-Suchen: Ich habe mich gefragt - braucht es das wirklich? Ein wenig zäh fand ich es, weil außer Rückblicke nicht wirklich etwas geschah; aber ich möchte noch mal betonen, dass die Geschichte mit Tom, die dann kam, für mich die Story richtig lesenswert gemacht hat. Sehr authentisch und ich habe es auch nicht kommen sehen. Also echt gerne gelesen, verstehe mich nicht falsch - und ich weiß, dass Kommentare, die empfehlen, alles noch mal neu aufzurollen, immer so eine Sache sind; aber als Feedback an dich: Ich habe mir gedacht: Wieso erzählst du nicht bloß die Geschichte von ihr und Tom? Nicht in einem Gedanken-Rückgang beim Gang in einen Weinkeller, sondern schön szenisch? Mein Gefühl ist, dass die Geschichte dann noch mal stärker wirken würde, noch unmittelbarer wäre und noch mehr in die Magengrube beim Leser gehen könnte.

Hoffe, du verstehst meinen Kommentar nicht falsch. Habe die Story gerne gelesen, aber meiner Meinung nach, falls du noch bereit bist, da etwas zu investieren, sehe ich da noch mal Wachstumspotential, wenn du dich bloß auf die Tom-Geschichte fokussierst, szenisch erzählt, und den Gang in den Keller, etc., wegstreichst. Aber ist deine Geschichte, mach mal, wie du es für richtig hältst

Alles Beste
zigga

 

Hey @zigga

Danke für deine Anmerkungen zu meiner Geschichte.

Solche kleinen Einschübe kommen nicht oft, aber noch vielleicht ein, zwei Mal in deiner Story vor. Ich finde, die braucht es nicht - da nimmst du dem Leser Denkarbeit ab, die er, so schätze ich das ein, gerne selbst machen würde.
Danke für den Hinweis, ich bin ja mittlerweile großer Fan davon geworden, dem Leser mehr zu vertrauen, habe ich auch erst hier gelernt. Sehe mir das noch mal an, also wo genau es zu diesen Einschüben kommt.

Ich meine nicht, dass solche Vergleiche wirklich schlecht wären, aber irgendwie denke ich mir, dass es die gar nicht bräuchte. Deine Figuren sind interessant, du hast etwas zu erzählen, darauf kannst du dich ruhig verlassen - meiner Meinung nach!
Nein, brauchen tut es diese Vergleiche nicht, da gebe ich dir recht. Das Ding is, ich selbst mag das als Leser total. Also ein recht nüchterner Text - im Sinne von klare Sprache, nicht viel Geschwurbel - und dann ab und zu so ein "aufgehübschter" Satz, der aus dieser Klarheit rausfällt. Ich steh da irgendwie drauf. Und ich reiße mich schon wahnsinnig zusammen, irgendwann hau ich vielleicht mal so einen schlimm kitschigen Schwurbeltext raus, damit ich das mal loswerde, aber ich konzentriere mich schon sehr darauf, diese Vergleiche so selten wie möglich zu verwenden. Deshalb würde ich diesen hier gerne stehen lassen :)

Wieso erzählst du nicht bloß die Geschichte von ihr und Tom? Nicht in einem Gedanken-Rückgang beim Gang in einen Weinkeller, sondern schön szenisch? Mein Gefühl ist, dass die Geschichte dann noch mal stärker wirken würde, noch unmittelbarer wäre und noch mehr in die Magengrube beim Leser gehen könnte.
Gebe ich dir recht, wäre interessant. Ursprünglich ist diese Geschichte ja für eine Anthologie entstanden, Thema war "in der Tiefe". Daher auch die Kellerszene, eben auch, um wortwörtlich ins Unterbewusste hinabzusteigen. Aber klar, man könnte das auch komplett weglassen und Sofie und Tom erzählen, bin ich voll bei dir. Vielleicht setze ich mich da im Winter mal dran. Im Moment ist mir das zu viel :drool:

Lieben Dank dir und einen guten Start in die Woche!
RinaWu

 

Liebe Rina,
deine Dynamik ist echt beeindruckend, sowohl hier im Forum, als auch die Art, wie du deine schriftstellerische Entwicklung vorantreibst. Toll, dass ich dich auch persönlich kennengelernt habe!

Um diese Geschichte schleiche ich schon länger herum und beobachte, wie sie sich entwickelt. Die Kommentare kenne ich teilweise, habe sie jetzt nicht nochmal alle gelesen.
Ich finde das Thema gut gewählt, eine Kinderfreundschaft, sie eher sanft, nachgiebig, die perfekte Freundin für einen Jungen, der offenbar sonst nicht so gut mit anderen Kindern klarkommt. Die Beispiele mit den Sandkuchen, den Fingernägeln, dem Windspiel finde ich gut gewählt. Und dann die spannende Frage, wie entwickelt sich so eine Freundschaft? Wie tritt das Ungute an dieser Beziehung zutage. Da hast du dich jetzt für eine sehr dramatische Variante entschieden, die im Rückblick dann auch recht schnell über die Bühne geht. Das fand ich ein bisschen schade, weil so hopplahopp der Knoten durchschlagen wurde. Ich hätte mir hier auch eine längere Entwicklung vorstellen können, wäre dir da gerne gefolgt, auch weil ich deine Sprache wieder sehr mag.

Er zog die Kappe vom Stift. Erst wollte Sofie protestieren, aber dann beobachtete sie Tom gebannt dabei, wie er ihre Fingernägel anmalte. Einen nach dem anderen.

Ich glaube, die Szene hattest du anfangs knapper. Genauso wie sie seine Sandkuchen essen musste, hat er ihre Fingernägel mal schwarz angemalt. Mir hat das Knappe auch gefallen. Ich finde du hast deine Protagonistin sehr stimmig gestaltet. Auch jetzt, als Erwachsene hat sie wieder eine energischere Freundin, von der sie sich an die Hand nehmen lässt. Sie hat Angst die Kellertreppe herunter zu gehen. Auch die Sprache, das Sensible, Verspielte. Das passt einfach alles so gut, dass ich dir das auch so völlig abgekauft hätte, dass er ihr halt damals die Fingernägel schwarz gemalt hat.

Ihre Mutter konnte Tom nie leiden.

Passt gut. Verständlich.

Sofie sieht Marie regelrecht vor sich, wie sie oben in der Küche steht.

Das "regelrecht" als nicht so poetisches Füllwort weg?

Das Windspiel liegt leicht in ihrer Hand. Verknotete Fäden, die Farben der Plättchen sind stumpf geworden. Es riecht nach ihm. Alles in diesem Karton, ihre halbe Kindheit.

Ich glaube, ich bin hier nicht die Erste, das mit dem Geruch hat mich rausgebracht. Ich denke auch, die Sachen müssten schon lange den Geruch den Kellers angenommen haben, den du ja auch vorher so eindringlich beschreibst.

Die Szene am Fluss kommt mir dann, wie gesagt zu schnell und zu dramatisch. Ich hatte sie als Versuch einer Vergewaltigung gelesen, ich glaube, irgendwo schreibst du, er will sie nur küssen. Das liest sich weniger nach sexueller Gier bei ihm sondern nach Eifersucht, Besitzanspruch. Da ist ja wirklich Gewalt im Spiel. Jedenfalls könnte ich mir das Ganze etwas subtiler und etwas mehr vorbereitet vorstellen, erste Anzeichen, dass sich was ändert, als sie Richtung Pubertät gehen.

Tom war stark und schwer, sie schaffte es nicht, ihn abzuwerfen.

Hier dachte ich flüchtig, ob er vielleicht übergewichtig ist, vielleicht als Kind schon war und das jetzt in der Pubertät noch schwieriger wird für ihn.

Ein Lächeln huschte über Toms Gesicht.

Hier scheint er ihre Angst zu genießen und damit machst du ihn natürlich sehr unsympathisch. Also echt ein ätzender, besitzergreifender Typ. Wenn da auch Verzweiflung bei ihm wäre, Angst sie zu verlieren, würde er hier nicht lächeln. Dadurch wird er jetzt als Charakter doch ziemlich flach.

Alles war überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.

Sehr schön angedeutet, was passiert ist. Raffiniert.

Also, ich habe deine Geschichte gerne gelesen, auch wenn ich wieder mal am Plot rumgemäkelt habe, sorry. Ich finde, sie funktioniert so, hätte aber durchaus Potential zu mehr.

Und ganz herzlichen Glückwunsch zu deinen neuesten Veröffentlichungen, Rina. :)

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe @Chutney

Schön, von dir zu lesen!! Danke, dass du dir Zeit für meine Geschichte genommen hast!

deine Dynamik ist echt beeindruckend, sowohl hier im Forum, als auch die Art, wie du deine schriftstellerische Entwicklung vorantreibst
Oh, danke! :kuss: Ich habe das ja bei unserem Treffen angedeutet, das Schreiben ist seit einem Jahr eine große Kraftquelle für mich. Hat mir durch 'ne schwere Zeit geholfen. Vielleicht kommt daher auch die Dynamik, also man will dann auch weiterkommen und so. Keine Ahnung, manchmal erschöpft mich das, denn man wird schon auch oft abgewiesen, aber wenn dann diese kleinen Erfolge ab und zu an die Tür klopfen, dann ist man wieder neu motiviert :)

Ich glaube, die Szene hattest du anfangs knapper. Genauso wie sie seine Sandkuchen essen musste, hat er ihre Fingernägel mal schwarz angemalt. Mir hat das Knappe auch gefallen.
Um diese Szene bin ich selbst lange herumgeschlichen - und tue es noch. Denn ich bin da eigentlich bei dir, für mich hat das Knappe auch gereicht. Weil es eben so viel aussagt über die Dynamik zwischen den beiden, dass sie nicht protestiert, sondern ihn einfach machen lässt. Ich lasse da gerade noch einiges sacken, mal sehen, ob ich hier nicht wieder verknappe.

Das "regelrecht" als nicht so poetisches Füllwort weg?
Auch das ist bei den zahlreichen Überarbeitungen mit reingerutscht, weil ich dann das Gefühl hatte, es ist nicht ganz klar, dass Sofie Marie nur vor ihrem inneren Auge hat. Wirklich schön ist das nicht, das stimmt.

Ich glaube, ich bin hier nicht die Erste, das mit dem Geruch hat mich rausgebracht. Ich denke auch, die Sachen müssten schon lange den Geruch den Kellers angenommen haben, den du ja auch vorher so eindringlich beschreibst.
Ja, hier kämpfe ich. Genauso wie bei dem im Mund knirschenden Staub ganz am Anfang. Das sind beides sensorische Empfindungen, die sie rein logisch betrachtet nicht haben kann. Aber in diesem Moment da unten im Keller, da hat sie auf einmal das Gefühl, es knirscht in ihrem Mund, es riecht nach Tom. Sie erlebt in diesen Moment eine Art sensorische Erinnerung, keine bildhafte. Das ist mir wichtig und möchte ich stehen lassen.

Wenn da auch Verzweiflung bei ihm wäre, Angst sie zu verlieren, würde er hier nicht lächeln. Dadurch wird er jetzt als Charakter doch ziemlich flach.
Stimmt! Da denke ich auch noch einmal drüber nach, ist ein guter Punkt.

Ich finde, sie funktioniert so, hätte aber durchaus Potential zu mehr.
Ja, @zigga hat auch schon gesagt, es wäre interessant, tiefer in diese Entwicklung Sofie-Tom reinzugehen. Ich hab da auch Lust drauf. Vielleicht bastel ich daraus noch was ganz anderes, wenn ich mich dem gewachsen fühle. Ich verstehe auf jeden Fall, was du meinst.

Und ganz herzlichen Glückwunsch zu deinen neuesten Veröffentlichungen, Rina.
Danke, meine Liebe!

Bis ganz bald,
liebe Grüße
RinaWu

 

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