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Kellerkiste

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21.04.2015
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Kellerkiste

Es riecht muffig hier unten. Nach Erde und feuchtem Stein. Die Natur drückt sich von außen gegen die alten Mauern des Hauses. Früher hatte Sofie Angst davor, die knarrende Treppe in den Keller hinunterzusteigen, meistens gingen dann ihre Eltern.
Nach der Beerdigung ihrer Mutter ist sie hierher zurückgekommen, ist immer wieder durchs Haus gewandert. Sie hat alles durchgesehen, jeden Schrank, jede Kommode, hat Schubladen auf- und wieder zugeschoben.
Seit zwei Tagen ist Marie da – süße, laute Marie. Dreißig Jahre ist es her, dass sie das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen. Nun hilft sie ihr dabei, die Kisten zu packen, die Zimmer auszuräumen.
Staubkörner tanzen im Lichtkegel der Lampe. Es knirscht im Mund, wenn Sofie die Zähne zusammenbeißt. So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.
Sie verschränkt die Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere. Die Innenflächen sind feucht. Die Nägel spröde, der Lack ist an einigen Stellen abgeplatzt.

Mit neun entdeckt sie die kleinen bunten Fläschchen in dem Schrank unterm Waschbecken. Wählt Pink. Ihre Hand zittert, als sie die Farbe aufträgt, an manchen Stellen malt sie daneben.
Tom kneift die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz treffen und einander gegenüber auf die Wippe setzen. Nach einer Weile sagt er, sie solle kurz warten, er müsse schnell was holen. Er kommt mit einem Edding zurück, hockt sich auf ihre Seite der Wippe und bittet sie, die Hände ausgestreckt aufs Holz zu legen. Er zieht die Kappe vom Stift. Sofie will protestieren, aber dann beobachtet sie Tom gebannt dabei, wie er ihre Fingernägel anmalt. Einen nach dem anderen.
Abends bemerkt ihre Mutter die schwarzen Nägel und zieht Sofie ins Bad. Sie tränkt Wattepads mit Nagellackentferner und reibt damit so lange hin und her, bis die dünne Haut an Sofies Fingerspitzen ganz rot ist und jegliche Farbe verschwunden.

„Hast du dich verlaufen da unten?“, ruft Marie aus der Küche.
„Komme gleich.“
„Mach keine Wissenschaft draus. Hauptsache, der Wein knallt.“
Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Sie geht vor dem Regal in die Hocke und sieht die Weinflaschen durch. Irgendwo muss er sein, dieser weiche, würzige Rote, der so gut zu Rinderfilet passt.
Hinter ihr klirrt etwas. Sie fährt herum. An der gegenüberliegenden Wand, auf Omas Kommode, steht die Kiste, die Sofie vor Jahren hier abgestellt hat.
Sie richtet sich auf. Da ist es wieder. Leise nur. Sie denkt an Mäuse, die zwischen weggepackten Erinnerungen umherklettern.
Langsam geht sie auf den Karton zu, legt die Hände darauf und lauscht. Die alten Backsteine dünsten Feuchtigkeit aus, sie kann sie sehen. Hauchdünner Nebel, der sich auf die Haut legt. Sofie reibt sich über die Arme und betrachtet die Kiste.
Sie ist nicht beschriftet.
„Sag mal, brauchst du Hilfe?“
Sofie sieht Marie regelrecht vor sich, wie sie oben in der Küche steht. Die senkrechte Falte zwischen ihren Augenbrauen, das leichte Zucken der Mundwinkel. Spürt den Blick, diesen schweren Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.
„Ich sag’ doch, ich bin gleich da!“
„Ist ja gut, entspann dich.“ Marie schnalzt mit der Zunge. „Ich geh’ eine rauchen.“
„Mach das.“
Sofie hört, wie sich die Terrassentür öffnet und wieder schließt.
Der Karton fühlt sich klamm an, als sie ihn öffnet. Sie greift hinein.

An ihrem zehnten Geburtstag steht Tom im Garten, tritt von einem Bein aufs andere und hält ein unförmiges Geschenk in der Hand. Immer wenn er sich bewegt, klirrt es leise.
Als Sofie ihn begrüßt, nimmt er ihre Hand und zieht sie um die Hausecke. Er mag die anderen Kinder nicht besonders.
„Pack aus!“ Er sieht sich immer wieder um.
Vorsichtig zieht sie das Windspiel aus der Verpackung und hält es hoch.
„Meine Mutter sagt, es klimpert, wenn jemand an dich denkt“, sagt er.
Er sieht sie an, die braunen Augen weit geöffnet. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange, zieht ihn hinter sich her – die Treppe hinauf in ihr Zimmer – und sie hängen das Windspiel an die Lampe über dem Bett.
Manchmal, mitten in der Nacht, bewegt es sich sachte, das Klirren weckt Sofie auf. Sie liegt da und beobachtet die dünnen Schnüre, an denen die Glasstücke hängen.

Das Windspiel liegt leicht in ihrer Hand. Verknotete Fäden, die Farben der Plättchen sind stumpf geworden. Es riecht nach ihm. Alles in diesem Karton, ihre halbe Kindheit.
Die Decke des Kellers sackt herab, Sofie fasst sich an den Hals und schnappt nach Luft. Sie wirft das Windspiel zurück in die Kiste, fährt sich mit der Hand durch die Haare. Sie sind feucht. Wie an dem Morgen, als sie im Wald Verstecken spielten und Sofie sie sich immer wieder aus dem Gesicht strich. Alles war von einem feinen Film überzogen, die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.
Ihr Herz schlägt gegen den Brustkorb, pocht hinauf bis in den Hals. Sie will schlucken, doch es geht nicht. Um sie herum verschwimmen die Konturen. Sofie leckt sich über die Lippen, spröde Haut unter ihrer Zunge. Sie sieht hinter sich, doch da ist nur das Weinregal. Dreht sich um, schaut wieder in den Karton, da ist Tom. Die Briefe, die er ihr geschrieben, die Bilder, die er gemalt hat, ausgedachte Schatzkarten, Kastanientiere. Sie flüstern, sie kriechen aus der Kiste, erzählen eine Geschichte, die tief begraben liegt.
Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Regal, eine Flasche Rotwein fällt heraus, zerschellt am Boden.

Sie spürt sein Glühen, als er sie von zu Hause abholt. Irgendetwas hat ihn verärgert. Als sie ihn fragt, winkt er nur ab und zieht sie mit sich.
Sofie will ihn aufheitern, Verstecken spielen, wie früher. Sie kauert unter einer großen Tanne und traut sich kaum zu atmen. Er springt aus dem Dickicht, wirft sie um und drückt sie zu Boden. Presst ihre Hände in die feuchte Erde. Seine Augen, da ist was, das Sofie nicht kennt. Etwas, das sich in sie hineinbohrt. Ihr wird schlecht. Tom ist stark und schwer, sie schafft es nicht, ihn abzuwerfen. Er küsst sie auf den Mund, die Wangen, die Ohren – den Hals. Sofie wirft den Kopf von einer Seite auf die andere. Seine Lippen nass und kalt.
„Lass das!“, brüllt sie.
„Mit Julian machst du’s doch auch!“
Sofie versucht, Tom zu beißen, strampelt wie wild. Ihr Knie trifft ihn im Schritt, der Griff lockert sich und sie rennt los. Schlägt Äste zur Seite, stolpert über Wurzeln, rennt weiter. Weg von dem Knacken und Fluchen, das ihr durch den Wald folgt.
Er ist dicht hinter ihr, erwischt mal ihre Haare, den Saum der Regenjacke, ihre Hand. Am Fluss holt er sie ein. Die starken Regenfälle der letzten Tage haben ihn in einen tosenden Strom verwandelt. Sofies Flehen ist kaum zu hören. Langsam kommt Tom auf sie zu, kaum zwei Armlängen trennen sie noch. Sie kreisen umeinander. Ein Lächeln huscht über Toms Gesicht. Sofie schreit. Schreit all ihre Angst und Verzweiflung hinaus, stürmt auf ihn zu und stößt ihn weg. Überrascht taumelt er zurück, rudert mit den Armen, stolpert. Alles ist überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.

Maries Schritte auf der Kellertreppe hallen dumpf in Sofies Kopf. Sie kauert in der Ecke, presst die Hände auf die Ohren und hält die Augen geschlossen. Die Wände kommen näher. Sie kann sich nicht bewegen.
„Ach du Scheiße!“
Marie riecht nach Zigaretten, vertreibt den Geruch nach Erde und feuchtem Stein. Sofie öffnet die Augen, sieht an ihr vorbei.
„Ich wollte das nicht.“
Marie dreht sich um, wirft einen Blick auf die Kiste und wendet sich wieder Sofie zu. „Ich dachte, du hast die schon lange …“
„Bring sie weg.“
„Aber was –“
„Bring sie weg!“
„Komm mit nach oben.“ Sie packt Sofie am Ellenbogen und zieht sie hoch. Langsam steigen sie die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt wird das Flüstern leiser. Sofie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Tut mir leid.“
„Hier!“ Marie hält ihr die Zigarettenschachtel hin und schiebt Sofie auf die Terrasse. „Ich kümmere mich um die Kiste. Und um den Wein.“
Sofie legt sich ins Gras. Die Halme kitzeln ihren Nacken, der Boden ist warm. Langsam beruhigt sich ihr Atem, sie schließt die Augen, zieht an der Zigarette.
Vor dem Haus wird etwas Schweres in eine Mülltonne geworfen, der Deckel zugeknallt.

 
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Liebe RinaWu,
schöne, stimmungsvolle neue Geschichte. Und fast genau so schön, dass nicht alles schon vollkommentiert ist. Da hat man das richtig mal das Gefühl, der Kommentar ist willkommen.
Ja, eine kleine Zeitreise, arrangiert durch einen Gegenstand, der einem unverhofft in die Finger kommt. Wer kennt das nicht. Du beschreibst sehr schön, wie sie durch das Windspiel in ein Erlebnis geschleudert wird, dem sie nicht standhalten kann.
Du zeigst sehr viel, ihre Panikattacke zum Beispiel, ihr Hineinkatapultiertwerden in ihre Kindheit bzw. Jugend. Was ich interessant fand, du zeigst viel, aber das, was sich in Sofies Kopf abgespielt haben muss, als die Erwachsenen sich mit Toms Unfall beschäftigen, das zeigst oder beschreibst du nicht. Würde mich sehr interessieren, warum du das nicht machst. Aber mir gefällt die Entscheidung. Man könnte natürlich sagen, du machst das nur, weil du dadurch die erwartete (soll keine Kritik sein, nur dass man sowas halt erwartet) "Pointe" am Schluss besser setzen kannst. Aber ein Schuft, wer das denkt. :)
Ich glaube eher, du willst, dass man dadurch den Eindruck gewinnt, dass sie seinen Übergriff damals vermutlich verheimlicht hat und dass sie dadurch die die ganze traumatische Begebenheit nicht richtig verarbeiten konnte. Ihre Gegenwehr erhielt den Beigeschmack der Schuld. Und das spürt man noch heute. An dem Nebel, der Feuchte, die alles durchdringt.

Wenn ich zwei Sachen antippen darf: Mir ist das mit der Feuchtigkeit manchmal bisschen viel geworden. Ich hab (das war dann ganz zum Schluss) gedacht, aber RinaWu, ich weiß doch schon, dass das Nebelige, Feuchte, auch in ihre Seele gesickert ist. Kannst ja mal schauen, ob sich da noch mehr Kritiker anschleichen mit derselben Meckerei. Sonst verbuch es unter Geschmack.

Was ich wichtiger finde, mir ist nicht ganz klar gewesen, wer die Marie ist. Eine Freundin? Die Schwester? Eine Lebensgefährtin? Sie scheint jedenfalls mit dem Schicksal Sofies vertraut zu sein. Scheint auch da zu wohnen? Irgendwie war mir auch nicht ganz klar, ob Sofie in dem Haus lebt. Sie wirkt dort gar nicht so heimisch. Oder geht sie nur nicht gerne in den Keller?
Das ist alles normalerweise was Nebensächliches, ich brauch sowas nie so genau zu wissen, aber irgendwie hat es mich hier gestört, weil ich keine Ortsbestimmung für die Protagonistin hingekriegt habe. Das wirkte verschwommen, aber nicht gewollt oder gezielt verschwommen, wenn du verstehst, was ich meine, sondern so versehentlich. Ich weiß auch nicht genau, ob ich es festmachen kann an bestimmten Sätzen, daher dieser recht allgemeine Eindruck.

Und hier noch ein paar Details en passant:

Als drücke sich die Natur von außen gegen die alten Mauern des Hauses, um ins Innere des Kellers zu gelangen.
Du spielst ja sehr mit der Feuchtigkeit, der Kühle, diesem Sinneseindruck, den Sofie wohl ab jetzt immer mit der Erfahrung von damals verbunden hat. Generell finde ich das gut, aber hier kriege ich das Gefühl, das ist gar nicht der Keller des Hauses, in dem sie lebt, sondern ein fremder Keller. Ich würde das iwie klarer machen, wie du das meinst. Prinzipiell käm es schon gut, wenn man durch die Beschreibung mitkriegt, dass sie eher selten in den Keller geht. Hier wirkt die Beschreibung sehr distanziert. Du bist ja als personaler Erzähler nah an ihr dran. Da würde sie doch iwie zum Ausdruck bringen, dass es ihr Keller ist.
Fürs erste würde ich glaube ich den Satz umstellen und den Keller nach vorne nehmen:
Es riecht muffig im Keller. Nach Erde und feuchtem Stein. Als drücke sich die Natur von außen gegen die alten Mauern des Hauses.

Die Luft schmeckt sandig. Es knirscht im Mund, wenn sie die Zähne zusammenbeißt.
Den ersten Satz "Die Luft schmeckt ..." würde ich streichen. Er wiederholt nur den zweiten, der zweite ist aber wesentlich sinnlicher.

Verschränkt die feingliedrigen Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere.
Wie gesagt, du bist mit deiner personalen Erzählerin nah an der Sofie dran. Würde die die Feingliedrigkeit ihrer Hände bemerken oder erwähnen? Ich find das nicht schön.

Tom kniff die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz trafen und sie sich ihm gegenüber auf die Wippe setze.
setzte

Die alten Backsteine der Kellerwände dünsten Feuchtigkeit aus, sie kann sie sehen. Hauchdünner Nebel. Sofie reibt sich über die Arme und schaut auf die Kiste hinunter.
Ich weiß nicht, sieht man die Feuchtigkeit im Keller als Nebel? Ich hätte kein Problem, würdest du das in einen Vergleich stecken: Die alten Backsteine der Kellerwände (weiß ich doch, dass die Sofie und ich im Keller sind) dünsten Feuchtigkeit aus, sie kann sie sehen. Wie einen hauchdünnen Nebel, der sich auf ihre Arme legt. Sofie reibt sich über die Haut und schaut auf die Kiste hinunter.
Oder so ähnlich.

So wie damals, als Tom immer zum Spielen vorbeikam und sie den Kuchen essen musste, den er im Sandkasten buk.
Der Tom ist ja eine Nummer. Ich habe hier zuerst gedacht, dass sie, also die Sofie, die Erwachsene ist, und dem kleinen Tom zu Gefallen so tut, als esse sie Sandkuchen. Dem Kind seinen etwas schrägen Willen lässt. Aber sie stopft sich ja in echt den Sand in den Mund, nur weil der Tom sonst anscheinend einen Anfall kriegt oder was. Irgendwie fehlt mir hier ein winziger Hinweis, der das "musste" belegt. Im Nachhinein (also durch die Geschichte) stelle ich mir den Tom natürlich als einen etwas seltsamen, herrschsüchtigen und sehr unsicheren Charakter vor. Sehr unsicher ja, aber eben auch furchtbar dominant und fast quälerisch auch schon hier, wenn er sie dazu bringt, den Sandkuchen zu essen. Aber das ist jetzt schon sehr im Nachhinein gedacht. Aber allein durch das "musste" kriegst du das aus meiner Sicht nicht hin, dass das Bestimmerische von Tom durchdringt. Vielleicht würde ich ein winziges Bisschen mehr in diese sandige Erinnerung gehen?
Anbei, das mit dem schwarzen Edding ist cool, weil das genau ein Beispiel für dieses Schräge, Übergriffige Toms ist. Aber eben auch noch im Bereich des Normalen.

Er mochte die anderen Kinder nicht besonders. Als Sofie ihn begrüßte, nahm er ihre Hand und zog sie um die Hausecke.
Auch das ist cool. Es kommt raus, er will sie ganz für sich haben. Ist iwie was Tolles, so eine Alleinstellung zu haben, aber gleichzeitig auch beängstigend.
Ich würde nur den Satz mit den anderen Kindern nach hinten stellen. Dann knallt der mehr.

Die Decke des Kellers sackt herab, Sofie fasst sich an den Hals und schnappt nach Luft. Sie schmeißt das Windspiel zurück in die Kiste, fährt sich mit der Hand durch die Haare. Sie sind feucht. Sie starrt auf ihre Hand. Fährt sich erneut durch die Haare. Doch, sie fühlen sich feucht an. Wie an dem Morgen, als sie im Wald Verstecken spielten und Sofie sie sich immer wieder aus dem Gesicht strich. Alles war von einem feinen Film überzogen, die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.
Da beginnt jetzt ihre Zeitreise.
Generell würde ich da mal die Satzanfänge prüfen. Die beginnen sehr oft mit dem Subjekt, und wenn das dann auch noch ein Personalpronomen ist, klingts kacke.
Nur eine kleine Anmerkung: "schmeißt" das Windspiel. Schmeißt ist so ein Umgangswort. "Wirft" finde ich viel besser und es zeigt dasselbe.
Und bei den Haaren würde ich "sind" und "fühlen sich" umstellen, damit das Reinrutschen in die Erinnerung schwerer wuchtet und die Erinnerung zunehmend wie Realität wirkt.
Sie fühlen sich feucht an. Sie starrt auf ihre Hand. Fährt sich erneut durch die Haare. Doch, sie sind feucht.

Sie holt tief Luft, atmet langsam aus. Versucht es noch mal. Ihr Herz klopft immer schneller, sie schluckt, sieht hinter sich, doch da ist nur das Weinregal, schaut wieder in den Karton, da ist Tom. Die Briefe, die er ihr geschrieben, die Bilder, die er gemalt hat, ausgedachte Schatzkarten, Kastanientiere. Sie flüstern, sie kriechen aus der Kiste, erzählen eine Geschichte, die tief begraben liegt.
Was ich an dem Absatz spannend fand, ist "da ist Tom". Das hat was.
Ansonsten geht es mir hier ähnlich wie vorher, ich fühle mich da oft gestoppt durch die knappen Sätze, die sehr aufzählend wirken, ich mach das glaub auch furchtbar oft, aber das heißt ja nicht, dass das gut ist. :) Also ich fände es schöner, wenn du in so eine Körpererfahrung reingehen würdest, wie fließt ihr Atem denn jetzt, wenn sie so langsam ausatmet, kann sie überhaupt schlucken, wie fühlt sich das im Hals an, wenn man schlucken will und muss, aber nicht kann. Was ich dann stark fand, das ist wie gesagt dieses ganze Erinnerungsszeug, das aus der Kiste kriecht.

Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Sie senkt den Blick. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus.
Wieder das Problem mit den Sätzen, aber hier fand ich es besser. Nur guck doch trotzdem mal: Immer wieder sehr knappe, kurze Sätze, auch wenn Aufzählungen eingebaut sind. Und immer wieder mit dem Subjekt begonnen. Einfach mal für uns alle beide zum Arbeiten am eigenen Stil. Naja, jedenfalls, wenn ich mal wieder überhaupt schreibe.

Unter einer großen Tanne kauerte sie und traute sich kaum, zu atmen.
Ich würd kein Komma vor zu atmen setzen. Man kann zwar, wenn ich die Infinitivregeln noch im Kopf habe, aber hier gliederts ja nicht wirklich. Aber prüf mal.

Als sie am Fluss ankamen, holte er sie ein. Er packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf und stieß ihn von sich. Er taumelte rückwärts, wedelte mit den Armen. Alles war überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.
Wenn er sie einholt, wenn sie genau vor dem Fluss ist, und sie ihn von sich stößt, müsste er vom Fluss wegfallen, also dorthin, wo er grad herkommt. Da fällt er also nicht in den Fluss. Es fehlt also eine Drehung, damit er mit dem Rücken zum Fluss zu stehen kommt. Denn ich nehme stark an, der Unfall besteht darin, dass Tom in den Fluss stürzt.


RinaWu, ich habe es echt gerne gelesen. Eine spannende, bedrückende Geschichte. Manchmal ist es wohl besser, man lässt die Erinnerungen ruhen.
Viele Grüße von Novak

 

HI @RinaWu

Mensch, du bist ja fleißig zur Zeit!

Kellerkiste, da muss ich irgendwie an die Büchergrube denken. Aber, nein ... es geht um etwas ganz anderes.

Schauen wir erstmal in den Text, bevor ich etwas zum Inhalt sage. Ich bin grade furchtbar unromantisch und analytisch ... Ich entschuldige mich schon mal vorher.

Als drücke sich die Natur von außen gegen die alten Mauern des Hauses, um ins Innere des Kellers zu gelangen.
Es scheint ja nicht nur so, die Feuchtigkeit von draußen dringt ja tatsächlich durch die Wände in den Keller. Natur ist natürlich etwas mehr als nur Wasser, aber irgendwie ist mir etwas unrund.

Sofie beobachtet die winzigen Staubkörner, die durch den Lichtkegel der Lampe tanzen.
Ich versuche dir zu folgen. Stelle mir vor ich gehe in einen alten, muffigen Keller. Dieses Bild passt für mich nicht dazu. Staub tanzt dort in der Luft wo er aufgewirbelt wurde, z.B. im Schlafzimmer nach dem Bettenmachen, wenn die Sonne grade hell hereinscheint. Aber warum sollte er dort in dem Keller tanzen?

Die Luft schmeckt sandig. Es knirscht im Mund, wenn sie die Zähne zusammenbeißt.
Kann das tatsächlich passieren? Dass die Luft so staubig ist, dass man das im mund spürt? Hatte ich noch nie und finde ich unglaubwürdig. Sagst du das nur, damit du eine Überleitung zu dem Sandkuchen von Tom hast?

Sofie sieht auf ihre Hände hinunter. Verschränkt die feingliedrigen Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere.
Ich frage mich warum sie das tut. Warum steht sie im Keller und verrenkt die Finger? Ist sie nicht dort runtergegangen um etwas zu holen? Bis jetzt lässt du den Leser ziemlich in der Luft hängen, liebe Rina.

Er fand dunkle Farben besser.
Das finde ich eine merkwürdige Aussage für einen kleinen Jungen. Er mag generell dunkle Farben lieber? Oder nur als Nagellack. Finden Jungs Nagellack nicht generell merkwürdig?

Sie erinnert sich
Kann weg, das sind ja alles Erinnerungen.

Sie brachte Sofie ins Bad, wo sie ihr die Hände mit einer harten Bürste unter heißem Wasser schrubbte.
Hier könnte man auch kürzen. Sie schrubbte einfach im Bad

Nach dem ersten Absatz ist klar. Das ist etwas passiert mit Tom. Etwas schlimmes. Sofie habe ich bisher nicht kennengelernt.

Maries Lachen kriecht die Treppe hinunter, wird immer leiser und stirbt vor Sofies Füßen.
Ich finde es schön, dass du unverbrauchte Beschreibungen suchst, aber das funktioniert für mich nicht. Entweder hört Sofie das Lachen oder nicht.

sie kann sie sehen. Hauchdünner Nebel.
Da runzel ich auch die Stirn. Wirklich? Sie kann den sehen? Wieder kommt es mir vor als wäre der Nebel nur dort, um als Überleitung in die nächste Erinnerungen zu funktionieren.

Sie ist nicht beschriftet.
Merkwürdiger Zusatz. Warum sollte sie das sein?

„Ich geh’ eine rauchen.“
Immer diese Raucher ... :dagegen:

„Meine Mutter sagt, es klimpert, wenn jemand an dich denkt“, sagte er.
Das ist süß.

die dunklen Augen
Er mag dunkle Farben, hat dunkle Augen, mag sonst keine Menschen. Wahrscheinlich trägt er nur schwarz und einen Raben auf der Schulter. :p

fing es an, sich sachte zu bewegen
Ich denke mir oft, dass man „anfangen“ in Geschichten fast nie braucht. Lass es sich doch einfach bewegen.

Es riecht nach ihm.
Glas und Fäden riechen nach jemandem? Glaube ich nicht. Und dass der Rest nach ihm riecht, in einem feuchten Keller, glaube ich leider auch nicht.

Sie rannten in den Wald, Sofie versteckte sich als Erste.
Ich krieg nicht ganz zusammen wie alt die beiden sind. Sie spielen noch verstecken, aber es geht schon um Küsse, um Eifersucht.

wedelte mit den Armen
Wedelte erscheint mir an der Stelle zu harmlos. Vielleicht rudern?

Es tut mir sehr leid, aber mich überzeugt die Geschichte nicht wirklich. Dabei geht es mir hauptsächlich um den Inhalt. Er wirkt auf mich sehr konstruiert.
Diese ganzen Erinnerungen an Tom, die Sofie sofort überfallen als sie die Treppe runtergeht
Staub in der Luft => Sandiges Gefühl => Sandkuchen von Tom
Knetende Hände => Nagellack => Edding von Tom
Nebel im Keller => Nebel im Wald => Rutschig => Toms Tod

Und dann der Tom. Der scheint ja ein ganz zwielichtiger Geselle zu sein. Und alle wundern sich wie die brave Sofie mit so jemandem befreundet sein kann. Und natürlich wird er dann tatsächlich böse.

Ich lerne Sofie nicht wirklich kennen. Geht sie sonst nicht in diesen Keller? Warum überkommt es sie gerade heute? Es ist ja nicht erst die Kiste die sie erinnert, schon Staub und ihre Hände reichen aus. Bedeutet das, dass sie öfters Panikattacken bekommt? Wenn das so ist, frage ich mich warum sie sich der Kiste überhaupt nähert. Oder warum sie nicht Marie in den Keller schickt.

Ach es tut mir wirklich leid, dass mein Gehirn heute nicht so richtig zu deiner Geschichte passen will. Ich denke wahrscheinlich wieder zu viel, aber mir fällt es heute einfach schwer mich einfach darauf einzulassen, dafür ist mir zu viel unstimmig.
Vielleicht ist trotzdem etwas hilfreiches für dich dabei.

Liebe Grüße,
NGK

 
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Liebe @Novak

Du bist einfach der Wahnsinn. Habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut, danke! Und ich freue mich noch mehr darüber, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Ich habe sie schon im letzten Jahr geschrieben, hatte sie für eine Anthologie eingereicht, wo sie auch genommen wurde, aber in leicht anderer Form, und habe sie jetzt noch einmal überarbeitet, um mich hier eurem Urteil zu stellen.

Was ich interessant fand, du zeigst viel, aber das, was sich in Sofies Kopf abgespielt haben muss, als die Erwachsenen sich mit Toms Unfall beschäftigen, das zeigst oder beschreibst du nicht. Würde mich sehr interessieren, warum du das nicht machst.
Ganz ehrlich? Das kam mir schlichtweg nicht in den Sinn. Bis zu deinem Kommentar habe ich über diesen Punkt gar nicht nachgedacht. Hmm, warum das so ist, weiß ich gar nicht. Vielleicht weil mein Fokus darauf lag, was du weiter oben erwähnst: Das Auslösen von Erinnerungen, von etwas, das tief begraben liegt, durch einen Gegenstand aus der Vergangenheit.

Ich glaube eher, du willst, dass man dadurch den Eindruck gewinnt, dass sie seinen Übergriff damals vermutlich verheimlicht hat und dass sie dadurch die die ganze traumatische Begebenheit nicht richtig verarbeiten konnte.
Das spielt jedoch auf jeden Fall eine Rolle. In meiner Vorstellung (die natürlich keine Allgemeingültigkeit hat), hat Sofie nur von dem Unfall erzählt. Alles andere hat sie in sich vergraben. Aus Scham.

Mir ist das mit der Feuchtigkeit manchmal bisschen viel geworden. Ich hab (das war dann ganz zum Schluss) gedacht, aber RinaWu, ich weiß doch schon. Kannst ja mal schauen, ob da noch mehr Kritiker anschleichen mit derselben Meckerei. Sonst verbuch es unter Geschmack.
Oha, da musste ich jetzt schmunzeln. Okay, schaue ich mir auf jeden Fall noch einmal an.

Das ist alles normalerweise was Nebensächliches, ich brauch sowas nie so genau zu wissen, aber irgendwie hat es mich hier gestört, weil ich keine Ortsbestimmung für die Protagonistin hingekriegt habe. Das wirkte verschwommen, aber nicht gewollt oder gezielt verschwommen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich weiß auch nicht genau, ob ich es festmachen kann an bestimmten Sätzen, daher dieser recht allgemeine Eindruck.
Ja, da hast du recht. Das hatte ich alles nur im Kopf, wollte auch nicht zu viel erklären. Habe das nun am Anfang mit so wenig Worten wie möglich versucht. Wer genau Marie ist, spielt finde ich tatsächlich aber keine so große Rolle. Sie ist auf jeden Fall eine Vertraute, ich glaube, mehr Info braucht es da nicht.

Deine sprachlichen Anmerkungen waren toll. Ich habe die meisten umgesetzt, bzw. es zumindest versucht. Unter anderem, als sie ihre Panikattacke bekommt, da habe ich noch einmal genau hingesehen und versucht, die aufzählende, sehr abgehackte Erzählweise fließender zu machen. Auch die Szene am Fluss habe ich noch einmal angepackt, damit das vom Ablauf klarer ist. Danke für die Hinweise!

Tom, ja, da wollte ich wirklich versuchen, mit so wenig Erklärungen wie möglich zu arbeiten. Gutes Beispiel dafür ist der Satz, dass sie die Sandkuchen essen musste, die er ihr buk. Ich behaupte jetzt einfach mal, hier braucht es keine weitere Erklärung. Allein aus dem musste ergibt sich, dass er ansonsten auf eine Art reagiert hätte, der Sofie auf jeden Fall aus dem Weg gehen wollte. Hier noch mehr ins Detail zu gehen, ruft bei mir irgendwie die Befürchtung hervor, dass es dann zu erklärend wirkt und das Unangenehme, das ich um Tom herum kreieren wollte, schwächt. Ich lasse den Satz daher mal so stehen.
Ich sehe ihn auch tatsächlich nicht als "den unheimlichen Spielkameraden" oder so, sondern als einen speziellen Jungen, der durch seine Art sowohl gute, als auch bedrückende Gefühle bei ihr auslöst. Damit kann sie umgehen, so lange sie Kinder sind, aber als sie dann langsam in die Pubertät kommen und andere Jungs auf eine andere Weise interessant werden, kippt diese Beziehung. Auch dass es zu dem Unfall kommt, sehe ich eher als eine tragische Verkettung von konfusen Gefühlen, mit denen beide nicht umgehen können. Dass der Unfall sie dennoch so verfolgt, hat eventuell damit zu tun, dass sie viel verdrängt hat, dass sie sich als Kind schlecht fühlte für die unangenehmen Gefühle, die sie manchmal durch Tom hatte, die dann nach dem Unfall zu schlimmen Schuldgefühlen und auch einer Art Scham werden.

RinaWu, ich habe es echt gerne gelesen. Eine spannende, bedrückende Geschichte. Manchmal ist es wohl besser, man lässt die Erinnerungen ruhen.
Vielen Dank! Ja, manchmal ist das wohl besser!

Hab noch einen tollen Tag.
Liebe Grüße!


Hey @Nichtgeburtstagskind

auch dir lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich nehme mal kurz das Ende vorneweg:

Ach es tut mir wirklich leid, dass mein Gehirn heute nicht so richtig zu deiner Geschichte passen will. Ich denke wahrscheinlich wieder zu viel, aber mir fällt es heute einfach schwer mich einfach darauf einzulassen, dafür ist mir zu viel unstimmig.
Entschuldigen brauchst du dich schon mal gar nicht, das mal als Erstes. Ich fühle aber auch, dass wir hier an unterschiedlichen Ufern stehen (tolles Bild, wegen dem Fluss in der Geschichte, höhöhö), was diesen Text betrifft. Du liest sehr genau und das finde ich toll. Manchmal schränkt das Anayltische aber das Lyrische ein wenig ein, finde ich. Jeder liest und betrachtet Texte anders und das ist super interessant, aber da gehen die Meinungen dann eben auch auseinander.

Ich zeige dir mal, was ich meine an ein paar Beispielen:

Es scheint ja nicht nur so, die Feuchtigkeit von draußen dringt ja tatsächlich durch die Wände in den Keller. Natur ist natürlich etwas mehr als nur Wasser, aber irgendwie ist mir etwas unrund.
Ich schreibe ja auch nicht, dass es so scheint, als würde die Feuchtigkeit in den Keller dringen. Sondern ich schreibe, dass es scheint, als drücke die Natur sich von außen an die Hauswände. Das ist ein Unterschied, finde ich. Ich möchte damit natürlich ein Bild erzeugen, das nicht komplett real ist, das aber in diesem Moment in Sofies Kopf entsteht. Der Gedanke, dass die schwere Erde, Baumwurzeln, die Natur im Erdreich, gegen die Wände drückt, ein beengendes Gefühl entsteht.

Staub tanzt dort in der Luft wo er aufgewirbelt wurde, z.B. im Schlafzimmer nach dem Bettenmachen, wenn die Sonne grade hell hereinscheint. Aber warum sollte er dort in dem Keller tanzen?
Also, da muss ich aber widersprechen. Wenn ich in dem Haus meiner Oma in den Keller ging und die Glühbirne anmachte, dann haben alleine meine Bewegungen in diesem Raum, in dem es sonst keine Bewegung gibt und in dem der Staub sich schon eine ganze Weile angesammelt hat, Staubkörner im Licht der Lampe tanzen lassen.

Kann das tatsächlich passieren? Dass die Luft so staubig ist, dass man das im mund spürt? Hatte ich noch nie und finde ich unglaubwürdig. Sagst du das nur, damit du eine Überleitung zu dem Sandkuchen von Tom hast?
Nein, kann es natürlich nicht. Das hier ist ein gutes Beispiel dafür, was ich meine, wenn Analytisches das Lyrische beschränkt. Ich habe an Literatur, also vornehmlich an fiktionale Geschichten, nicht den Anspruch, das jeder Satz so physisch und wissenschaftlich möglich ist. Sondern dass mit bestimmten Sätzen Gefühle, Empfinden, Sinneseindrücke bildlich dargestellt werden. Und in einem Text wie diesem, wo sich Vergangenheit und Gegenwart, Sinneseindrücke und Realität vermischen, da finde ich ich, ist so eine Bildmalerei an manchen Stellen schön und notwendig. Sofie ist in diesem staubigen Raum, hinter ihr die Kiste, von der sie ja weiß, dass sie da ist, auch wenn sie das in diesem Moment noch wegschiebt, es ist klamm und riecht nach Erde, das löst in ihr Erinnerungen aus. Und eben nicht nur Erinnerungen im Kopf, sondern auch Erinnerungen ihrer Sinne. Die Luft ist trocken und plötzlich fühlt sie sich, als würde es knirschen, wenn sie die Zähne zusammenbeißt. Das mag so natürlich von rein staubiger Luft nicht gehen, in diesem Moment hat sie aber diese sensorische Erinnerung.
Ich verstehe, wenn das für dich zu konstruiert ist, mir selbst ist diese Vermischung von Wahrnehmungen, Erinnerungen und Realität aber hier wichtig.

Ich finde es schön, dass du unverbrauchte Beschreibungen suchst, aber das funktioniert für mich nicht. Entweder hört Sofie das Lachen oder nicht.
Auch so ein Bild. Ich kann da gar nicht so viel argumentieren, denn wie gesagt, hier stehen wir an gegenüberliegenden Ufern. Für mich beschreibt das herunterkriechende Lachen, das vor Sofies Füßen landet und stirbt eben wieder eine Art Gefühl. Sie hört die Freundin lachen, aber es erreicht sie nicht mehr. Sie hört diesen positiven Laut, aber er dringt nicht zu ihr durch, landet vor ihren Füßen, bevor die positive Wirkung bei ihr ankommen kann. Als ob da zwei Welten entstehen. Marie Gegenwart, Sofie gefangen in einer Erinnerung. Ist vielleicht abstrakt, vielleicht too much, ich mache das auch nicht bei allen Geschichte, bei Regenküsse zum Beispiel habe ich ja mal versucht, nur realistisch und sehr hart und nah an der Realität zu bleiben. Aber dann vermische ich das eben auch mal ganz gerne mit Formulierungen, die nicht ganz klar zu deuten sind.

Da runzel ich auch die Stirn. Wirklich? Sie kann den sehen? Wieder kommt es mir vor als wäre der Nebel nur dort, um als Überleitung in die nächste Erinnerungen zu funktionieren.
Auch hier geht es mir wie mit dem Knirschen, dass sie bei der staubigen Luft spürt. Natürlich steigt da kein Nebel aus den Wänden. Sofie jedoch sieht ihn.

So, das mal als Beispiele, wie wir hier glaube ich einfach unterschiedlich lesen. Und da verteidige ich bestimmte Formulierungen einfach. Aber ich weiß, du verstehst das.

Ich denke mir oft, dass man „anfangen“ in Geschichten fast nie braucht. Lass es sich doch einfach bewegen.
Da hast du recht, ändere ich gleich ab.

Ich krieg nicht ganz zusammen wie alt die beiden sind. Sie spielen noch verstecken, aber es geht schon um Küsse, um Eifersucht.
Ja, hier wollte ich mal sehen, ob sich das auch so erschließt, ohne dass ich zu viel erkläre. Ich habe mir da ja die Worte mancher Wortkrieger zu Herzen genommen, dass ich dem Leser mehr vertrauen soll. Ich erkläre nämlich generell immer zu viel. Als Sofie das Windspiel bekommt, ist sie zehn. Da ich die Erinnerungen ja chronologisch erzähle (erst der Sandkuchen, dann der Edding auf den Nägeln mit neun, dann der 10. Geburtstag), ging ich also davon aus, am Tag des Unfalls sind sie ca. 11. Kurz vor Anfang Pubertät eben. Ein schmaler Grat zwischen Kind und schon jungem Heranwachsenden. Daher auch das Versteckspielen, das Unschuldige, gleichzeitig aber die Eifersucht, die ja schon eher in ältere Entwicklungsstufen gehört. Wobei, wenn ich die Kinder meiner Freunde so beobachte, spielt Eifersucht durchaus schon in jüngeren Jahren eine Rolle.
Ich sehe Tom hier als Kind/Heranwachsenden, der mit Emotionen, die er noch nicht kennt, vielleicht auch generell mit Emotionen, nicht gut umgehen kann, umpulsiv reagiert, brutaler, als er es vielleicht möchte.

Wedelte erscheint mir an der Stelle zu harmlos. Vielleicht rudern?
Ja, das ist gut. Danke.

Und dann der Tom. Der scheint ja ein ganz zwielichtiger Geselle zu sein. Und alle wundern sich wie die brave Sofie mit so jemandem befreundet sein kann. Und natürlich wird er dann tatsächlich böse.
hmm, das finde ich sehr schwarz-weiß gedacht. Wo ist Tom denn zwielichtig? Und wo ist Sofie als besonders brav beschrieben? Vielleicht ist Tom einfach ein spezielles Kind. Ein "Nerd", wie man heute wohl sagen würde. Und vielleicht ist Sofie einfach jemand, die sich davon nicht abschrecken lässt, dass er ein wenig anders ist, als die anderen ...

Ich lerne Sofie nicht wirklich kennen. Geht sie sonst nicht in diesen Keller? Warum überkommt es sie gerade heute?
Das habe ich nun am Anfang der Geschichte noch etwas anders formuliert. Also ob sie sonst nie in den Keller ging. Und warum geht sie gerade jetzt - weil Marie da ist und sie einen Wein möchte. Richtig, davor war sie nicht unten. Für längere Zeit. Ich hoffe, mit dem abgeänderten Anfang wird das ein bisschen klarer. Aber auch hier will ich eigentlich nicht zu viel erklären.

Vielleicht ist trotzdem etwas hilfreiches für dich dabei.
Klar, immer. Vor allem sackt das ja die Tage noch weiter bei mir und das hilft dann bei weiteren Textüberarbeiten immer ungemein.

Liebe Grüße an dich!
RinaWu

 

HI @RinaWu,

ich bins nochmal.

Ich fühle aber auch, dass wir hier an unterschiedlichen Ufern stehen (tolles Bild, wegen dem Fluss in der Geschichte, höhöhö), was diesen Text betrifft. Du liest sehr genau und das finde ich toll. Manchmal schränkt das Anayltische aber das Lyrische ein wenig ein, finde ich. Jeder liest und betrachtet Texte anders und das ist super interessant, aber da gehen die Meinungen dann eben auch auseinander.
Ja, da hast du Recht. Jeder liest Texte anders. Trotzdem finde ich es manchmal schade, die Texte oft zu zerdenken, mich nicht so auf das Lyrische einlassen zu können. Aber auch das kann man hier lernen. Ich finde es immer super interessant, wie andere solche Texte lesen, was sie dort wahrnehmen, was ihnen gefällt. Ich kann mich da bestimmt noch entwickeln. ;)

Der Gedanke, dass die schwere Erde, Baumwurzeln, die Natur im Erdreich, gegen die Wände drückt, ein beengendes Gefühl entsteht.
Macht Sinn. Ich kenne dieses Gefühl des Unwohlseins unter der Erde überhaupt nicht, vielleicht stand ich deswegen etwas auf dem Schlauch. Ich finde den Gedanken eher positiv, im Sinne von die Natur schmiegt sich an das Haus. Und von Natur umgeben zu sein, ist für mich auch positiv. Irgendwie beschützend.

hmm, das finde ich sehr schwarz-weiß gedacht. Wo ist Tom denn zwielichtig? Und wo ist Sofie als besonders brav beschrieben? Vielleicht ist Tom einfach ein spezielles Kind. Ein "Nerd", wie man heute wohl sagen würde.
Für mich kommen die beiden Figuren in deinem Texte so schwarzweiß rüber, vielleicht versuche ich es zu erklären.
Für mich kommt Tom nicht wie ein Nerd rüber sondern eben wie ein Kind, das anders ist. Es umgibt ihn eine unheimliche Aura, die Leute fürchten ihn und am Ende erfüllt er die Erwartungen und fällt über Sofie her.

Du schreibst über Tom:

Er fand dunkle Farben besser.
Er mochte die anderen Kinder nicht besonders.
Er sah sie an, die dunklen Augen weit geöffnet.
Mir wird er zu sehr in eine Ecke gedrängt.

Und dass Sofie die Brave ist, habe ich einfach mal hier rein interpretiert:

Mama konnte Tom nie leiden.
Mir kommt es so vor, als würde Tom Sofie zu den „bösen“ Dingen anstiften und ansonsten verhält sie sich vorbildlich. Deswegen findet die Mutter Tom auch so schlimm.
Finde ich aber nicht schlimm, dass Sofie so rüberkommt.


Ich habe sie schon im letzten Jahr geschrieben, hatte sie für eine Anthologie eingereicht, wo sie auch genommen wurde,
Herzlichen Glückwunsch! In welcher Anthologie erscheint sie denn?


Liebe Grüße,
NGK

 

Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Sie senkt den Blick. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Weinregal, eine Flasche fällt heraus, zerschellt am Boden. Vor ihren Füßen breitet sich ein roter Fleck aus.

Was zunächst auffällt in dieser Tragödie,

liebe Rina,

ist der häufige Gebrauch des Adverbs „hinunter“ in den verschiedensten Zusammensetzungen

Früher konnte sie ihre Eltern bitten, die knarrende Treppe hinunterzusteigen. … Sofie sieht auf ihre Hände hinunter. …Sie erinnert sich, wie ihre Mutter mit aufgerissenen Augen auf die schwarzen Nägel hinuntersah und den Kopf schüttelte. … Maries Lachen kriecht die Treppe hinunter, wird immer leiser und stirbt vor Sofies Füßen. … Sofie reibt sich über die Arme und schaut auf die Kiste hinunter. … Sie will es hinunterschlucken, dieses Pochen im Hals, doch da steckt etwas in ihrer Kehle, trocken und stechend, hinter ihrem Kehlkopf,
dass ich schon fast selbst daran glaube, dass die alten Sprachen wie die indoeuropäischen in den Jahrtausenden ihrer Entwicklung mit ihren Erzählungen und Wortbildungen dem kollektiven Unbewussten des Carl Gustav Jung nahe, wenn nicht schon gleich zu setzen sind. Denn „hinunter“, landschaftlich „nunter“ weist immer hinwärts und nach unten – und wenn der Gegenpol „herunter“ schon mal die Richtung verliert, „hinunter“ nicht. Stets bewegt es sich weg von Sofie und der Erzählerin (und dem Schreiber hier und dem Leser dort) – egal, mit welchem Verb es gefügt und geführt wird. Abwärts geht‘s, so sehr, dass nicht einmal der Wechsel mit dem fast gleichbedeutenden „hinab“ von Dir gewagt wird (dass der Schreiber hier nur eine Alternative aufzeigen kann, weil's eben auch nicht braucht, geschweige, erzwungen werden soll/kann). Im freudschen Instanzenmodell versinkt Sofie – Tugend und Weisheit – im Es und und Unbewussten, indem hingenommen wird, was uns widerfährt. Denn wie äußert sich unser Bewusstsein anders, als in dem was wir Tun und vor allem in unserer Sprache.

Zwingend aus dem Geschehen heraus wird das gegenteilige Adverb „her“ seltener gebraucht, die mit der Freiheit der Mäuse beginnt

Sie denkt an Mäuse, die zwischen weggepackten Erinnerungen umherklettern.
und einen Akt der Befreiung einleiten könnte
Sie greift hinein und holt das Windspiel heraus, das Tom damals für sie gebastelt hat.
und vor allem auch ihre Macht anzeigt
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, zog ihn hinter sich her die Treppe hinauf in ihr Zimmer und sie hängten das Windspiel an die Lampe über dem Bett.
Doch – wie oben schon angekündigt, her + ab ändert seine Richtung
Die Decke des Kellers sackt herab, Sofie fasst sich an den Hals und schnappt nach Luft. …
und
Um sie herum verschwimmen die Konturen, die Luft, sie reicht nicht aus. … Sie versuchte, die Hände unter seinem Griff herauszuziehen, …
"Befreiung" ist allemal einen Versuch wert - wie schon vor einem halben Jahrhundert im Prager Frühling und selbst auf unseren Straßen.

Aber "herunter" ist auch ein Meister der Täuschung, wenn sich ein Mächtigere/Stärkere/Gewaltbereitere sich scheinbar selbst erniedrigend sich dem Unterlegenen zuneigt – ohne Zuneigung, allein einem animalischen Trieb, dem Es und dem Trieb zur Macht folgend

…, aber Tom hielt sie fest. Er beugte sich zu ihr herunter, küsste sie auf den Mund.

Zwo, drei Trivialitäten

Seit Marie da ist und ihr hilft, füllen sich langsam die Kisten. und die Zimmer werden leerer.
Ncht nur der Punkt ist auffällig, der Schluss klingt ungelenk (wenn auch keineswegs falsch). Vllt. „die Zimmer leeren sich“

Hart schlägt ihr Herz gegen den Brustkorb, hart und schnell, es kommt ihr vor, als wandere es höher, immer höher bis in den Hals.
Konjunktiv irrealis, der Herzschlag ist zwar bis in den Hals (und weiter!, bis unter die Schädeldecke) zu spüren, aber das Herz kann nicht wandern wie die Niere ...

Seine Lippen bewegten sich kaum, die Stimme fremd.
Bewusste Ellipse? Dramatischer wäre die Umkehrung „seine Lippen bewegten sich kaum, fremd, die Stimme“, wobei ein Gedankenstrich noch mal ne Steigerung ergäbe ...

Jetzt kütt doch de vierte

Er taumelte rückwärts, wedelte mit den Armen.
„zurück“, ahd./mhd. „ze rucke“ (schon im mhd. Beginnt die Zusammenschreibung) des „nach“ und „in“ dem Rücken, aber auch „auf dem Rücken“

Hm, zu einer Tragödie "gern gelesen" zu schreiben, verbietet sich, also verzwirbeln wirs's ein wenig in ein

nicht ungern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey RinaWu,

ich beschränke mich vorerst mal auf Kleinkramsachen, Stil und so. Du weißt, ist alles subjektiv, meist Geschmackssache. Ich hoffe, die Vorschläge, die ich unten anführe, kannst du richtig einordnen. Mir geht's nur darum, zu verdeutlichen, wo du mMn noch schrauben könntest. Sind also nur Denkanstöße, nicht mehr.

Mensch, jetzt kam mir der Friedel zuvor. Mich beruhigt das ein wenig, bin also nicht nur ich so pedantisch :D. Der Gebrauch von "(her-)hinunter" ist mir ebenfalls aufgefallen. Ich suche dir mal die Stellen raus - weiß aber nicht, ob ich alle erwischt hab'.

... die knarrende Treppe hinunterzusteigen
Sofie sieht auf ihre Hände hinunter.
Ihre Mutter sah mit aufgerissenen Augen auf die schwarzen Nägel hinunter ...
Maries Lachen kriecht die Treppe hinunter,
die Sofie vor Jahren hier herunter getragen hat.
Sofie reibt sich über die Arme und schaut auf die Kiste hinunter.
Sie will es hinunterschlucken
Er beugte sich zu ihr herunter ...
Würde ich mir unbedingt mal ansehen. Ist das ein Maröttchen von dir :)?

Früher konnte sie ihre Eltern bitten, die knarrende Treppe hinunterzusteigen. Sie strichen ihr übers Haar, nickten ihr zu. Jetzt hat sie keine andere Wahl.
Hm, ich weiß nicht, stelle mir das gerade vor:
"Könnt ihr nicht die knarrende Treppe hinuntersteigen?"
Die Eltern nickten ihr zu und strichen ihr übers Haar.
...

Vielleicht lieber irgendwie so: Früher weigerte sie sich, die knarrende Treppe hinunterzusteigen. Die Eltern verstanden das. Jetzt hat sie keine andere Wahl.

Nach der Beerdigung ist sie durchs Haus gelaufen, hat jeden Raum betreten, Schubladen aufgezogen und wieder zugeschoben.
Und vor der Beerdigung? Klingt so, als hätte sie das Haus nie zuvor betreten.
Vielleicht: Nach der Beerdigung hat sie alles durchgesehen; jeden Schrank, jede Kommode. Hat Schubladen auf- und wieder zugeschoben.

Seit Marie da ist und ihr hilft, füllen sich langsam die Kisten und die Zimmer werden leerer.
Ich gehöre zu jenen, die Marie gerne einordnen können würden. "Meine Freundin" oder so würde mir schon reichen.

Einmal nahm er schwarzen Edding und malte ihre Fingernägel damit an. Ihre Mutter sah mit aufgerissenen Augen auf die schwarzen Nägel hinunter und schüttelte den Kopf.
Vorschlag: Einmal nahm er einen Edding und malte ihre Fingernägel damit an. Ihre Mutter bemerkte (mit aufgerissenen Augen) die schwarzen Nägel und schüttelte den Kopf.

Sie brachte Sofie ins Bad, wo sie ihr die Hände mit einer harten Bürste unter heißem Wasser schrubbte.
Ist wirklich Kleinkram jetzt, aber ich hätte doch eher Aceton bzw. Nagellackentferner erwartet - vielleicht (fände ich hier dann passend) mit dem sinngemäßen Zusatz, dass der in der Nase gestochen hat (so 'ne Idee jetzt). Vielleicht lackiert sie sich seit dem die Nägel nicht mehr oder nur noch in pink?

Maries Lachen kriecht die Treppe hinunter, wird immer leiser und stirbt vor Sofies Füßen.
Kriechendes Lachen will mir nicht passen. Scheppert eher, oder poltert - vielleicht sogar fällt? Kannst du ja mal ausprobieren.
Alle "Hin-/Herunters" erwähne ich nicht mehr, da solltest du eh noch mal ran, finde ich.

„Sag mal, brauchst du Hilfe?“
Sofie sieht Marie vor sich, wie sie in der Küche steht. Die senkrechte Falte zwischen ihren Augenbrauen, den zusammengekniffenen Mund. Spürt den Blick auf sich ruhen, diesen schweren Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.
Konnte ich nicht gleich verorten. Mir war nicht gleich klar, dass Marie noch im Keller verweilt. Du hast ja eine Leerzeile dazwischen, dann, weil sie den Blick auf sich spürt. Ein wenig Hilfestellung käme mir hier entgegen.
Vielleicht irgendwas derart:
„Sag mal, brauchst du Hilfe?“
Sofie kann sich Marie (regelrecht, (so) richtig) vorstellen, wie sie in der Küche steht. Die senkrechte Falte zwischen den Augenbrauen, der zusammengekniffenen Mund. Dieser aufgesetzte Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, zog ihn hinter sich her die Treppe hinauf in ihr Zimmer und sie hängten das Windspiel an die Lampe über dem Bett.
Ein, zwei Pausen kann ich mir hier gut vorstellen.
Z.B. via Gedankenstrich (oder Kommata): Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, zog ihn hinter sich her – die Treppe hinauf in ihr Zimmer – und sie hängten das Windspiel an die Lampe über dem Bett.

Verknotete Fäden, die Farben der Glasstücke (sind) stumpf geworden. Es riecht nach ihm.
Ich mag Ellipsen, ja, hier (in Folge der ersten) fände ich aber ausformuliert schöner.
Dass es nach ihm riecht, kann auch ich nicht glauben. Würde da deutlicher werden, also, dass sie glaubt, es rieche nach ihm.

Sie fühlen sich feucht an. Das kann nicht sein, wieso sollten sie ... Doch, (ja,) sie sind feucht.
Würde ich streichen, vielleicht mit Einschub dann (?).

Mit geschlossenen Augen atmet sie tief ein und aus. Hart schlägt ihr Herz gegen den Brustkorb, hart und schnell, es kommt ihr vor, als wandere es höher, immer höher bis in den Hals. Sie will es hinunterschlucken, dieses Pochen im Hals, doch da steckt etwas in ihrer Kehle, trocken und stechend, hinter ihrem Kehlkopf. Um sie herum verschwimmen die Konturen, die Luft, sie reicht nicht aus. Sofie leckt sich über die Lippen, spröde Haut unter ihrer Zunge.
Der ganze Absatz ist mir too much - gerade der erste Teil. Ab Tom passt das dann. Beides aber eher nicht, finde ich sonst ziemlich überladen - kann aber auch nur Geschmackssache sein. Mal so zum Gegenüberstellen:
Mit geschlossenen Augen atmet sie tief durch. Ihr Herz schlägt gegen den Brustkorb und wandert weiter bis in den Hals. Sie will das Pochen runterschlucken, doch es geht nicht. Um sie herum verschwimmen die Konturen. (Sofie leckt sich über spröde Lippen.)

Sein Mund ist aufgerissen
Mir kommt in den Sinn, dass du 2x aufgerissene Augen verwendet hast (wollte es weiter oben schon anmerken) und jetzt noch der aufgerissene Mund (jetzt erwähne ich das mal).

Sie spürte sein Glühen, als er sie an dem Tag von zu Hause abholte. Irgendetwas schien ihn verärgert zu haben. Als sie ihn fragte, winkte er nur ab und zog sie mit sich. Sie rannten in den Wald, Sofie versteckte sich als Erste. Unter einer großen Tanne kauerte sie und traute sich kaum zu atmen.
Den Sprung vom Kind zur Jugendlichen hab' ich irgendwie verpasst. Erst dachte ich, sie sei noch immer das kleine Mädchen, das Sandkuchen essen muss. Das liegt vor allem am Versteckspielen, denke ich.
Vielleicht: Sie spürte sein Glühen, als er sie an dem Tag von zu Hause abholte. Irgendetwas schien ihn verärgert zu haben. Als sie ihn fragte, winkte er nur ab und zog sie mit sich. Sofie wollte ihn aufheitern, Verstecken spielen, wie früher, als sie noch jünger waren. Sie kauerte unter einer großen Tanne und traute sich kaum zu atmen.

Plötzlich warf er sich von hinten auf sie und presste sie zu Boden. Er drehte sie um, packte ihre Hände und drückte sie über ihrem Kopf in die feuchte Erde. Seine Augen, da war etwas in seinen Augen, das Sofie nicht kannte. Etwas, das sich in sie hineinbohrte. Ihr wurde schlecht. Sie versuchte, die Hände unter seinem Griff herauszuziehen, aber Tom hielt sie fest. Er beugte sich zu ihr herunter, küsste sie auf den Mund. Seine Lippen waren nass. Sofie wand sich unter ihm, warf den Kopf von einer Seite auf die andere, aber er war schwer und stark.
„Lass das!“
Sie brüllte, immer wieder. Strampelte, bäumte sich auf, versuchte, Tom zu beißen.
„Warum sollte ich?“ Seine Lippen bewegten sich kaum, die Stimme fremd. „Mit Julian machst du’s doch auch!“
Sofie trat um sich, wild, atemlos. Bis Tom schmerzhaft das Gesicht verzog und sich in den Schritt fasste. Sie rappelte sich auf und rannte los.
Zum Verdeutlichen, worauf ich hinauswill, folgender Vorschlag:
Er warf sie um und drückte sie zu Boden. Presste ihre Hände in die feuchte Erde. Seine Augen, da war etwas, das Sofie nicht kannte. Etwas, das sich in sie hineinbohrte. Ihr wurde schlecht.
Tom war stark und schwer, sie schaffte es nicht, ihn abzuwerfen. Er küsste ihr ungestüm (gierig) den Mund, die Wangen, die Ohren – den Hals. Sofie warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Seine Lippen waren nass und kalt.
„Lass das!“, brüllte sie.
„Mit Julian machst du’s doch auch!“
Sofie versuchte, Tom zu beißen und strampelte wie wild. Ihr Knie traf ihn im Schritt, der Griff lockerte sich und sie rannte los.

Er war dicht hinter ihr. Als sie am Fluss ankamen, holte er sie ein. Er packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf, riss sich los, sprang zur Seite. Immer wieder griff er nach ihr, erwischte mal ihre Haare, den Saum der Regenjacke, ihre Hand. Sofie wich ein paar Schritte zurück, ihre Blicke schossen in den Wald und zurück zu Tom. Keiner würde ihr helfen. Hinter Tom rauschendes Wasser. Sie flehte ihn an, er solle sie ihn Ruhe lassen, aber es war, als würde er sie nicht hören. Langsam kam er auf sie zu. Sofie schrie, schrie all ihre Angst hinaus, rannte los mit nach vorn gestreckten Armen und stieß ihn von sich. Er taumelte rückwärts, ruderte mit den Armen. Alles war überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.
Er packt sie schon wieder, wieder reißt sie sich los, dann greift er wieder, sie springt zur Seite ... Mir ist das too much, das hatten wir ja oben schon ganz ähnlich. Dass er in den Fluss fällt, würde ich noch deutlicher machen. Auch wie er nun mit dem Rücken zu den Fluten steht (ist mir nicht klar geworden). Übrigens: Rauschendes Wasser finde ich nicht bedrohlich genug. Wie wäre es mit tosendem oder so. Überhaupt könntest du den Fluss bedrohlicher ... Ach, erlaube mir, noch einen Vorschlag zu machen - nur zum Verdeutlichen, du weißt schon. Alles nur Denkanstöße - so zum Gegenüberstellen, Überdenken und so. Du kannst das sicher richtig einordnen, RinaWu, nicht?
Er war dicht hinter ihr, erwischte mal ihre Haare, den Saum der Regenjacke, ihre Hand. Am Fluss wurde sie eingeholt. Die Schneeschmelze in den Bergen (?) hatte ihn in einen tosenden Strom verwandelt. Sofies Flehen war kaum zu hören. Langsam kam er auf sie zu. Keine zwei Armlängen trennte sie noch. Sie kreisten um einen Punkt am Boden, den niemand sehen konnte. Vielleicht war da ein Ast oder eine Maus, die sich den Tanz nicht entgehen lassen wollte. Dann husche ein Lächeln über Toms Gesicht und Sofie schrie all ihre Angst hinaus, stürmte mit nach vorn gestreckten Armen auf ihn ein und stieß ihn von sich. Überrascht taumelte er nach hinten, ruderte mit den Armen und stürzte in die Fluten.
Alles war überzogen von einem feuchten Film. Die Haut, die Blätter, die Steine am Flussufer.

Maries Schritte auf der Kellertreppe hallen dumpf in Sofies Ohren. Sie kauert in der Ecke, presst die Hände auf die Ohren und hat die Augen geschlossen. Die Wände atmen, sie atmen staubige Erde, sie kommen immer näher, Sofie traut sich nicht, sich zu bewegen.
Vorschlag (:)): Maries Schritte auf der Kellertreppe hallen dumpf in Sofies Kopf. Sie kauert in der Ecke, presst die Hände auf die Ohren und hält die Augen geschlossen. Die Wände rücken immer näher. Sofie kann sich nicht bewegen.


Die Geschichte hat mir gefallen, ich hab' sie gerne gelesen. Eindrücklich, diese Ohnmacht, die verdrängten, unaufgearbeiteten Dinge, die zutage treten - die wohl immer zutage treten. Dafür braucht es nur einen Auslöser. Es gibt wohl immer einen Auslöser.
MMn könntest du aus einem richtig guten Text einen noch besseren machen. Hier und da an ein paar Schräubchen drehen - das Poliertuch ausgepackt - und das Teil fängt an, bedrohlich zu leuchten.


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe RinaWu

Ich beginne mit ein paar stilistischen Anmerkungen.

Sofie geht nur selten in den Keller. Es riecht muffig hier unten. Nach Erde und feuchtem Stein. Als drücke sich die Natur von außen gegen die alten Mauern des Hauses. Früher konnte sie ihre Eltern bitten, die knarrende Treppe hinunterzusteigen. Sie strichen ihr übers Haar, nickten ihr zu. Jetzt hat sie keine andere Wahl.

Der Einstieg ist mir zu wenig knackig. Mit der Natur, die gegen die alten Mauern drückt, habe ich Mühe, vor allem, wenn du das als Vergleich aufziehst. Denn sie tut das ja tatsächlich. Das Streichen übers Haar finde ich relativ nichtssagend, als Geste. Ausser du wolltest die Beziehung zu den Eltern verdeutlichen, aber die spielt ja im Folgenden fast keine Rolle. Ich würde die beiden fettmarkierten Sätze streichen.

Sofie beobachtet die winzigen Staubkörner, die durch den Lichtkegel der Lampe tanzen.

Warum der Umweg über das Beobachten? Beobachtet sie die Staubkörner tatsächlich? Sieht sie sie nicht bloss? Staubkörner sind tendenziell winzig, das Adjektiv würde ich streichen. Also mir würde das direkte: "Staubkörner tanzen im Lichtkegel der Lampe" besser gefallen.

Es knirscht im Mund, wenn sie die Zähne zusammenbeißt.

Schön!

So wie damals, als Tom immer zum Spielen vorbeikam und sie den Kuchen essen musste, den er im Sandkasten buk.

Finde ich sehr umständlich formuliert. Mein Vorschlag: So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.

Sofie sieht auf ihre Hände hinunter. Verschränkt die Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere.

Würde ich beides streichen.

Einmal nahm er schwarzen Edding und malte ihre Fingernägel damit an. Ihre Mutter sah mit aufgerissenen Augen auf die schwarzen Nägel hinunter und schüttelte den Kopf. Sie brachte Sofie ins Bad, wo sie ihr die Hände mit einer harten Bürste unter heißem Wasser schrubbte.

Aufgerissene Augen sind mir zu dramatisch. Dass die Mutter Tom nicht leiden konnte, könnte man evtl. zeigen, statt sagen, z.B. mit einer kurzen Dialogzeile der Mutter.

Mama konnte Tom nie leiden.

Wirkt auf mich wie ein Perspektivenfehler, dieser Wechsel vom distanzierten "Ihre Mutter" zu "Mama". Geht ja schon, dieses Reinzoomen in Sophies Wahnehmung, aber ich würde entweder das "ihre" vor "Mutter" streichen oder "Mama" durch "Sie" ersetzen.

Maries Lachen kriecht die Treppe hinunter, wird immer leiser und stirbt vor Sofies Füßen.

Ist mir too much, wirkt auf mich gewollt, diese Einführung des Themas "Tod".

Sie denkt an Mäuse, die zwischen weggepackten Erinnerungen umherklettern.

Toller Satz!

Die alten Backsteine dünsten Feuchtigkeit aus, sie kann sie sehen. Wie hauchdünner Nebel, der sich auf die Haut legt.

Würde ich streichen.

Der Karton fühlt sich klamm an. Sie greift hinein und holt das Windspiel heraus, das Tom damals für sie gebastelt hat.
An ihrem zehnten Geburtstag stand er im Garten, trat von einem Bein aufs andere und hielt ein unförmiges Geschenk in der Hand. Immer wenn er sich bewegte, klirrte es leise.
Als Sofie ihn begrüßte, nahm er ihre Hand und zog sie um die Hausecke. Er mochte die anderen Kinder nicht besonders.
„Pack aus!“ Er sah sich immer wieder um.
Vorsichtig zog sie das Windspiel aus der Verpackung und hielt es hoch.

Finde ich nicht optimal gelöst. Ich würde die erste Erwähnung des Windspiels weglassen. Sophie greift in den Karton. Dann das unförmige Geschenk, dann zieht sie ein Windspiel aus der Verpackung. Macht es auch für den Leser spannender.

Das Windspiel liegt leicht in ihrer Hand. Verknotete Fäden, die Farben der Glasstücke stumpf geworden.

Das Wort hast du eine Zeile weiter oben schon. Vielleicht fällt dir eine alternative Beschreibung ein.

Mit geschlossenen Augen atmet sie tief ein und aus. Hart schlägt ihr Herz gegen den Brustkorb, hart und schnell, es kommt ihr vor, als wandere es höher, immer höher bis in den Hals. Sie will es hinunterschlucken, dieses Pochen im Hals, doch da steckt etwas in ihrer Kehle, trocken und stechend, hinter ihrem Kehlkopf. Um sie herum verschwimmen die Konturen, die Luft, sie reicht nicht aus. Sofie leckt sich über die Lippen, spröde Haut unter ihrer Zunge.

Für mich too much. Geschlossene Augen, pochendes Herz, zugeschnürte Kehle. Gehört alles zum Standardrepetoire und wirkt in dieser Dichte wie ein Auszug aus einer Schreibübung.

Die Wände atmen, sie atmen staubige Erde, sie kommen immer näher,

evtl. streichen.

Marie riecht nach Zigaretten, vertreibt den Geruch nach Erde und feuchtem Stein.

Diese Wiederaufnahme gefällt mir nicht, erfüllt m.E. keinen Zweck und wirkt wie ein Versäumnis der Autorin.

Es war ein Unfall, haben sie gesagt.

Plump formuliert, in meinen Augen. Ich fände einen etwas indirekteren Zugang besser. Als Anregung: Ich hab's bei einem meiner Texte - gleiches Thema: Unfall, Schuld, Erinnerung Jahre später - so gelöst:
"... , denn ich war nicht an der Beerdigung gewesen. Meine Eltern hatten gesagt, ich müsse nicht hin, wenn ich nicht wolle. Man schonte den Jungen, der hatte miterleben müssen, wie sein Freund stolperte und in den Tod stürzte."

Der Text hat mir gefallen, die Thematik sowieso. Was mir zu kurz kommt, ist die Frage, was diese Erinnerung mit Sophie macht, wie sie damit umgeht. Du bleibst da auf einer sehr unmittelbaren Ebene der vor allem auch körperlichen Reaktion. Pochender Hals etc. Die Feuchte, die eindringt. Da sprichst du vor allem die Beklemmung an, in dem Moment, wo die Erinnerung an die Oberfläche dringt. Du hast mit "Spannung" getaggt, was mir insofern sehr passend erscheint. Der Leser erfährt nach und nach, was geschehen ist.
Aber zu Sophie als Figur erhält er bloss einen sehr oberflächlichen Zugang. Der Text ist also spannend zu lesen, er bewegt mich jedoch nicht wahnsinnig, weil ich nichts darüber erfahre, was mich an einem solchen Setting interessiert: Wie Vergangenheit, bewältigt wird und (vermeintliche) Schuld. Das würde ich übrigens auch meinem Text ankreiden, dessen Ende ich oben zitiert habe.
Meine Erwartungen sind da aber wohl auch zu hoch. Das ist eine Kurzgeschichte, sie ist mit "Spannung" getaggt und hält damit, was sie verspricht. Also gerne gelesen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey noch einmal @Nichtgeburtstagskind

Trotzdem finde ich es manchmal schade, die Texte oft zu zerdenken, mich nicht so auf das Lyrische einlassen zu können. Aber auch das kann man hier lernen. Ich finde es immer super interessant, wie andere solche Texte lesen, was sie dort wahrnehmen, was ihnen gefällt. Ich kann mich da bestimmt noch entwickeln.
Genau, bei mir genau andersrum. Mir und meinen Texten tut ein analytisches Auge immer gut. Das ergänzt sich ja dann meistens wirklich so, dass beide Parteien was von diesem unterschiedlichen Lesen haben. So empfinde ich das auch.

Für mich kommt Tom nicht wie ein Nerd rüber sondern eben wie ein Kind, das anders ist. Es umgibt ihn eine unheimliche Aura, die Leute fürchten ihn und am Ende erfüllt er die Erwartungen und fällt über Sofie her.
"Nerd" habe ich auch nur verwendet, weil Kinder die anders sind, heute sofort als "Nerd" oder - noch schlimmer - als "Psycho" abgestempelt werden. Ich rede jetzt mal nur aus Sicht der Gleichaltrigen, die da ja manchmal sehr grausam sein können. Aber ja, ich meine das gleiche wie du: ein Kind, das anders ist.
Vielen Dank noch einmal für deine Erklärung zu Tom, ich habe die Beschreibungen über ihn nun noch einmal durchgesehen und fast alle abgeändert, so dass sie nun (hoffentlich) nicht mehr so plump erscheinen, sondern ihn eher als jemanden zeichnen, der sich anders verhält, als man es vielleicht erwarten würde. Das nimmt eventuell etwas von dem schwarz-weiß raus, zumindest ein bisschen.

Herzlichen Glückwunsch! In welcher Anthologie erscheint sie denn?
Danke dir. Ist schon erschienen. Ich habe das vor mehreren Monaten unter "Veröffentlichungen unserer Mitglieder" geposted ;)

Liebe Grüße!

Lieber @Friedrichard

schön, von dir zu lesen!

ist der häufige Gebrauch des Adverbs „hinunter“ in den verschiedensten Zusammensetzungen
Oha, du meine Güte, stimmt! Ich habe gestern Abend den Text tatsächlich durch das WORD-Suchprogramm laufen lassen und habe das bereinigt. Entweder durch Löschen und andere Beschreibung oder durch Variationen des Wortes. Danke für den Hinweis!

Im freudschen Instanzenmodell versinkt Sofie – Tugend und Weisheit – im Es und und Unbewussten, indem hingenommen wird, was uns widerfährt. Denn wie äußert sich unser Bewusstsein anders, als in dem was wir Tun und vor allem in unserer Sprache.
Ja, das hast du schön beschrieben. Ich finde das Thema immer wieder aufs Neue faszinierend. Und habe natürlich - wie vermutlich jeder andere auch - schon des öfteren die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Gegenstände oder ein Lied oder ein Geruch mich plötzlich "versinken" lassen in einem Moment aus der Vergangenheit, an den ich mich davor nicht wirklich bewusst erinnert habe.

Die von dir aufgeführten Flusen haben sich zum Teil bei meiner erneuten Überarbeitung von allein erledigt, bzw. habe ich sie entsprechend umgesetzt.

Hm, zu einer Tragödie "gern gelesen" zu schreiben, verbietet sich, also verzwirbeln wirs's ein wenig in ein
nicht ungern gelesen
Das nehme ich auch gerne :)

Liebe Grüße schickt dir
RinaWu

Hey @hell

Mega Kommentar! Wirklich, vielen Dank dafür. Ich habe viel davon übernommen, bzw. mit deinen Vorschlägen gearbeitet, sie in die Geschichte eingewoben und bin ganz begeistert darüber, wie der Text vor meinen Augen wächst. Aber der Reihe nach ...

Mensch, jetzt kam mir der Friedel zuvor. Mich beruhigt das ein wenig, bin also nicht nur ich so pedantisch :D. Der Gebrauch von "(her-)hinunter" ist mir ebenfalls aufgefallen. Ich suche dir mal die Stellen raus - weiß aber nicht, ob ich alle erwischt hab'.
Thihi, Schande über mein Haupt, holla die Waldfee, wie konnte DAS passieren??? Wie oben bei Friedel schon geschrieben, ich bin den kompletten Text durchgegangen, habe alle her-/hinunter angeschaut, gelöscht, umschrieben, variiert. Danach das gleiche mit den aufgerissenen Augen und Mündern. Meine Güte. So, dann habe ich den Text durchs WORD-Suchprogramm gejagt, um sicher zu gehen, das von allem nun wirklich nur noch EINS da ist. Bzw. wie gesagt, an manchen Stellen, das "hinunter" komplett rausgelöscht und durch etwas anderes ersetzt. Muss ja nicht immer bergab gehen. Danke euch auf jeden Fall für diesen wichtigen Hinweis. Du weißt ja, manchmal, der Wald, die Bäume ...

Deine Vorschläge zu den unterschiedlichen Textpassagen waren toll. Haben mir auch noch einmal mehr gezeigt, wo es hakt. Ich weiß nicht, ob du die Geduld und Zeit hast, dir den Text noch einmal anzusehen, aber ich habe ihn komplett noch einmal durchgeackert. In Sachen Marie, der Panikattacke, dem Kampf am Fluss, aber eben auch die kleinen wichtigen Stellen, die du herausgesucht hast. Vielen Dank für die Zeit, die du da reingesteckt hast und dafür, dass du deine Ideen mit mir geteilt hast. Das hat mir wirklich richtig krass geholfen, ich mag den Text jetzt viel lieber als vorher. Ach, es ist einfach jedes Mal von Neuem faszinierend, was eure Kommentare aus Texten machen.

Liebe Grüße!

Lieber @Peeperkorn

ich freue mich, von dir zu lesen!!! Deine Anmerkungen sind wie immer sehr genau hingesehen, fein und wertvoll, danke dafür!

Der Einstieg ist mir zu wenig knackig. Mit der Natur, die gegen die alten Mauern drückt, habe ich Mühe, vor allem, wenn du das als Vergleich aufziehst. Denn sie tut das ja tatsächlich. Das Streichen übers Haar finde ich relativ nichtssagend, als Geste. Ausser du wolltest die Beziehung zu den Eltern verdeutlichen, aber die spielt ja im Folgenden fast keine Rolle. Ich würde die beiden fettmarkierten Sätze streichen.
Der Teil mit den Eltern ist nun anders, die Geste raus. Den Satz mit der Natur zu streichen, damit tue ich mich schwer. Ich überlege, ob ich den Vergleich einfach weglasse und den Satz als Aussage nehme. Oder komplett streichen? Weiß ich noch nicht, das ist ein Darling, da muss ich drüber schlafen.

Warum der Umweg über das Beobachten? Beobachtet sie die Staubkörner tatsächlich? Sieht sie sie nicht bloss? Staubkörner sind tendenziell winzig, das Adjektiv würde ich streichen. Also mir würde das direkte: "Staubkörner tanzen im Lichtkegel der Lampe" besser gefallen.
VIEL besser! Habe ich so übernommen.

Finde ich sehr umständlich formuliert. Mein Vorschlag: So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.
Ebenfalls gekauft.

Aufgerissene Augen sind mir zu dramatisch. Dass die Mutter Tom nicht leiden konnte, könnte man evtl. zeigen, statt sagen, z.B. mit einer kurzen Dialogzeile der Mutter.
Die Szene habe ich überarbeitet, die aufgerissenen Augen haben sich dabei von selbst erledigt ;)

Wirkt auf mich wie ein Perspektivenfehler, dieser Wechsel vom distanzierten "Ihre Mutter" zu "Mama". Geht ja schon, dieses Reinzoomen in Sophies Wahnehmung, aber ich würde entweder das "ihre" vor "Mutter" streichen oder "Mama" durch "Sie" ersetzen.
Ja, genau, mir ging es um das Reinzoomen. Aber ich hatte auch die ganze Zeit so ein Gefühl, dass es so eher ein wenig holpert. Jetzt legst du den Finger drauf und ich sehe es noch mehr. Habe ich geändert.

Ist mir too much, wirkt auf mich gewollt, diese Einführung des Themas "Tod".
Habe "landet" daraus gemacht.

Finde ich nicht optimal gelöst. Ich würde die erste Erwähnung des Windspiels weglassen. Sophie greift in den Karton. Dann das unförmige Geschenk, dann zieht sie ein Windspiel aus der Verpackung. Macht es auch für den Leser spannender.
Toller Tipp, danke. Habe ich so umgesetzt.

Für mich too much. Geschlossene Augen, pochendes Herz, zugeschnürte Kehle. Gehört alles zum Standardrepetoire und wirkt in dieser Dichte wie ein Auszug aus einer Schreibübung.
Ja, die Stelle wurde nun schon mehrfach bemängelt. Habe sie überarbeitet und gekürzt.

Diese Wiederaufnahme gefällt mir nicht, erfüllt m.E. keinen Zweck und wirkt wie ein Versäumnis der Autorin.
Für mich erfüllt sie schon einen Zweck, das steht da ganz bewusst so. Als Bogen zum Anfang des Textes. Durch den Geruch von Stein und Erde sinkt sie in die Erinnerung hinab, durch das Vertreiben dieses Geruches (Maries Zigarettengeruch) taucht sie wieder auf.

Plump formuliert, in meinen Augen. Ich fände einen etwas indirekteren Zugang besser.
Ja, da hast du recht. Meine erste Idee war, gar nichts dazu zu schreiben. Das wirklich mal unausgesprochen zu lassen. Ich denke nämlich, es erschließt sich auch so, was passiert ist. Deshalb habe ich diesen letzten Satz nun mal komplett gestrichen und lasse das mal auf mich wirken.

Was mir zu kurz kommt, ist die Frage, was diese Erinnerung mit Sophie macht, wie sie damit umgeht. Du bleibst da auf einer sehr unmittelbaren Ebene der vor allem auch körperlichen Reaktion.
Stimmt. Viel mehr kann ich da gar nicht zu meiner Verteidigung sagen. Ich verstehe total, was du meinst und ich würde sehr gerne einmal tiefer darüber schreiben, was so eine Schuld, auch eine Art Scham, mit einem macht. Ich musste, während ich die Geschichte schrieb, immer wieder an Hanekes Film Caché denken, der dieses Thema wahnsinnig gut abhandelt, wie ich finde. Dazu sehe ich mich gerade aber einfach noch nicht in der Lage. Also diese Schichten der Psyche und Verarbeitung in Worte zu fassen. Aber ich hoffe, irgendwann bin ich so weit und fühle mich so einem Thema gewachsen.

Liebe Grüße in die Schweiz!
RinaWu

 

ich
ist der häufige Gebrauch des Adverbs „hinunter“ in den verschiedensten Zusammensetzungen
Oha, du meine Güte, stimmt! Ich habe gestern Abend den Text tatsächlich durch das WORD-Suchprogramm laufen lassen und habe das bereinigt. Entweder durch Löschen und andere Beschreibung oder durch Variationen des Wortes. Danke für den Hinweis!

Ich noch mal,

liebe Rina,

ich denk, die Wortwahl "hin"+unter oder ab in all ihren Möglichkeiten ist da sehr verführerisch - aber, ich bin nun kein Psychologe und an die Werke Freuds und Jungs bin ich aus ganz anderen Gründen rangegangen, aber die Wortwahl wäre ja gar nicht so falsch, wenn man sich beengt fühlt und es immer enger wird, bis es einen zuschnürt und den Atem raubt. Der Plural der Angst korrespondiert nicht ohne Grund mit dem Superlativ der Enge, Ängste und am engsten. Ich komm bestimmt noch mal darauf zurück - jetzt muss ich einem jungen Kollegen bei der Bühnenarbeit unterm Arm greifen. Auf jeden Fall

bis bald,

Friedel

 

ich denk, die Wortwahl "hin"+unter oder ab in all ihren Möglichkeiten ist da sehr verführerisch
Offensichtlich vor allem für mich, wie man hier sehen konnte :D

Ich komm bestimmt noch mal darauf zurück
Dann sag ich mal - bis später!

 

Gude @RinaWu,

ich finde "Spannung" hast du als Tag gut gewählt. Detailreiche Sprache, die die Situation bildlich macht in einem Handlungsablauf, der aus vielen Fäden zusammengenäht wird, sodass sich am Ende ein Gesamtbild ergibt.
Und dabei gibt es besondere Perlen:

Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Sie denkt an Mäuse, die zwischen weggepackten Erinnerungen umherklettern.
Wunderschön. Ich möchte direkt einen Text schreiben und genau solche Metaphern (?) / Verdinglichungen benutzen :shy:

Zum Ablauf habe ich aber eine kurze Frage bzw. eher einen Eindruck. Du schreibst:

Ihre Eltern taten das für sie. Jetzt hat sie keine andere Wahl.
Nach der Beerdigung ist sie hierher zurückgekommen
Das lese ich so, dass gerade beide Eltern beerdigt wurden - muss man nicht, kann man aber scheinbar (wenn man ein Gehirn hat wie meines). Das wäre eher ungewöhnlich, üblicherweise sterben sie ja nacheinander und ich frage mich jetzt erstmal, ob das Thema der Kurzgeschichte die Aufarbeitung dieser auffälligen Situation sein wird. Falls man diesen kurzen Holzweg als verbesserungswürdig betrachtet, könnte man aus "Nach der Beerdigung ..." "Nachdem nun auch Mutter / Mama beerdigt wurde ..." machen, dann würde das "auch" die (zumindest von mir gehegte) Erwartung treffen und ich würde da nicht weiter drauf herumdenken.
Das ist jetzt extrem viel Konjunktiv für einen Vorschlag gewesen, aber das zeigt dann wohl, wie viel "Kritik" ich äußern kann ;)

Aber eine Sache habe ich doch: Die Kernsituation beinhaltet einen Jugendfreund, der eskaliert, da seine Jugendfreundin ihre ersten sexuellen (Liebes-)Erfahrungen mit jemand anderem sammelt. Und, dass es daraufhin zu einem Unfall/Selbstverteidigung mit Todesfolge kommt. Das sind meines Erachtens beides recht häufig genutzte Themen. Das kommt zwar mit einer gewissen Schärfe daher, wirkt aber für mich zunächst verbraucht.

Allerdings wird für mich dieser Umstand durch etwas anderes mindestens ausgeglichen, wenn nicht übertrumpft: Ich finde, du schaffst es mit deinem Text ganz besonders das "überzeitliche" Schuldgefühl deutlich zu machen. Dafür ist die Ursache dann auch gar nicht entscheidend, es geht vor allem darum, dass ein Schuldgefühl besteht und dass es auch nicht einfach so verschwindet, sondern jederzeit und auch nach Jahren(-zehnten) wiederkehren kann und nochmal durchlebt wird. Diese Darstellung gelingt dir meines Erachtens sehr gut.

Dazu passen auch einige der Beschreibungen, auch wenn ich da jetzt vielleicht hineininterpretiere (... verzeih mir bitte :shy:):

süße, laute Marie.
Das ist eine Beschreibung, die mich zuerst an ein kleines Kind denken lässt, denn sonst schließen sich "süß" und "laut" häufig aus.
So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.
Die erste Erwähnung bezieht sich auf allerfrüheste Erinnerungen und ich schwanke zwischen dem Gedanken an Kindheitserinnerungen (was es ja ist), aber auch der Idee, dass Tom vielleicht auch ein Kind ist, das vor ein paar Jahren noch im Sandkasten gespielt hat. Auf jeden Fall ist Tom in meinem Kopf erst einmal ein kleines Kind - oder zumindest wird er noch immer stark mit einem Kind assoziiert (das "damals" impliziert zwar, dass sich das verändert hat, aber ich weiß noch nicht, wie stark).
Diese ersten Beschreibungen der Figuren (dazu kommt, fällt mir gerade auf, dass die erste Eigenbeschreibung ebenfalls auf die Kindheit zurückgeht) hängen an der Vergangenheit, die gegenwärtig wird, weil die Protagonistin "jetzt" daran denkt. Und ebenso gegenwärtig wird auch ihr Schuldgefühl.

Wenn ich also das "Warum-Spiel" spiele, würde ich sagen: In der "Kellerkiste" geht es um die Zeitlosigkeit von Gefühlen und Erinnerungen.
Und das finde ich unverbraucht und wunderbar umgesetzt, auch wenn du mich jetzt für meine vielleicht etwas arg verkopfte Interpretation auslachen darfst. :lol:

Ich schau dann mal, was die anderen so geschrieben haben und hoffe, mein Eindruck bringt dir irgendwas. ;)

Vulkangestein
P.S.: Mit Zeitlosigkeit meine ich übrigens nicht, dass irrelevant ist, wann etwas geschehen ist. Das spielt schon eine Rolle, aber es gilt eben nicht "Die Zeit heilt alle Wunden". Nur, dass mir nicht unterstellt wird, ich marginalisiere das vollständig :eek:

 

Hallo @Vulkangestein

Ich habe mich sehr über deinen Kommentar und deine Gedanken zu meinem Text gefreut. Es ist doch immer wieder sau interessant zu beobachten, wie andere Menschen eigene Geschichten lesen, was sie in ihnen auslösen (oder auch nicht). Also danke schon mal für die Zeit, die du dir genommen hast.

Wunderschön. Ich möchte direkt einen Text schreiben und genau solche Metaphern (?) / Verdinglichungen benutzen
:shy: Weißt du, ich freue mich richtig, dass du das so siehst. Denn mit diesen Verbildlichungen ist das immer so eine Sache. Da kämpfe ich immer wieder, weil ich beim Schreiben denke, Ja, genau so meine ich es, so will ich es beschreiben, gleichzeitig mache ich mir aber Sorgen, dass es too much ist. Am Ende freue ich mich dann immer riesig, wenn ich auf Leser treffe, bei denen diese (meine) Darlings auch ankommen.

Das lese ich so, dass gerade beide Eltern beerdigt wurden - muss man nicht, kann man aber scheinbar (wenn man ein Gehirn hat wie meines).
Nein, nein, ich verstehe das. Das kann man sehr wohl so verstehen. Dieser Satz lässt viel offen. Du hast recht, ich könnte das klarer machen. Also zum Beispiel schreiben, nachdem nun auch Mama beerdigt wurde oder so in der Art. Aber irgendwie sträube ich mich dagegen. Ich kann dir gar nicht genau sagen, warum. Ich muss da noch drüber nachdenken. Eigentlich glaube ich im Moment, hier braucht es kein Detail, es ist okay, wenn der Leser kurz darüber nachdenkt, bzw. sich in seinem Kopf seine eigene Geschichte zu diesem Satzanfang bastelt. Ich warte mal ab, ob da noch jemand drüber stolpert.

Aber eine Sache habe ich doch: Die Kernsituation beinhaltet einen Jugendfreund, der eskaliert, da seine Jugendfreundin ihre ersten sexuellen (Liebes-)Erfahrungen mit jemand anderem sammelt. Und, dass es daraufhin zu einem Unfall/Selbstverteidigung mit Todesfolge kommt. Das sind meines Erachtens beides recht häufig genutzte Themen. Das kommt zwar mit einer gewissen Schärfe daher, wirkt aber für mich zunächst verbraucht.
Da magst du recht haben. Aber sag, welche Themen wurden noch nicht in der Literatur behandelt? Ich verstehe schon, was du meinst, aber ich habe mir fest vorgenommen, über Dinge zu schreiben, sie in meiner Art zu beschreiben, die mich beschäftigen. Ganz egal, wie oft andere das Thema vielleicht schon behandelt haben. Kurz zur Erklärung: Mich hat das früher total gehemmt. Bevor ich mich getraut habe, hier meine ersten Texte einzustellen, war ich richtig blockiert von dem Gedanken: Was willst du denn noch sagen? Was willst du erzählen, was nicht irgendjemand vor dir auch schon erzählt hat? So - Ende vom Lied war, ich hab gar nichts geschrieben. Bis ich dann irgendwann dahin kam, dass ich mir vorgenommen habe, solche Themen eben auf meine eigene Weise zu behandeln, einen eigenen Stil zu finden. Und das versuche ich seitdem.

Ich finde, du schaffst es mit deinem Text ganz besonders das "überzeitliche" Schuldgefühl deutlich zu machen. Dafür ist die Ursache dann auch gar nicht entscheidend, es geht vor allem darum, dass ein Schuldgefühl besteht und dass es auch nicht einfach so verschwindet, sondern jederzeit und auch nach Jahren(-zehnten) wiederkehren kann und nochmal durchlebt wird. Diese Darstellung gelingt dir meines Erachtens sehr gut.
Mega, danke! Freut mich wirklich sehr, dass ich dann bei dir doch noch die Kurve kriegen konnte.

Diese ersten Beschreibungen der Figuren (dazu kommt, fällt mir gerade auf, dass die erste Eigenbeschreibung ebenfalls auf die Kindheit zurückgeht) hängen an der Vergangenheit, die gegenwärtig wird, weil die Protagonistin "jetzt" daran denkt. Und ebenso gegenwärtig wird auch ihr Schuldgefühl.
Dem ist nichts hinzuzufügen :)

Wenn ich also das "Warum-Spiel" spiele, würde ich sagen: In der "Kellerkiste" geht es um die Zeitlosigkeit von Gefühlen und Erinnerungen.
Das packe ich in meine Box mit den schönsten Beschreibungen für meine Texte!

auch wenn du mich jetzt für meine vielleicht etwas arg verkopfte Interpretation auslachen darfst
Ich finde deine Interpretation gar nicht so verkopft. Sondern viel eher habe ich das Gefühl, dass du dich von dem Text hast tragen lassen. Das finde ich sehr schön.

Mit Zeitlosigkeit meine ich übrigens nicht, dass irrelevant ist, wann etwas geschehen ist. Das spielt schon eine Rolle, aber es gilt eben nicht "Die Zeit heilt alle Wunden". Nur, dass mir nicht unterstellt wird, ich marginalisiere das vollständig
Nein, ich habe dich verstanden, keine Sorge. Ich habe mir in letzter Zeit oft Gedanken gemacht über "Die Zeit heilt alle Wunden". Bin aber zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen :D Irgendwie stimmt dieser Satz, irgendwie aber auch nicht. Kommt vermutlich auch auf die Wunde an ;)

Ich wünsch dir einen sonnigen Tag!
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Unter einer großen Tanne kauerte sie und traute sich kaum zu atmen.
Dies vorweg, was die Kommasetzung zu Infinitivgruppen betrifft,

liebe Mme. Wou,

geb ich oft zum Besten, bei Unsicherheit ein Komma zu setzen. Ist ja nicht verboten und ein uralte Regel - eigentlich. Aber hier wird ein „komplexes“ (Dudendeutsch) Prädikat gebildet aus „sich trauen“ und „zu atmen“ und somit eine Einheit – und da gibt‘s auch‘ne Regel (ob schon 2006 oder erst letztes Jahr eingeführt, weiß ich nicht.) Aber die lautet:„Der Infinitiv mit zu bildet mit einem übergeordneten Verb ein komplexes Prädikat. In diesem Fall wird kein Komma gesetzt.“
(vgl. https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/komma, D 117, ist also weder eine kann- noch soll-Regelung, sondern ein Muss! Recht hat Novak getan, gefühls- und verstandesmäßig!*

+++​

Nach der Beerdigung ist sie hierher zurückgekommen, ist immer wieder durchs Haus gewandert.
Mit diesem siebten Satz gewinnt durch den ersten Absatz

Sofie geht nur selten in den Keller. Es riecht muffig hier unten. Nach Erde und feuchtem Stein. Als drücke sich die Natur von außen gegen die alten Mauern des Hauses. Früher weigerte sie sich, die knarrende Treppe hinunterzusteigen. Ihre Eltern taten das für sie. Jetzt hat sie keine andere Wahl.
für mich die klassische Form einer Heimkehr – buchstäblich bis hinab in Unterwelt und Unbewusstes (Keller = Grab – wobei mir – keineswegs des Wortspiels halber - Gottfried Kellers „Lebendig begraben“ einfällt, sollte man unbedingt kennen), in die eigene Innenwelt mit ihren Ängsten (vgl. im vorigen Beitrag die sprachgeschichtliche Nähe von Enge und Angst, aber auch die Eindimensionalität des hinunter/hinab), die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und des endlich erwachsen werden – sie muss nun selber in den Keller (gehen) mit Rückendeckung/Hilfe ihrer besten Freundin (kann man wohl so sagen nach 30 Jahren) den Hausstand auflösen.

Marie, die schon beim ersten Mal

ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen.
heißt – beide konnten sich von Anfang an gut riechen, während die Erinnerung an Tom – der Sandkastenfreundschaft -mit dem Zähneknirschen verbunden ist.

Da hat der jung-68er hier ein Problem - nicht, weil er in der konservativen Revolution zu einer buchstäblich aussterbenden Art gehört, aber mit neun interessierte den Drittklässler ein Mädchen nicht die Bohne (was nicht ausschließt, dass er drei Jahre zuvor seine Kindergärtnerin ganz schön mochte …) und als er satte 30 Jahre später ein wie er damals gleichaltriges Töchterlein hatte, wiederholte sich das ganze – mit einer Ausnahme, einem gleichaltrigen Nachbarsjungen, wenn die beiden auf Abenteuer auf dem Zechenplatz auf der anderen Straßenseite oder die eiszeitliche, bewaldete Endmoräne von stattlichen 40 m Höhe hinterm Haus und der großen Wiese auf Abenteuer ausgingen. Ein Sandkuchen wurde weder vorher noch nachher – und über die Enkelgeneration – und seien es Nichten – ist es auch nicht sensationell anders zugegangen.

Aber ich weiß gar nicht, wann die Barbie-Generation aufkam ... Die ist auch in meinem Bekanntenkreis an mir vorbeigegangen oder noch gar nicht angekommen.

[Tom] mochte die anderen Kinder nicht besonders
und doch ist Tom schon in frühen Jahren ein Windhund – denn Windspiel bezeichnet auch eine Hunderasse (“Hounddog“, den Text gibt‘s in mehreren Varianten, dass ich die Leiber-Stoller Komposition nicht zum Eingangszitat ausgewählt hab – ob er nun bei Big Mama schnüffelt oder das Kaninchen nicht fängt, “he‘s nothing but a hounddog“), eine Haltung, die oft in einem übersteigerten Selbstwertgefühl gründet. Weil Tom die andern nicht riechen kann (was mit einer Ausnahme auf Gegenseitigkeit beruhen wird), sucht er sich ein williges Opfer. Und – eigentlich nicht unerwartet – stellt er Forderungen zum Alleinvertretungsanspruch

„Lass das!“, brüllte sie.
„Mit Julian machst du’s doch auch!“
und in der Tragödie endet.

Triviales – ließe sich hier nicht

Tom kniff die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz trafen und sie sich ihm gegenüber auf die Wippe setzte.
die Kombination
"..., als sie sich" - Plural, und "… und sie sich …" Singular vermeiden, etwa der Art „Tom kniff die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz trafen und einander gegenüber auf die Wippe setzten“? Dass wenigstens jetzt noch die Illusion von Gleichrangigkeit bestehen bleibt zwischen zwo Kindern?

So viel oder wenig für jetzt vom

Friedel

* Nachtrag,

deutlicher wird das ganze Dilemma durch schlichtes Möbelrücken:

"Kaum traute sie sich zu atmen unter einer großen Tanne"

 

Lieber @Friedrichard

Da bist du wieder - und ich freu mich!

Recht hat Novak getan, gefühls- und verstandesmäßig!
Genau, deshalb habe ich das auch sofort geändert :)

Mit diesem siebten Satz gewinnt durch den ersten Absatz für mich die klassische Form einer Heimkehr – buchstäblich bis hinab in Unterwelt und Unbewusstes
Ja, das stimmt. Ich habe das nach den vielen wertvollen Verbesserungsvorschlägen ja noch einmal überarbeitet und empfinde die Ausgangssituation jetzt selbst als klarer und dennoch nicht übermäßig erklärend. Und richtig, sie steigt buchstäblich hinab in Unbewusstes.

Marie, die schon beim ersten Mal

ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen.

heißt – beide konnten sich von Anfang an gut riechen, während die Erinnerung an Tom – der Sandkastenfreundschaft -mit dem Zähneknirschen verbunden ist.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Fühle mich sehr verstanden an dieser Stelle.

Triviales – ließe sich hier nicht die Kombination "..., als sie sich" - Plural, und "… und sie sich …" Singular vermeiden, etwa der Art „Tom kniff die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz trafen und einander gegenüber auf die Wippe setzten“? Dass wenigstens jetzt noch die Illusion von Gleichrangigkeit bestehen bleibt zwischen zwo Kindern?
Toller Vorschlag, danke. Habe ich doch glatt übernommen.

Vielen Dank für deinen erneuten Besuch, Friedel!
Liebe Grüße schickt
RinaWu

 

Hola @RinaWu,

wie eine Katze wie ein Kater den heißen Brei umschleiche ich immer mal wieder Deine Geschichte. Ich hab’s, das muss ich zugeben, bisschen schwer damit.

Wir kennen uns ja schon länger und ich schätze Dich. Nein, ich sage nicht, warum – sonst unterstellst Du mir Unaufrichtigkeit bei so viel Lob.
Muss auch dazu sagen, das meiste Lob ist für Dich als Autorin mit festem Ziel; dass einige Texte für mich schwer zu lesen waren, sollte bei Deiner Experimentierlust verständlich sein.

Bei der „Kellerkiste“ bleib ich immer wieder stecken. Ganz merkwürdig. Ist da vieles geändert worden, dass die Geschmeidigkeit, der Flow darunter leiden?
Könnte ich mir vorstellen (auch ich hasse Textveränderungen, weil es oft sehr schwierig ist, die Anschluss-/Verbindungsstellen nahtlos hinzukriegen).

Und ich habe manches Mal das Gefühl, dass Deine Strebsamkeit einer fließenden Leichtigkeit oft im Wege steht, weil häufig kreative Elemente eingebaut werden, die schön sein können, zumindest originell, manchmal allerdings auch gewollt erscheinen – und dann holpert es im Lesefluss. Aber jeder Autor ist stolz auf seine Einfälle, die möchte man (und ich) dann auch gerne unterbringen;).


Ein paar Anmerkungen zur „Kellerkiste“ hätte ich noch:

Es riecht muffig hier unten. Nach Erde und feuchtem Stein.
Die alten Backsteine dünsten Feuchtigkeit aus, ...
vertreibt den Geruch nach Erde und feuchtem Stein.
... dann aber lese ich:
Die Wände atmen, sie atmen staubige Erde, ...
Die staubige Erde passt mMn nicht zum feuchten Milieu.

Nach der Beerdigung ist sie hierher zurückgekommen, ...
Demnach sind die Eltern gleichzeitig verstorben?

Dreißig Jahre ist es her, dass sie das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen.
Das ist wirklich schön.

Staubkörner tanzen im Lichtkegel der Lampe. Es knirscht im Mund, wenn sie die Zähne zusammenbeißt.
Das geht mMn nicht. Beim Sandsturm knirscht es im Mund, aber Staub knirscht nicht, dazu fehlt es ihm an Substanz – und wenn es ‚Staubkörner’ wären, tanzten sie nicht. So entsteht eine gewisse Holprigkeit bei der Überleitung zu Toms Sandkuchen.
So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, ...

Sie musste Sand fressen? Dazu hätte er ihr Gewalt antun müssen – und die Freundschaft wäre beendet, oder nicht?
... die Tom im Sandkasten buk.
besser: formte, er hat ja nicht gebacken

Sie verschränkt die Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere. Die Innenflächen sind feucht. Die Nägel spröde, der Lack ist an einigen Stellen abgeplatzt.
Mit neun schlich sie zum ersten Mal ins Bad, während ihre Mutter unten das Mittagessen vorbereitete. Sie öffnete den kleinen Schrank unterm Waschbecken, wo die Fläschchen mit Nagellack standen. Wählte Pink. Ihre Hand zitterte, als sie ihn einige Stunden später auftrug, an manchen Stellen malte sie daneben, aber am Schluss war sie zufrieden. Tom kniff die Augen zusammen, als sie sich auf dem Spielplatz trafen und einander gegenüber auf die Wippe setzten. Nach einer Weile sagte er ihr, sie solle kurz warten, er müsse schnell etwas holen. Als er wiederkam, hatte er einen Edding in der Hand, hockte sich auf ihre Seite der Wippe und bat sie, die Hände ausgestreckt aufs Holz zu legen. Er zog die Kappe vom Stift, malte ihre Fingernägel an. Einen nach dem anderen. Abends bemerkte ihre Mutter die schwarzen Nägel und zog Sofie ins Bad. Sie tränkte Wattepads mit Nagellackentferner und rieb damit so lange hin und her, bis die dünne Haut an Sofies Fingerspitzen ganz rot war und jegliche Farbe verschwunden.

Was ich hier lese, irritiert mich. So viel Text für was? Ein kleiner Schrank unterm Waschbecken – aber hallo, RinaWu! Und Pink und Edding? Um Tom aufzuspießen, ist das zu viel Aufwand, immerhin sind wir bei Kurzgeschichten:teach:.

„Hast du dich verlaufen da unten?“, ruft Marie aus der Küche.
„Komme gleich.“
„Mach keine Wissenschaft draus. Hauptsache, der Wein knallt.“

Ich verstehe nicht – woraus soll sie keine Wissenschaft machen? Hab ich was übersehen? Und Wein – gibt’s etwas zu feiern, oder wozu?
Na ja, man muss dem Leser nicht alles ins Maul legen. Der kann sich denken, dass das vorher besprochen wurde – nur kommt’s doch ziemlich unerwartet.

Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Nun stirbt Maries Lachen nicht vor Sofies Füßen, sondern es landet:hmm:.

Ob mir das gefällt oder nicht, spielt keine Rolle – jedenfalls steckst Du Arbeit in Deine Texte. Da applaudiere ich! Und die Geschichte ist gut!

„Meine Mutter sagt, es klimpert, wenn jemand an dich denkt“, sagte er.
Manchmal, mitten in der Nacht, bewegte es sich sachte, das Klirren weckte Sofie auf.
Und da hat Sofie keine Idee, wer an sie denken könnte?

Ihr Herz schlägt gegen den Brustkorb und wandert weiter bis in den Hals. Sie will das Pochen runterschlucken, doch es geht nicht. Um sie herum verschwimmen die Konturen. Sofie leckt sich über die Lippen, spröde Haut unter ihrer Zunge. Sie sieht hinter sich, doch da ist nur das Weinregal. Dreht sich um, schaut wieder in den Karton, da ist Tom. Die Briefe, die er ihr geschrieben, die Bilder, die er gemalt hat, ausgedachte Schatzkarten, Kastanientiere. Sie flüstern, sie kriechen aus der Kiste, erzählen eine Geschichte, die tief begraben liegt.
Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Sie senkt den Blick. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Weinregal, eine Flasche fällt heraus, zerschellt am Boden. Vor ihren Füßen breitet sich ein roter Fleck aus.

:thumbsup: Diese Szene fand ich sehr gelungen. Dicht, drängend, für meinen Geschmack wirklich gut gemacht. Hab’s doppelt gelesen.

Er küsste sie auf den Mund, die Wangen, die Ohren – den Hals. Sofie warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Seine Lippen waren nass und kalt.
Tom ist wild erregt, hat aber kalte Lippen?

„Lass das!“, brüllte sie.
„Mit Julian machst du’s doch auch!“
Dynamit vom Feinsten. Klasse.

... stieß ihn von sich. Überrascht taumelte er zurück, ruderte mit den Armen, stolperte.
Kommt jetzt für mich schwächer rüber als die vorherige Idee, ihn in den Fluss zu stoßen.

Liebe RinaWu, schreiben kannste – eh klar. Wenn ich als schwieriger Kunde etwas (viel) zu meckern habe, dann pfeif drauf. Ich bin sicher, Dein Selbstbewusstsein wird darunter nicht leiden.
Für mich ist dieser Text eine lesenswerte Geschichte - und ich hab ihn gern gelesen!

Für heute beste Wünsche und Grüße!
José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @RinaWu,

hier ist ja schon Einiges gesagt worden, deshalb nur einige Anmerkungen:

Was ich an den Komms. nicht ganz verstanden habe, sind die Schwierigkeiten, die Einige mit dem Setting hatten, denn eigentlich finde es sonnenklar: Tochter kehrt nach dem Tod der Eltern zurück, um das Haus leerzuräumen. Oder hast du da nach den ersten Rückmeldungen schon geschraubt?
Ev. liegt die Irritation aber auch im ersten Satz:

Sofie geht nur selten in den Keller.
Das klingt nach einer Gewohnheit und nicht so, als wären min. zwanzig Jahre seit dem letzten Gang die Kellertreppe hinab vergangen. Letzteres war meine Lesart, denn vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kellerkiste sie später sofort anspringt, ist eine Gewohnheit quasi ausgeschlossen. Fände ein "Sofie war vor einer Ewigkeit zuletzt im Keller" o.ä. eindeutiger. Wenn ich falsch liege, hilf mir auf die Sprünge.

Ihre Eltern taten das für sie. Jetzt hat sie keine andere Wahl.
Nach der Beerdigung ist sie hierher zurückgekommen, ist immer wieder durchs Haus gewandert.
Das ist mir schon beim ersten Lesen aufgestoßen, denn es klingt so, als wären beide Eltern zusammen gestorben, was abgesehen von gemeinschaftlichem Selbstmord oder einem schweren Unfall extrem unwahrscheinlich ist. Aber den Stolperer kannst du ja leicht beseitigen, wenn du schreibst, wer zuletzt beerdigt wird.
Ich finde übrigens, dass die Eltern deiner Prota sehr jung verstorben sind, denn wenn sie Marie vor dreißig Jahren - sagen wir zu Beginn der weiterführenden Schule - kennenlernte, ist sie jetzt etwa vierzig Jahre alt. Und die Eltern? Fünfundsechzig? Too young to die!

Als er wiederkam, hatte er einen Edding in der Hand, hockte sich auf ihre Seite der Wippe und bat sie, die Hände ausgestreckt aufs Holz zu legen. Er zog die Kappe vom Stift, malte ihre Fingernägel an. Einen nach dem anderen.
Das finde ich etwas konstruiert, denn Neunjährige, die ich erlebt habe, würden nach dem ersten Strich die Hand wegziehen und "Spinnst du?" schreien. Vor allem, da du später schreibst:
Sie konnte Tom nie leiden.
Ich verstehe schon, dass du es als Ankündigung ihrer drohenden Ohnmacht brauchst, gestört hat es mich dennoch.

Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Fand ich beim ersten Lesen originell, beim zweiten etwas zu dick.

Spürt den Blick, diesen schweren Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.
Sehr gelungen, da es sich erst nachträglich erschließt. Chapeau.

Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Sie senkt den Blick. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Weinregal, eine Flasche fällt heraus, zerschellt am Boden. Vor ihren Füßen breitet sich ein roter Fleck aus.
Faszinierender, temporeicher Flashback.
Kleiner Wehrmutstropfen allerdings die Ähnlichkeit der Satzanfänge: Sofie krallt sich an der Kommode fest. Der Boden fühlt sich weich an. Sie senkt den Blick. Blätter unter ihren Füßen, feuchte welke Blätter. Sie schlägt die Hände vor den Mund, taumelt rückwärts. Toms Gesicht löst sich aus dem Mauerwerk. Er starrt sie an, die Haut ganz weiß. Sein Mund ist aufgerissen, er streckt die Hand nach ihr aus. Sie stolpert, stößt gegen das Weinregal, eine Flasche fällt heraus, zerschellt am Boden. Vor ihren Füßen breitet sich ein roter Fleck aus.

Seine Augen, da war etwas, das Sofie nicht kannte. Etwas, das sich in sie hineinbohrte. Ihr wurde schlecht.
Schöne Stelle.

Kaum zwei Armlängen trennte sie noch.
... trennten

Sofie setzt sich auf den Rasen und zündet sich eine Zigarette an. Der Boden unter ihr ist warm. Die untergehende Sonne färbt die wenigen Wolken am Himmel rosa.
Sorry, aber den letzten Satz finde ich misslungen, da er am Klischee der rosa Brille kratzt. Die Kippe zur Beruhigung der Nerven auch. Eine einfache Erleichterung würde mir an der Stelle schon genügen, z.B. wenn sie die wohltuende Wärme des luftigen Grases spürt, auf das sie herabsinkt.

Die Mutation Toms von einem sensiblen Jungen, der ihr ein Windspiel schenkt, Briefe schreibt, Kastanientiere bastelt und Schatzkarten malt, zu einem Getriebenen, der sie aus Eifersucht heraus vergewaltigen will, ist mir zu drastisch und dient mMn der Story nicht. Mein Vorschlag: Lass das Sensible weg. Wenn er auch als Junge schon nur ein Rabauke war, wird es plausibler.

Deine Story finde ich von der Idee her nicht so wirklich megaoriginell, dafür solide umgesetzt. Du verstehst das Handwerk, schaffst mit knappen Sätzen eine dichte Atmosphäre, die mich einsaugt. Es waren packende, schöne Bilder dabei. Mir persönlich waren es nicht zu viele feuchte Nebelstellen, ich kann jedoch nachvollziehen, wenn die Wiederholung andere nervt.

Trotz des ganzen Gemeckers gerne gelesen.

Peace, linktofink

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @josefelipe

Schön von dir zu lesen!

Muss auch dazu sagen, das meiste Lob ist für Dich als Autorin mit festem Ziel; dass einige Texte für mich schwer zu lesen waren, sollte bei Deiner Experimentierlust verständlich sein.
Das ist auch verständlich. Habe ich dir ja auch schon mehrfach gesagt. Und ist für mich total okay. Man kann nicht erwarten, dass alles, was man da so auf dem Papier fabriziert, allen immer gefällt. Das wäre auch nicht gut, denn dann würde man vermutlich auf der Stelle stehenbleiben.

Ist da vieles geändert worden, dass die Geschmeidigkeit, der Flow darunter leiden?
Ja, da habe ich einige Stellen angefasst. Jedoch nicht inhaltlich dermaßen, dass neue Schnittstellen geschaffen werden mussten. Die sind eigentlich gleich geblieben. Ich persönlich finde den Text nun schlüssiger. Was den Fluss betrifft, werde ich mir das in einer oder zwei Wochen (ach nee, da bin ich im Urlaub, aber danach dann halt) noch einmal genau ansehen und anhören. Ich bin gerade nicht dazu in der Lage, den Text noch einmal konzentriert von Anfang bis Ende durchzusehen, brauche eine Pause.

Und ich habe manches Mal das Gefühl, dass Deine Strebsamkeit einer fließenden Leichtigkeit oft im Wege steht, weil häufig kreative Elemente eingebaut werden, die schön sein können, zumindest originell, manchmal allerdings auch gewollt erscheinen
Ja, das alte Thema. Empfinde ich natürlich anders :D Und es ist tatsächlich immer so, dass mancher Leser genau diese Elemente total schätzt, die der andere als too much empfindet. Naja, so ist das, auch damit kann ich leben. Lieber probiere ich einmal zu viel, als dass ich mich nicht traue und mich nicht mehr weiterentwickle.

Die staubige Erde passt mMn nicht zum feuchten Milieu.
Da hast du recht! Habe ich rausgehauen.

Demnach sind die Eltern gleichzeitig verstorben?
Nachdem das nun mehrfach bemängelt wurde, habe ich das deutlicher gemacht. Ein bisschen. Hoffe, das reicht. Hätte gedacht, das spielt nicht so eine entscheidende Rolle - so kann man sich täuschen ;)

Das geht mMn nicht. Beim Sandsturm knirscht es im Mund, aber Staub knirscht nicht, dazu fehlt es ihm an Substanz – und wenn es ‚Staubkörner’ wären, tanzten sie nicht. So entsteht eine gewisse Holprigkeit bei der Überleitung zu Toms Sandkuchen.
Das habe ich weiter oben bei einem Kommentar schon erklärt. Natürlich knirscht es nicht wirklich in ihrem Mund. Sie sieht den Staub im Licht, Staub suggeriert in ihrem Kopf Trockenheit, Staubkörner - Sandkörner, und es knirscht - vermeintlich. Genau wie sie später Feuchtigkeit aus den Wänden kommen sieht. Das geht ja auch nicht. Das sind sozusagen sensorische Erinnerungen, die da im Keller ausgelöst werden. Und warum genau tanzen Staubkörner nicht? Klar tanzen die. Man sagt doch Staubkörner, oder nicht? Deshalb sind sie von der Substanz ja nicht gleichzusetzen mit anderen Körnern (z.B. Sand).

Sie musste Sand fressen? Dazu hätte er ihr Gewalt antun müssen – und die Freundschaft wäre beendet, oder nicht?
Nein, denke ich nicht. Ich denke, dass psychologischer Druck gerade bei Kindern unglaublich intensiv wirken kann. Also der Gedanke, Tom wäre enttäuscht, traurig oder wütend, wenn sie den Sandkuchen nicht probiert, könnte schon reichen, damit sie sich dazu verpflichtet fühlt, ihn zu probieren.

Was ich hier lese, irritiert mich. So viel Text für was? Ein kleiner Schrank unterm Waschbecken – aber hallo, RinaWu! Und Pink und Edding? Um Tom aufzuspießen, ist das zu viel Aufwand, immerhin sind wir bei Kurzgeschichten
Auch hier muss ich widersprechen :p Ich finde den Absatz wichtig, um zu beschreiben, was für eine Dynamik in ihrer Freundschaft herrscht. Dass Tom eine gewissen Macht hat, die sie vielleicht nie so wirklich versteht, bzw. greifen kann.

Ich verstehe nicht – woraus soll sie keine Wissenschaft machen? Hab ich was übersehen? Und Wein – gibt’s etwas zu feiern, oder wozu?
Na ja, man muss dem Leser nicht alles ins Maul legen. Der kann sich denken, dass das vorher besprochen wurde – nur kommt’s doch ziemlich unerwartet.
Sofie soll aus der Weinauswahl keine Wissenschaft machen. Ich denke, das erschließt sich aus der Situation und aus dem Zusatz: "Hauptsache, der Wein knallt". Und warum sollte es was zu feiern geben? Steht das irgendwo? Wegen des Weins? Also, ich denke, auch das erschließt sich. Die beiden Freundinnen haben den ganzen Tag im Haus herumgeräumt und sitzen nun abends beieinander und möchten ein Glas Wein trinken. Ich denke, das geht auch, ohne gleich zu feiern ... ;)

Und da hat Sofie keine Idee, wer an sie denken könnte?
Doch, na klar. Auch das erschließt sich, finde ich. Würde ich hier explizit aussprechen, dem Leser sozusagen erklären: "so, das klimpert jetzt und Sofie denkt sich, dass Tom bestimmt gerade an sie denkt" würde das sämtliche Stimmung dieser Situation killen. Da vertraue ich einfach dem Leser, das er das erspürt.

Diese Szene fand ich sehr gelungen. Dicht, drängend, für meinen Geschmack wirklich gut gemacht. Hab’s doppelt gelesen.
Das ist schön - und auch echt interessant. Mit genau diesen Absätzen kämpfe ich noch ungemein ... Verrückt ist das manchmal :)

Wenn ich als schwieriger Kunde etwas (viel) zu meckern habe, dann pfeif drauf. Ich bin sicher, Dein Selbstbewusstsein wird darunter nicht leiden.
Für mich ist dieser Text eine lesenswerte Geschichte - und ich hab ihn gern gelesen!
Ach du weißt doch, dass ich damit gut umgehen kann. Und jede Kritik bringt mich ja auch weiter. Ich lasse das alles jetzt wie gesagt mal ein paar Wochen sacken und werde den Text dann noch mal bearbeiten. Im Moment bin ich irgendwie überfordert.

Liebe Grüße an dich!

Hey @linktofink

Danke auch an dich, dass du mir deine Gedanken zu meinem Text dagelassen hast.

Das klingt nach einer Gewohnheit und nicht so, als wären min. zwanzig Jahre seit dem letzten Gang die Kellertreppe hinab vergangen. Letzteres war meine Lesart, denn vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kellerkiste sie später sofort anspringt, ist eine Gewohnheit quasi ausgeschlossen. Fände ein "Sofie war vor einer Ewigkeit zuletzt im Keller" o.ä. eindeutiger. Wenn ich falsch liege, hilf mir auf die Sprünge.
Da hast du recht. Ich verstehe jetzt auch die Irritationen. Ich habe diesen ersten Satz nun komplett gestrichen und beginne mit dem zweiten. Habe das ein bisschen umgestellt und denke, das funktioniert jetzt besser.

Aber den Stolperer kannst du ja leicht beseitigen, wenn du schreibst, wer zuletzt beerdigt wird.
Ja, da das nun mehrfach Thema war, habe ich das ein wenig verdeutlicht. So wenig wie möglich, möchte hier nicht zu erklärend werden. Hoffe, so passt es.

Das finde ich etwas konstruiert, denn Neunjährige, die ich erlebt habe, würden nach dem ersten Strich die Hand wegziehen und "Spinnst du?" schreien. Vor allem, da du später schreibst:

Sie konnte Tom nie leiden.

Ich verstehe schon, dass du es als Ankündigung ihrer drohenden Ohnmacht brauchst, gestört hat es mich dennoch.
Vielleicht mag Sofie aber auch, was Tom da macht. Ich bin da noch nicht ganz klar, aber sie zieht schon beabsichtigt die Hand nicht weg. Vielleicht übt er auf sie eine Art Faszination/Macht aus. Sowas ging mir da im Kopf rum. Und mit Sie konnte Tom nie leiden ist Sofies Mutter gemeint, nicht Sofie. Habe das geändert, damit es klarer wird.

Sehr gelungen, da es sich erst nachträglich erschließt. Chapeau.
Merci beaucoup!

Faszinierender, temporeicher Flashback.
Kleiner Wehrmutstropfen allerdings die Ähnlichkeit der Satzanfänge
Ja, mit diesen Absätzen tue ich mich auch noch schwer. Da werde ich mich nach einer kleinen Pause noch einmal dransetzen.

Sorry, aber den letzten Satz finde ich misslungen, da er am Klischee der rosa Brille kratzt. Die Kippe zur Beruhigung der Nerven auch. Eine einfache Erleichterung würde mir an der Stelle schon genügen, z.B. wenn sie die wohltuende Wärme des luftigen Grases spürt, auf das sie herabsinkt.
Hmm, empfinde ich anders (klar ;)), aber auch das lasse ich mal sacken.

Die Mutation Toms von einem sensiblen Jungen, der ihr ein Windspiel schenkt, Briefe schreibt, Kastanientiere bastelt und Schatzkarten malt, zu einem Getriebenen, der sie aus Eifersucht heraus vergewaltigen will, ist mir zu drastisch und dient mMn der Story nicht. Mein Vorschlag: Lass das Sensible weg. Wenn er auch als Junge schon nur ein Rabauke war, wird es plausibler.
Nein, also Toms sensible Seite wegzulassen, kommt für mich nicht in Frage. Ich finde es super wichtig. Vielleicht, weil ich seinen Ausraster im Wald auch nicht ganz so krass sehe wie du. Er will sie nicht vergewaltigen, er versucht sie zu küssen. Er begrabscht sie nirgendwo, sondern will sich unbedingt einen Kuss holen. Das ist schon noch mal ein Unterschied. Und ich wollte eben schon vor allem darauf hinaus, dass aus einem Jungen, der eben (vielleicht aufgrund seiner Sensibilität) einfach ein wenig anders ist, in dem Augenblick der ersten Eifersucht, der beginnenden Pubertät, auf einmal ein impulsiver Junge wird, der in einer Art reagiert, die Sofie und wohl auch er selbst, nicht absehen konnten. Wodurch es dann eben zu dieser Tragödie kommt.

Du verstehst das Handwerk, schaffst mit knappen Sätzen eine dichte Atmosphäre, die mich einsaugt.
Das ist doch etwas! Freut mich, danke dir.

Vielen Dank für deine Anmerkungen, die sicher auch noch einmal nachwirken werden, wenn ich mich erneut an den Text setze.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu,

ich habe deine Geschichte gleich gelesen, als du sie hochgeladen hast und auch gleich gemocht. Einiges, woran ich mich ein wenig gestoßen habe, hast du inzwischen schon geändert, also bleibt mir inhaltlich nicht viel zu sagen, nur mehr oder weniger Kleinkram. Vielleicht kannst du davon ja noch etwas gebrauchen. Ich frage mich die ganze Zeit, hast du eigentlich irgendwas geändert, dass Tom am Anfang weniger freakig rüberkommt, oder habe ich mich nur an ihn gewöhnt? Wie auch immer, so wie du ihn jetzt dargestellt hast, finde ich es gut: ein ganz normaler, vertrauter Freund eigentlich, der irgendwann, für Sofie aus dem Nichts heraus, einen hormonellen Rappel bekommt …

Früher weigerte Sofie sich, die knarrende Treppe in den Keller hinunterzusteigen. Ihre Eltern taten das für sie.
Das finde ich irgendwie komisch, mit dem „weigern“, und dass es die Eltern für sie taten. Sie taten es ja auch für sich, wahrscheinlich: Pflaumenkompott hochholen oder den Christbaumständer oder so Kram. Ich könnte mir etwas in dieser Art geschickter vorstellen: Früher hatte Sofie immer Angst …, und meistens gingen dann ihre Eltern.

Seit zwei Tagen ist Marie da – süße, laute Marie. Dreißig Jahre ist es her, dass sie das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie zu setzen. Nun hilft sie ihr dabei, die Kisten zu packen, die Zimmer auszuräumen.
Irgendwie stört mich das „süße“, weil es eine Wichtigkeit heraufbeschwört, die Marie so in der Geschichte nicht hat. Falls ich mich nicht täusche ... Ich gehe davon aus, das sie eine normale Freundin ist und die beiden keine lesbische Beziehung haben oder hatten, deshalb: süße – weiß nicht so recht … Lustige, laute Marie vielleicht, so als Vorschlag.

Mit neun schlich sie zum ersten Mal ins Bad, während ihre Mutter unten das Mittagessen vorbereitete.
Zum ersten Mal klingt danach, als hätte sie es seitdem immer wieder getan, aber davon ist gar nicht mehr die Rede, also vielleicht einfach durch „irgendwann einmal“ austauschen?

Als er wiederkam, hatte er einen Edding in der Hand, hockte sich auf ihre Seite der Wippe und bat sie, die Hände ausgestreckt aufs Holz zu legen.
Hatte in der Hand klingt umständlich, zumal danach noch die Hände kommen, vllt. einfach: Er kam mit einem Edding zurück

„Mach keine Wissenschaft draus. Hauptsache, der Wein knallt.“
Recht hat sie! :wein:

Maries Lachen poltert die Treppe hinab, wird immer leiser und landet vor Sofies Füßen.
Gefällt mir sehr! :thumbsup:

Sofie reibt sich über die Arme und betrachtet die Kiste. Sie ist nicht beschriftet.
Ist das bedeutsam? Sind dort sonst alle Kisten beschriftet wie in einem Archiv? Oder ist das vllt. normal, und nur ich bin so ein Messie … :sconf:
Sofie sieht Marie regelrecht vor sich, wie sie oben in der Küche steht. Die senkrechte Falte zwischen ihren Augenbrauen, das leichte Zucken der Mundwinkel. Spürt den Blick, diesen schweren Blick, den Marie ihr manchmal zuwirft, wenn Stille zwischen ihnen entsteht.
Hier frage ich mich nach der Bedeutung dieses schweren Blickes. Weil Marie Bescheid weiß, oder ahnt, wie es gewesen ist mit Tom? Ich denke, das ist wahrscheinlich deine Intention. Vielleicht wäre es dann auch schön, Marie in den Kindheitserinnerungen einen kurzen Auftritt haben zu lassen?

Die Decke des Kellers sackt herab, Sofie fasst sich an den Hals und schnappt nach Luft.
Gefällt mir sehr!

Ihr Herz schlägt gegen den Brustkorb und wandert weiter bis in den Hals.
Das ganze Herz wandert in den Hals? *Würg* :eek:

Sie stolpert, stößt gegen das Weinregal, eine Flasche fällt heraus, zerschellt am Boden. Vor ihren Füßen breitet sich ein roter Fleck aus.
Den Fleck würde ich weglassen, da fühle ich mich als Leser buchstäblich zu sehr mit der Nase hineingedrückt. Wenn du schreibst, eine Flasche Rotwein fällt heraus, dann sehen wir den roten Fleck auch von alleine.

Sie kreisten um einen Punkt am Boden, den niemand sehen konnte.
Hier stehe ich auf dem Schlauch, ehrlich. Wer oder was kreist um diesen Punkt?

stürmte mit nach vorn gestreckten Armen auf ihn zu und stieß ihn von sich. Überrascht taumelte er zurück, ruderte mit den Armen, stolperte.
Hier passt einiges nicht so gut. Zum einen klingt mit nach vorn gestreckten Armen irgendwie umständlich, zum anderen gibt es gleich darauf eine Wortwiederholung, und die Beschreibung des Ablaufs passt nicht so ganz: sie stürmt ja selbst auf ihn zu und stößt ihn dann von sich? Klar, was du meinst, keine Frage, aber das würde ich doch anders formulieren, in der Art irgendwie: … stürmte auf ihn zu und stieß ihn mit den Händen fort (oder weg, whatever)

„Ach du scheiße!“
Große Scheiße!

„Erstmal kommst du mit nach oben.“ Sie packt Sofie am Ellenbogen und zieht sie hoch.
Erstmal würde ich streichen, einfach: Komm mit nach oben.

„Hier!“ Marie hält ihr die Zigarettenschachtel hin und schiebt Sofie auf die Terrasse. „Ich kümmere mich um die Kiste. Und um den Wein.“ Sie geht zurück ins Haus.
Den Kursivsatz kannste auch weglassen, klingt sonst wie eine Regieanweisung. Wenn sie sich um den Wein und die Kiste kümmert, ist ja eh klar, dass sie wieder reingeht.

Sofie setzt sich auf den Rasen und zündet sich eine Zigarette an.
Vorschlag: Sofie sitzt auf dem Rasen …

Das war’s auch schon, liebe RinaWu, hat mir gut gefallen, und toll, dass die Geschichte es in eine Anthologie geschafft hat (und sogar ganz ohne unser wortkriegerisches Dranherumgebastele … Phhh! :pah:)

Liebe Grüße von Raindog

 

Liebe @RinaWu,

ich bin im Moment nicht so richtig in the mood, Kommentare zu schreiben. Nur soviel: Deine Geschichte gefällt mir wegen der dichten Atmosphäre, die du in ihr erzeugst.
Eine Kleinigkeit hätte ich aber:

Seit zwei Tagen ist Marie da – süße, laute Marie. Dreißig Jahre ist es her, dass sie (Marie) das Klassenzimmer betrat, sich umsah und ohne zu zögern auf Sofie zumarschierte, um sich neben sie (Marie) zu setzen. Nun hilft sie (Marie) ihr (Sofie) dabei, die Kisten zu packen, die Zimmer auszuräumen.

Subjekt ist hier immer Marie, wenn auch nur das Pronomen.

Es geht weiter mit dem Pronomen ‚sie‘:

… Es knirscht im Mund, wenn sie die Zähne zusammenbeißt. So wie damals, als sie die Kuchen essen musste, die Tom im Sandkasten buk.
Sie verschränkt die Finger ineinander, löst sie wieder, wischt mit einer Hand über die andere.

Müsste da nicht zumindest einmal wieder ‚Sofie‘ genannt werden, damit klar ist, wem es im Mund knirscht. Mir zumindest war das nicht auf Anhieb klar.

Liebe Grüße
barnhelm

 

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