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Karategott

Seniors
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01.09.2005
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Karategott

Ich fuhr sechzig und versuchte, an Schweinemedaillons zu denken. Zartrosa Fleisch, das auf dem Teller in Pilzsoße schwamm. So schmeckte der Geburtstag meines Vaters. Als Beilage Kroketten und ein paar unnütze Salatblätter.
Die Landstraße erlaubte 100. Hinter mir drängelten andere Autos. Die Fahrer hupten und überholten schließlich.
Als ein Traktor aus einem Feldweg auf die Straße fuhr, blieb ich hinter ihm. Trotzdem näherte ich mich Kilometer für langsam gefahrenen Kilometer dem Landgasthaus Könemann. Die Medaillons würden wie jedes Jahr großartig schmecken, sie waren nicht das Problem.
Unter den Reifen knirschte der Parkplatzsplitt. Mein Vater stand neben dem Glaskasten mit der Speisekarte und winkte. Er lächelte zwar, trat aber auch ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Es war 11.52 Uhr an seinem zweiundsechzigsten Geburtstag. Seit einigen Jahren hatte er sich nicht einfach damit abgefunden, dass er alt wurde. Er zelebrierte es. Unter anderem hieß das: Gegessen wird um zwölf, und zwar Punkt. Genauso war es immer bei Oma und Opa gewesen.
Obwohl ich meinen Vater kommen sah, zuckte ich zusammen, als er an das Sicherheitsglas klopfte. Ich fuhr die Scheibe herunter.
„Wo warst du denn schon wieder?“, fragte er. Da er keine Antwort erwartete, fügte er umgehend hinzu: „Warum stellst du dich nicht da vorne hin?“ Er zeigte in Richtung der Parkplätze direkt beim Eingang. Nur ein einziger, mindestens fünfzehn Jahre alter Mercedes stand dort.
„Warum steht ihr denn nicht da?“, fragte ich zurück.
„Wir sind zu Fuß. Nach dem Essen gleich ein Spaziergang, sonst setzt es an.“ Er streichelte seinen Kugelbauch.
„Hast du noch keine Probleme mit“, legte er fest. Sein Blick blieb kurz am leeren Beifahrersitz haften.
„Bist du allein?“, fragte er.
„Ja.“
Das Auto blieb, wo es war. Mein Vater wies noch drei Mal darauf hin, dass er das nicht verstehe, warum ich mich nicht da vorne hinstellte. Erst dann kamen wir zu Begrüßung, Gratulation und Geschenkübergabe. Ich hatte die 36 Kammern der Shaolin-Trilogie auf DVD besorgt.
Drinnen am Tisch wartete bereits meine Mutter. Sie blickte mir über die Schulter, während sie mir die Hand gab.
„Bist du allein?“
„Ja, er ist allein“, sagte mein Vater. Er nahm mir die Jacke ab und legte sie auf den freien Stuhl an dem Vierertisch, über dem bereits seine und die Jacke meiner Mutter hingen.
„Wo ist denn die Marina?“, wollte meine Mutter wissen.
„Kann er doch gleich immer noch erzählen“, sagte mein Vater. „Lass uns erstmal bestellen.“
Das Ritual fiel diesmal kurz aus. Normalerweise stieß meine Mutter meinen Vater mindestens fünf Mal an, zeigte auf die Karte und sagte: „Mh, das klingt auch lecker“, worauf mein Vater die Lippen zu einem abschätzigen Strich zusammenpresste und sagte: „Ja, gut, aber ich glaube, ich nehme wie immer.“
Das ergebnisoffene Studium der Karte war eine Lüge. Was wir bestellten, wenn wir bei Könemann aßen, stand seit dreißig Jahren fest.
Zwei Tische weiter deckte die Kellnerin einem alten Ehepaar auf. Pilzsoße dampfte auf dem Teller des Mannes. Ich sah hin, mein Vater sah hin. In all den Jahren hatten die Medaillons nichts von ihrer Qualität eingebüßt, dabei war ich nicht sicher, ob der Koch noch lebte, der sie in meiner Kindheit zubereitet hatte.
Mein Vater winkte die Kellnerin heran, aber die sah ihn nicht. Er winkte heftiger und schien kurz davor, sich lautlich bemerkbar zu machen, als meine Mutter ihn stoppte. Bitte, sagte sie, die komme schon wieder.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und sah Rentner, die ihre Spargelcremesuppen, Zanderfilets und Steaks nur zur Hälfte aßen und dann seufzend das Besteck an die Seite legten. Sie wischten sich den Mund und seufzten noch einmal.
Meine Mutter legte die Karte auf den Tisch. Sie hatte nur einmal darauf hingewiesen, was auch lecker klang. Es hatte nie ernsthaft infrage gestanden, dass sie die kleine gemischte Fischplatte nehmen würde.
Zeit zu reden.
Marina ist tot, schoss es mir durch den Kopf. Bei der Fremdenlegion. Im Weltall. Auslandsaufenthalt, irgendwo, warum egal. Hat sie nicht gesagt.
Mein Vater schwebte mit seinem Hintern einige Zentimeter über der Sitzfläche seines Stuhls. Mit einer Hand an der Rückenlehne und der anderen auf dem Tisch drückte er sich hoch wie bei Dips, hoch, runter, hoch, runter. Parallel dazu ging sein Mund auf und zu, auf und zu, jedes Mal, wenn die Kellnerin ihre prall gefüllten Platten auf einem Tisch abgestellt hatte und wieder in der Küche verschwand, ohne ihn zu beachten. Hoch und runter. Es machte mir Angst, wie angestrengt und fast schmerzverzerrt er dabei das Gesicht verzog.
„Jetzt lass das sein, Rudolf“, sagte meine Mutter scharf. „Die wird uns schon nicht vergessen.“
Mein Vater blinzelte sie skeptisch an. „Ach.“ Er winkte ab.
Durch die Schwingtür brachte die Kellnerin vier kleine Tablette mit Suppenterrinen. Daneben lagen jeweils eine braune und eine weiße Scheibe Brot. Mein Vater stemmte sich nach oben, ungesehen.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein“, flüsterte er.
„Rudolf, setz' dich hin.“
„Ach.“
Meine Mutter sah noch einmal in die Karte. Ihre Augen bewegten sich nicht dabei. Sie klappte das Menü wieder zu und fragte: „Wo ist denn nun die Marina?“
„Jetzt sei nicht so neugierig“, sagte mein Vater, ohne die Schwingtür zur Küche aus den Augen zu lassen.
„Was hat das denn mit neugierig zu tun? Ich werde doch meinen Sohn fragen dürfen, wo seine Freundin ist. Seine Verlobte fast ...“ Sie sah mich an. „Hattest du doch gesagt, als ihr aus Schweden zurück wart?“
„Norwegen.“
Meine Mutter fixierte die Blumenvase in der Mitte des Tischs und schnaufte böse aus.
„Und wo ist jetzt die Marina?“
„Im Weltall.“
„Was?“
„Ich muss auf die Toilette.“

Spritzer meiner Pisse sprenkelten die Klobrille gelb. Das machte mich traurig, denn Marina und ich hatten uns beim Pissen kennengelernt. Wir waren ineinandergelaufen, nachdem wir auf einem Festival aus dem Gebüsch zurückkamen. Sie grinste bekifft, als sie sich entschuldigte. Es war dunkel, aber immer noch warm, und sie ging barfuß. Wir standen da und rieben uns die Stirn und sahen uns in die Augen, im Knisterlicht eines nahen Lagerfeuers. Auf der Bühne gaben Slime ein Konzert ihrer Revival-Tour. Der Sänger röchelte ein letztes Mal ins Mikrofon, dass sie, also wir, keine Bullenschweine wollten, und dann endete die Musik und alles war Jubel. Aus der Gruppe beim Feuer rülpste jemand. „So ist richtig“, bemerkte ein Mitglied der Runde.
„Hast du dir weh getan?“, fragte Marina.
Ich schüttelte den Kopf.
„Und du?“, fragte ich.
Sie zuckte die Schultern. Es war der dritte Tag des Festivals und Marina roch nicht besonders gut. Sie war attraktiv, stieß aber aus der Masse der Hippie-Indie-Emo-Irgendwie-alternativ-Mädchen nicht hervor: Hoch oben abgeschnittene Jeans, ein Motörhead-T-Shirt, zerzauste Haare, Lederband-Gebimmel an den Handgelenken und den Fußknöcheln. Hätten wir unsere Köpfe nicht gegeneinander gerammt, wären wir wohl aneinander vorbei gelaufen, um irgendwann zu sterben und nie etwas von der Existenz des Anderen erfahren zu haben. Rückblickend wäre das das Beste gewesen, aber damals wusste ich das nicht. Statt zu sterben, ohne voneinander zu wissen, liebten wir uns eine Weile. Die Bedeutung unserer Köpfe war uns bewusst. Zur Begrüßung und zum Abschied rieben wir die Stirn aneinander, statt uns zu küssen.

Ich spuckte in die gelbe Pfütze und strich mir mit dem Zeigefinger über die Stirn. Er roch nach Rauch, nicht nach Marina.

Zurück am Tisch ließen weder mein Vater noch meine Mutter locker.
„Eben hat sie schon hergesehen und genickt“, sagte mein Vater. „Aber jetzt passiert wieder nichts. Ich gehe gleich vorne mal hin.“
„Ist vielleicht besser, ja“, sagte ich. Meine Mutter meinte, ich solle ihn nicht auch noch ermutigen.
„Und was war jetzt mit der Marina?“, fragte sie.
„Habt ihr schon was zu trinken bestellt?“, fragte ich.
„Nee“, sagte mein Vater. „Wir wissen doch gar nicht, was du willst.“
„Wasser“, sagte ich.
Mein Vater grinste und fragte mich, ob ich los gewesen wäre. Bevor ich antworten konnte, klapperten die Schwingtüren, die jemand von der anderen Seite aufschob, große schwere Teller voller grüner Bohnen mit Speck, Bratkartoffeln und Leber mit Röstzwiebeln auf den Unterarmen balancierend. Wie die Kellnerin mit ihrer Leber dahin tänzelte, war sie für meinen Vater einen Moment lang die Frau, um die sich alles drehte. Marina war das für mich gewesen, bevor ich ihr die Wohnungstür vor der Nase zugeschlagen hatte.
Meine Romanze war zu Ende, die meines Vater begann. Die Frau mit den Lebern auf dem Arm nickte ihm zu, und er winkte und lächelte und setzte sich endlich hin, und dann lächelte er nicht mehr und sagte: „Wollen wir das Beste hoffen, genickt hat sie eben auch schon.“
Meine Mutter verschränkte die Arme vor der Brust.
„Erfahren wir denn jetzt heute noch, was mit der Marina-“
Ich sprang auf, schlug mit der Handkante den Tisch in zwei Teile wie ein Karategott und schrie: „Sie ist im Weltall, meine Fresse, das habe ich doch gerade gesagt!“
Überall um uns herum aßen und seufzten die Leute einfach weiter, und als ich den Tisch ansah, war er noch in einem Stück, und ich saß auf meinem Stuhl, und meine Mutter sah mich mit diesem Blick an, der mir verriet, dass sie die Antwort schon kannte, obwohl ich noch nichts gesagt, geschweige denn geschrien hatte. Ich war kein Karategott. In der D-Jugend habe ich geweint, wenn mir einer zwischen die Beine grätschte. Mein Vater bekam noch immer diesen peinlich berührten Gesichtsausdruck, wenn die Nachbarn, die noch lebten, ihn beim Bier darauf ansprachen, was ich für eine Memme gewesen war.
„Wir sehen uns im Moment nicht so oft.“
„Habt ihr euch gestritten?“
Mein Vater tippte mit dem Finger auf den Tisch und sagte: „Na, jetzt reicht es aber, das geht uns nun wirklich nichts an.“
„Wir sehen uns einfach nicht mehr so oft“, sagte ich.
Sekundenlang legte sich eine Stille über den Tisch, so bedrückend, dass sie fast das Suppengeschlürfe übertönte. Mein Vater berichtete von Onkel Werner, der sich ja Solarzellen aufs Dach machen wollte, und jetzt wird das nicht mehr gefördert, und bei der Bank haben sie auch die Schultern gezuckt, und wenn man heutzutage die Nachrichten guckt, kann man sowieso nur noch mit dem Kopf schütteln.
Als Marina mich fragte, ob ich sie schon mal betrogen hätte, hatte ich auch den Kopf geschüttelt, dabei lief das mit Linda da schon längst. Beide Male hatte Marina es am Wochenende wegen der Arbeit nicht zu mir nach Bielefeld geschafft, und ich war daheim geblieben wegen der Grunge-Party im X. Linda und ich lachten, weil wir uns zu Them Bones von Alice in Chains küssten, genau wie wir es fast 20 Jahre zuvor getan hatten. Ich hatte eigentlich immer Sex mit Linda, wenn wir uns trafen, was nicht mehr so oft vorkam, weil sie schon lange in Berlin lebte. Unser Körperkontakt passierte stets so routiniert, dass ich es gar nicht mehr als Sex wahrnahm, deshalb war mein Kopfschütteln gegenüber Marina streng genommen keine Lüge gewesen. Mit Linda hatte ich vor Jahren mein erstes, zittriges Mal erlebt, und wenn wir uns wiederbumsten, weil sie für irgendeine Geburtstagsfeier ein paar Tage in der Stadt war, dann sah ich manchmal vor mir, wie ich mit ihr auch mein letztes Mal erlebte, unser beider Fleisch schlaff und faltig, mein Penis nicht mehr richtig steif, und dann gar nicht mehr, nie mehr, bis ein Herzinfarkt mich dahinraffte, wegen des Rauchens.
„Und du?“, fragte ich. Marina erzählte von Patrick, den sie beim Tai Chi kennengelernt hatte. Vor mir sah ich sie ficken, die Arme und Beine zur Kordel umeinander gewickelt, im Lotusduft der Räucherstäbchen, während von irgendwo ein Gong erklang. Marina sagte, dass es ihr leid täte. Ich nahm die Entschuldigung an uns schmiss sie raus.
„Die Leonie hat schon ihr zweites Kind“, sagte meine Mutter. In der Grundschule hatte Leonie auch immer die besseren Diktate geschrieben. Später war ihr Abi meinem um fast zwei Noten überlegen gewesen. Sie hatte nicht irgendeinen Quatsch studiert, sondern als Auszubildende zur Groß- und Außenhandelskauffrau alles in Erfahrung gebracht, was für das Leben wichtig war. Jetzt hatte sie das Reproduzieren nicht nur begonnen. Sie hatte scheinbar auch nicht vor, es wieder einzustellen. Dieses Duell würde erst enden, wenn einer von uns beiden tot war oder eine in diesem Leben nicht mehr einzuholende Leistung erbracht hatte. Den Mars bewohnbar machen, zum Beispiel.
„Nicht schlecht“, kommentierte ich Leonies wiederholte Niederkunft. Meine Mutter nickte.
„Ja, schön ist das für Jochen und Ute“, meinte sie.
Die Kellnerin hatte ihr braunes Haar zum Zopf zurückgebunden und trug angenehm wenig Schminke. Mein Vater schien sich zunächst beschweren zu wollen, doch dann sah er sie ein bisschen länger an, als nötig gewesen wäre. Meine Mutter starrte an die Wand, im Kopf zweifellos bei Leonies Eltern, die mit ihren Enkelkindern spielten und sich dabei die alten Diktathefte ansahen, die Schrift verblasst, aber immer noch lesbar, und darunter: Null Fehler! Prima, Leonie! Daneben ein Smiley oder eine Micky-Maus-Hand, die den Daumen nach oben streckte.
„Wir nehmen einmal die gemischte Fischplatte und zweimal die Medaillons mit Champignons. Und zu trinken-“
Die Kellnerin schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, aber die Medaillons sind aus.“
„Oh“, sagte mein Vater. Er wiederholte es ein paar Mal. „Dann ...“
Er sah mich an.
„Weißt du schon, was du dann nimmst?“
Ich zuckte die Schultern.
„Dann brauchen wir nochmal einen Moment“, sagte er.

 

Hi Proof,

die Geschichte ist wirklich alltäglich. Trotzdem war mir nie langweilig. Das liegt an deinem Stil - alles irgendwie auf den Punkt gebracht - und trotzdem so reichhaltig an Details. Wer kennt sie nicht? Die löchernden Fragen einer Mutter, die verdrängten Kummer wieder an die Oberfläche treiben. Na sag schon: Was ist los? Eigentlich eine ziemlich traurige Story. Der Protagonist ist nun wieder allein und dann bleibt auch noch das Medaillon aus. Aber durch den dezent portionierten Humor, ist sie doch ein Leckerbissen, deine Geschichte. Viel mehr kann fällt mir im Moment gar nicht ein. Außer ... ja, war mir ein kurzweiliges Vergnügen. Die Familie hat mir gut gefallen, vor allem der Vater, wie er fast explodiert auf seinem Stuhl und unentwegt auf die Tür zur Küche stiert.

Trotzdem näherte ich mich Kilometer für langsam gefahrenen Kilometer dem Landgasthaus Könemann.
Da bin ich irgendwie gestolpert. Und das ziemlich zu Beginn. Da stimmt schon alles, grammatikalisch, aber der ließt sich einfach sperrig.

der Hippie-Indie-Emo-Irgendwie-alternativ-Mädchen
:D Niemand ist vor ihnen sicher, nicht mal unser armer Prota ...

Beste Grüße
Hacke

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proof!

Hat mir gefallen, weil hoher Wiedererkennungsfaktor! Immer diese Pünktlichkeit, die über jede Sinnhaftigkeit erhaben zu sein scheint; dieses Geregelte immer Gleiche, die Neugierde der Mütter ...
Na ja, die Luft (das buchstabiert sich S, P, A, N, N, U, N, G) ist ein wenig raus, als das Geheimnis um Marinas Fehlen gelüftet ist. Aber das Ende war dann so herrlich typisch, dass ich es doch um keinen Preis missen möchte!

Them Bones von Alice in Chains, musste ich googeln, und ja, klar, kenne das nicht, weil alles irgendwo oberhalb Platz 50 eh nur Mainstreamscheiße ist! *grins*

Sehr gern gelesen!

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Proof

Ich finde das auch einen kurzweiligen Text mit einigen tollen Beobachtungen. Man sagt ja, ein guter Autor muss immer auch ein guter Beobachter sein, und ich finde, der Text ist ein Paradebeispiel dafür, warum da was Wahres dran ist.

Die Abneigung des Sohnes gegen das Treffen hast du fein herausgearbeitet, sowohl explizit - gerade zu Beginn - wie auch implizit, wenn er sich zum Beispiel nicht auf den Parkplatz stellen will, zu dem sein Vater zeigt. Nicht, weil es ein schlechterer Platz gewesen wäre, sondern einfach, weil es der Vater vorgeschlagen hat.

Drinnen am Tisch wartete bereits meine Mutter. Sie blickte mir über die Schulter, während sie mir die Hand gab.
„Bist du allein?“
„Ja, er ist allein“, sagte mein Vater. Er nahm mir die Jacke ab und legte sie auf den freien Stuhl an dem Vierertisch, über dem bereits seine und die Jacke meiner Mutter hingen.*
„Wo ist denn die Marina?“, wollte meine Mutter wissen.
„Kann er doch gleich immer noch erzählen“, sagte mein Vater. „Lass uns erstmal bestellen.“

Ich hab da geschmunzelt beim Lesen. Ich hatte auch sofort ein Bild von der Situation vor Augen, die Mutter, eine fürsorglich ältere Dame, der Vater, so ein Alpha-Typ "in seinen besten Jahren", der sofort die Kontrolle über die Situation übernimmt, weil er das halt immer tut.

Auch das Ritual beim Bestellen - herrlich, wie die Mutter dem Vater in die Bestellung reinreden will und er - ganz Gewohnheitstier - am Ende doch immer dasselbe nimmt. Da ist mir übrigens auch der einzige sprachliche Stolperstein begegnet:

Das ergebnisoffene Studium der Karte war eine Lüge.

ergebnisoffen - finde ich ein furchtbares Wort, das eher in einen politischen Kontext oder in ein Gespräch zwischen Managern passt. Hier passt es nicht rein.

Die Geschichte lebt wirklich von der Atmosphäre, wie du den Erzähler herumblicken lässt und die seufzenden Rentner erwähnst - das sind so Beispiel, da denkt man: Genau so ist das, und ich hab da geschmunzelt dabei, weil ich solche Szenen auch kenne und finde, die hast du treffend eingefangen.

Der Mittelteil dann mit Marina und Linda, das hat mir nicht so viel gegeben. Ich fand zwar das Detail mit dem Köpfen aneinanderreiben schön, aber sonst bleibt die Erzählung für mich oberflächlich. Jedenfalls wird verständlich, warum der Erzähler genervt ist, es liegt nicht an den Eltern, jedenfalls nicht nur, sondern in erster Linie an seiner privaten Situation. Gut fand ich dann wieder den Wechsel zur Szene bei Tisch, als die Mutter so einen "versteckten" Vorwurf macht, von wegen die und die hat schon zwei Kinder, was ist denn mit dir? Das sind die Art von Einmischungen, die immer stören, die kommen gerade wegen dem lächerlichen Versuch, sie subtil zu bringen, besonders unverhohlen daher. In deinem Fall versucht es die Mutter, indem sie nicht ihren Sohn mit Leonie vergleicht, sondern sich selbst mit deren Eltern - ist schön für Jochen und Ute, für mich wäre das genauso schön.
Ist bitter, wenn man in einer solchen Situation noch so eine Bemerkung um die Ohren gehauen bekommt.

Unterm Strich ein kurzweiliges, trotz des Themas über weite Strecken amüsantes Lesevergnügen, das neben dem souveränen Stil durch die feinen Beobachtungen besticht. Hab ich sehr gern gelesen.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Proof,

auch ich fand deinen Text toll und muss gestehen, dass er mich sogar in stiller Bewunderung (na ja, still zumindest bis jetzt) zurückgelassen hat. Wie kann man nur eine so banale Situation so aufregend, witzig und wortgewandt wiedergeben, ohne sich dafür eines außergewöhnlichen Sprachstils zu bedienen? Vermutlich hast du wirklich eine besondere Beobachtungsgabe. Ich sehe zwar auch viel, aber wenn ich so etwas erzählen würde, schliefen mir die Leute beim zweiten Satz weg.

Einzig an diesem Satz bin ich hängen geblieben:

Sie hatte nur einmal darauf hingewiesen, was auch lecker klang.

Ich musste den immer und immer wieder lesen, bis ich mir so ungefähr einen Reim darauf machen konnte. Vielleicht liegt es aber auch an meinem heute ziemlich reduzierten Auffassungsvermögen.

Als ich erfuhr, warum der Erzähler an Schweinsmedaillons dachte, schoss mir sofort in den Kopf, dass diese mit Sicherheit aus seien. Und trotzdem, obwohl das am Schluss dann wirklich zutraf, tat das meiner Unterhaltung keinen Abbruch.

Gern und schmunzelnd gelesen!

Gruß,
rehla

 

Hey Proof,

schon als er vierzig Stundenkilometer zu langsam fährt, wird klar, dass der Geburtstag nicht das Highlight im Leben des Protagonisten ist, wie beispielsweise ein Festival oder so.

Ein paar Anmerkungen:

Spritzer meiner Pisse sprenkelten die Klobrille gelb.
Für "Ich pisste daneben" ist das schon eine sehr sachliche Beschreibung, aber das ist okay, hat mich an mancher Stelle nur ein bisschen verwundert. "Ergebnisoffen" musst du allerdings echt ändern, da hat Schwups recht. "In die Karte zu gucken und so zu tun, als wäre noch nichts entschieden, war eine Lüge." Etwas in die Richtung.

Ansonsten hat diese scheinbare Unentschiedenheit viel Aussagekraft, daraus dann ein böses Ende zu basteln, ist genauso eine Leistung, wie aus dieser Szene einen unterhaltsamen Text zu machen, wobei ich mir nach "Die Taube" von Süskind, in der jemand die Tür aufmacht, eine Taube sieht und sein Leben aus den Fugen gerät, nach diesem Roman wurde mir klar, dass man aus jeder Szene und jeder Begebenheit eine gute Geschichte machen kann, wenn die Sprache stimmt und die Beobachtungen interessant sind. Deine Sprache ist souverän, habe es jetzt nicht mit den Augen eines Lektors gelesen, aber offensichtliche Fehler sind keine drin, und soweit ich sehe, haben meine Vorredner auch keine gefunden, die du inzwischen ausgebessert haben könntest. Bilder und Vergleiche sind rar gesät, es handelt sich um eine sachliche Betrachtung des Geschehens, da wagst du dich nicht weit raus aus der sicheren Sprache, insofern kann ich daran wenig kritisieren, aber auch wenig daran loben.

Es ist einfach eine nette, alltägliche Geschichte, ich mag, wie du das aufbaust, dass er alleine im Auto kommt und jeder fragt "Bist du alleine?" und seine Antwort mag ich auch: "Marina ist im Weltall", den Geburtstag hast du auch sehr schön eingefangen, die Mutter bleibt ja eher als Skizze hinter dem Pilzsoßennebel, der Vater hat ein kantiges Weltbild, streng und pünktlich und bestimmend, total drin in seinem Leben, unumkippbar scheint es, und wir lesen von einem gänzlich passivem Ich-Erzähler. Meine Lieblingsszene war die Kennenlernstory auf dem Festival, so hässlich und ungeschönt, muss das erst mal schön klingen! Das mit Linda hingegen konnte mich nicht berühren, aber den Ich-Erzähler auch nicht, wenn sich der Sex wie Händeschütteln anfühlt bei ihm und er bei der Vertrauensfrage (!) den Kopf schüttelt.

Ein wirklich realistisch eingefangenes Szenario, witzig an mancher Stelle, aber auch ein Achselzucken irgendwie.

Ich habs gern gelesen.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo Proof

Als ich gestern die Geschichte las, war ich mit mir uneins, mich hierzu zu äussern. Natürlich, es wäre kein Verlust … Wenn ich heute dennoch daran gehe, so deshalb, da mich Deine thematischen Variationen überraschen, die zwischen Alltag und Horror pendeln. Als vortrefflich in Erinnerung habe ich Deine Opa-Geschichte aus dem Seniorenheim. Hier ist es mal wieder der normal-skurrile Alltag, welcher Deinen Geist beflügelte.

Auch wenn der Einspann, wie der Protagonist zum Ärger jedes rassigen Autofahrers gemächlich auf der Landstrasse dahinkriecht, nichts Wesentliches zum weiteren Verlauf beisteuert, liest es sich doch als Charakteristikum. Allerdings schöpfst Du es nicht direkt aus, diese aufgezeigte Behäbigkeit oder mehr noch eine Lebenshaltung von Entschleunigung. An eine wirklich depressive Verstimmung wegen Marina, mag ich nicht so recht glauben.

Der Handlungsverlauf ist dann von einfacher Strickart, das Warten darauf eine Bestellung platzieren zu können. Es braucht schon Mut an so ein herabgebrochenes Thema heranzugehen. Dass es Dir gelingt, damit die Leser bei der Stange zu halten, hat denn auch mit Deiner Fähigkeit zu tun, die Sprache als gekonntes Stilmittel einzusetzen.

Ich war versucht zu sagen, natürlich kannst Du auf Wortwitz nicht verzichten. Aber natürlich ist es ja nicht. Also typischerweise bringst Du auch in diesem Stück eine Szene hinein, die es meines Dafürhaltens in dieser Umschreibung nicht so detailliert bräuchte. Dass er die Klobrille verspritzt, weiss jede Mutter die Jungs grosszieht, und dadurch ist solcher Klatsch schon längst verbreitet. Ich verbuchte es daher als eine proofsche Eigenart, wie Hitchcock, der sich in jedem seiner Filme stets für ein paar Sekunden selbst ins Bild setzte. :D

Subtil dünkte mich, wie Du das Verlustgefühl des Protagonisten um Marina einbindest, ein Selbstmitleid, das sich wie Bodensatz niedergelassen hat und ihn wohl eine Weile begleiten wird.

Es ist nicht eine Geschichte, bei der man am Ende denkt, dies war exklusive Unterhaltung, doch fügt sie sich in dieser Rubrik gut ein.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Proof,

die ganze Rahmengeschichte mit dem Vatergeburtstag mochte ich sehr. Die Interaktion zwischen Vater und Mutter, diese sinnlose Parkplatzbevormundung. Vor allem mochte ich den Vater. Mit dieser Sorge um und der Leidenschaft für das immergleiche Essen. Da wird die Frau mit Lebern auf dem Arm ja fast zur Göttin. Und dann die Katrastrophe am Ende :D Nur muss ich sagen, dass gegen diese ganze Leidenschaft das Hintergrunddrama des Sohnes irgendwie abstinkt.
Das ist so ein bisschen lästig für ihn, dass er den Eltern jetzt erklären muss, warum die Freundin weg ist. Aber abgesehen davon, kommt es mir nicht so vor, als würde ihn der Verlust sehr quälen.

Es war der dritte Tag des Festivals und Marina roch nicht besonders gut. Sie war attraktiv, stieß aber aus der Masse der Hippie-Indie-Emo-Irgendwie-alternativ-Mädchen nicht hervor: Hoch oben abgeschnittene Jeans, ein Motörhead-T-Shirt, zerzauste Haare, Lederband-Gebimmel an den Handgelenken und den Fußknöcheln. Hätten wir unsere Köpfe nicht gegeneinander gerammt, wären wir wohl aneinander vorbei gelaufen, um irgendwann zu sterben und nie etwas von der Existenz des Anderen erfahren zu haben. Rückblickend wäre das das Beste gewesen, aber damals wusste ich das nicht. Statt zu sterben, ohne voneinander zu wissen, liebten wir uns eine Weile.
Das ist ja ein ganz beliebtes Mittel, Romantik mit so was individuell-Unperfektem zu brechen. Aber das ist mir insgesamt zu lakonisch. Also ich find da gar kein romantisches Gefühl zum brechen. Und wenn er dann sagt, die hätten sich geliebt, nehm ich ihm das einfach nicht ab. Auch später kommt es mir so vor, als sei ihr Fremdgehen für ihn nur ne willkommene Ausrede, die ohnehin lauwarme Beziehung zu beenden. Also ich weiß nicht, das könnte ja für sich auch ein prima Thema sein, so ne Beziehung, die von Anfang mehr Gelegenheit und Sympathie als Bestimmung und Liebe war, an der man aus Bequemlichkeit hängenbleibt, ohne dass es den Beteiligten richtig wichtig wäre. Aber dann passt halt diese schlappe Liebesbehauptung nicht rein und überhaupt bleibt mir das alles irgendwie sehr kurz und oberflächlich, auch was genau er sich da bei Linda holt. Und mit Leonie kommt dann am Ende noch so ne dritte Frau da rein, die den kleinen Rahmen dann so etwas sprengt. Ich denke, ich hätte da eher nen Typen genommen, mit dem sie ihn vergleichen. Weil ja die Konkurrenz Mann-Frau nicht so unmittelbar ist. Gerade für so spießige Eltern sieht der Lebenslauf einer Ideal-Tochter noch immer anders aus als der eines Ideal-Sohns. Das ist aber nur ne Kleinigkeit.

Trotzdem näherte ich mich Kilometer für langsam gefahrenen Kilometer dem Landgasthaus Könemann.
Den Satz find ich nicht gut. Ist doch klar, dass man sich auch mit Tempo 60 dem Ziel nähert.

Obwohl ich meinen Vater kommen sah, zuckte ich zusammen, als er an das Sicherheitsglas klopfte.
Warum das Sicherheitsglas so betonen. Ist das nicht inzwischen Standard?

„Hast du noch keine Probleme mit“, legte er fest.
stellte er fest? oder: bestimmte er/ entschied er?

Das ergebnisoffene Studium der Karte war eine Lüge.
Ich weiß nicht, was die anderen haben. Ich find den Satz mit genau diesem Wort perfekt. Ich kenn das auch so gut.

In all den Jahren hatten die Medaillons nichts von ihrer Qualität eingebüßt, dabei war ich nicht sicher, ob der Koch noch lebte, der sie in meiner Kindheit zubereitet hatte.
Vielleicht hat er vorgekocht und eingefroren :D

vier kleine Tablette
ich mein der Plural heißt "Tabletts"

Die Bedeutung unserer Köpfe war uns bewusst. Zur Begrüßung und zum Abschied rieben wir die Stirn aneinander, statt uns zu küssen.
Also der zweite Satz ist sehr nett, also der Gedanke dahinter. Aber den ersten find ich irgendwie schief, weil das im ersten Moment so nach Vernunftbeziehung klingt.

Also wie gesagt, diese ganze Familiengeschichte hat mir sehr gut gefallen, besonders dieser absurde Bestelltanz des Vaters. Damit ist der quantitativ größere Teil der Geschichte schon mal gelungen. Aber die Geschichte mit der Freundin ist mir noch zu blass - und qualitativ ist der ja mindestens die Hälfte der Geschiche.

lg,
fiz

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend,

Hacke:

Eigentlich eine ziemlich traurige Story.

Und wirklich alltäglich, wie du eingangs feststellst. Was sagt uns das über den Alltag? Lieber nicht drüber nachdenken …


Asterix:

weil alles irgendwo oberhalb Platz 50 eh nur Mainstreamscheiße ist

Ich find' die alten Sachen auch besser.


Schwups:

herrlich, wie die Mutter dem Vater in die Bestellung reinreden will

Eigentlich soll sich das Ritual auf alle beziehen. Auch die Mutter mit ihrer Fischplatte. Man sagt zwar: „Oh, mh, hier ...“, bestellt aber Fisch, genau wie die vergangenen drei Dekaden.

Über „ergebnisoffen“ hat sich ja noch wer anders beschwert. Ich weiß nicht, ob ich das streichen kann. Mir gefällt das. Weil

Wort, das eher in einen politischen Kontext oder in ein Gespräch zwischen Managern passt

Das' ja genau der Punkt.


Der Mittelteil dann mit Marina und Linda, das hat mir nicht so viel gegeben.

Der ist mir entglitten irgendwie. Eigentlich sollte der viel kürzer sein, weil es um was ganz anderes geht. Ein Satz: Da war ein Mädchen, und jetzt ist sie weg.


als die Mutter so einen "versteckten" Vorwurf macht

Die Anführungszeichen können weg. Der Vorwurf ist ja tatsächlich nicht versteckt.


Rehla:

Bei deinem Nick muss ich an Reha vom Coös denken, oder wie sie heißt. Aus den Dark Tower-Romanen.

Ich musste den immer und immer wieder lesen, bis ich mir so ungefähr einen Reim darauf machen konnte.

Wahrscheinlich, weil er sich auf etwas bezieht, das zum Zeitpunkt des Lesens schon zu lange her ist.


Und trotzdem, obwohl das am Schluss dann wirklich zutraf, tat das meiner Unterhaltung keinen Abbruch.

Na ja, ist ja jetzt auch keine Geschichte, die komplett mit der Pointe – wenn man sie überhaupt so nennen will – steht oder fällt.


Glass:

schon eine sehr sachliche Beschreibung

Ich mag emotional nicht vorbelastete, kühle Sprache. Nicht nur, aber manchmal eben gern. Aus dem Horror kommend habe ich festgestellt, dass sich da ein ganz bestimmter Effekt mit erzielen lässt. Es gibt kaum etwas, das so schockt, wie das Beamtenstubendeutsch, in dem behördlicher Briefverkehr aus dem Dritten Reich zum Beispiel von Massenexekutionen erzählt.


da wagst du dich nicht weit raus aus der sicheren Sprache, insofern kann ich daran wenig kritisieren, aber auch wenig daran loben

Es geht doch auch fast immer in die Hose. Selbst bei guten Autoren. Und die richtig guten schreiben einfache Sätze. Cormack McCarthy.


Meine Lieblingsszene war die Kennenlernstory auf dem Festival, so hässlich und ungeschönt

Schon krass, wie jeder Leser eine Story zu seiner eigenen macht und selbst entscheidet, was er wichtig, richtig und gut oder schlecht findet. Ich mag das, aber wenn du jetzt mein Lektor wärst, müsste ich mich fragen: Gibt’s da draußen vielleicht auf einen wie dich fünf andere, die die Szene entbehrlich finden? Keine Ahnung.

Vielen Dank euch allen fürs Lesen und eure Gedanken! Ich gehe jetzt eine Runde laufen. Anakreon und feirefiz: Geduld, bitte! Eventuell auch ein bisschen länger.


Grüße bis hier
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Proof,

ist gleich zu Beginn so eine Welt, die - nehme ich mal an - vielen vertraut scheint. also sowohl das Essen als auch das Gehabe mit Besserwisserei, kleinlicher Bevormundung und preußischer Pünktlichkeit, die sich so relativ erfolgreich weitervererbt. ich merke selbst immer wieder, wie genervt ich bin, wenn Leude zu spät kommen, obwohl es eigentlich keine Eile geben müsste. also mir kommt das alles sehr bekannt vor, so könnte ein Familiengeburtstag bei uns auch aussehen, nur dass ich wahrscheinlich kein Geschenk hätte, was ja schade ist, so die Kammern der Shaolin zu schenken finde ich schon schick, da hätte mich mal die Reaktion des Geburtstagskindes intressiert.

Er winkte heftiger und schien kurz davor, sich lautlich bemerkbar zu machen, als meine Mutter ihn stoppte. Bitte, sagte sie, die komme schon wieder.

hehe, kommt mir sehr bekannt vor. all die kleinen Dramen wenn so eine Familie mal gemeinsam etwas Nettes machen möchte.

Marina ist tot, schoss es mir durch den Kopf. Bei der Fremdenlegion. Im Weltall. Auslandsaufenthalt, irgendwo, warum egal. Hat sie nicht gesagt.

o, Protagonist wurde verlassen? eiskalt sagen die ist tot :D und sich dann einen brutalen Tod ausdenken, je nach den Umständen der Trennung, ist doch ne Idee.

Mein Vater schwebte mit seinem Hintern einige Zentimeter über der Sitzfläche seines Stuhls. Mit einer Hand an der Rückenlehne und der anderen auf dem Tisch drückte er sich hoch wie bei Dips, hoch, runter, hoch, runter. Parallel dazu ging sein Mund auf und zu, auf und zu, jedes Mal, wenn die Kellnerin ihre prall gefüllten Platten auf einem Tisch abgestellt hatte und wieder in der Küche verschwand, ohne ihn zu beachten. Hoch und runter. Es machte mir Angst, wie angestrengt und fast schmerzverzerrt er dabei das Gesicht verzog.

das fällt so aus dem Rahmen. komme mit der Beschreibung seiner körperlichen Aktionen nicht klar, für mich sieht das aus wie Slapstick.

„Hattest du doch gesagt, als ihr aus Schweden zurück wart?“
„Norwegen.“

müsste sich nur noch rausstellen, dass die Verlobung ihre Idee war und er sich dann so mit der Zeit drauf einließ, bis sie dann nachher Schiss kriegte oder so.

Hippie-Indie-Emo-Irgendwie-alternativ-Mädchen

haha, aber innerlich bestimmt was ganz besonderes und auf einer sehr individuellen Suche :) ja kommt mir ebenfalls bekannt vor, immer wieder

Ich nahm die Entschuldigung an uns schmiss sie raus.

:D ist lustig, auch wenn das gerade nicht so richtig passt für mich .. das klingt alles als ginge ihn das nichts an, so mit dem trockenen Satz da zum Beispiel, und dass er vorher mit der Linda. aber warum dreht er dann so ab, wenn er darauf angesprochen wird und wird zum Karategott, warum das bedrückende Schweigen. falls das von den Alten ausgeht, könnte er ja sagen, Herrgott, es war, jetzt ist es nicht mehr, wo bleiben die Medaillons?

Sie hatte nicht irgendeinen Quatsch studiert, sondern als Auszubildende zur Groß- und Außenhandelskauffrau alles in Erfahrung gebracht, was für das Leben wichtig war

sehr gut, gefällt mir

huch, was ist das denn, jetzt ist's vorbei? Überraschung .. aber okay, warum nicht hier abschließen. ist fast ne gute saubere Sache in meiner Sicht, komm nur nicht mit der Marina-Geschichte klar, die relativ ausführlich und organisch aufgebaut und dann mechanisch abgespult wird :)

bis dann, Kubus

 

Hallo Proof,

ich wiederhole jetzt auch nochmal, was schon andere gesagt haben: scharf beobachtet. Die Dialoge wirken echt.

Ich bin überhaupt gar kein Fan von diesen Alltagsgeschichten, die eigentlich nur abbilden, und ich verstehe nie, was Autoren dazu bringt, mir solche Geschichten erzählen zu wollen. Aber das hier hab ich wirklich gern gelesen, ohne das begründen zu können. Hat mich selbst überrascht. Darfst du als Kompliment nehmen ;)

„Wir nehmen einmal die gemischte Fischplatte und zweimal die Medaillons mit Champignons. Und zu trinken-“
Die Kellnerin schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, aber die Medaillons sind aus.“
„Oh“, sagte mein Vater. Er wiederholte es ein paar Mal. „Dann ...“
Er sah mich an.
„Weißt du schon, was du dann nimmst?“
Ich zuckte die Schultern.
„Dann brauchen wir nochmal einen Moment“, sagte er.
Das ist echt tragisch. :( Ist auch eine Kunst, so eine banale Begebenheit so zu erzählen, dass ich als Leser begreife, welches Drama das jetzt für den Vater bedeutet.

Ich musste jetzt gerade nochmal nachsehen, wie dieser andere Text von dir heißt: Schinesisch. Also der gefällt mir noch besser. Da kombinierst du deine Fähigkeit, "Alltagsgeschehen" und Menschen gut abbilden zu können, und gegen Ende lässt du die Zügel schießen und die Story hört mit einem un-alltäglichen Knall auf.
Horror-Proof meets Alltags-Proof. Meiner Meinung nach eine gute Mischung :D

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Proof,

mir hat deine Story gut gefallen. Passt gut in die Rubrik Alltag, ein alltägliches Erlebnis. Ehrlich gesagt fragte ich mich so in der ersten Hälfte der Geschichte, was es jetzt mit dem Karategott auf sich hat - kam ja dann raus. Ich hatte irgendwie auf so eine Kampfstory oder sowas gehofft, muss ich sagen, als ich wegen dem Titel draufklickte, aber gut, hat mir auch gefallen.
Gut fand ich, wie du die Eltern gezeichnet hast: Das sind schon so zwei typische Elternfiguren, die Mutter, die neugierig ist und ihren Mann ständig versucht reinzureden, was er tun soll, der Vater, der am liebsten überhaupt nicht über ernste Dinge mit seinem Sohn redet, der sich eigentlich bloß für das Mittagessen und ein bisschen auch für die schöne Kellnerin interessiert. Fand ich gut, echt authentisch.
Dann lüftest du langsam das Geheimnis, was es mit Marina und dem Prot auf sich hat, wieso sie nicht migekommen ist: Gut, das kam so, wie man es erwartet hat, die beiden haben Schluss gemacht, aber die kleine Geschichte, dass beide fremdgegangen sind war dann doch nicht vorhersehbar.
Die Geschichte geht ja im Prinzip um Marina und den Prot - als Leser interessiert mich da am meisten, wieso die beiden auseinandergekommen sind bzw. wieso sie nicht zum Essen mitgekommen ist. Und dieses Interesse hast du ab dieser Stelle in mir geweckt:

„Bist du allein?“, fragte er.
„Ja.“
Das Auto blieb, wo es war.

Ich muss sagen, dass die Seite davor ein bisschen vor sich hingeplätschert hat - da wusste ich als Leser noch nicht, wo der Konflikt ist, weswegen die Geschichte lesenswert ist. Ich hoffe du verstehst was ich meine, ich bin schon gut in die Geschichte eingesogen worden, da wird erklärt, er fährt zum Essen zum Geburtstag seines Vaters, aber das ist schon sehr alltäglich, da hat man nicht dieses Gefühl: Oh, ich muss die Geschichte unbedingt weiterlesen, ich will wissen, wie es ausgeht! Weiß auch nicht, ob du das kürzen solltest oder willst, ist eigentlich auch so schon okay, soll bloß so eine kleine Info für dich sein, mir ist das eben aufgefallen ...

Stecken ziemlich viele Beschreibungen von Essen drin. Gut, da kommt das Wirtshausfeeling schon gut rüber, soll auch kein Kritikpunkt sein, ist mir eben nur so aufgefallen. Du könntest theoretisch auch noch mehr mit Gerüchen und Geräuschen arbeiten, hier sind sehr viele visuelle Beschreibungen vom Setting, aber in solchen Wirtshäusern herrscht auch immer so ein bestimmter Essensgeruch und so eine Geräuschkulisse, die auch wesentlich zum Feeling beitragen ... soll jetzt bloß eine Anregung für dich sein, kein Plan, vllt. bringt dich das ja weiter.

Paar kleine Notizen, die ich mir beim Lesen gemacht habe:


Ich fuhr sechzig und versuchte, an Schweinemedaillons zu denken.
Ich finde, das ist ein wunderbarer Anfangssatz.

Meine Mutter sah noch einmal in die Karte. Ihre Augen bewegten sich nicht dabei. Sie klappte das Menü wieder zu und fragte: „Wo ist denn nun die Marina?“
das mit den nichtbewegenden Augen fand ich gut. Da wird im Subtext gesagt: Die Mutter ist mit den Gedanken eigentlich ganz woanders, bei Marina.

„Und wo ist jetzt die Marina?“
„Im Weltall.“
„Was?“
„Ich muss auf die Toilette.“
:D witzige Stelle.

Auf der Bühne gaben Slime ein Konzert ihrer Revival-Tour.
geil, Slime, auf der Tour war ich auch.

Die Bedeutung unserer Köpfe war uns bewusst. Zur Begrüßung und zum Abschied rieben wir die Stirn aneinander, statt uns zu küssen.
also der Absatz, der hier endet, den fand ich richtig gut. Da hat die Story richtig an Fahrt gewonnen, diese kleine Rückblende hat dem Plot ziemlich gut getan, fand ich, da wird richtig Lust aufs Weiterlesen gemacht, weil man wissen will, wieso es zwischen den beiden doch nicht geklappt hat.

Meine Romanze war zu Ende, die meines Vater begann.
Mhm ... ja ich verstehe schon, das ist so eine gewisse Art von Humor. Aber ich finde, den Satz könntest du auch getrost streichen - der wirkt bisschen redundant auf mich, dass die Romanze zuende ist, und der Vater die Kellnerin wegen dem Essen im Auge hat, ist dem Leser schon klar, und so witzig fand ich die Feststellung jetzt nicht - aber ich kann mir vorstellen, dass das unter Geschmackssache fällt.

„Erfahren wir denn jetzt heute noch, was mit der Marina-“
Leerzeichen nach Marina

Jetzt hatte sie das Reproduzieren nicht nur begonnen. Sie hatte scheinbar auch nicht vor, es wieder einzustellen. Dieses Duell würde erst enden, wenn einer von uns beiden tot war oder eine in diesem Leben nicht mehr einzuholende Leistung erbracht hatte. Den Mars bewohnbar machen, zum Beispiel.
gefiel mir.

Ich war kein Karategott.
Das mit dem Karategott ... ehrlich gesagt habe ich mir da mehr erwartet. Hält er sich davor überhaupt für einen Karategott? Als Titel finde ich Karategott gut, aber ich hatte halt darauf gehofft, dass das dann eine mega Pointe oder so ist, war leider etwas enttäuscht von dieser Stelle.

Hoffe du kannst was mit meinen Anmerkungen anfangen!

Grüße

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin,

erstmal sorry, dass es so lange gedauert hat, aber ich habe die Seite nicht mehr gefunden. War bloß 'n Witz. Nur „Wortkrieger“, ich weiß nicht. Egal, muss Cheffe selbst wissen.


Anakreon:

Ich pendle beim Schreiben genauso wie beim Lesen. Am meisten beeindrucken mich selbst immer Erzähler, die in der Schublade aufs Schlimmste randalieren, sobald man sie einmal reingesteckt hat. Mag unterbewusst eine Rolle spielen.

Als vortrefflich in Erinnerung habe ich Deine Opa-Geschichte aus dem Seniorenheim.

Das freut mich. Ich hatte damals das Gefühl ich hätte mich thematisch etwas verhoben.

An eine wirklich depressive Verstimmung wegen Marina, mag ich nicht so recht glauben.

Das mal zusammenfassend für die vielen Kritiker, denen das Liebesaus (wir sind im BILDe) zu kalt bleibt: Wahrscheinlich ist es mir so geraten, weil ich mich nicht drauf konzentriert habe. Das Thema ist ja mehr dieses „Und, was macht die Lebensplanung? Tjo, keine Ahnung, im Moment ist mal wieder alles offen.“ Das und die unbarmherzig dahin tickenden Jahre. Und Schweinefleisch. Vielleicht ist der Prot gar nicht richtig deprimiert wegen Marina. Wofür dann wieder zu viel Tamtam um sie gemacht wird. Was unter dem Strich einen unbefriedigenden Effekt gibt. Sage ich jetzt mal so, mit ein paar Wochen Abstand darüber nachgedacht.

Es braucht schon Mut an so ein herabgebrochenes Thema heranzugehen.

Das ist genau wie im Horror. Wenn es durch und durch deine Vampire sind, ist es schnurz, wie viele Vampirgeschichten es schon gibt.

Auf die Brille pinkeln sollte eigentlich kein humoristischer Höhepunkt sein, mehr so beinharter Realismus.


Feirefiz:

Und mit Leonie kommt dann am Ende noch so ne dritte Frau da rein, die den kleinen Rahmen dann so etwas sprengt.

Da es um Erwartungen von Eltern geht, ist das glaube ich die eine, deren Existenz ich problemlos rechtfertigen könnte.

Gerade für so spießige Eltern sieht der Lebenslauf einer Ideal-Tochter noch immer anders aus als der eines Ideal-Sohns.

Gut, das ist ein Punkt.


Kubus:

für mich sieht das aus wie Slapstick.

Ist es an der Stelle auch durchaus. Wird dann gebrochen durch den letzten Satz des Absatzes. Ich finde das klasse, wenn die Stimmung in einer Erzählung so plötzlich umschlägt.
Ansonsten gehst du vor allem auf die Defizite bei der Lovestory ein, dazu s. o.


Möchtegern:

Ist auch eine Kunst, so eine banale Begebenheit so zu erzählen, dass ich als Leser begreife, welches Drama das jetzt für den Vater bedeutet.

Das ist für mich so wichtig, was alles in scheinbaren Banalitäten drin steckt. Die wenigsten von uns sind Braveheart oder Batman, aber deshalb sind doch sind doch unsere Leben nicht banal. Die stecken voller Geschichten. Und die sind viel wertvoller, weil man ein bisschen danach suchen muss und nicht gleich nach dem Vorspann ein Raumschiff explodiert.

„Schinesisch“ ist tatsächlich auch für mich die eine Geschichte, mit der ich mich überall und jederzeit voller Überzeugung ins Rennen werfen würde.


Zigga:

Ehrlich gesagt fragte ich mich so in der ersten Hälfte der Geschichte, was es jetzt mit dem Karategott auf sich hat

So sollte es sein.

Ich hatte irgendwie auf so eine Kampfstory oder sowas gehofft

Dieses möglicherweise heraufbeschworene Begehren hatte ich gar nicht auf dem Schirm, aber jetzt, wo du's sagt, ist logisch eigentlich, dass der Titel solche Hoffnungen schürt.

Stecken ziemlich viele Beschreibungen von Essen drin.

Ich bin unwürdig. Kennst du „Fleckenteufel“? Die Essensbeschreibungen bei den Fünf Freunden? Das Hörbuch hat mich vor Lachen ein paar Mal fast mein Auto vor den Baum setzen lassen. Auch bei Harry Potter wird ja gefühlt die Hälfte eines jeden Bandes lang gefressen. Ist auch wichtig für uns Menschen, keine Frage.

geil, Slime, auf der Tour war ich auch

Umsonst und Draußen in Stemwede, NRW. Schon auch mutig, so was. Frage ins Publikum: „Wo sind die alten Säcke?“ Kommt zurück: „Alle auf der Bühne!“

Leerzeichen nach Marina

Ich kenne das mit dem Minus für eine abrupte Unterbrechung, wenn jemand dazwischenredet quasi. Manche machen auch drei Punkte, aber das sieht für mich aus, als führe der Sprecher den Satz freiwillig nicht zu Ende. … Ach so, Leerzeichen zwischen Marina und Minus!

Vielleicht schreibe ich eine Fortsetzung, die auf einem Karateturnier spielt …


Na denn, ihr, *hust*, Wortkrieger. Vielen Dank für eure Anmerkungen und sorry nochmal für die lange Wartezeit. Falls wir vorher nichts voneiander hören, euch allen einen gesegneten Rutsch!


Grüße
JC

 

Hallo.

Ist jetzt keine Kritik, aber hat mich an meine Schulzeit erinnert, wo ich mit einem geschickten Karateschlag auf den Kopf meines Kumpels mir die Hand gebrochen habe.
(wer ist der wahre nicht-Karategott? :D )

Schon krass, wie "alle Eltern" gleich stur sind. ("park da").

eine kleine Anmerkung:

Ich spuckte in die gelbe Pfütze und strich mir mit dem Zeigefinger über die Stirn. Er roch nach Rauch, nicht nach Marina.
Die Stelle hatte mich etwas rasugebracht. Beim roten Faden von "Pisse" zu "Riechen" fand ich es leicht eklig, und beim Zusammenhang von "Stirn" und "Riechen" war ich dann draußen. Ich musste erst nachlesen, ob er sich nicht auf den Finger gepinkelt hatte (wobei ich mir dann Marina leicht pissig vorgestellt hatte), aber er hatte nur reingespruckt. :)

Danke für die nette Unterhaltung :)

Gruss
pantoholli

 

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