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<k>ein Grund zu töten
<k>ein Grund zu töten
Ralf wählt Martinas Nummer.
Es kann doch nicht so schwierig sein, sich an eine Abmachung zu halten.
"Emma hier", hört er auf der anderen Seite der Leitung.
"Kann ich mal bitte mit Lisa sprechen", sagt Ralf hörbar verärgert.
"Ach hallo, ist sie noch nicht zu Hause ? Wir haben bis vor 10 Minuten noch gespielt, sie ist dann aber sofort mit ihrem Fahrrad losgefahren. Kann sie morgen nach der Schule direkt wieder zu mir ?"
"Nein, sie ist noch nicht zu Hause, und wenn es so weitergeht, überlege ich es mir noch sehr genau, ob sie wieder zu Dir kann". Ralf lege auf.
Ende September wird es um diese Uhrzeit schon langsam dunkel, deshalb sollte die kleine Dame ja eigentlich um 20h schon längst zu Hause sein. Das wird heute ein Nachspiel haben.
Als 5 Minuten später noch immer nichts von Lisa zu sehen ist, sucht Ralf Lisas Mobilfunknummer aus dem Adressbuch seines Handys und wählt. Nach 6 Klingelzeichen antwortet nur die Ansage des Anrufbeantworters.
Aus Verärgerung wird jetzt Sorge. Lisa hat das Handy vor drei Wochen zu ihrem 12. Geburtstag geschenkt bekommen, sicherlich hat sie es nur auf lautlos gestellt und hört es während der Fahrt nicht. Aber für diese Strecke hat sie mit dem Fahrrad auch noch nie mehr als 10 Minuten gebraucht.
Immer wieder wählt er Lisas Nummer und jedesmal legt er nach 5 Klingelzeichen wieder auf.
Ralf kennt den Weg zu Martina sehr gut, schon seit dem ersten Schuljahr treffen sich Lisa und Emma regelmäßig und er ist diesen Weg mit Lisa schon oft zu Fuß gegangen. Es gibt eigentlich nur eine direkte Verbindung. Diesmal fährt er die Strecke langsam mit dem Auto ab. Lisa müsste ihm doch jeden Moment mit ihrem Rad entgegen kommen.
Vor Emmas Haus hält Ralf an und klingelt. Emmas große Schwester öffnet und bestätigt, dass Lisa vor mindestens 20 Minuten von Martina nach Hause geschickt wurde, weil die ins Restaurant im Nachbarort fahren wollte und Lisa nicht mit Emma und Ihrer Schwester allein sein sollte.
Den Rückweg fährt Ralf noch langsamer um die Strecke nach Lisa abzusuchen.
"Sicher ist sie schon zu Hause, wie konnte ich sie vorhin bloß übersehen haben ?", versucht er sich zu beruhigen.
Aber diese Hoffnung bestätigt sich nicht. Lisa ist nicht zu Hause und immer noch nicht auf Ihrem Handy erreichbar.
Eigentlich ist Lisa gar nicht so unzuverlässig. Ab und an vergisst sie beim Spielen die Zeit. Seitdem sie das neue Smartphone mit den unzähligen Spielen hat muss man sie schon öfter mal an Ihre Aufgaben erinnern, aber an wichtige Abmachungen hat sie sich eigentlich noch immer recht gut gehalten.
Die Idee alle Bekannten in der Gegend anzurufen und nach dem Verbleib von Lisa zu fragen verwirft Ralf, als er sich erinnert, dass Lisas Smartphone eine Suchfunktion hat. Mit einer speziellen SMS kann man das Gerät dazu auffordern seinen aktuellen Standort als Antwort an den Absender zu schicken. Ralf musste Lisa versprechen, diese Funktion nur im Notfall zu nutzen.
Hastig tippt Ralf das dafür notwendige Kennwort ein und schickt die SMS an Lisas Nummer.
Nach unendlich erscheinenden zwanzig Sekunden ertönt der Ton, der den Eingang der Nachricht auf Lisas Smartphone bestätigt. Immerhin hat sie Empfang.
Auf Grund der langjährigen Erfahrung mit Elektronik weiß Ralf, dass er etwas Geduld braucht. Lisas Smartphone wird jetzt versuchen über GPS den Standort zu ermitteln, was einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Sollte die genaue GPS- Position nicht innerhalb von fünf Minuten feststellbar sein, wird nur eine ungefähre Position übertragen.
Weil er fröstelt und um die Wartezeit halbwegs sinnvoll zu nutzen holt er seine Jacke aus dem Schrank und setzt sich ans Steuer. Er startet das Navigatonsprogramm damit auch seine Position schon ermittelt wird um direkt starten zu können sobald das Ziel bekannt ist.
Er spürt die Vibration seines Smartphones und noch bevor der Benachrichtigungston ertönt öffnet er die SMS und lässt sich die übertragene Position direkt auf der Landkarte anzeigen. Es ist die genaue GPS Position und sie liegt nur wenige hundert Meter neben der Hauptstraße die zu Emmas Haus führt.
Ein kleiner Feldweg müsste das sein, der von der Hauptstraße wegführt. Es geht da einen kleinen Hügel hinab aber ansonsten ist ihm die Gegend nicht näher bekannt.
Auch wenn er sehr eng ist, lässt sich der Feldweg mit dem Auto befahren. Die eigene Position wird auf Ralfs Telefon zusammen mit der von Lisas Handy angezeigt. Es trennen sie nur noch wenige Meter.
Ralf sieht eine alte Scheune vor sich, durch die angelehnte Tür scheint ein schwaches Licht.
Den Motor lässt er laufen und die Autotür offen stehen als zur Scheune rennt. Dort hört er einen erstickten Schrei.
"Nein, Lisa", schießt es ihm durch den Kopf.
Er stürzt durch die Tür und versucht sich zu orientieren. Irgendwo weiter hinten, hinter vielen Regalen flackert eine Glübirne. An der Wand neben der Tür ist Brennholz aufgeschichtet. Wieder hört Ralf einen leisen Schrei. Er greift sich ein handliches Stück Holz vom Stapel und rennt um die Regale in die Richtung des Schreis.
Er sieht Lisa mit dem Rücken auf dem Boden liegend, ihre Arme scheinbar hinter dem Rücken verschränkt.
Ein eher klein gewachsener Mann sitzt mit dem Rücken zu Ralf gekehrt auf Lisas Beinen und versucht mit der linken Hand ihren Mund zu zu halten, während er sich mit der rechten Hand an seiner Hose zu schaffen macht.
Lisa schlägt wild mit den Beiden und der Mann hat alle Mühe sich auf ihr zu halten.
Ohne zu zögern rennt Ralf auf den Mann zu, holt aus und versetzt ihm mit voller Kraft mit dem Holzscheit einen Schlag auf den Rücken.
Wie ein Sack fällt der Mann neben Lisa auf den Boden.
Lisa verfällt in ein leises Schluchzen als Ralf sie in den Arm nimmt. Mit seinen Händen ertastet er Lisas verschränkte Arme. Sie sind mit Klebeband fest hinter ihrem Rücken verbunden. Mit Lisa auf dem Schoss greift er in ein Regal und mit einem großen Schraubenzieher zerreißt er das Klebeband an Lisas Händen.
Noch immer schluchzt Lisa und erst jetzt erkennt Ralf, dass ihre Hose in einiger Entfernung auf dem Boden liegt.
Er steht auf und sieht dabei dass der bewusstlose Mann sich bewegt.
Geistesgegenwärtig zeigt Lisa auf die Rolle Klebeband die am Boden liegt. Ralf setzt sich auf den auf dem Bauch liegenden Mann während Lisa das Klebeband holt.
Nachdem sie gemeinsam die Arme des Mannes hinter seinem Rücken verschnürt haben steht Ralf auf um die Hose zu holen während sich Lisa an das Regal kauert.
Als Ralf die Hose aufheben will, fährt er wie vom Blitz getroffen herum. Der Mann ist doch nicht bewusstlos. Er hat sich aufgesetzt und mit einer verächtlichen Stimme flüstert er zu Lisa: "Früher oder später kriege ich Dich, und beim nächsten Mal wird Dir sicher keiner helfen."
Noch bevor Ralf reagieren kann, springt Lisa auf und stürzt mit der Rolle Klebeband auf den Mann zu. Sie klebt einen Streifen direkt über seinen erstaunt geöffneten Mund und wickelt mehrere Windungen um seinen Kopf.
Als Lisa schreit: "Pa, jetzt hilf mir doch. Er wehrt sich so", stürzt auch Ralf sich wieder auf den Mann.
Erst nachdem die Rolle fast leer und der Mann wie ein Päckchen von Kopf bis Fuß vollständig mit dem Klebeband eingewickelt auf dem Rücken liegt, hören sie auf.
Lange bleiben sie eng umschlungen und an ein Regal angelehnt sitzen. Lisa schluchzt nicht mehr und Ralf beginnt langsam wieder die Situation bewusst zu erfassen. Er versucht Lisa auf den Arm zu nehmen um mit ihr ihre Kleidung einzusammeln.
Doch Lisa reißt sich los. Sie rennt wieder auf den Mann zu und setzt sich mit dem Schraubenzieher in der Hand auf seinen Bauch. Der Mann starrt sie mit weit aufgerissenen Augen an.
"Das Herz ist doch auf der linken Seite, oder Pa ?", fragt sie.
"Nein Lisa, das darfst Du nicht", versucht Ralf es zuerst mit ruhiger Stimme.
"Aber er hat mich auch verletzt", Lisa beginnt wieder zu schluchzen. "Dabei hatte ich ihm vorher nie etwas getan. Und Du hast mir doch gerade geholfen."
"Ja, aber der Unterschied ist, ich lasse ihn am Leben." Ralfs Stimme ist jetzt fest und bestimmend. "Wir rufen jetzt die Polizei, und er wird für lange Zeit weggesperrt."
"Und was ist danach ?" Lisa hört sich plötzlich so verändert, so erwachsen an.
Ralf fröstelt es wieder. Auf allen vieren nähert er sich den beiden. "Lisa, überlasse das jetzt bitte mir."
Er kann mit seinem Arm gerade noch dazwischen, als Lisa versucht den Schraubenzieher in das Herz des Mannes zu rammen.
Doch Lisa will sich nicht aufhalten lassen. Mit aller Macht versucht sie sich aus Ralfs Griff zu lösen und schlägt mit Armen und Beinen um sich. Ralf ist von der Kraft und Entschlossenheit so überrascht, dass er lange Zeit mit ihr ringen muss, bis er sie wieder fest umklammert hat.
Lisa hält immer noch den Schraubenzieher in der Hand und will ihn auch auf keinen Fall herausgeben. Immer wieder gelingt es Ihr sich aus der Umklammerung herauszuwinden.
Ralf sieht keine andere Möglichkeit mehr sie zur Ruhe zu bekommen. Als er sie wieder fester hält, greift er zum Klebeband und versucht wieder ihre Arme zu fesseln.
Weinend fragt Lisa: "Pa, warum tust Du mir jetzt auch weh ?"
Lange ist es still. Auch Ralf weint jetzt.
"Es tut mir so leid", schluchzt er. Dann nimmt er den Schraubenzieher und zerreist damit das Klebeband an Lisas Armen.
Er legt den Schraubenzieher vor Lisa auf den Boden und steht auf um Ihre Hose zu holen.