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Johnny

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26.08.2002
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Anmerkungen zum Text

Nach den ersten beiden Kommentaren einige Änderungen 19.2.23
Weitere Änderungen am 23.2.23
Und 6.8.24

Johnny

Unsere Lage ist aussichtslos und wir dürfen nicht weg. Die lassen uns nicht.
Weil die Straße wichtig ist, sagt Bojko.
Ist ein paar Minuten her, da sah es noch besser aus. Unsere Stellung war so gut wie unbesiegbar, uneinnehmbar, an der konnten die Schweine sich die Zähne ausbeißen. Seit der Hippie bei uns war. Johnny.
Kam nach dem Angriff vor drei Tagen.

Bevor sie kamen, hatte uns das Schweinepack richtig zugebrettert, scheiß Splittergranaten, und am Ende wurde es knapp.
Es sah nicht so aus, als hätten wir gewonnen. Überall lagen unsere Toten verstreut herum – also eigentlich nicht sie, sondern jeder von ihnen lag verstreut herum.
Kovalenko neben mir lebte noch, obwohl ihm so einiges fehlte. Er schaute mich an, als ob ich ihm sagen sollte, wohin seine Beine verschwunden sind. Auch ein Arm war weg, mitsamt Schulter. Das ist wahrscheinlich das, was ein Journalist einen verlorenen Kampf nennt – selbst wenn man so aussieht wie Kovalenko, als hätte der einen Boxkampf nur knapp nach Punkten verloren; und für die, die zu Hause sind, stimmt das, vermute ich, die sehen das so. Kovalenko fing an – nein, nicht zu schreien – er schluchzte und das war übel. Er schluchzte und blutete, bis er hinüber war.




Danach, in all dem Rauch und dem Geschrei, keine paar Minuten nach der ganzen Knallerei, tauchte Johnny auf, aus dem Nichts, keine Ahnung woher. In so etwas wie Bettlaken gewickelt, Bart und lange Haare, kommt er auf mich zu; ich war zu überrascht, um ihn abzuschießen; er bleibt stehen, hebt die Hand zum Gruß und sagt: „So. Hier bin ich.“
Ich sage: „Was?“
Er: „Hier bin ich.“ Und dann: „Du hast um Hilfe gebeten.“
„Was habe ich?“, frage ich.
Von der Seite haben ihn zwei im Visier, ich gebe ein Zeichen, sie sollen warten, kann keiner von den Schweinen sein, sieht ja ganz anders aus, keine Uniform, kein Helm, nichts.
„Du“, sagt er. „Du hast gebetet, und jetzt bin ich hier. – Vorhin. Hast es mehrmals gesagt: Gott steh’ uns bei, oh mein Gott steh’ uns bei. Stimmt?“

„Ja“, sage ich. „Schon. Und?“
„Mein Vater schickt mich. Ich bin die Hilfe.“
„Und was?“, sage ich. „Mit was bist du die Hilfe?“
„Ich kann schießen“, sagt er. Weil ich nicht gleich antworte, verdreht er die Augen. „Bring mich zum Kommandanten“, sagt er. „Brauch eins von euren Outfits, schau mich an, alles retro. Und einen Helm wie ihr und was, womit ich schießen kann; bei uns über'm Kamin hängt noch ein Wurfspieß.“




Der Chef betrachtet ihn eine Minute lang.
„Ich weiß nicht, ehrlich“, sagt er.
„Immer dieses Gezweifel. Was soll ich machen?“, sagt Johnny. „Einen Toten wieder aufstehen lassen?“
„Ja, das ist es“, sagt Bojko und lacht.
Ich hab’ keinen Schimmer, was in ihm vorgeht, falls es in ihm noch einen Ort gibt, an dem was vorgehen kann.
„Keine gute Idee“, sagt Johnny. „Ohne dass man die vorher flickt, hätten die wenig Spaß damit.“ Er zwinkert.



Hört sich vermutlich so an, als hätte mir jemand den Schädel aufgesägt, mein Hirn rausgenommen und gegen gekochten Blumenkohl ausgetauscht. Aber so war es. Dann folgte ein höllisches Wunder. Die Schweine ließen ja nicht lang auf sich warten. Sie wussten, dass nicht viele von uns übrig waren. Doch Johnny, der hatte die Wahrheit gesagt – er konnte schießen, und wie! Er traf ohne zu zielen, er traf sogar ohne hinzuschauen, er ballerte einfach herum und traf; er sprang aus dem Graben, rückte vor und war unverwundbar, wirklich, mitten im Feuer, die Geschosse trafen ihn, alles egal, er stolzierte weiter wie ein verdammter Hahn auf dem Hühnerhof und machte sie platt wo auch immer sie waren.
Nach jedem Gemetzel ließ Bojko die Arme, Beine, Köpfe und Innereien einsammeln und erwartete von uns, das zu sortieren. Die Idee, alles zusammenzunähen und wieder lebendig zu machen, die hatte sich in ihm festgesetzt wie ein Bandwurm im Darmtrakt. Da müssen die Sachen vollständig beieinander sein, wie bei einem Scheiß-Puzzle.
Jeder, der mal dabei war, der weiß, dass zusätzlicher Irrsinn nicht ins Gewicht fällt; es geht drum, so zu tun, als ob alles in bester Ordnung wäre, und wenn da was winzig klein Irres dazu kommt, dann ist das, als würde einer in den Ozean eine Träne tropfen lassen oder einfach reinrotzen, jedenfalls was in der Art, dass es nichts ändert.



Jetzt sind wir erledigt. Stellt euch das vor, was normalerweise aus einem Kuhhintern tröpfelt: Genau so ist die Situation. Verflucht, da kommt er zu uns, blutbespritzt, und sagt: „Vergebt mir, meine Brüder, doch ich muss euch verlassen.“
„Was? Warum?“, rufen wir. „Es läuft doch!“
„Gewiss“, sagt er. „Aber ihr seid nicht die Einzigen, wisst ihr, und vorhin, da haben die anderen gebetet. Um Beistand. Wurde erhört, hab’s eben erfahren. Heißt, bin jetzt erst mal im anderen Team.“ Er lacht. „Aber dauert ne Weile, ich muss mich erst umziehen. Nix überstürzen. Da könnt ihr noch über alles nachdenken. Die Wahl habt ihr.“
Es ist sein Ernst. Später gibt er seine Sachen ab. Zieht seine alten Fetzen an und verschwunden ist er.



„Wir müssen jetzt weg“, habe ich Bojko gesagt.
„Na sicher“, hat er geantwortet. „Gute Idee. Gar kein Problem. Ich ruf’ am besten gleich beim Oberkommando an und sag’ denen, wir müssen die Stellung räumen, weil uns demnächst der Sohn Gottes angreifen und über den Haufen schießen wird. Vielleicht schaffen wir's noch zum Abendessen nach Hause.“

Katharina kommt mir in den Sinn und dass sie vielleicht genau jetzt ihre Paprikakartoffeln macht.
Irgendwo habe ich mal gehört, dass man immer die Wahl hat.
Und dass es am Ende darauf ankommt, was wir getan haben werden. Und zwar jeder von uns. Da könnte schon was dran sein, denke ich, überprüfe noch einmal das Magazin der Knarre und warte ab, was jetzt geschieht.

+bgu

 

Hallo @FlicFlac,

eigentlich ist so eine Szene

Überall lagen unsere Toten verstreut herum – also eigentlich nicht sie, sondern jeder von ihnen lag verstreut herum.
grausam. Schwierig, die Balance zwischen angemessener Ernsthaftigkeit und unpassender Verharmlosung zu finden. Es hilft beim Lesen, dass man weiß, das es sich um eine Satire handelt. Insofern ist der oben genannte Widerspruch durch Mittel der Satire aufgefangen: Das Grausame wird ins Absurde transferiert, dadurch gezeigt, wie grotesk und letztlich dumm das Verhalten des angeblichen Homo sapiens sapiens (!) ist.

Die Szene mit "Kovalenko" ging mir zu weit - Schmerz und Tod, ganz auf eine Person bezogen ... so wird sie und ihre Situation bagatellisiert.

„Immer dieses Gezweifel. Was soll ich machen?“, sagt Johnny. „Einen Toten wieder aufstehen lassen?“
Diese Wendung Hippie - Jesus kommt aus dem Nichts, ist gelungen.

Doch Johnny, der hatte die Wahrheit gesagt – er konnte schießen,
Dieses 'Talent' passt natürlich nicht zur Person. Ist auch etwas einfach. Vielleicht kann er unverwundbar machen? Dann rettet er, was die Geretteten mit ihrem Leben anfangen, ist dann wieder freier Wille ... (wenn man den 'Beihilfeaspekt' mal nicht berücksichtigt).


Die Idee, alles zusammenzunähen und wieder lebendig zu machen, die hatte sich in ihm festgesetzt wie ein Bandwurm im Darmtrakt.
Ja, genau so!

„Gewiss“, sagt er. „Aber ihr seid nicht die Einzigen, wisst ihr,
Das ist super lakonisch formuliert, noch ne Wende!

Katharina kommt mir in den Sinn und dass sie vielleicht genau jetzt ihre Paprikakartoffeln macht.
Irgendwo habe ich mal gehört, dass man immer die Wahl hat.
Und dass es am Ende darauf ankommt, was wir getan haben werden. Und zwar jeder von uns. Da könnte schon was dran sein, denke ich, überprüfe noch einmal das Magazin der Knarre und warte ab, was jetzt geschieht.

Ein philosophischer, aber auch den Menschen gut beschreibender Schluss!

Eine (relativ) zeitlose Satire auf ein (wahrscheinlich) leider zeitloses Thema!

Solch einen Wahn mit so brutalem Hintergrund lächerlich und grotesk darzustellen, ist schon eine Leistung. :thumbsup:

LG,

Woltochinon

 

Lieber @Woltochinon, danke für deinen Kommentar!

eigentlich ist so eine Szene
Überall lagen unsere Toten verstreut herum – also eigentlich nicht sie, sondern jeder von ihnen lag verstreut herum.
grausam. Schwierig, die Balance zwischen angemessener Ernsthaftigkeit und unpassender Verharmlosung zu finden.
Noch unpassender finde ich es allerdings, wenn über Waffensysteme in den Medien berichtet wird, als wären es Sportwagen. Wie toll sie sind und was sie alles können. Und ich sehe auch nicht die Toten und Verletzten, wenn über 'Siege' gesprochen wird.

Doch Johnny, der hatte die Wahrheit gesagt – er konnte schießen,
Dieses 'Talent' passt natürlich nicht zur Person. Ist auch etwas einfach. Vielleicht kann er unverwundbar machen? Dann rettet er, was die Geretteten mit ihrem Leben anfangen, ist dann wieder freier Wille
Hier irrst du. Die Idee zu dem Text kam mir, als ich las, was eine hochrangige Vertreterin der Evangelischen Kirche Deutschlands auf die (provokante) Frage antwortete, was Jesus Christus zu den von der Kirche befürworteten Waffenlieferungen an die Ukraine sagen würde. Sie sagte, wenn Jesus heute lebte, würde er an der Seite der Ukrainer mitkämpfen.

Da diese Kirchenleute gewissermaßen die Fachleute für Jesus-Fragen sind, passt das also wunderbar zur Person. Das Bild eines Jesus mit Knarre habe ich überhaupt erst von jenen kompetenten Kräften bekommen. Nur leider, das war der zweite Gedanke, ist der Erlöser ja allen verpflichtet, die an ihn glauben; das kann dann schon mal zu einem Durcheinander im Kampfgeschehen führen.

Wie meist: Die Satire eskaliert nur, was in der Realität -- egal, wie irre -- schon besteht und zudem auch noch für 'normal' gehalten wird. Jesus mit Knarre persönlich auf dem Schlachtfeld ist nur ... weitergedacht.


Ein philosophischer, aber auch den Menschen gut beschreibender Schluss! Eine (relativ) zeitlose Satire auf ein (wahrscheinlich) leider zeitloses Thema! Solch einen Wahn mit so brutalem Hintergrund lächerlich und grotesk darzustellen, ist schon eine Leistung.
Danke dir.

Gruß von Flac

 

Hallo @FlicFlac,

da ich etwas verunsichert bin, noch ein kleiner Beitrag.

eigentlich ist so eine Szene
Überall lagen unsere Toten verstreut herum – also eigentlich nicht sie, sondern jeder von ihnen lag verstreut herum.
grausam. Schwierig, die Balance zwischen angemessener Ernsthaftigkeit und unpassender Verharmlosung zu finden. Es hilft beim Lesen, dass man weiß, das es sich um eine Satire handelt. Insofern ist der oben genannte Widerspruch durch Mittel der Satire aufgefangen: Das Grausame wird ins Absurde transferiert, dadurch gezeigt, wie grotesk und letztlich dumm das Verhalten des angeblichen Homo sapiens sapiens (!) ist.

Noch unpassender finde ich es allerdings, wenn über Waffensysteme in den Medien berichtet wird, als wären es Sportwagen. Wie toll sie sind und was sie alles können.
Ich bin etwas unsicher, ob das rüberkam: Ich bin nicht der Ansicht, du hättest "unpassend" geschrieben, sondern der Meinung, dass du das Problem der "Balance" gekonnt "aufgefangen" hast.


Hier irrst du. Die Idee zu dem Text kam mir, als ich las, was eine hochrangige Vertreterin der Evangelischen Kirche Deutschlands auf die (provokante) Frage antwortete, was Jesus Christus zu den von der Kirche befürworteten Waffenlieferungen an die Ukraine sagen würde. Sie sagte, wenn Jesus heute lebte, würde er an der Seite der Ukrainer mitkämpfen.
Irrt nicht eigentlich eine Kirchenvertreterin, die so etwas sagt? Mir ging es eigentlich um die Überlegung, ob man näher an der (zumindest tradierten) Charakterisierung der Person Johnnys sein, trotzdem die Absurdität der Handlungen klar aufzeigen kann.

ist der Erlöser ja allen verpflichtet, die an ihn glauben; das kann dann schon mal zu einem Durcheinander im Kampfgeschehen führen.

Und um das Ganze völlig absurd zu machen werden die Waffen auf beiden Seiten auch noch gesegnet ...

Jedenfalls ist dir eine herausragende Geschichte gelungen, in Form und Inhalt!

L G,

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon!

Ich bin etwas unsicher, ob das rüberkam: Ich bin nicht der Ansicht, du hättest "unpassend" geschrieben, sondern der Meinung, dass du das Problem der "Balance" gekonnt "aufgefangen" hast.
Danke dir! Hab das eben schon oft bemerkt: Eine Satire wird als 'grenzwertig' oder 'geschmacklos' eingestuft. Wohingegen das, was sie angreift (und meist überspitzt) nun mal 'normal' ist und außen vor bleibt. Du hast ja geschrieben, dass du die Satire erkannt hast.

Hier irrst du. Die Idee zu dem Text kam mir, als ich las, was eine hochrangige Vertreterin der Evangelischen Kirche Deutschlands auf die (provokante) Frage antwortete, was Jesus Christus zu den von der Kirche befürworteten Waffenlieferungen an die Ukraine sagen würde. Sie sagte, wenn Jesus heute lebte, würde er an der Seite der Ukrainer mitkämpfen.
Irrt nicht eigentlich eine Kirchenvertreterin, die so etwas sagt?
Exakt darum geht es ja :)
Das ist die Frage, die durch die Geschichte, durch meinen 'militärischen Jesus', aufgeworfen werden sollte. Ob das ein Widerspruch ist.
Gleichermaßen das:
Und um das Ganze völlig absurd zu machen werden die Waffen auf beiden Seiten auch noch gesegnet ...
Wenn es um die Vernichtung der 'Bösen' geht, hat die Kirche häufig kein Problem mit Widersprüchen. Eins meiner 'Lieblingsworte' ist: 'Christliche Milizen'. Deren Nächstenliebe kann man sich gut vorstellen, in der Praxis.
Bei den 'Bösen' (die jeweils die anderen sind) gibt es stets gute Gründe, eine Ausnahme zu machen.
'Mein' Jesus löst das, indem er von Zeit zu Zeit die Seiten wechselt.

Gruß von Flac

 

Hallo @FlicFlac,

danke, dass du dich noch einmal gemeldet hast!

Eins meiner 'Lieblingsworte' ist: 'Christliche Milizen'. Deren Nächstenliebe kann man sich gut vorstellen, in der Praxis.
Ja, es ist schon erstaunlich, wie weit (und selbstgerecht) die theologischen Absurditäten getrieben werden können. Letztlich wird sich auf eine immer undurchsichtiger werdende Theologie berufen, die gemäß der eigenen Zwecke interpretiert wird.

Da lobe ich mir alles Konkrete, eindeutig Interpretierbare:

Stellt euch das vor, was normalerweise aus einem Kuhhintern tröpfelt: Genau so ist die Situation.

Wie kommt man auf so etwas :eek:

"Stellt euch vor ..." Ich versuche, es mir nicht mehr vorzustellen!

Alles Gute für dich, wünsche dir Kreativität und Freude (nicht nur im neuen Jahr).

L G,

Woltochinon

 

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