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Ist es schlimm den Leser als Autor direkt anzusprechen?

Ich sehe keinen Grund, den Leser in einem Schriftstück nicht direkt anzusprechen, wenn es die erzählerische Situation erlaubt oder gar erfordert.

In anderen Medien, vor allem dem Theater als erzählendes und den Konzerten als unterhaltendes Medium, ist die Interaktion mit dem Publikum nicht ungewöhnlich. Auch in der Stand-up-comedy wird das Publikum einbezogen, bisweilen in Literaturlesungen und sogar im Film, der ansonsten ja zu den publikumsfernsten Medien gehört.

Unterscheidungen in der Erzählform, wie filechecker sie macht, würde ich dabei nicht vornehmen. Wenn der allwissende Erzähler einer Geschichte beispielsweise über Sachverhalte berichtet, die ihn einige Recherche gekostet haben und dem durchschnittlichen Leser kaum bekannt sein dürften, so ist es legitim, das sich der Erzähler direkt an den Leser wendet und ihn aufklärt ("Dazu sollte der Leser wissen...").

Die Kommentare des Autors sollten in diesen Passagen aber immer wertungslos und objektiv sein. So einen Klops wie in Jadzias Themenstart geht natürlich gar nicht, es sei denn, man schreibt in der ersten Perspektive. Da "redet" man ja ohnehin permanent mit dem Leser.

Die Frage, was zur Zeit modern ist, stellt sich hoffentlich nicht wirklich - schließlich schreiben wir für die Ewigkeit, oder?

Kane

 

Einen besonders raffinierten Kunstgriff habe ich mal in einer SF-Geschichte gelesen. Der Ich-Erzähler hat die ganze Zeit den Leser angesprochen. Und zwar wurde der Leser in die Rolle eines Beobachters gezogen, der vor einem Bildschirm steht, auf dem der Ich-Erzähler zu sehen ist und seine Geschichte erzählt. Am Ende der Geschichte wurde der Leser dann in die Handlung einbezogen, indem er vor eine Entscheidung gestellt wurde. Der Ich-Erzähler saß übrigens die ganze Zeit daneben am Schreibtisch, und zwar tot.

Klingt jetzt vielleicht etwas abgefahren und unverständlich, und leider ist die Story auch nicht online verfügbar. Aber auf "nova 4" (www.nova-sf.de) kann man gar nicht oft genug hinweisen :D
In jenem Fall kann man die durchaus innovative Erzählperspektive gar nicht genug loben. Ich finde solch ungewöhnliche Strukturen jedenfalls höchst inspirierend und erfrischend.

Zum Eingangsbeispiel: Ich kenne nicht die ganze Geschichte, aber wenn man sowas macht, d.h. den Leser plötzlich direkt anspricht (und das auch noch suggestiv), sollte man es durch die ganze Geschichte ziehen und damit zum sprachlichen Mittel erheben. Eine einzige, sporadische Stelle, wirkt vielleicht etwas zufällig und ungewollt.

 

dafür eine grundsatzdiskussion..?

wie schon gesagt, charles dickens (klassiker) macht es regelmäßig, stephen frey (modern) führt es noch etwas weiter und beschimpft den leser gleich - und ich (innovativ abgeschaut) habs auch schon in einer satire hier gemacht.. mir gefällts..

ich denke, adjektive ala "modern" oder sogar "ernsthaft" haben da wenig zu suchen - ist halt ein stilmittel und damit dem gemeinen geschmack freigegeben...

grüße, streicher

 

Der allwissende Erzähler kann den Leser mMn in manchen Situationen sehr wohl ansprechen:

Man stelle sich eine Geschichte vor, in der ein auktorialer Erzähler (vielleicht Gott) die verschiedenen Schauplätze der Menschheitsgeschichte kommentiert,
etwa:
Hier sehen wir gerade, wie ... einem anderen ... in den Bauch sticht. Der Gestochene fand es lustig, da sein Zwerchfell getroffen wurde.
Ah, da hinten naht schon Hannibal - ante portas. Er wird nicht nach Rom reinkommen - sie glauben es zu wissen, warum nicht; aber falsch: in Wirklichkeit...

So nach diesem Schema.

G
Jan

 

@Brother Kane:

Ich sehe keinen Grund, den Leser in einem Schriftstück nicht direkt anzusprechen, wenn es die erzählerische Situation erlaubt oder gar erfordert.
Oha! Ein Beispiel?

Wenn der allwissende Erzähler einer Geschichte beispielsweise über Sachverhalte berichtet, die ihn einige Recherche gekostet haben und dem durchschnittlichen Leser kaum bekannt sein dürften, so ist es legitim, das sich der Erzähler direkt an den Leser wendet und ihn aufklärt ("Dazu sollte der Leser wissen...").
Nä! Welcher Leser lässt sich schon gern bevormunden, gängeln, belehren, zurecht weisen, maßregeln, etc.? Sowas was Du hier anführst, würde ich strikt als unhöflich empfinden. Klar: kann man machen, aber dann darf man nicht übel nehmen, das ich das Buch in die Ecke pfeffere.

@jbk:

Hier sehen wir gerade, wie ... einem anderen ... in den Bauch sticht. Der Gestochene fand es lustig, da sein Zwerchfell getroffen wurde.
Ah, da hinten naht schon Hannibal - ante portas. Er wird nicht nach Rom reinkommen - sie glauben es zu wissen, warum nicht; aber falsch: in Wirklichkeit...
Und wo ist hier die direkte Ansprache, was die Pronomen "du", "ihr" oder "Sie", bzw. die entsprechenden Befehlsformen signalisieren? Dieses "wir" (pluralis maiestatis) mag bestenfalls als indirekte, falls denn überhaupt eine Anrede gelten.


FLoH.

 

Und wo ist hier die direkte Ansprache
Hier, FLoH: ;)
Er wird nicht nach Rom reinkommen - sie glauben es zu wissen, warum nicht; aber falsch: in Wirklichkeit...
Sowas mag ich auch nicht, wenn mir der Autor unterstellt, ich würde irgendetwas glauben, obwohl er das gar nicht wissen kann.

 

Häferl: Euh, hast recht. Doch, nein, gäbe es eine dritte Partei in der Mehrzahl, hätte das "sie" eine ganz andere Bedeutung, da kleingeschrieben.

FLoH.

 

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